Im Pflaster vor dem Treppenaufgang zum Nationalmuseum ein seltsames Gebilde in Kreuzform, Gedenkstätte
für "Fackel 1" ...
Jan Palach (1948 - 1969)
und Jan Hus (siehe
),
beide verbrannt. Jan Hus eingebrannt ins tscheschiche Nationalgedächtnis. Und Jan Palach?
Freiheit ist so normal für mich, dass ich nur noch selten darüber nachdenke:
Ich bin in einem Land aufgewachsen, das Unfreiheit, zumindest politische, nicht kannte.
Ich durfte und darf sagen, was ich will, schreiben, was ich will, diskutieren, worüber ich will.
Ja, es mag Einschränkungen geben - Geldmangel, kulturelle Tabus, Dienstanweisungen usw. -
aber grundsätzlich fühle ich mich frei.
Manchmal allerdings frage ich mich, wie viel mir diese Freiheit überhaupt wert ist. Würde ich,
wenn sich die Schatten der Diktatur auf unsere Gesellschaft legt, für meine Freiheit,
die für mich vorher so normal war wie die Luft zum Atmen, kämpfen? Oder würde ich
mich in die hinterste Ecke meiner Wohnung verkriechen, mich ins Private zurückziehen und
vor der Situation kapitulieren?
Jan Palach hat gekämpft - auf eine Art, die in ihrer Verzweiflung und Endgültigkeit
für mich heute unvorstellbar scheint: Am 16. Januar 1969 betritt der 20-jährige
Geschichtsstudent den Prager Wenzelsplatz, öffnet einen Kanister mit Benzin,
übergießt sich mit der stechend riechenden Flüssigkeit, entzündet ein
Streichholz und setzt sich in Flammen.
Wenige Monate zuvor war der Prager Frühling, der Versuch der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei,
einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" umzusetzen, von der Sowjetunion militärisch niedergeschlagen worden.
Ein Schleier der Hoffnungslosigkeit hatte sich über das besetzte Land gelegt.
Jan Palach sah nur noch diesen einen, extremen Weg, um die Öffentlichkeit wach zu rütteln.
Der junge Mann wurde zu einem modernen Märtyrer, einem Symbol des Widerstands gegen die Besatzung,
gegen die Unfreiheit. Eine spannende Persönlichkeit - ...
Es ist sein Erbe, das, was seine Tat in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat,
was die polnische Regisseurin Agnieszka Holland ("Hitlerjunge Salomon") interessiert.
Holland, eine Zeitgenössin Palachs, studiert damals an der Prager Filmhochschule
und ist selbst in der Studentenbewegung aktiv.
Ihrer Film-Serie "Burning bush" von 2013, gesendet 2014 auf ARTE, gelingt es, die beklemmende Stimmung in
einem Land einzufangen,
das sich in einem gewaltigen Kraftakt aufgebäumt hat, um frei zu sein -
und dessen Hoffnungen brutal niedergeschlagen wurde...
So schreibt Jens Wiesner zu dem eindringlichen Film-Dreiteiler von Agnieszka Holland über Jan Palachs Tat und
was die Infamie einer diktatorischen Staatsmacht daraus macht.
Jan wächst in Všetaty, einem kleine Ort nördlich Prags auf, wo sein Vater stirbt als er 13 ist - aus Traurigkeit über
die Enteignung und Verstaatlichung seiner Konditorei.
Jan, ein ruhiger, zurückgezogener, introvertierter Mensch, politisch aber hellwach, studiert in Prag.
Der "Prager Frühling" wühlt ihn auf. Jene Zeit zwischen Januar und August 1968, als Tschechen und
Slowaken mit Alexander Dubcek einen "dritten Weg" beschreiten wollen.
Am 21. August marschieren Truppen des Warschauer Pakts ins Land ein und zermalmen jede
Hoffnung unter ihren Panzerketten. Dubcek und Genossen werden nach Moskau verschleppt,
genötigt, die "brüderliche Hilfe" abzusegnen und dem "zeitweiligen Aufenthalt"
(der mehr als 20 Jahre währt) der Sowjets im Lande zuzustimmen - der Westen tatenlos.
Und da brennt im Januar 1969 Jan Palach.
Ein Angestellter der Straßenbahn reißt sich geistesgegenwärtig den Mantel vom Leib und versucht,
die Flammen, die sich rasend schnell durch die Kleidung des 21-Jährigen fressen, zu ersticken.
Ein Krankenwagen bringt den Schwerstverletzten in eine nahe Klinik.
Dort schwört Palach unter höllischen Schmerzen: "Ich bin kein Selbstmörder!"
Die Botschaft in seiner Tasche, gezeichnet als "Fackel Nummer eins", (von der Polizei totgeschwiegen -
von Freunden in Prag plakatiert) lautet:
"Da unser Land davor steht, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, haben wir uns dazu entschlossen,
unserem Protest auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, um die Menschen aufzurütteln.
