Jan Hus
Justizmord und Hussitenkreuzzüge:
Kompletter Verrat aller christlichen Werte
durch Thron und Altar
Europa um 1400: totale Unordnung. Weder staatliche Strukturen noch die heilige Mutter Kirche vermitteln Sicherheit. Unzucht, Korruption, Maßlosigkeit und Willkür. Drei Päpste regieren, die Osmanen rücken gegen das Abendland vor, Krieg und Pestilenz, wo man auch hinschaut.
In diese Welt wird Jan Hus um 1370 hineingeboren. Sein Geburtsort Husinec, ein kleines Dorf in Böhmen, das König Wenzel regiert.
Wenzel trägt anfänglich nicht nur die böhmische, sondern auch die deutsche Krone. Er regiert von Prag aus. Böhmen ist zentraler Bestandteil des Heiligen Römischen Reichs; der schwache Wenzel verliert den Titel des römisch-deutschen Königs an seinen Halbbruder Sigismund, der das Konstanzer Konzil einberuft und später Kaiser wird.
Jan Hus gelingt eine wahrhaft brillante Karriere. Von früher Jugend an begabter Schüler und Student, der gerne Schach spielt, die Musik liebt, an Gott glaubt und christliche Werte lebt. Er gibt seinen letzten Groschen her, verleiht Geld ohne Zinsen und lässt sich nie etwas zuschulden kommen. Er studiert in Prag, wird Magister, Professor und nach dem Theologiestudium 1400 zum Priester geweiht, lehrt und wirkt als Rektor an der Universität Prag.
Durch tschechische Studenten, die in England weilten, oder seinen Freund Hieronymus - auch er im Fegefeuer verbrannt - lernt Hus die Schriften des Oxforder Theologen und Kirchenkritikers
John Wyclif
kennen, die er verschlingt und in seinen eigenen Büchern später über lange Strecken zitiert.
Ab 1402 hält Hus in der neuen Bethlehemskapelle Gottesdienst, bis zu 3.000 Menschen lauschen regelmässig einen Predigten (etwa 200 pro Jahr!) - nicht auf Latein, sondern auf tschechisch. Auch das gemeinsame Singen in der Landessprache führt Hus ein. Wie Luther für das Deutsche wirkt Hus für das Tschechische sprachbildend. Mit aller Leidenschaft verurteilt er Unsittlichkeit, Lüge, Genusssucht und schont seinen eigenen Stand, die Geistlichen, nicht:
"Unsere heutigen Bischöfe und Priester, und namentlich die Domherren und faulen Messstecher können leider kaum das Ende des Gottesdienstes abwarten und eilen aus der Kirche, die einen in die Wirtshäuser, die anderen hin und her, um sich auf eine der Priester unwürdige Weise zu unterhalten, ja sogar um zu tanzen… Die Priester predigen wohl gegen unsere Unzucht und unsere Laster, aber von den ihrigen sagen sie nichts, also ist es entweder keine Sünde, oder sie wollen das Privilegium haben. Also sind diejenigen, welche in der Nachfolge Christi die ersten sein sollten, die grössten Feinde unseres Herrn Jesus Christus."
Mit seiner strengen Predigt gegen Zeitgeist und Mode bringt Hus gelegentlich auch die Zünfte der Schuster, Hutmacher, Goldschmiede, Weinhändler und Wirte gegen sich auf. Hus hat in Prag unerhörten Zulauf. Das Volk strömt in hellen Scharen zu seinen Predigten - die Menschen haben das Gefühl, einen Redner zu hören, der ihnen die Wahrheit sagt und nicht den Oberen schmeichelt. In ihrer Begeisterung nennen die Böhmen ihn sogar den 'fünften Evangelisten'.
Denn auch wenn die Bevölkerungsmehrheit Böhmens tschechischer Herkunft ist, dominiert eine kleine deutsche Oberschicht das Land. Hus macht sich zur Stimme der Tschechen gegen die zugezogenen Herren.
John Wyclif (ca. 1330 bis 1384) lehnte die von Papst, Kardinälen und Bischöfen geführte Kirche als hierarchische Institution ab. Nach seinem Verständnis soll sie eine Gemeinschaft von Gott auserwählter Menschen sein, deren Haupt Christus allein ist. Wyclif kritisiert den weltlichen Herrschaftsanspruch der Kirche, das Papsttum, den Verkauf von Ämtern (Simonie), die Heiligenverehrung und den Reichtum des Klerus. Er verachtet den Handel mit Sakramenten, fordert eine arme, machtlose, dafür an geistlichen Gütern reiche Kirche.
