W.G.Sebald
Sebalds Zeit davor

Nach der Natur S. 69ff









Man schreibt den 26. August 1943.
Am 27. Abreise des Vaters nach Dresden,
von dessen Schönheit seinem Gedächtnis,
wie er auf meine Fragen bemerkt,
nichts in Erinnerung geblieben ist.
In der Nacht auf den 28. flogen
582 Maschinen einen Angriff
auf Nürnberg. Die Mutter,
die am anderen Morgen
nachhause ins Allgäu
zurückfahren wollte,
ist mit der Bahn bloß
bis nach Fürth gekommen.
Von dort aus sah sie
Nürnberg in Flammen stehn,
weiß aber heut nicht mehr,
wie die brennende Stadt aussah
und was für Gefühle sie
bei ihrem Anblick bewegten.
Sie sei, so erzählte sie neulich,
von Fürth aus am selben Tag noch
nach Windsheim zu einer Bekannten
gefahren, wo sie das Schlimmste
abgewartet und gemerkt habe, daß
sie schwanger geworden sei.


Trauma-Bewältigung


























Was die brennende Stadt betrifft,
so hängt im kunsthistorischen
Museum in Wien ein Bild Altdorfers,
auf dem Lot dargestellt ist
mit seinen Töchtern. Am Horizont
lodert ein furchtbares Feuer,
das eine große Stadt verdirbt.
Rauch steigt auf aus der Gegend,
an den Himmel schlagen die Flammen,
und im blutroten Widerschein
sieht man die dunklen
Fassaden der Häuser.
Im Mittelgrund ist ein Stück
grüne idyllische Landschaft,
und dem Beschauer zunächst
wird das neue Geschlecht
der Moabiter gezeugt.
Als ich dieses Gemälde
im vorvergangenen Jahr
zum erstenmal sah,
war es mir, seltsamerweise,
als hätte ich all das
zuvor schon einmal gesehen,
und wenig später hätte ich
bei einem Gang über
die Friedensbrücke fast
den Verstand verloren.



Herr, mir hat es geträumt,
die Alexanderschlacht anschaun
sei ich eigens nach München
geflogen. Es war, als die Dunkelheit
einbrach, und weit unter mir
sah ich das Dach meines Hauses,
sah die Schatten sich legen
über die ostenglische Landschaft,
den Saum der Insel sah ich,
die Wellen auflaufen am Sand
und in der Nordsee die Schiffe
unbeweglich vor ihrer schaumweißen Spur.
So, wie ein Rochen schwebt in der Tiefe
des Meers, so glitt ich lautlos,
kaum einen Flügel rührend,
hoch über die Erde hin,
über die Mündung des Rheins
und folgte stromaufwarts
der Straße des schwer und bitter
gewordenen Wassers. Die Städte,
phosphoreszierend am Ufer,
die glosenden Werke der Industrie,
unter den Rauchfahnen wartend
gleich Ozeanriesen auf das Dröhnen
des Horns, die zuckenden Lichter
der Eisen- und Autobahnen, das Murmeln
der millionenfach sich vermehrenden Muscheln,
Asseln und Egel, die kalte Fäulnis,
das Ächzen in den felsigen Rippen,
der Quecksilberschein, die Wolken,
durch die Türme von Frankfurt jagend,
die zerdehnte und die beschleunigte Zeit,
dies ging alles mir durch die Sinne
und war dem End schon so nah,
daß jeder Hauch das Gesicht
erschauern machte. Eine Brandung,
rauschten die Bergeichen an den Hängen
des Odenwalds, und dann war da eine Wüste
und Ödnis, durch deren Täler
der Wind den Staub trieb
der Steine. Ein zweimal geschliffenes
Schwert trennte von der Erde
den Himmel, es floß ein Leuchten
herein in den Raum, und das Ziel
meines Ausflugs, die Vision
Altdorfers, tat sich auf.
Weit über hunderttausend,
verkünden die Inschriften,
zählen die Toten, über denen
die Schlacht wogt zur Errettung
des Abendlands in den Strahlen
einer versinkenden Sonne.
Eben wendet sich das Geschick.