Unsere Gruppe ist aus Freiwilligen gebildet, die dazu bereit sind, sich für unser Anliegen
selbst zu verbrennen. Die Ehre, das erste Los zu ziehen, ist mir zugefallen, damit erwarb
ich das Recht, den ersten Brief zu schreiben und die erste Fackel zu entzünden."
Die Nachricht stellt in Aussicht, dass „weitere Fackeln in Flammen aufgehen würden”,
wenn nicht die Zensur wieder aufgehoben und die Verbreitung der Zprávy (Nachrichten),
eines unter sowjetischer Kontrolle verfassten und in der DDR gedruckten Nachrichtenblatts,
eingestellt werden würde.
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Zahlreiche Tschechen zünden sich unter Berufung auf Palach an.
Jan Palach erliegt seinen starken Verbrennungen. Am Tag davor teilt er einem Arzt mit,
dass es seine Pflicht gewesen sei, so zu handeln, und dass er es nicht bereue.
Der Arzt später: Palachs Verstand war klar und logisch.
Eine Psychologin der tschechoslowakischen Staatssicherheit verhört Palach.
Bis zu seinem Tod verweigert er Schmerzmittel, um bei Bewusstsein zu bleiben.
Noch am Nachmittag des Todestages von Palach strömen etwa 200.000 Menschen
auf dem Wenzelsplatz zusammen, um an der Stelle, wo Palach brannte, Kränze niederzulegen.
Die Menge begibt sich zur Karls-Universität, wo sie den „Platz der Roten Armee” durch das Auswechseln
der Schilder in „Jan-Palach-Platz” umbenennt, von der Staatsführung umgehend rückgängig gemacht,
1989 bestätigt.
Das Zentralkomitee der KPČ stellt Palachs Tat als Handlung eines psychisch
kranken oder nicht aus freien Stücken handelnden Menschen hin bzw. behauptet,
Palach habe sich mit einer – aus Westdeutschland bezogenen – Mixtur überschütten wollen,
die auch unter Feuerschluckern Verwendung findet und keine ernsthaften Verbrennungen anrichten konnte.
Jedoch hätten seine Kommilitonen ohne sein Wissen die Mixtur durch Benzin ersetzt.
Palachs Begräbnis ist eine Massendemonstration mit über 10.000 Menschen,
Palach ist Märtyrer und starke Symbolfigur einer freien Tschechoslowakei - noch immer:
Im Frühling 2003 verbrennen sich sechs junge Menschen,
einer von ihnen, Adamec, bezieht sich in seinem Abschiedsbrief ausdrücklich auf
Jan Palach, und: Demokratie sei nichts weiter als die Herrschaft von Beamten, Geld und Unterdrückern des Volkes.
Ist die "Fackel Nummer eins" verloschen?
Milos Rejchrt, Sprecher der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung Charta 77:
"Schon ein halbes Jahr später sprach niemand mehr über Palach.
... Anfang der 1970er-Jahre wurde der freie Samstag eingeführt, den die
Menschen auf ihrem Wochenendgrundstück verbrachten. Die Tschechen haben sich
ins Private zurückgezogen, dies genossen und an Jan Palach keinen Gedanken mehr verschwendet."
Ein Journalist: Tschechen und Slowaken seien recht schnell zufrieden damit gewesen, "dass die Russen gekommen sind,
dass Ordnung einzog, dass nicht die Sudetendeutschen ins Land gekommen sind."
Logische Kette: Münchner Abkommen 1938, die Westmächte werfen
die Tschechoslowakei Hitler zum Fraß vor. Edvard Beneš, der im Exil lebende Präsident,
schließt den Pakt mit Stalin, nachdem die Westmächte Prag verraten haben.
Nach dem Krieg wählen Tschechen mehrheitlich die Kommunisten, als einzige in Mittelosteuropa.
Folge 40 Jahre kommunistische Herrschaft, wovon heute niemand mehr in Tschechien spricht.
1989 wollen die Dissidenten um Havel am Denkmal des Heiligen Wenzel,
wo Palachs schreckliche Selsbstverbrennung geschieht, Blumen niederlegen.
Sie werden verhaftet und eingekerkert, andere niedergeknüppelt.
Die Proteste gehen weiter, im November 1989 bricht das kommunistische Regime zusammen.
Dagmar Burešová
übrigens, junge Rechtsanwältin und Hauptfigur in "Burning bush", die mutig und riskant die Interessen
von Jan Palachs Famile gegen das kommunistische Regime vertritt - ebenso wie die auch anderer Dissidenten
(darunter Milan Kundera und Ivan Medek) - wird erste Justizministerin der freien Tschecholsowakei.
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