Musik

Was ich traure,
weiß ich nicht



Mörike und Schubert: Zwillingsbrüder?











Gestatten Sie, mein Name ist Tschöll


Ich, der alte Tschöll


Unter einem Fliederbaum


Es soll der Frühling mir künden



... wandert der schwäbische Pfarrer ... ein wenig verdrossen herum und so ziellos wie sonst nur der arme Schubert in der Rosamunde oder im Dreimäderlhaus. Wie Mörike, so mißlangen auch Schubert seine Theater- und Opernpläne, von denen er schnellen Erfolg und eine wenigstens zeitweise Befreiung aus der finanziellen Abhängigkeit von den Freunden sich erhoffte, und wie bei Mörike verstreut in der Lyrik, finden sich auch bei Schubert die genialen Gesten am ehesten in den kleinen Wendungen seiner Kammermusik, beispielsweise am Anfang des zweiten Satzes der letzten Klaviersonate oder im Lied von der 'Lieben Farb' aus der Schönen Müllerin, in jenen wahren moments musicaux, wo die Chromatik ins Dissonante zu schillern beginnt, wo ein unvermuteter, um nicht zu sagen falscher Wechsel der Tonart auf einmal alle Hoffnung absinken läßt oder die Trauer verwandelt in Trost. Meistens sind es die mährischen Dorfmusikanten, mit denen man Schubert dann herumziehen sieht. Unter ihnen ist es ihm wohler, als wenn er sich abmüht an der vom bürgerlichen Kulturprogramm verlangten großen Kunst. Es gibt übrigens ein Bild von Mörike, auf dem er fast aussieht wie ein Zwillingsbruder des Wiener Musikers. Beide arbeiteten sie gleichzeitig, der eine mit Ausblick auf einen schwäbischen Apfelgarten, der andere im Himmelpfortgrund, an einer Form der Komposition, die im Bruchstück einer halb schon verwehten Melodie jenen authentischen Volkston simuliert, den es als solchen überhaupt nie gegeben hat.

So ist mein scheuer Blick,
Den schon die Ferne drängt,
Noch in das Schmerzensglück
Der Abschiedsnacht versenkt.

Dein blaues Auge steht
Ein dunkler See vor mir,
Dein Kuß, dein Hauch umweht
Dein Flüstern mich noch hier.

An deinem Hals begräbt
Sich weinend mein Gesicht,
Und Purpurschwärze webt
Mir vor den Augen dicht.

Der Fehler, den wir als Zuhörer immer machen, liegt in der Annahme, daß in diesen melodischen Wundern die Sprache und die Musik ihr natürliches Erbteil zitieren, während sie doch in Wahrheit daran das Künstlichste sind. Was es zu dessen Herstellung braucht, das ist nach wie vor ein weitgehend unerschlossenes Geheimnis. Gewiß ein seltenes handwerkliches Geschick, das zu den kleinsten Adjustierungen und Korrekturen befähigt; außerdem, glaube ich, ein sehr langes Gedächtnis und, möglicherweise, auch einen gewissen Mangel an Liebesglück, der das Los gerade derer gewesen zu sein scheint, die, wie Mörike und Schubert, wie Stifter, Keller und Walser, ein paar der schönsten Zeilen für uns geschrieben haben.