1996

Oh, die unerhörten Möglichkeiten



Oh, die unerhörten Möglichkeiten
Wenn man Frauen um die Hütften nimmt
Zwischen Schenken sanft im Abwärtsgleiten
Durch das grüne Meer der Wollust schwimmt.

Oder Schnaps trinkst in den Schmutzspelunken
Und die Reden in den Himmel knallst
Alle, alle liebst ganz rasend, trunken!
Und mit Singen auf den Boden fallst.

Oh, ich sage nicht, daß nur in Schenken
Höchste Seligkeit mich ganz durchriß
Einst war Sitzen schön in Kirchenbänken
Wo der Segen mich zum Himmel schmiß!

Auch auf wilden Abendkarussellen
Wo man billig rasend schaukeln darf
War ich selig, wenn ich mich in hellen
Billig strahlendhellend Himmel warf!

Auch im Gras, ganz faul und schwer wie Eisen
Wo man gar nichts weiter denken muß
Als: Warum die Gräser nackte Leiber beißen
Macht das leben ganz im Ernst Genuß!

Auch in Betten in ein Weib verknächelt
Zwischen schlanke Beine hingestreckt
Wie er atmet, Freunde! Wie er lächelt
Wenn er sich, um groß zu werden, reckt!
Aber welch orangene Seligkeiten
Hat der bloße Himmel, wenn man nackt
Im Geäst der hohen Bäume reiten
Kann, daß man den Wind wie Weiber packt.

Oder wenn dich tolle Strudel reißen
Wenn du sinnlos auf dem Rücken liegst
Daß du meinst, daß du im Himmel fliegst
Blau und weit, wo um dich Wolken kreisen
Wenn du dich, die sanfte Taube, wiegst.

Seht, wir wissen, Freunde, daß das alles
Nackter Schwindel ist und untergeht
Doch auch dieses: Daß man besten Falles
Eines Morgens immer oben steht...

Was man haben kann an blauen Himmel
Wind und Mensch, reicht nicht einmal zur Not -
Und auch dieses kriegen nur die Lümmel
Und es reicht nicht und wird schnell zu Kot.

Doch wer nicht griff mit Fluch und Morden
Hat in reinen Händen nichts, sagt Baal -
Denn ihr sterbt, bevor es schal geworden
Und ihr sterbt vor euer letzten Qual.

Bert Brecht