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Koinzidenz
1952 erscheint vom schwedischen späteren (1974) Nobelbpreisträger Eyvind Johnson der Roman "Träume von Rosen und Feuer"
und zur selben Zeit veröffentlicht Aldous Huxley das Buch "The Devils of Loudun".
Beide Bücher thematisieren die seltsamen Ereigenisse im Ursulinenkloster der südwestfranzösichen Stadt Loudun in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts.
Huxleys Buch ist an vielen Stellen abstoßend, der Leser verliert angesichts der Schärfe mancher Schilderungen die Gelassenheit.
Huxley stellt den wahren Heiligen, den Mystikern und „Erleuchteten“ die „Besessenen“ gegenüber und alle die Verirrten der Zivilisation, die sich einen Ausweg aus ihrer Pein im Alkohol, in Rauschmitteln, in der Sexualität und im „Massenfieber“ suchen.
Opfer und wahrer Held ist Pfarrer Urbain Grandier.
Unsichtbar, aber treibend und beherrschend, lenkt Richelieu die Fäden des Geschehens und steuert in allerunchristlichster Rache und Intrige das Schifflein des Pfarrers Grandier in die Flammenkatastrophe des Scheiterhaufens.
Pfarrer Grandier hat sich in den ersten Jahren seiner Amtszeit im Städtchen Loudun viele Feinde gemacht. Unter ihren 14.000 Einwohnern zählt sie eine starke protestantische Minorität, was zu einer seelischen Gespanntheit und einer besonderen moralischen Wachsamkeit gegenüber dem neuen Pfarrer führt.
Die Chance, ihn zu verderben, bietet sich, als die Äbtissin des Ursulinenklosters,
Jeanne des Anges
leicht verkrüppelt, religiös genial und extrem ehrgeizig, sich in ihn verliebt, aber Grandier, der genug Frauen hat, weist sie ab. Kurz darauf erhält die Äbtissin die ersten Visiten des Teufels - und gleichzeitig mit ihr behaupten auch 16 ihrer Nonnen, vom Teufel in seinen sieben Hauptgestalten heimgesucht zu sein; behext aber habe sie der schöne Pfarrer.
Das Unheil nimmt seinen Lauf. In beiden Romanen nehmen die Ereignisse aber jeweils einen anderen Verlauf.
Historie
Urbain Grandier, geboren 1590 in Bouère, katholischer Priester in der Kirche Sainte Croix in Loudun, scheint eine Reihe sexueller und romantischer Beziehungen zu Frauen gehabt und den Ruf eines Frauenhelden erworben zu haben. 1632 beschuldigt ihn eine Gruppe von Nonnen aus dem lokalen Konvent der Ursulinen, sie verhext zu haben, indem er ihnen den Dämon Asmodäus und andere sandte, um mit ihnen böse und schamlose Taten zu begehen. Die Klagen beginnen, nachdem Grandier sich geweigert hat, geistlicher Leiter des Konvents zu werden, nicht wissend, dass Schwester Jeanne des Anges, Mutter Oberin, von ihm besessen ist, nachdem sie ihn von weitem gesehen und von seinen sexuellen Taten gehört habe. Jeanne beschuldigt nun Grandier, sie mittels Schwarzer Magie verführt zu haben, andere Nonnen erheben nach und nach ähnliche Vorwürfe, ein Fall von Massenhysterie. Grandier wird verhaftet, von einem kirchlichen Tribunal befragt und freigesprochen.
Grandier hatte sich durch eine öffentliche verbale Attacke die Feindschaft des mächtigen
Kardinals Richelieu
zugezogen, der ein neues Verfahren anordnet. Es soll ein von ihm ernannter Vertreter leiten: Jean de Laubardemont, ein Verwandter von des Anges.
Richelieu lässt Grandier 1633 in Angers erneut verhaften und verweigert ihm die Möglichkeit, sich an das Parlement in Paris als Appellationsgericht zu wenden. Bei der zweiten Befragung erneuern die Nonnen und ihre Oberin die Vorwürfe nicht, was aber das bereits feststehende Urteil nicht mehr beeinflusst.
