![]() (AUS 195f, 294ff, 368ff, CS 179, LW 65 ff)
Ich war von Marie de Verneuil, mit der ich seit meiner Pariser Zeit korrespondierte, eingeladen worden,
sie zu begleiten auf einer Reise nach Böhmen, wo sie für ihre baugeschichtlichen Studien zur Entwicklung
der europäischen Kurbäder verschiedene Nachforschungen und, wie ich heut glaube sagen zu dürfen, sagte Austerlitz,
den Versuch anstellen wollte, mich aus meiner Vereinzelung zu befreien. Sie hatte alles auf das beste in die Wege geleitet.
Ihr Vetter, Frédéric Félix, der Attaché war an der Prager französischen Botschaft, hatte uns eine enorme
Tatra-Limousine an den Flughafen geschickt, mit der wir dann direkt nach Marienbad chauffiert worden sind.
![]() Der kubanische Rauch hing in blauen Schlieren zwischen uns in der Luft, und es verstrich eine gewisse Zeit, bis Marie mich fragte, was in mir vorgehe, weshalb ich so geistesabwesend, so in mich gekehrt sei; wie ich aus meinem gestrigen Glück, das sie doch gespürt habe, auf einmal so hätte niedersinken können. Und meine Antwort war nur, ich wisse es nicht. Ich glaube, sagte Austerlitz, ich habe versucht zu erklären, daß mir irgend etwas Unbekanntes hier in Marienbad das Herz umdrehe, etwas ganz Naheliegendes, wie ein einfacher Name oder eine Bezeichnung, auf die man sich nicht besinnen kann, um nichts und niemanden auf der Welt. Es ist mir heute unmöglich, im einzelnen zurückzurufen, wie wir die paar Tage in Marienbad verbracht haben, sagte Austerlitz. Ich bin oft stundenlang in den Sprudelbädern und in den Ruhekabinen gelegen, was mir einerseits wohlgetan, andererseits aber vielleicht meinen seit so vielen Jahren aufrechterhaltenen Widerstand gegen das Aufkommen der Erinnerung geschwächt hat. Einmal waren wir in einem Konzert im Gogol-Theater. Ein russischer Pianist namens Bloch hat dort vor einem halben Dutzend Zuhörer und die Kinderszenen gespielt. Auf dem Rückweg ins Hotel erzählte Marie, ein wenig zur Warnung, schien es mir, sagte Austerlitz, von der inneren Verdunkelung und dem Wahnsinnigwerden Schumanns, und wie er zuletzt, mitten im Gedränge des Düsseldorfer Karnevals, mit einem Satz über das Brückengeländer in den eiskalten Rhein gesprungen sei, so daß zwei Fischer ihn herausziehen mußten. Er hat dann noch eine Anzahl von Jahren gelebt, sagte Marie, in einer privaten Anstalt für Geistesgestörte in Bonn oder Bad Godesberg, wo Clara ihn mit dem jungen Brahms zusammen in gewissen Abständen besuchte und, weil man mit dem ganz weitabgewandten, in falschen Tönen vor sich hin summenden Menschen nichts mehr reden konnte, meist nur durch einen Schieber in der Tür ein bißchen zu ihm in das Zimmer hineinschaute. |
Im Hotel ließen wir ein Feuer anschüren, obwohl es mitten im Sommer war. Durch einen regendunklen Vordergrund schauten wir später, in unsere schweren schottischen Schlafröcke gewickelt, durch die offenen Fenster hinaus in ein dämmerndes Jenseits. Ist denn die Welt nicht übrig, so fragtest du, ein grün Gelände zieht sich's nicht hin am Fluß durch Busch und Matten? Die Ernte, reift sie nicht? Schwebt über den Felsenwänden der heilige Schatten nicht mehr? Ist dies, was dort heraufkommt, die graue Farbe der Nacht? Tags darauf saßen wir im Kaffeehaus unter einem Seerosenbild. Vielleicht sind es aber auch Flamingos gewesen. Erinnerst du dich an den Ober? An sein weißes, gestutztes Haupthaar, an den Gehrock aus der Zeit der Jahrhundertwende, die taftene Masche? An die Art, wie er mit den Fingerspitzen mehrmals die linke Schläfe berührte? Weißt du noch, die cubanischen Cigaretten, die er mir brachte? Kerzengerade stieg der feine blaue Rauch in die Luft. Ganz ohne Zweifel, ein gutes Zeichen. Und wirklich war es draußen heller geworden. Reduzierte Adelige raschelten in ihren Staubmänteln auf dem Weg ins Refektorium. |
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Der Belzer Rabbi ging, ein Plastik- becherchen in der Hand, zum Brunnen. Auf der Promenade ließ sich ein Hochzeitspaar photographieren. Überall auf dem geschorenen Rasen lagen arkebusierte leidende Herzen herum. Bei der Rückkehr ins Hotel sahen wir Dr. K. halbverdeckt hinter einer roten Fahne an einem Balkontischchen sitzen, beschäftigt mit einer für ihn viel zu großen Portion Kaiserfleisch. Das Spiel mit den Zündhölzern sollte dann alles entscheiden. Glänzend dehnte sich die Fläche des Parketts. Ringsum die Spiegel- bilder, die Gäste, bewegungslos, und zwischen ihnen du in deiner Federboa. Waren wir uns nicht schon einmal begegnet? In einem Taxuslabyrinth? Auf einer Bühne? Perspektivischer Prospekt, gestutzte Hecken, Kugelbäumchen, Balustraden, im Hintergrund das Schloß? Du solltest sagen, ich bin ganz dein, nichts als bloß diese Worte, und hast sie auch gesagt, seltsamerweise dich jedoch um keinen Zoll gerührt. |
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As we wandered among the exhibits, Kaeser became intrigued by an alphabetical list of episodes in The Emigrants display.
Under L, oddly, was Manchester; under M, Marie.
Rick Jones
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Die Papiermühle in der Charente übrigens verweist auf den 3. Teil von Balzacs Roman "Illusions perdues":
"Les Souffrances de l'inventeur". Lucien Chardons Freund bzw. Schwager David Séchard
entwickelt ein neues, kostengünstiges Verfahren zur Papierherstellung, das er aber, ausspioniert und
in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, an die betrügerischen Brüder Cointet übergeben muss, die es in
ihrer Papiermühle anwenden.
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