Binge-Watching
Wer Binge Watching (Komaglotzen) mit einem atemlos spannenden Film verbringen will, der schaue die Serie VIGIL 1 bis 6 (je 50 Minuten) auf ARTE-Mediathek an:
Ihr kommmt nicht los vom größten, grandios bildgewaltigen BBC-Hit der vergangenen Jahre.
Das Bewusstsein, dass die Verbrechen so oder ähnlich wirklich passiert sind, macht den Film noch einmal packender, gibt dem Ganzen einen fast dokumentarischen Zug.
Schaut erst mal hier: Teil1 - dann könnt Ihr immer noch entscheiden, ob ihr weiterguckt ...
Schauplatz: Vanguard Atom-U-Boot HMS VIGIL mit Trident-Raketen
Zeit: Gegenwart
Thema: Persönliche Dramen, Weltpolitik (HMS VIGIL im Einsatz als Abschreckungspotenzial im Atomwaffendrohspiel der Weltmächte), Innenpolitik (Konflikt Schottland-England) -
Wahre Begebenheiten ...
Wir segelten in der Gegend mehrfach: Hebriden-Törrn
Es beginnt mit einem 5-minütigem, ergreifend realistisch dargestelltem Drama: Vor der schottischen Insel Barra Head zieht VIGIL einen Fischtrawler, weil sich
dessen Schleppnetz am U-Boot verfangen hat, mit Mann und Maus in die Tiefe. In der Crew bricht Streit aus: Die Fischer bergen? Eine Rettungsaktion steht für
Befehlshaber Newsome (Paterson Joseph) und Stellvertreter Prentice (Adam James) nicht zur Debatte.
Newsome: "Über Wasser mag die Illusion von Frieden herrschen, unter Wasser ist permanenter Kriegszustand." Nichts dürfe die Mission der HMS VIGIL gefährden, ein paar tote
Zivilisten sind da bedauerliche Kollateralschäden.
Als Burke aufbegehrt, bekommt er für diese Disziplinlosigkeit Arrest - kurz darauf findet man ihn tot im Mannschaftsraum. Weil das Schiff sich in britischen Hoheitsgewässern befindet, ist
Schottlands Kriminalpolizei zuständig. Da ein Ersatzboot nicht sofort auslaufen kann, um die Feuerbereitschaftsrolle zu übernehmen, darf VIGIL nicht umdrehen.
Detective Chief Inspector Amy Silva (Suranne Jones) kommt für drei Tage an Bord. Sie braucht Zugang zu Orten, Menschen, Informationen.
Aber alles das kollidiert angeblich mit dem Betrieb des Bootes, der nationalen Sicherheit und der Geheimhaltung.
Der Kapitän sähe es am liebsten, Silva bliebe drei Tage lang in ihrer Koje und verschwände dann wieder mit einem Achselzucken.
Silva stuft den Toten als Mordopfer ein,
Komplikationen, Überraschungen, Lügen, Verdächtigungen fressen sich durch die Untersuchung wie Tinte durch Löschpapier. Noch bevor Silva ihre Arbeit
richtig aufgenommen hat, sieht sie sich gefangen in einem Netz aus Lügen und Geheimnissen. Und eines davon könnte nicht nur ihres, sondern auch das Ende der gesamten Mannschaft
bedeuten.
Gleichzeitig ermitteln an Land Silvas Kollegen (Rose Leslie als Kirsten Longacre) in einem Friedenscamp der Atomwaffengegner und auf einer Marinebasis, die Gespräche sind mal glaubhaft,
mal idiotisch oberflächlich.
Dazwischen das private familiäre Trauma, das Silva mit sich schleppt. Und ihre problematische persönliche Beziehung zu Kirsten.
Propaganda gegen Atomwaffen?
Bezüge zur realen Politik: Die Vanguard-Boote haben ihre Basis in Schottland. Schottische Nationalisten wollen sie dort weghaben, die Friedensbewegung will die Boote ganz abgeschafft
wissen. Die Vanguards sind betagt und sollten schon abgelöst werden, erst im kommenden Jahrzehnt aber stehen Nachfolger bereit. Hier haken Aktivisten ein, möchten die Zäsur.
Sie glauben sowieso, Boote mit Atomantrieb und Nuklearsprengköpfen, auf denen stets alles perfekt klappen und jeder Mensch problemlos funktionieren muss,
seien ein viel zu riskantes Unterfangen.
Hintergründe:
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt Großbritannien, dessen Experten beim Aufbau der US-Atommacht geholfen haben, eigene Atomwaffen.
Man will Great Britains Großmachtanspruch betonen: 1952 zündet es als drittes Land nach USA und Sowjetunion eine Atombombe.
Im Kalten Krieg unterhält Großbritannien sowohl ein luft- als auch ein seegestütztes Nukleararsenal, um die Sowjetunion eigenständig abzuschrecken, weil
man der US-Bereitschaft nicht traut, bei einer Aggression aus dem Osten in Europa den Atomkrieg zu entfachen.
