Das "schwärzeste Album der Popgeschichte" nennt die Süddeutsche dieses Album. Im Titelsong hadert der buddhistische Mönch Jikart und Jude Leonard Cohen mit einem zynischen Gott. Tiefer und rauher kann ein Mensch nicht singen. Wie ein großer massiver Subwoofer klingt die Stimme des 82-jährigen im Dialog mit seinem Schöpfer.
If you are the dealer, I'm out of the game
If you are the healer, it means I'm broken and lame
If thine is the glory then mine must be the shame
Unterstützt vom Chor der jüdischen Gemeinde (das erste Wort, das der erste jüdische Vater zu seinem ersten Kind sagt: Hineni Hier bin ich) seiner Heimatstadt Montreal beschreibt Cohen die Ambivalenz seiner Gefühle: Die unausweichliche göttlicher Ordnung einerseits und andererseits sein Wille, sich gegen sie aufzulehnen. Die vielleicht stärksten Zeilen:
You want it darker
We kill the flame
Während Gott den Kreis des Lebens mit Alter, Leiden und Tod schließt, leisten wir, die Menschen, unser Bestes, um die Flamme zu löschen, und noch mehr Tod und Verderben in die Welt zu bringen.
Warum greift Gott nicht ein?
Sein Leben lang sucht Cohen die direkte Konfrontation mit Gott und spirituellen Fragen, anfangs als Dichter, dann in seiner Musik.
Ihn, den Meister der Melancholie, beschäftigt das Schweigen Gottes, der in die unermesslichen Grausamkeiten auf der Welt nicht eingreift. Aber Gott scheint es noch dunkler zu wünschen, raunt Gott mit Grabesstimme.
Marinanne Ihlen, seiner langjährige Geliebten und Muse, die ihn zu zwei seiner bekanntesten Lieder, "So Long, Marianne" und "Bird On The Wire" inspirirt hat, schreibt er einen Abschiedsbrief, als die Norwegerin, 81, im Sterben liegt:
Marianne, wir sind nun beide in dem Alter angekommen, da unsere Körper langsam anfangen, zu vergehen – und ich denke, dass ich dir bald folgen werde. In dem Wissen, dass ich so nah bei dir bin, kannst du einfach deine Hand ausstrecken, und ich denke, du wirst meine erreichen. Du weißt, dass ich dich immer für deine Schönheit und deine Weisheit geliebt habe, aber ich muss gar keine Worte mehr darüber verlieren, denn du weißt das alles schon. Aber jetzt wünsche ich dir eine gute Reise. Good Bye, meine liebe Freundin. In unendlicher Liebe, ich sehe dich ganz bald.
"You want it Darker" ist sein musikalisches Testament geworden.
Montreal, wo Leonard Cohen geboren ist:
Erscheinungsjahr
1969 A Bunch of Lonsesome Heroes
1988 Ain't No Cure for Love
2001 A Thousand Kisses Deep
1971 Avalange
1969 Bird On The Wire
1974 Chelsea Hotel No. 2
1992 Closing Time
1984 Dance me to The End
1971 Diamonds in the Mine
2014 Did I Ever Love You
1988 Everybody Knows
1971 Famous Blue Raincoat
1977 Fingerprints
1988 First We Take Manhattan
1984 Hallelujah
1967 Hey, That's no Way to Say Goodbye
1988 I Am Your Man
2015 In Flanders Fields -->2014
2016 If I Didn't Have Your Love
1984 If it be Your Will
2016 It Seemed the Better Way
1969 It Seems so Long Ago, Nancy
1973 Joan of Arc
1974 Lover Lover Lover
1967 Master Song
2014 My Oh My
2014 Nevermind
2012 On Different Sides
1967 One Of Us Cannot Be Wrong
2004 On That Day
1972 Passing Through -->1971
1979 Recent Songs -->1977
1967 Sisters of Mercy
1967 So Long, Marianne
1986 Song of Bernadette -->1984
1967 Stories Of The Street
1969 Story of Isaac
1967 Suzanne
1988 Take This Waltz
1967 Teachers
1992 The Anthem
1967 The Butcher
1992 The Future
1992 The Gypsy's Wife
1967 The Old Revolution
1969 The Partisan
1967 The Stranger Song
1977 The Window -->1977
1969 Tonight Will be Fine
1988 Tower of Song
1992 Waiting For The Miracle
1974 Who by Fire
1967 Winter Lady
2014 You Got Me Singing
2016 You Want It Darker
Die deutschen Übersetzungen meist nach Misha G. Schoeneberg (Poem - Leonard Cohen In Deutscher Sprache)
Zitate:
Mein hochverehrter Konstatin Wecker:
"Leonard Cohen ist tot und Donald Trump ist Präsident der USA. Umgekehrt wäre es mir lieber gewesen."