Dieser moralische Rigorismus hat das Leiden von Hus am sittlichen Verfall seiner tief gespaltenen Kirche vertieft. Seit der Doppelwahl gibt es zwei Männer, die Nachfolger Petri zu sein beanspruchen; auf dem Konzil von Pisa kommt ein dritter dazu. Das Amt des Papstes ist zur Farce geworden, es geht nur noch um Macht und Geld. Jeder der Päpste ist Spielball der europäischen Monarchen.
Hus kritisiert, was er sieht: Dass viele Priester mit Konkubinen zusammenleben, dass selbst Bettelorden große Besitztümer ansammeln, dass man kirchliche Positionen wie ein Bischofsamt kaufen konnte, dass zwei oder gar drei Päpste um den Stuhl Petri kämpfen. Hus' Überzeugung: Während die sichtbare Kirche Bischöfe, Päpste und Reichtümer für sich reklamiert, genügt der unsichtbaren die Gemeinschaft mit Christus.
Hus will reformieren.
Adel und
König Wenzel
- Halbbruder des späteren Königs Sigismund - unterstützen in Böhmen Hus und seine Anhänger. Deren Forderung, die Regierenden müssten die unwürdig gewordene Kirche ihrer Güter enteignen, gefällt dem Adel. Die Stimmung in der Goldenen Stadt Prag ist aufgeheizt, die Spannungen zwischen den zugezogenen Deutschen und den einheimischen Tschechen
spitzen sich immer weiter zu. An der Universität wollen die Reformer durchsetzen, dass die Lehren Wyclifs verbreitet werden
dürfen. Doch die deutsche Fraktion überstimmt die Böhmen und verbannt Wyclifs Schriften. Jede Nation - Bayern, Sachsen, Polen und Böhmen - verfügt über eine Stimme an der Universität: Die Einheimischen sind machtlos gegen die übermächtigen Deutschen.
Schließlich setzt König Wenzel ein deutliches Zeichen. Mit dem Kuttenberger Dekret von 1409 ändert er die universitäre Grundordnung zugunsten seiner Landeskinder. Fortan haben die Böhmen drei, die anderen Nationen gemeinsam nur noch eine Stimme.
Wutschnaubend verlassen bayerische und sächsische Magister und Studenten die Stadt, um in Leipzig eine eigene Hochschule zu gründen. Jan Hus aber wird zum Rektor der Prager Universität gewählt.
Bei ihrem Abzug protestieren die Bayern und Sachsen lautstark gegen die "böhmischen Ketzer". Der hohe Klerus stimmt in den Chor mit ein. Reden und Gespräche bekommen jetzt einen gefährlichen Unterton. Als radikalster Kirchenkritiker profiliert
sich Hus' Gefährte Hieronymus von Prag. Der liebt polemische Auftritte, inszeniert karnevaleske Umzüge, um das Papsttum zu verspotten. Jan Hus schlägt einen maßvolleren Ton an. Als Hochschullehrer liebt er Disputationen. Akribisch widerlegt er die
Argumente des Gegners, oft mit einer gehörigen Portion Rechthaberei.
Als die Kirche sich wehrt, ihn einschüchtern und die Freiheit seiner Lehre beschränken will, wird der Reformer zum Revolutionär:
Papst Alexander V.
verbietet tschechische Volkspredigten, weil sie angeblich häretische Thesen verbreiten - Hus predigt weiter auf Tschechisch. Der Papst fordert, alle Bücher Wyclifs zu verbrennen - Hus behält seine geliebten Schriften. Offen ruft er nun zum Ungehorsam auf:
Niemand solle seine Bücher abgeben, die Priester sollten weiterhin auf Tschechisch predigen. Daraufhin eröffnet 1410 die Kurie in Rom einen Prozess gegen ihn. Jan Hus fordert ein Recht auf Widerstand für jeden Christen.
Der Angeklagte verfolgt das Geschehen von Prag aus, in Rom lässt er sich aus Angst vor einer Verhaftung vertreten. Die Tonlage wird schriller. Hus bezeichnet die Kurie als "Synagoge des Satans", schmäht den Papst als Dieb und Antichristen.
Schließlich verliert er auch den Rückhalt seines Königs.