1998 werden die Atombomber der Royal Air Force abgeschafft. 4 U-Boote mit je 16 Raketensilos bilden nun das Abschreckungspotenzial,
jede der Trident-Raketen aus den USA kann bis zu acht Sprengköpfe tragen. Immer mindestens eines der 4 Boote ist irgendwo unter der Meeresoberfläche unterwegs,
denn falls jemand (also die Russen) auf die Idee kommen sollte, Nuklearwaffen auf die britischen Inseln abzufeuern, will die Royal Navy zumindest noch in der Lage sein,
angemessen zu antworten. Die martialische Variante der britischen Höflichkeit - viele Grüße nach Moskau.
Im Firth of Clyde sinkt 1990 der Trawler FV Antares, weil sich sein Netz mit dem Atom-U-Boot HMS Trenchant der Royal Navy verheddert.
Der Untergang des Fisch-Trawlers zu Beginn des Films weist Ähnlichkeiten mit der Katastophe auf - Familienangehörige der Antares-Besatzung äußern sich verärgert
über die Szenen. BBC bestreitet, dass das Drama auf dem realen Ereignis basiere.
2017 entlässt die Navy 9 Seeleute, weil sie positiv auf Kokain getestet sind.
Und derzeit (2022) wird auf der U-Boot-Basis Faslane wegen eines Todesfalls ermittelt.
Was für Typen zuckeln da mit einer vollen Ladung startbereiter Atomraketen durch die Weltmeere? Das Navy-Mitglied Commander Rob Forsyth stellt natürlich die
Authentizität der Serie infrage (in der Fachzeischrift "Warships") - aber die Sache mit den Drogen, den Morden, dem Fischerboot und auch Beinahe-Zusammenstöße mit Frachtern,
die Affären zwischen Crewmitgliedern und ein ausgefallener Atomreaktor - das alles sei schon vorgekommen.
Die Idee zum Film stammt von George Aza-Selinger, dem Head of Development der Firma World Productions in Schottland. Selinger hat sich seine Sporen mit Hitserien wie Wallander
und Ripper Street verdient. Nun entwickelte er mit VIGIL eine Idee, die sich anfangs wie ein gelungener Mix aus typischem Schwedenkrimi und einem Fall des US-amerikanischen
NCIS-Teams anfühlt. Spätestens mit Episode 3 aber wird klar, dass wir viel mehr über den Bildschirm flimmern sehen, als ein schlichtes Crime-of-the Week.
Es entspinnt sich ein mitreißender Thriller mit glaubwürdigen und mehrdimensional geschriebenen Figuren. Kaum jemand auf der VIGIL ist, was er oder sie vorzugeben
scheint, jedes Crewmitglied hütet seine kleinen schmutzigen Geheimnisse, die es vor DCI Silva zu verbergen sucht. So wühlt sich die Polizistin durch ein Gewirr von
Beziehungsfäden und Fehltritten, bis sie schließlich einer handfesten Verschwörung auf die Schliche kommt, die politisch höchst brisant ist und allen auf der
VIGIL das Leben kosten könnte.
Zwischen all den nachvollziehbaren kleinen und großen Lügen treibt dann auch noch ein Verräter sein Unwesen, dessen Umtriebe von Folge zu Folge
gefährlicher und direkter werden.
Das Erfolgsgeheimnis des Genres U-Boot-Film, schreibt die Süddeutsche am 6. Jan. 2022 ("Auf Heroin am Meeresgrund"), sind vielleicht einfach die eingeschränkten
Möglichkeiten. Kriegs- und Spionagegeschichten in engen Räumen und Gängen mit wenigen, stets gestressten Figuren, die oft unsichtbaren Gefahren ausgesetzt sind:
Das ist einerseits die absolute Selbstmarter für Filmemacher und hat andererseits schon manchen Regisseur und Kameramann erst richtig auf Kurs gebracht.
Wolfgang Petersens "Das Boot" zum Beispiel hat ja nicht nur, was den Einsatz der Kamera angeht, Standards gesetzt, sondern noch viel mehr als nur eine Kriegsgeschichte
in das enge Tauchboot gepackt.
Bei der BBC dachten sie, dieser Crashkurs in streng eingeschränktem Erzählen würde dem Drehbuchautor Tom Edge guttun und bestellten
bei ihm eine U-Boot-Serie. Edge ist bekannt geworden mit der Sitcom Lovesick und dem Biopic Judy über die Schauspielerin Judy Garland. Eine interessante Wahl
also für einen U-Boot-Thriller. Edge jedenfalls taucht tief in das Thema ab und mit der sechsteiligen Mini-Serie Vigil wieder auf, die in Großbritannien schon
im Sommer lief und dort eine kleine politische Diskussion entfachte. Denn ein paar untergegangene Skandale sind quasi als blinde Passagiere mit an
Bord gekommen.
Politische Motive? Die Serie sei von dem U-Boot-Experten Feargal Dalton negativ beeinflusst worden. Dessen Frau, die Politikerin Carol Monaghan, setze sich seit der Fehlfunktion
des Raketensystems auf einem der Trident-U-Boote für eine Untersuchung des Programms ein. In Schottland wird schließlich schon seit Jahrzehnten gegen die Atom-U-Boote demonstriert.