Im Zentrum des grandiosen Getümmels
der Banner und Fahnen, Lanzen und
Spieße und Stangen, der kürassierten
Leiber der Menschen und Tiere,
Alexander, der Held der westlichen
Welt auf seinem Schimmel,
und vor ihm auf der Flucht,
in die Richtung der Sichel des Mondes,
Darius, den Ausdruck des hellen
Entsetzens im Antlitz. Als glücklich
beschrieb der kluge Kaplan,
der einen Öldruck des Schlachtbilds
neben der Tafel aufgehängt hatte,
diesen Ausgang der Dinge. Er sei,
sagte er, eine Demonstration
der notwendigen Vernichtung aller
aus dem Osten heraufkommenden Horden
und also ein Beitrag zur Geschichte des Heils.
Seither hab ich bei einem andern
Lehrer gelesen, wir hätten den Tod vor uns,
so etwa wie im Schulzimmer an der Wand
ein Bild der Alexanderschlacht.


Geburtshaus
Als ich am Christi Himmelfahrtstag
des Vierundvierzigerjahrs auf die Welt kam,
zog gerade die Flurumgangsprozession
unter den Klängen der Feuerwehrkapelle
an unserem Haus vorbei in die blühenden
Maifelder hinaus. Die Mutter nahm dies
zunächst für ein gutes Zeichen, nicht ahnend,
daß der kalte Planet Saturn die Konstellation
der Stunde regierte


Vergleicht er sich mit Johann Wolfgang?

Aus Goethes "Dichtung und Wahrheit":
"Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war."
(Bei seiner letzten Liebeserklärung ironisiert Sebald den Dichterfürsten noch einmal: )

Am 18. Mai 1944 15h10 wird Winfried Georg Sebald in Wertach/Allgäu in der Grüntenseestraße 3 geboren.
Katholisch getauft, ist er das zweite Kind (er hat eine ältere und jüngere Schwester) der Eheleute Georg und und Rosa, geb. Egelhofer, Sebald, die ab 1947 im 1. Stock der Steinlehner Weinstube in Wertach zur Miete wohnen. Der Vater, Berufsoffizier in der deutschen Wehrmacht, kommt 1947 aus französicher Kriegsgefangenschaft - er ist 1945 interniert worden - zurück, sein Sohn hat eine enges Verhältnis zum Großvater Josef Egelhofer, der ihn prägt: gemeinsam unternehmen sie naturnahe Wanderungen und Ausflüge.



Josef Egelhofer,

der Wertacher Dorfpolizist, liest dem Enkel vor und bringt ihm Schreiben bei.

In der Schule zählte der Pedell
seine Schlüssel, sangen die Palmkätzchen
hinter dem Kruzifix ihr Credo,
war in der Griffelschachtel
auf einem Fetzchen Papier
schon die Losung unserer
staubigen Zukunft. So ist
denn der eine Wirt, der andre
Koch, der dritte Kellner und
der vierte gar nichts geworden.

1952 zieht die Familie nach Sonthofen, wo der Vater bei der Poliezi arbeitet.
1956 stirbt der innig geliebte Großvater.
W.G. Sebald geht in Sonthofen, Immenstadt und Oberstdorf, wo er 1963 das Abitur macht, zur Schule.
1962 tritt er aus der Kirche aus.
Er studiert in Freiburg im Breisgau und Fribourg/Schweiz Germanistik und Anglistik und geht 1966 bis 1968 als Lektor nach Manchester.
1969 heiratet Sebald.










