. wgsebald.de Austerlitz
Werke


Austerlitz - Nachrichten aus einem brennenden Troja

Denis Scheck, der Sebald persönlich kannte, ordnet Austerlitz als Nr. 31 in seinen Kanon der 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur ein. Der Schriftsteller hatte Scheck als »translator in residence« 1991 einige Monate an die Uni ins englische Norwich eingeladen.
"Die abendlichen Gesprächsrunden am Kamin mit ihm bei einem guten Single Malt sind mir unvergesslich genau wie sein Allgäuer Dialekt und abgemessener Sprachduktus."
Zu Austerlitz merkt Scheck an:
"Hier schreibt einer von Katastrophen, schickt Kassiber aus finsteren Zeiten, Nachrichten aus einem brennenden Troja. Sehr verkürzt ausgedrückt lassen sich zwei Großmächte ausmachen in der Welt, wie Sebald sie sieht: der Tod mit seinen Agenten Zeit und Gegenwart, die unbarmherzig erodierend gegen alles Vergangene anbranden, es zu verkürzen, zu verderben und zu vernichten trachten - und auf der anderen Seite die Erinnerung, Mnemosyne, die erhalten, bewahren und schützen will und deren Agent natürlich die Literatur als kollektiver Erinnerungsspeicher der Menschheit ist, ein secret service, in dessen geheimem Dienst kein anderer steht als der Schriftsteller W. G. Sebald selbst.
Schon allein aus diesem Grund ist die Nähe von Sebalds Erzählern zum Ich des Autors folgerichtig, ja zwingend. Genau besehen läuft diese Weltsicht auf eine poetische Fortschreibung der alten marxistischen 68er-Ideologie hinaus, nur haben die Stelle von Kapital, Ausbeutung und Imperialismus nun die Trinität von Zeit, Tod und Vergänglichkeit eingenommen. Würdige Feinde in der Tat - und vielleicht ist dies nun wahrhaft die Mutter aller Schlachten, Armageddon, der große und ultimative Showdown, den Sebald in seinen Büchern reportiert. Wir gegen den Tod und seine Agenten. Am Ende kann es nur einen Sieger geben, zuletzt triumphiert das Schweinesystem oder eben eine sehr brüchige Hoffnung, eine Hoffnung, die da heißt: alle oder keiner, die Toten inklusive. Und diese Toten sind sehr, sehr zahlreich.
Sebald schreibe »gewissermaßen im Frack«, bemerkte einmal der Kritiker Heinrich Detering treffend. Aber Sebald benötigt diese leichte sprachliche Überhöhung, um eine reizvolle Fallhöhe zu konstruieren zwischen seinem nicht unangestrengten Stil und seinen Sujets von Tod, Vertreibung, Exil und Untergang. Für Sebald ist Melancholie ein Überdenken des sich vollziehenden Unglücks, das nichts mit Todessucht gemein hat, sondern vielmehr eine Form des Widerstands.
So gelesen hebt dieses Buch nicht nur eine Biografie, die des Jacques Austerlitz, in des Wortes wahrster Bedeutung auf, sondern ist selbst ein Akt des Widerstands gegen die Zeit. W. G. Sebald hat in Austerlitz seine Verabredung mit der Vergangenheit eingehalten. Heraus kam ein Meisterwerk."