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Törn 2018






S C I L L Y    I S L A N D S





Wer kennt schon die Silly-Islands?
Alle meine - auch die weitestgereisten - Freunde schütteln den Kopf, außer Schwager Michael: Er ist mit seiner Maschine auf St Mary's Airport schon gelandet, "eine ziemlich kurze Piste", wie er meinte ...
Mehr als 800 Wracks – aus über 1.000 Jahren Geschichte – liegen bei den Scillys auf Grund. Die 140 Inseln und 90 Felsen vor der Südwestspitze Englands sind eine navigatorische Herausforderung (Nebel, Gezeiten), die den vielen Schiffen zum Verhängnis wurde.
Die Inselgruppe - nur fünf sind bewohnt - liegt gut 24 sm südwestlich von Land’s End im Atlantik, nahe dem Westende des Ärmelkanals.

"The Emperor of the Scillys", Augustus Smidth, hat nicht nur Galionsfiguren der Wracks gesammelt, sondern auch den wunderbaren Abbey Garden auf Tresco Island angelegt, wo er sie ausstellte und wo sie bis heute zu bestaunen sind.

1804 in London in eine wohlhabende Hertfordshire-Familie geboren, erlebt er in seiner Juend zwei schwere Unglücke: Sein älterer Steifbruder stürzt tödlich vom Pferd und seine Mutter stribt bei einer Parisreise.
Nach einem Studium erwirbt Smith in Hertfordshire als Philanthrop Verdienste. Er tut alles, um die Bildungsstandards zu verbessern, eröffnet mehrere konfessionslose Schulen mit eigenen Geld.

antippen: groß

1834 pachtet Augustus Smith vom Herzog von Cornwall die Scilly Islands für 20.000 £ und verschafft sich damit den quasi-aristokratischen Titel 'Lord Proprietor'.

Für die Leute von Penzance waren die Scillys Mitte des 19. Jahrhunderts eine Ansammlung von 365 Inseln, eine für jeden Tag des Jahres, bewohnt von Schmugglern, Piraten und anderem Gesindel. 6 Inseln bewohnt, mehr Wracks als Bäume. Einzige ehrliche Tätigkeit war Lotsen, Fischen oder Ackerbau. Es gab aber wenig Lotsen, die Einwohnerschaft war zu faul, um auf Fischfang zu gehen, die Bauern produzierten lediglich ein paar Körbe Frühkartoffeln, etwas schimmelige Gerste und Schweine wie Whippets (magere Hunde), nur langsamer und wilder. Die Scillonnians lebten ständig am Rande einer Katastrophe, schienen aber unfähig, etwas ernst zu nehmen.
Als Augustus Smidth 1834 auf den Scillys ankommt, türmen sich dunkel um ihn die Inseln, es fehlen Recht, Religion, Bildung, Nahrung, sauberes Wasser; kriminalisierte Einwohner, verarmt und unterdrückt. Gigantisches Meer, grauenhftes Wetter, überall Chaos. Unvorstellbarer Hunger, schlimme Krankheiten: Genau solch einen Platz hat Augustus gesucht.

Smith verbessert die Lebensbedingungen der Insulaner. Neben dem Bau eines neuen Kais in Hugh Town auf St. Mary's pflanzt er Stechginster und Bäume, um die landwirtschaftlich genutzten Flächen zu schützen. Er lässt auf den fünf Hauptinseln Schulen bauen und führt die Schulpflicht (30 Jahre vor dem Festland!) ein.

Mit einigen Entscheidungen handelt sich Lordproprietor Smith aber auch Ärger ein: 1855 etwa verlegt er zehn verarmte Bewohner der Insel Samson (Bryher) in gesündere Gegenden und verwandelt die Insel in einen Wildpark (der Hirsch mochte den Lebensraum nicht und entkam).

Die meisten männlichen Absolventen seiner Schulen fuhren zur See.



Smith selbst lebt in Tresco Abbey und legt die berühmten Gärten an. Er heiratet nie, man nimmt aber an, dass er mit mehreren seiner weiblichen Bediensteten Kinder zeugte. Eine enge Beziehung und lebenslange Korrespondenz verbindet ihn mit Lady Sophia Tower, einer verheirateten Frau und Tochter des 1. Earl Brownlow, die ihn oft auf Tresco besucht.

Das Anwesen erbt sein Neffe Thomas Algernon Smith-Dorrien-Smith, dessen Nachkommen bis heute Pächter von Tresco sind.

1857 bis 1865 ist Smith Parlamentsmitglied und 1857 bis 1862 Präsident der Royal Geological Society of Cornwall und der Royal Institution of Cornwall.