Antares-Drama
Am 22. November 1990 fischt Antares, pelagischer Trawler aus Carradale, Schottland, vor der Insel Arran, als sich seine Schleppleine am Atom-U-Boot Trenchant verfängt,
was ihn samt den vier Besatzungsmitgliedern unter Wasser zerrt.
Trenchant, am 12. November aus Faslane ausgelaufen, übt mit sechs Kadetten. Am 21. November übernimmt ein Kadetten das Kommando als diensthabender Kapitän,
um eine simulierte Minenlegeübung durchzuführen. Trenchant befindet sich im Bute Sound auf einer Tiefe von 60 m.
Der Kapitän wendet 02.17 Uhr nach Backbord, um einen engen Sonarkontakt an Steuerbord zu vermeiden. Am Steuerbordrumpf außen sind klopfende Geräusche zu hören,
das der Sonar-Kontrolleur auf eine verhedderte Schleppnetzleine zurückführt. Kurz darauf ist eine zweite Störung im Meer zu hören, die ein Vollmatrose als "ein Geräusch wie
eine sich aufrollende Schiffsschraube" charakterisiert.
Als Trenchant 03.00 Uhr auftaucht, findet sich außen am Bootskörper ein Schleppnetz.
Das U-Boot versucht, Kontakt zu den zwei Fischereifahrzeugen in dem Gebiet aufzunehmen, aber keines von beiden antwortet. Da beide Schiffe offenbar normal fischen, meldet
Trenchant den Vorfall an Faslane, taucht ab und setzt die Übung fort.
Kurz nach 04.00 Uhr meldet Faslane den Vorfall dem Clyde Marine Rescue Coordination Centre, das alle Fischereifahrzeuge in dem Gebiet aufruft, zunächst aber keine Antwort erhält.
Man versucht Fischereifahrzeuge ausfindig zu machen, die nicht in den Hafen zurückgekehrt sind. Die beiden Fischerboote melden, dass sie den Kontakt zur Antares verloren hätten,
nehmen aber an, das Schiff sei in den Hafen zurückgekehrt. Als klar wird, dass Antares nicht angedockt hat, schickt die Royal Naval Air einen Hubschrauber,
um das Gebiet abzusuchen, er entdeckt gegen 11.00 Uhr Treibgut und Öl an der Oberfläche, woraufhin eine groß angelegte Suchaktion 14.00 Uhr das Wrack der Antares entdeckt,
das am 10. Dezember mit den Leichen von drei Besatzungsmitgliedern geborgen wird.
Die Leiche des 4. Besatzungsmitglieds verfängt sich im April 1991 in den Netzen eines in der Gegend fischenden Trawlers.
Die Untersuchung ergibt, dass sich die Trenchant, als sie den Kurs änderte, in der Schleppnetzleine der Antares verhedderte, was dazu führte, dass der Trawler kenterte.
Trenchant zog den Trawler unter Wasser, bis die Schleppleinen reißen und er auf Grund sinkt.
Ursache für die Kollision:
- teilweiser Zusammenbruch der Wachstruktur und der Normen an Bord der Trenchant - die Führungsmannschaft des U-Boots wusste nicht, dass sich zwei Schiffe innerhalb des Sonarkontakts befanden
- die Führungsmannschaft nahm keine ordnungsgemäße Bewertung des Vorfalls nach dem Auftauchen vor
- Versuche, mit den Fischereifahrzeugen in dem Gebiet Kontakt aufzunehmen, waren unzureichend
- anfängliche Falschmeldungen an Faslane führten zur achtstündigen Verzögerung
- Antares war zwar sehr gut gewartet, ihre Rettungsinsel jedoch falsch verstaut, so dass sie nicht frei schwamm und aufblies
Im Juni 1992 stellt die Navy den U-Boot-Oberleutnant Peter McDonnell, den diensthabende Kommandant, vor ein Kriegsgericht. Das Gericht befindet ihn in drei Anklagepunkten
für schuldig und belegt ihn mit einem strengen Verweis. Die Vorwürfe lauten, dass er nicht erkannt habe, wie nahe der Trawler an der Trenchant war, dass er der
Antares erlaubte, auf Kollisionskurs zu bleiben, ohne ihre Reichweite zu überprüfen, und dass er sich der Anwesenheit eines zweiten Trawlers nicht bewusst gewesen sei.
George Foulkes, Abgeordneter für Carrick, Cumnock und Doon Valley, und die Familien der Verstorbenen äußerten ihre Verärgerung über das Ergebnis
des Kriegsgerichts und die Entscheidung des Ministers für die Streitkräfte, keine weiteren disziplinarischen Maßnahmen zu ergreifen, da sie der Meinung
waren, dass McDonnell als Offiziersschüler in der Ausbildung von der Royal Navy zum Sündenbock gemacht worden war.
Gedenktafel für die ertrunkenen Fischer im Hafen von Carradale