In einem chinesischen Grillenkäfig hielten
wir eine Zeitlang das Glück eingesperrt.
Die Paradiesäpfel wuchsen
prächtig, es lag eine Menge Gold
auf der Tenne, und du sagtest,
über den Bräutigam müsse man
wachen wie über einen Gelehrten
bei Nacht. Es war öfter Carneval
für die Kinder. Lämmerwölkchen
standen am Himmel. Die Freunde
kamen verkleidet als Ormuzd und
Ahriman. Doch dann war da unversehens
diese Sache mit dem eleganten
Herrn in der Oper, und ich fand
eine Blindschleiche im Hühnerhaus.
Eine Krähe verlor im Flug eine weiße
Feder, der Pfarrer, ein hinkender
Bote im schwarzen Überzieher,
erschien am Neujahrsmorgen allein
auf der weiten verschneiten Flur.
Seither wappnen wir uns
mit Geduld, seither rieselt
der Sand durch den Briefkasten,
haben die Topfpflanzen so eine Art,
sich auszuschweigen. Nordländisches
Trauerspiel, Schach- und Winkelzüge,
zwangsläufig vollzieht sich immer
das Ende. Warum müht man sich
nur mit so einem schwierigen
Unternehmen? Als Trost bleibt
das Unglück anderer Leute
giftgelb am Hut der Geliebten
und war doch früher so schön.
Prosa aus dem letzten Jahrhundert,
ein Kleid, das sich in den Disteln
verfing, ein bißchen Blut, eine
Exaltation, ein zerrissener Brief,
ein Uniformsternchen und längere
Aufenthalte am Fenster. Ungute
Phantasien in einer dunklen
Kammer, nachgetragene Sünden,
ja Thränen sogar und im Gedächtnis
der Fische ein sterbendes Feuer,
Emma, wie sie den Hochzeitsstrauß
verbrennt. Was soll da ein armer
Landarzt sich denken? Beim Leichenbegängnis
träumt er von einem glänzenden Paar
Lackstiefeln und einer posthumen
Verführung. Jetzt aber kommt
eine farblose Zeit. Du, inmitten
der blendenden Obszönität
werd ich dein banges
Auge erinnern, wie ichs
zum erstenmal sah,
damals, als wir in Haarlem
durch eine Deichlücke schwammen.

Olga und Großmutter Anna Goldsteiner (1978):

Etwa zwei Jahre zuvor hatte ich schon einmal vor dieser Schule gestanden. Ich war damals mit Olga nach Klosterneuburg gekommen, um ihre Großmutter zu besuchen, die in das Altersheim in der Martinsstraße eingeliefert worden war. Auf dem Rückweg gerieten wir in die Albrechtstraße, und Olga gab der Versuchung nach, in die Schule, die sie als Kind besucht hatte, hineinzugehen. In einem der Klassenzimmer, ebendem, in dem sie zu Beginn der fünfziger Jahre gesessen hatte, unterrichtete, fast dreißig Jahre darauf, mit unveränderter Stimme dieselbe Lehrerin und ermahnte die Kinder nicht anders als damals, bei der Arbeit zu bleiben und nicht zu tuscheln. Allein in dem großen Vorraum, umgeben von den geschlossenen Türen, die ihr seinerzeit wie hohe Pforten erschienen waren, wurde Olga, wie sie mir später erzählte, von einem Weinkrampf ergriffen. Jedenfalls befand sie sich, als sie wieder auf die Albrechtstraße herauskam, wo ich auf sie wartete, in einem Zustand der Erschütterung, wie ich ihn noch nicht bemerkt hatte an ihr. Wir fuhren in die Ottakringer Wohnung der Großmutter zurück, und auf dem ganzen Weg dorthin und den ganzen Abend hindurch konnte sie sich nicht beruhigen über die unversehene Wiederkunft der Vergangenheit.

Olga saß bei ihrer Großmutter und streichelte ihr die Hand. Der Grieskoch wurde ausgeteilt. Das Nebelhorn ertönte wieder. Ein Stück weit draußen in der grünhügeligen Wasserlandschaft fuhr ein anderer Dampfer vorbei. Auf der Schiffsbrücke stand mit gespreizten Beinen und wehenden Mützenbändern ein Matrose und machte mit zwei bunten Flaggen komplizierte semaphorische Zeichen in die Luft.
Olga umarmte ihre Großmutter zum Abschied und versprach ihr, bald wiederzukommen. Aber kaum drei Wochen später ist die Anna Goldsteiner, die zuletzt zu ihrer eigenen Verwunderung nicht einmal die Namen der drei Ehemänner, die sie überlebt hatte, mehr zusammenbrachte, an einer leichten Erkältung gestorben. Viel braucht es ja manchmal nicht.