Die Richter (vier Kleriker) lassen Grandier foltern, führen Dokumente in den Prozess ein, die angeblich von Grandier und verschiedenen Dämonen unterzeichnet sind und den Teufelspakt beweisen sollten. Ein Dokument ist auf Latein, es scheint von Grandier unterzeichnet zu sein. Ein weiteres fast unlesbar, mit vielen absonderlichen Symbolen versehen und von mehreren Dämonen mit ihren Siegeln "unterzeichnet", darunter auch Satan selbst. Es ist unbekannt, ob Grandier die Dokumente unter Zwang schrieb und unterzeichnete, oder ob sich um Totalfälschungen handelt.
Urteil: Schuldig, Todesurteil.
Die Richter ordnen die "außergewöhnlichen Befragung" an, eine Form der Wasserfolter, die normalerweise mit Verzögerung zum Tode führt. Auch unter dieser Folter gesteht Grandier nicht. Die Richter lassen ihn 1634 lebend auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Verarbeitung
Voltaire führt Grandiers Hinrichtung als Hexer zum Beweis für das Vorherrschen des Aberglaubens an, der vor der Epoche der Aufklärung die politischen Geschäfte Frankreichs stark beeinflusst habe.
Grandiers Gerichtsverhandlung ist Thema zweier Bearbeitungen von Alexandre Dumas dem Älteren: einmal in Band 4 seiner "Crimes Célèbres" (1840), zum anderen in dem Schauspiel "Urbain Grandier" (1850).
1843 erscheint der Roman "Urban Grandier oder die Besessenen von Loudun" von Willibald Alexis.
Filme, Opern folgen.
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Anmerkung:
In der Annahme der Möglichkeit einer solchen dämonischen Besessenheit liegt die Crux der katholischen Theologie, denn sie muss damit dem Satan eine Macht attestieren, die weit größer ist, als sie ihm gemeinhin zuzustehen bereit ist. Mag er sich an den Seelen der vom Pfad des rechten Glaubens abgewichenen Bösewichter vergreifen, sie haben es nicht anders gewollt. Aber dass auch schuldlose Jugendliche (oder Nonnen, in deren Klöstern er mit Vorliebe geradezu epidemisch wütet), vor seinen Nachstellungen nicht sicher sind, stellt einen Grundgedanken der katholischen Moraltheologie in Frage: Böse ist das willentlich Böse, weniger die böse Tat als solche denn die sündige Bereitschaft dazu.
[Aus unerfindlichen Gründen sind es vor allem die Ursulinen, deren Seelen der Satan begehrt. Der berühmteste Fall dürfte die Besessenheit der Nonnen des Klosters zu Louviers in der Normandie darstellen, den Joseph Görres in seiner Christlichen Mythologie ausführlich dokumentiert hat. Von 52 Nonnen glaubten sich 14 besessen und gaben sich in einer Art Massenhysterie schrankenlos jeder Sünde hin.]
Dass Gottes tatenlos zulässt, wenn sein Widersacher ein Lamm aus seiner Herde reißt, dass dieses sein Seelenheil einbüßt, ohne auch je nur einen bösen Gedanken gedacht zu haben, stellt die Behauptung von der Macht Gottes und der Ohnmacht seines Gegners in Frage. Gleichwohl ist der Katholizismus auf die Besessenheit angewiesen: Denn selbst die "mit der brennendsten Hoffnung auf die
Freuden der Ewigkeit beladenen Theologen brauchen ein Konzept, das es ihnen gestattet, die Menschen zur Geduld anzuhalten und zu erklären, welche hösen Einflüsse sie noch vom versprochenen Glück abhalten." Die Vermutung jedoch, dem Dämon werde es von Gott ausdrücklich gestattet, einem Gläubigen Gewalt anzutun, um diesen zu demütigen und auf eine höhere Stufe der Vollkommenheit zu bringen, musste Innonzenz XI. 1687 zurückweisen.
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