Es kommt zum Bruch, als der römische
Papst Johannes XXIII.
(nicht Angelo Giuseppe Roncalli, sondern Baldassare Cossa!) zu einem Kreuzzug gegen Neapel aufruft und dazu einen allgemeinen Ablass ausschreibt. Wenzel unterstützt das Vorhaben. Hus aber verkündet, man dürfe dem Papst kein Geld geben, um Christenblut zu vergießen. Und überhaupt seien die Gaben des Heiligen Geistes für jeden Christen gratis zu haben. In seinem Traktat De ecclesia (Luther lässt es in einer Auflage von 2000 Stück drucken!) formuliert er 1413 seine Grundsätze:
Jeder Christ habe ein Widerstandsrecht gegen unrechtmäßig handelnde Vertreter der Kirche. Ein Befehl, der nicht dem "Gesetz Christi" entspreche, dürfe nicht ausgefürt werden. Widerstand sei dann sogar Ausdruck des wahren Gehorsams.
Kurie und König sind alarmiert. Was Hus im Herbst 1414 noch nicht weiß: Den in Konstanz versammelten Kirchenoberen liegt diese brisante Schrift vor.
Hus ist 1412 aus Prag geflohen, lebt auf einer Burg in Böhmen, verfasst mehrere theologische Schriften, durchzieht ab 1414 als Wanderprediger das Land und gewinnt zahlreiche Anhänger.
Das im selben Jahr einberufene Konzil in Konstanz am Bodensee soll die unglaublich verlotterten Zustände in der Kirche beenden und eine Reform einleiten. Das Konzil ist gesellschaftliches Ereignis, bei dem Turnierspiele ebenso wie ein Heer von Prostituierten, die sich eigens nach Konstanz begeben, allen Teilnehmern relevant sind.
Die Reise von Prag an den Bodensee des Universitätsprofessors im Herbst 1414 gleicht einem Triumphzug. Jan Hus ist zur europäischen
Berühmtheit geworden, seit ihn die Kurie vier Jahre zuvor als Häretiker exkommuniziert und mit dem Großen Kirchenbann belegt hat. Überall auf seinem Weg wird der böhmische Magister, Priester und zeitweilige Rektor der Prager Universität freundlich empfangen.
Sein Prager Schneider, der ihm das Reisegewand anpasst, ahnt trotzdem Böses: "Gott sei mit dir. Mir scheint, du wirst nicht zurückkehren."
Direkt nach der Verurteilung 1410 hat er sich nicht getraut, zu seiner Verteidigung vor der Kurie zu erscheinen - zu sehr
fürchtet er um sein Leben. Doch diesmal wähnt er sich in Sicherheit: Der römisch-deutsche König Sigismund hat ihn eingeladen, nach Konstanz zum Generalkonzil zu kommen, das im November beginnen soll, und ihm sicheres Geleit versprochen.
Eigentlich dürfte mit dem Gebannten niemand sprechen, keine Dorfwirtschaft ihm auch nur einen Krug Wasser ausschenken. Doch nirgends hält man sich daran. In Sulzbach diskutiert Hus mit Juristen, in Nürnberg wird er von einer Volksmenge empfangen, der Rat der Stadt und gelehrte Magister bitten zur Disputation. Von so viel Wohlwollen ermutigt, lässt er entlang der Reiseroute Plakate
anschlagen: Wer ihn der Ketzerei verdächtige, solle seine Klage doch in Konstanz vortragen. Gehobener Stimmung stellt Hus in einem Brief fest, er habe "bisher keinen Feind gefunden". Er hat sich getäuscht.
Feinde findet er am Ziel der Reise. Als Hus am 3. November 1414 in Konstanz eintrifft, sind seine Gegner schon da. Kaum ist die päpstliche Bulle über die Einberufung des Konzils in Prag bekannt geworden, beginnen konservative Theologen der dortigen Universität und Vertreter des Klerus, ihre Fallstricke zu spannen, schicken Geheimagenten los, um die anreisenden Kardinäle und Berater mit belastendem Material gegen die "ketzerische Pestilenz" zu versorgen. Doch Hus, ein besonnener Theologe, glaubt noch an den guten Willen der Kirchenelite. Sicherheitshalber hat er sich aber vom Prager Inquisitor ein Zeugnis besorgt, das ihn als rechtgläubigen Mann ausweist.