Manchester



















Begeistert von dem wahrhaftig
grenzenlosen Wachstum
der Industrie, hat der Staatsmann
Disraeli Manchester die wundervollste
Stadt der Neuzeit genannt,
ein himmlisches Jerusalem,
dessen Bedeutung allein die Philosophie
zu ermessen vermöge. Ein halbes
Leben ist es nun her, daß ich,
nach meinem Aufbruch aus der Provinz,
dort ankam und Wohnung bezog
zwischen den Ruinen aus dem letzten
Jahrhundert. Viel bin ich damals
über die brachen elysäischen
Felder gegangen und habe das Werk
der Zerstörung bestaunt, die schwarzen
Mühlen und Schiffahrtskanäle,
die aufgelassenen Viadukte
und Lagerhäuser, die Abermillionen
von Ziegeln, die Spuren des Rauchs,
des Teers und der Schwefelsäure,
bin lange gestanden an den Ufern
des Irk und des Irwell, jener
jetzt toten mythischen Flüsse,
die schillernd zu besseren Zeiten
geleuchtet haben azurblau,
karminrot und giftig grün,
spiegelnd in ihrem Glanz
die Baumwollwolken, die weißen,
in die aufgegangen war ohne ein Wort
der Atem ganzer Legionen von Menschen.
Und das Wasser führte sie abwärts mit dem Salz und der Asche durch das Marschland hinaus auf die See.

Von meinem Arbeitsplatz aus
glaubte ich die Irrlichter
ihrer Seele zu sehen, wie sie
als winzige Fackelbrände
die Müllhalden der City Corporation
durchgeisterten, ein rauchendes
Riesengebirge, das sich, so schien es mir,
bis hinüber ins Jenseits erstreckte.

Ich erinnere mich, daß diese Bilder
mich damals oft in einen quasi
sublunaren Zustand schwerer
Melancholie versetzten, daß ich
dann ununterbrochen die eintönigen
Schwingungen einer Maultrommel vernahm
und wiederholt vor Beklemmung außer
Haus gehen mußte.

Oft bin ich auch auf der Wanderung
durch die Straßenzüge eingekehrt
in eine der vielen infernalisch
glitzernden Wirtschaften, mit Vorliebe
freilich in Liston's Music Hall,
wo ein strahlend blauäugiger,
völlig verwahrloster Heldentenor,
der stets einen überlangen Wintermantel
und einen Homburg trug, von einer Wurlitzer-
orgel begleitet Tannhäusers Arien sang.





1968 geht Sebald für ein Jahr als Lehrer an die Rosenberg-Privatschule in St. Gallen/Schweiz.

I taught at a private school there, which was run by some mafioso, you know, who got much more money from the students per month, or from one Student per month, than he would pay a teacher.












Als ich im Sommer vergangenen Jahres
den Ingenieur D. in Zürich besuchte,
saß er bei einem offenen Fenster
und wendete immer wieder ein Stück
Feldspat in seiner Hand. Sehen Sie,
sagte er, draußen verwildert der Garten,
fast bin ich schon mitten im Laub.
Das erinnert mich an die Wanderung
durch die Wüste. Wieviel Maschinen
hatte ich nicht gebaut, Anlagen
entworfen, bis ich den Glauben
verlor an die Wissenschaft,
der ich mein Leben lang diente.

Fahren Sie also,
sagte der Ingenieur D., noch heut.
das Land brennt schon, und überall
brennen die Wälder, es knistert
in den gefächelten Blättern das Feuer,
und es breiten die afrikanischen
dürren Ebenen sich aus.
Noch vielleicht sehn Sie
auf Ihrer Reise eine goldene
Küste, eine vom Regen gefirnißte
Gegend oder ein Schulkind auf dem Weg
über ein schönes Gefilde. So ist
wieder ein Glück erlebt,
denkt, wer ein wenig genest.
Das schattige Ufer taucht auf eines Sees, die Fläche des Wassers,
die Bänder der Felsen und
in der obersten Höhe das bunte
Gefieder des Drachens, Ikarus,
segelnd inmitten der Ströme
des Lichts.

Das schattige Ufer taucht auf
eines Sees, die Fläche des Wassers,
die Bänder der Felsen und
in der obersten Höhe das bunte
Gefieder des Drachens, Ikarus,
segelnd inmitten der Ströme
des Lichts.