Liebe Freunde,
mag sein, dass mich die Wut und die Trauer zu sehr überrumpelt haben und ich möchte mich - eure Kommentare auf facebook zur gestrigen Notiz haben mich nachdenklich gemacht - revidieren:
Ich wünsche natürlich Donald Trump nicht den Tod. Ich wünschte mir einen lebenden Cohen an der Stelle des Präsidenten.
Lieber Leonard, wir vermissen Dich, Deine Weisheit, Deine wunderbare Stimme, Deine Poesie und Deine unsterblichen Lieder.
Ruhe in Frieden.
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Ein sehr lesenswertes Gespräch mit dem Chefredakteur des New Yorker aus dem Jahr 2016
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Ein Sohn an seinen Vater:
" ... ich find's so schräg, dass du jetzt den Cohen entdeckst... Ich weiß noch, als ich - wahrscheinlich wirklich sogar genau - vor 25 Jahren Cohen für mich entdeckt habe. Da saß mein Vater in seinem Arbeitszimmer und hat sich bis zum Exzess in Mozart vertieft...
Und eine Musik wie Cohen wurde in keinster Weise zugelassen, konnte nicht gut sein, wurde verteufelt, nicht als Kunstform anerkannt, verachtet. Alles Mist, alles Depri, alles kein Anspruch. Diese Exklusivität deines Geschmackes zieht sich als rote Linie durch so viele Jahre...
Umso mehr freut es mich, dass du deine Ohren - und bei Cohen geht es wohl auch nicht ohne das Herz - endlich öffnest für die schon immer unglaublich genialen Texte!"
Im Album "We Go Home“ huldigt Adam Cohen seinem Vater in Gesangsstil und Texten. Er schätzt die tiefen Prägungen, die sein Vater ihm mitgegeben hat. In dem Buch "Mein Alter Herr: Tales of Our Fathers" schwärmt Cohen von seinem Vater.
Er erzählt von der Phase nach der Trennung seiner Eltern, in der Leonard Cohen von Los Angeles nach Südfrankreich flog, obwohl ihm richterlich untersagt war, das Grundstück seiner Exfrau zu betreten. Er mietete einen Wohnwagen, den er genau so parkte, dass die Kinder ihn zu Fuß besuchen kommen konnten. Bei so viel Harmonie klingt es fast beruhigend, dass Adam Cohen gesteht, es habe auch mal "kleinere Missverständnisse" gegeben.
Cohen: Ich muss noch mal auf das Wort "Beziehung" zurückkommen, das Sie gerade erwähnten. Meines Erachtens hat dieser Ausdruck einen bedrohlichen, geradezu sinistren Beigeschmack. Alle arbeiten an ihrer Beziehung, diskutieren ständig darüber, das kann sicherlich nur Kummer hervorrufen. Was wir beide haben, ist besser – es gibt kein Wort dafür.
Int: Wie wäre es mit "Liebe"?
Cohen: Besser als Liebe. Auch die Liebe ist in Verruf geraten.