Hus reist in Begleitung dreier böhmischer Adligen an den Bodensee. Den für die Reise ausgestellten Brief von König Sigismund über das freie Geleit (Zitat:"Wir haben ihn in unseren und des Heiligen Reiches Schutz und Schirm aufgenommen und wünschen, dass ihr ihn, wenn er zu euch kommt, freundlich aufnehmen, fürsorglich behandeln und ihm in dem, was Schnelligkeit und Sicherheit seiner Reise über Land und auf dem Wasser betrifft, Entgegenkommen zeigen möchtet." Dies sei "zu Ehr’ und Achtung unserer königlichen Majestät") erhält die Gruppe in der Stadt. Zwischen dem 3. und 28. November 1414 lebt Hus zusammen mit seinen Parteigängern für ca. drei Wochen mehr oder weniger unbehelligt in Konstanz und predigt - obwohl ihm dies eigentlich untersagt ist - seine Lehren in seiner Herberge.
Jan Hus ist längst nicht das einzige Thema, über das in Konstanz verhandelt wird. Die Agenda für das Konzil ist gewaltig. Die Einheit der Kirche soll wiederhergestellt, die Frage abweichender Lehrmeinungen beraten und die Reform der Kirche "an Haupt und Gliedern" vorangebracht werden. Konstanz, sonst eine Stadt von rund 6000 Einwohnern, schwillt auf mehr als die doppelte Größe an. 6000 Kardinäle, Bischöfe, Äbte, Gelehrte der großen Universitäten, Fürsten und Gesandte aus ganz Europa wollen untergebracht werden - mitsamt allen, die dazugehören: Sekretäre, Köche, Huren.
In den folgenden vier Jahren wird die Stadt zu einem Zentrum der europäischen Politik. Überall auf dem Kontinent toben Kriege, im Südosten wachsen die Osmanen zur ernsten Gefahr heran, Unabhängigkeitsbewegungen bedrohen die fragile Einheit des
Reiches, und in Böhmen entwickelt die christliche Reformbewegung eine sozialrevolutionäre Dynamik. Vor allem aber soll endlich das seit 1378 bestehende Abendländische Schisma, die Spaltung der Kirche in konkurrierende Papstfraktionen, überwunden werden.
Angeregt hat die Versammlung
König Sigismund,
der Hus zunächst unterstützt. Doch schon bald zeigt sich, dass der römisch-deutsche Monarch ein skrupelloser Machtpolitiker ist.
Sigismund will Kaiser werden, und dazu braucht er die Unterstützung der mächtigen Konzilsfraktionen - koste es, was es wolle.
Wie mächtig das Konzil ist, zeigt sich daran, dass Johannes XXIII. der einzige der drei Päpste ist, der sich nach Konstanz traut. Im März 1415 wird es selbst ihm zu brenzlig. Er fürchtet, nicht nur sein Amt zu verlieren, sondern auch eingesperrt und angeklagt zu werden. Als Knappe verkleidet, sucht er des Nachts das Weite. Das Konzil erklärt sich daraufhin zur obersten, auch dem Papst übergeordneten Instanz der Kirche. Im November 1417 sind alle drei Päpste entweder zurückgetreten oder abgesetzt. Zum neuen Nachfolger Petri wird Oddo Colonna gewählt - Jan Hus' alter Feind, der einst in Rom den Prozess gegen ihn leitete.
Oddo Colonna, nun Papst Martin V., beendet das große Schisma.
Als Jan Hus am 3. November 1414 in Konstanz sein Quartier im Haus einer alten Witwe bezieht, ist die Kirchenversammlung noch nicht eröffnet. Johannes XXIII. empfängt den Prediger, hebt die Exkommunikation und den Bann auf und versichert, er werde nicht zulassen, dass Hus Unrecht geschehe. Doch bereits drei Wochen später wendet sich das Blatt. Seine Gegner machen Stimmung gegen ihn:
Ein Prediger von so großer Bekanntheit, der offen zur Missachtung jeder kirchlichen Autorität aufrufe, sei eine reale Gefahr für die um Einheit ringende Kirche, heißt es. Am 28. November wird Hus unter einem Vorwand in die Pfalz des Papstes gelockt. Seine Widerdersacher verhaften den Prediger und sperren ihn ins benachbarte Dominikanerkloster - ins Erdgeschoss eines Turms, der den Mönchen auch als Toilette dient.