Neigt sich sein Aug denn,
stürzt er jetzt ab,
hinein in den See,
wird sich, wie auf Brueghels
Gemälde, das schöne Schiff,
der pflügende Landmann, die ganze
Natur irgendwie abwenden
vom Unglück des Sohns?
Mich führen die Fragen
über die Grenze. Am Arlberg
ziehet ein Wetter herauf.
Ich seh hinab in das Tal,
und mir schwindelt die Seele.
Wieder ein Sommer vergangen.






Im Herbst 1969 ist er erneut in Manchester Lektor, 1970 nimmt Sebald an der 1964 gegründeten UEA, der University of East Anglia in Norwich, eine Dozentenstelle an.
1976 kauft die Familie - Sebalds haben eine Tochter - in Wymondham, einem kleinen Ort nahe Norwich, ein halb verfallenes Haus, die Old Vicarage mit großem Garten.
1988 erscheint sein erstes literarisches Werk: "Nach der Natur", Sebald wird Pofessor of European Literature, durchwandert East Anglia in Vorbereitung seiner englischen Wallfahrt am Ende der Hundstage, um Frieden zu finden.



Is this
the promis'd end?
Oh, you are men of stones.
Was todt ist, das
bleibt todt.
Aus lieben kömmet Leben.
Ich weiß nicht,
wer mir sagt, was? wie?
wo oder wenn? Ist nun
die Liebe nichts? als Alles?
Wasser? Feuer? Gut?
Böse? Leben? Todt?



Gezeitenmühle Woodbgridge





Orfordness

Blundeston Prison



Komm, meine Tochter, komm
gib mir die Hand, wir verlassen
die Stadt, ich zeig dir die von der Flut
jeden Tag zweimal angetriebene Mühle,
ein ächzendes Wunderwerk
aus Rädern und Riemen,
das die Kraft überträgt
des Wassers bis hinein in die Steine,
bis in den rieselnden Staub
und in die Leiber der Spinnen.
Der Müller ist freundlich,
hat saubere weiße Pfoten,
erzählt uns allerlei
Rauh aus der Geschichte
des Mehls. Vor hundert
Jahren verschwand hier
Edward Fitzgerald, der Übersetzer
Omar Khayyams. In schon fortgeschrittenem
Alter bestieg er eines Tages sein Boot,
segelte mit festgebundenem Zylinder
hinaus auf die Nordsee und ward
nie mehr gesehn. Ein großes Geheimnis,
mein Kind, sieh, hier sind elf Hügel
für die Toten und im sechsten
der Abdruck eines vergangenen
Schiffs mit vierzig Rudern,
das Grab des Raedwald von Sutton Hoo.
Merowingische Münzen, schwedisches
Rüstzeug, byzantinisches Silber
nahm der König mit auf die Reise,
und seine Krieger, sie halten
in diesem sandigen Landstrich
noch heut ihre Waffen verborgen
in grasüberwachsenen Bunkern,
hinter Erdwällen, Stacheldraht
und Föhrenplantagen, ein einziges
Arsenal, so weit das Aug reicht,
und nichts sonst als dieser Himmel,
das Ginstergestrüpp und ab und zu
ein Großbetrieb der Geriatrie,
ein Zucht- oder Irrenhaus,
eine Anstalt für Schwererziehbare.
In orangeroten Jacken siehst du
die Sträflinge arbeiten
in langer Linie im Moor.
Dahinter das Ende der Welt,
die fünf kalten Häuser
des Orts Shingle Street.
Eine Frau steht untröstlich
am Fenster, eine Kinderschaukel
verrostet im Wind, ein einsamer
Spion sitzt in seinem Wohnmobil
in den Dünen, den Radioempfänger
am Ohr. Nein, hier können wir
keine Postkarten schreiben,
nicht einmal aussteigen
können wir hier. Kind, sag mir,
drückt dich dein Herz wie mich
meines, Jahr um Jahr
aufgeschüttet von den Wellen
des Meers eine Kiesbank
bis hinauf in den Norden,
jeder Stein eine tote Seele
und dieser Himmel so grau,
so gleichmäßig grau,
und so niedrig
hab ich den Himmel
noch nirgends gesehn.
Den Horizont entlang
ziehen die Frachter
hinüber in eine andere Zeit,
gemessen am Ticken
der Geiger im Kraftwerk
von Sizewell, wo sie langsam
den Kern des Metalls
zerstören. Raunender
Wahnsinn auf der Heide
von Suffolk.