Int: Dabei haben Sie vor einigen Jahren noch selbst gesungen Ain’t No Cure For Love – Es gibt kein Heilmittel gegen die Liebe.
Cohen: Stimmt, deshalb haben wir die Liebe ja abgeschafft.
Int: Und wie erreicht man diesen glückseligen Zustand? Bitte geben Sie uns einen Rat.
Cohen: Gedächtnisschwund!
Anjani: Mit Gedächtnisschwund und dem Willen zu vergeben kommt man schon sehr weit. Am weitesten aber kommt man mit Güte
PS
Nicht nur Sänger - auch Dichter und Maler ...
Ende 2018 ist die Gedichtsammlung The Flame erschienen, sein lyrisches Testament.
Den Band beschließen die folgenden Sätze (Cohens Tochter heißt Lorca):
Erst als ich – sogar nur in der Übersetzung – die Werke von Lorca las, verstand ich, was es heißt, eine Stimme zu haben. Es ist nicht so, dass ich seine Stimme nachgeahmt hätte; das würde ich nicht wagen. Aber er gab mir die Erlaubnis, eine Stimme zu finden, eine Stimme auszumachen; und das bedeutet: ein Selbst auszumachen, ein Selbst, das nicht feststand, sondern ein Selbst, das um seine eigene Existenz kämpfte.
Cohens poetische Stimme, tröstende Düsternis, die nachklingt, wenn man keine einzige Zeile mehr erinnert. Eine kratzbürstige Spottlust, die sich über die eigene Melancholie mokiert. Und eine geradezu übermenschliche Demut, von der man nur angestupst werden muss, damit sie einen mit ihrer ganzen Wucht erfasst.
Die zweisprachige Ausgabe zeigt aber auch, wie schwierig es ist, den großen Meister zu übersetzen:
I was selling holy trinkets
I was dressing kind of sharp
Had a pussy in the kitchen
And a panther in the yard
In the prison of the gifted
I was friendly with the guard
So I never had to witness
What happens to the heart
Ich verkaufte heiligen Nippes
ich trug Kleidung raffiniert
Hatte ’ne Mieze in der Küche
Einen Mähnenwolf im Revier
Hinter Mauern weil ich dichte
war ich stets zum Wärter lieb
Und hab nie mit ansehen müssen
Was mit dem Herz geschieht
"Alliteration gerettet, Rest tot" rezensiert Gregor Dotzauer im Tagesspiegel.
Melodien erzählen Geschichten, Verse werden zu Musik. Die Poeten Federico Garcia Lorca und Leonard Cohen vereinen die Elemente. Beide sind sie Musiker mit einer engen Verbindung zum Wort, beide sind sie Schriftsteller mit einer unverzichtbaren Liebe zum Klang. Der ältere beeinflusst den jüngeren, der jüngere bedankt sich dafür - und beide verbindet ein Walzer
Nachtrag:
Das Theater Chemnitz inszeniert diesen phantastischen Abend.
Band und Sänger - allen voran Dirk Glodde "-
covern Cohen in absolut frappierender Weise: du schließt die Augen und bist sicher, in einem Original-Auftritt Leonards zu sein.
Drei junge Sängerinnen und die Geigerin, unglaublich professionell, von Claußners
Musikern begleitet, samt genial ausgewählten und interpretierten Zwischentexten - García-Lorca lässt grüßen ...
Wir danken Euch für diesen tollen Abend!
Dirk Glodde
Magda Decker
Andreas Manz-Kozár
Mona Krueger
Lauretta van de Merwe
Philipp von Schön-Angerer
Keyboard: Steffan Claußner
Gitarre: Armin Reichel
Kontrabass: Tobias Brunn
Schlagzeug: Jan Christoph
Gitarre: Andreas Manz-Kozár
Violine: Mona Krueger
Idee: Steffan Claußner, René Schmidt, Carsten Knödler