Hus' vermeintlicher Beschützer, König Sigismund, ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Konstanz eingetroffen. Er erfährt auf der Reise von der Einkerkerung seines Schützlings und gibt sich entriistet, verkündet gar, er wolle die Tür des Kerkers eigenhändig aufbrechen, um Hus zu befreien. Doch als er am Heiligabend 1414 in Konstanz ankommt, erkennt er schnell, wie die Mehrheitsverhältnisse liegen. Sigismund weiß, dass er die Konzilsfraktionen nicht vergrätzen darf. So verkündet er, wegen "Hus und anderer Kleinigkeiten" solle das Konzil nicht scheitern, und stimmt einem Häresie-Verfahren zu. Immerhin sorgt er dafür, dass der inzwischen ernstlich Erkrankte aus dem feuchten Verlies herausgeholt wird.
Man bringt Hus in die Bischofsburg Gottlieben und sperrt ihn in einen eigens gezimmerten hölzernen Käfig. Dort ketten ihn seine Bewacher nachts in Handschellen an die Turmwand.
Es kommt zu einem Verfahren, dem von Anfang an alle Attribute eines Schauprozesses anhaften. Nur Zeugen der Anklage sind geladen. Hus' Hoffnung, das Konzil als Forum für seine Lehren nutzen zu können, erweist sich als Trugschluss. Seine Gegner schreien ihn nieder oder drehen ihm das Wort im Mund herum. Sie bieteh ihm nur eine Chance, am Leben zu bleiben: durch Widerruf.
Hus: „Ich will nicht lügen angesichts Gottes noch gegen mein Gewissen und die Wahrheit handeln. Ich habe nie diese Artikel behauptet oder gepredigt, eher das Gegenteil. Ich kann auch die vielen Menschen nicht enttäuschen, denen ich gepredigt habe. Ich will nicht widerrufen!“ Das war die Todesstrafe.
Richard Fridenthal, von dem die brillante Hus-Biografie von 1972 stammt:
"Sie verurteilten einen Mann, gegen dessen Lebenswandel nicht der kleinste Vorwurf erhoen werden konnte als etwa der, dass er zu streng, zu leidenschaftlich, zu starr moralisch war.
Die Institution der Kirche - um diese ging es, nicht um Glaubensfragen - sollte geschützt werden. Sie war von ganz anderen Kräften bedroht als von Hus, und die Richter wussten das. Sie bezogen die hohe Autorität, die sie sich in Konstanz anmaßten, aus dem allgemeinen Wunsch und Ruf nach 'Reform an Haupt und Gliedern'. Unter diesem Zeichen waren sie zusammengekommen. Sie verurteilten einen Reformer, der nichts anderes gesagt und gepredigt hatte, als was sie selbst, oft in sehr viel schärferer Form, gesagt und geschrieben hatten. Nicht zuletzt verurteilten sie als ständisches Gericht den Volksprediger, den Volksverführer, den Rebellen."
An seine Begleiter schreibt Hus in Anspielung auf seinen Namen, der im Tschechischen auch die Gans bezeichnet:
"Denkt an die Gans, meine Freunde!"
Noch glaubt er, König Sigismund werde sich für ihn einsetzen. Seine Freunde indes sehen der Zukunft des Predigers sorgenvoller entgegen. Einer von ihnen berichtet nach Hause, noch sei die Gans nicht gebraten. Derweil zerlegen die klügsten Köpfe der Versammlung das theologische Lehrgebäude des Angeklagten. Aber die Konzilsherren und der König wissen auch: Bringen sie Hus auf den Scheiterhaufen, hat die böhmische Bewegung einen Märtyrer. Wiederholt bieten sie ihm Gnade an, wenn er sich dem Urteil
unterwirft. Hus verspricht, "wo ich geirrt habe, mich demütig zu korrigieren" - doch er verlangt den Nachweis seiner Irrtümer aus der Bibel. Keinesfalls wolle er einen Meineid leisten und Thesen abschwören, die er nicht vertreten habe. An einem der letzten
Verhöre nimmt König Sigismund selbst teil. Als er Hus' Kompromisslosigkeit erkennt, ruft er wütend:
"Ich will keinen Häretiker verteidigen, im Gegenteil, einen hartnäckigen Ketzer würde ich selbst anzünden und verbrennen!"
Hus weiß, dass er seinen letzten Rückhalt verloren hat. Ein Widerruf aber würde sein Lebenswerk zerstören und er dürfte nicht nach Böhmen zurückkehren. Den Rest seines Lebens müsste er in Klosterhaft weitab der Heimat verbringen. Er wolle vor Gott
nicht als Lügner dastehen, ruft er auf der 15. Generalversammlung des Konzils am 6. Juli 1415 im Münster aus. Damit besiegelt er sein Schicksal.
Hus gilt jetzt als "wirklicher und offenbarer Ketzer". Seine Priesterkleidung muss er ausziehen, bevor man ihn dem Henker übergibt. Dafür bekommt er eine Papiermütze auf den Kopf gesetzt, bemalt mit Teufeln und den Worten "Dieser ist ein Ketzerführer". Man
führt ihn zum Scheiterhaufen vor der Stadt und bindet ihn an einen Pfahl. Als das Holz angezündet wird und der Wind ihm die Flammen ins Gesicht schlägt, kann er noch zweimal singend flehen: "Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner." Was an Asche übrig bleibt, wird in Schubkarren geladen und im nahen Rhein versenkt.
Seine Anhänger sollen kein Knöchelchen, keinen Gewandfetzen, keine Ampulle mit Asche von dem Prediger bekommen. Zu groß ist die Gefahr, dass Hus als Märtyrer auch über seinen Tod hinaus die Reformbewegung weiter anfachen könnte. Doch der Flammentod in Konstanz wirkt auch so wie ein Fanal. Daheim in Böhmen gedeiht Hus' Saat. Bereits 1417 kann die Reformbewegung wesentliche Forderungen durchsetzen: Predigtfreiheit, evangelische Armut der Priester und den Laienkelch. 1420 wird es der Kurie zu viel, Papst Martin V. ruft zum ersten von insgesamt fünf Kreuzzügen gegen die böhmischen Ketzer auf. Die Hussitenkriege dauern
15 lange, blutige Jahre.
Es geschieht genau das, was Hus' Gegner befürchtet haben: Der Prediger wird zur bedeutendsten Symbolfigur der Tschechen. Seit Beginn der nationaltschechischen Bewegung des 19. Jahrhunderts vereinnahmen ihn alle politischen Systeme als Nationalheld. Die Erste Republik nach 1918 verehrt Hus als Vorläufer der nationalen Einigung, für die Kommunisten nach 1945 ist er ein Sozialrevolutionär.
1920, kurz nach Gründung der modernen tschechisch (-slowakischen) Republik 1918 entsteht die sich bewusst hussitisch nennende protestantische Nationalkirche, die auch nach dem 2. Weltkrieg im Kommunismus überlebt. 1925 wird der 6. Juli zum Staatsfeiertag, worauf der Vatikan für drei Jahre seine diplomatischen Beziehungen mit dem Ketzerstaat unterbricht (unbelehrbar!).
Die Bergpredigt war für Hus zentral zum Verständnis der Botschaft Jesu', die die Norm für die Lebensführung des einzelnen Gläubigen sowie für die Reform von Kirche und Gesellschaft bilde. Hus und seine Nachfolger haben sich stärker als das eher konservative Luthertum für eine Umgestaltung und Verbesserung der kirchlichen Strukturen und auch der gesellschaftlichen Ordnung eingesetzt, die Epoche nach Jus' Hinrichtung wird deshalb von tschechischen Forschern als die Zeit der hussitischen Revolution und als erste europäische Revolution bezeichnet. Hus stärkte mehr als Luther die Position der Laien, denen er auch das Recht zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit zugestand. Vehement vertrat Hus den Standpunkt, dass nur eine arme Kirche beanspruchen könne, Jesus nachzufolgen.
Die katholische Kirche - wen wundert es? - aber tut sich schwer mit Hus - bis heute.
Unglaublich: Konservative Theologen wie "Vatikan-Chefhistoriker" Walter Kardinal Brandmüller zollen Hus zwar Respekt, beharren aber darauf, dass er aus der Perspektive der Zeit zu Recht verurteilt worden ist. 2015 feiert Tschechien Hus' 600. Todestag.
Viele (naive) Tschechen hofften, dass zu diesem Anlass Franziskus, der Papst der Armen, das damalige Urteil endlich aufheben würde.
Vergebens. Franziskus würdigt Hus lediglich im Vorfeld des 600. Todestages als renommierten Prediger und drückt sein tiefes Bedauern über dessen grausamen Tod aus aus.