Smith stirbt 1872 in Plymouth. Ein hohes Steinmonument auf dem Friedhof der St. Mary's Old Church auf St Mary's erinnert an seine Verdienste um die Scillys.





Llewellyn, der bekannte Segelautor, 1948 auf Tresco geboren, Urgroßneffe von Augustus Smith, hat 2005 dessen wunderbar illustrierte Biografie verfasst.
Und: Er schrieb die Fortsetzung zum "Rätsel der Sandbank"

Den Tresco Garden erschafft Smith Anfang des 19. Jahrhunderts, ein Mann unabhängiger Mittel und eines ebenso unabhängigen Geistes, dem die Abgeschiedenheit der Insel Tresco hervorragend ins Zeug passt.
Schnell erkennt er die Segnung der Inseln mit dem wundervoll milden Klima - deren Ufer der Golfstrom umspült, der für eine nahezu frostfreie Umgebung sorgt. Hier kann er einen exotischen Garten erschafffen wie nirgendwo auf dem britischen Festland.

Vor 1.000 Jahren steht ein Benediktinerkloster auf der Insel, von dem lediglich ein paar Ruinen übrig sind, genug, um Smiths Phantasie zu fesseln. Trotz ihres milden Klimas peitschen oft salzhaltige Atlantikstürme die Inseln; deshalb muss er vor allem Schutzgürtel zu schaffen.

Schnell findet Smith zwei Baumarten, salzresistent und schnellwüchsig: die Pinus radiata und Cypressus macrocarpa, beide aus Kalifornien. Und er nutzt geschickt den einheimischen Ginster, um die Setzlinge zu schützen.
Mit dem Schutzgürtel wachsen Garten und Smiths gärtneriches Wissen, er wird anerkanntner Gartenfachmann, korrespondiert mit anderen einflussreichen Gärtnern wie etwa Sir William Hooker von Kew Gardens. Abbey Garden und die Pflanzensammlung wachsen schnell.
Ein besonderes Glück ist, dass dieselbe Familie seit fünf Generationen den Garten kontinuierlich und engagiert pflegt und jede Generation ihren Beitrag leistet.
Trotz des freundlichen Wetters gibt es aber auch Katastrophen. Die erste im Dezember 1929, als ein fünftägiger Sturm 600 alte Bäume vernichtet, darunter viele im Schutzgürtel. In unserer Zeit verursachen der große Schnee von 1987 und der Hurrikan von 1990 immense Schäden.

Und jedes Mal wird der Garten restauriert, neu bepflanzt und neu geplant. Dies war nur möglich durch die Hingabe von Gärtnern und Besitzern.
Der Garten beschäftigt neun Gärtner. Und jedes Jahr verbringen drei Studley College Trust Gartenbaustudenten zwölf Monate im Garten und arbeiten mit der Gartenmannschaft.

Vallhalla

Neben seinem gärtnerischen Engangement sammelt Smith Galionsfiguren und andere Artefakte aus den vielen Wracks rund um die Inseln. Galionsfiguren sind Schnitzereien, die den Schiffsbug verzieren, ihr Zweck und ihre Bedeutung sind unklar, aber es sind schöne und evokative Objekte - traurige Erinnerung an untergegangene Schiffe und Seeleute.
Die Valhalla-Kollektion umfasst 28 Galionsfiguren aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Seglern und Dampfschiffen sowie Namenstafeln, Heckdekorationen, Rettungsringe, Anker. Darunter finden sich Gegenstände, u. a. Waffen, aus dem schrecklichen Untergang der Schiller von 1875 (siehe weiter unten) und ein schönes Bronzegewehr vom Wrack der Associatlon, die 1707 sank.

Neu ist die Holzschnitzerei vom Heck des Wracks der HMS Colossus, gesunken 1793, eine 3,30 Meter hohe Statue.

Augustus Smith

Schaut mal rein

Die Einwohner der Scillys (ca. 2.200) heißen "Scillonians", man bezeichnet damit aber auch Sachen, die von dem Archipel stammen.

Eigentümer des größten Teil des Grundbesitzes ist der


Herzog von Cornwall (im Jahr 2018 Prinz Charles)

Tourismus und Landwirtschaft - vor allem die Produktion von Schnittblumen - sind wichtigster Teil des Erwerbslebens.












Protea cynaroides


Telopea speciosissima


Fascicularia bicolor











Faszinierend: Mitten im Meer ...
Der ungeteilte Golfstrom bewirkt, dass selten Frost herrscht, aber mitunter peitschen spektakuläre Winterstürme die Inseln. Dies spiegelt sich in der Landschaft wider, am deutlichsten auf Tresco zu sehen, wo der üppige Abbey Garden am geschützten Südende der Insel einen Kontrast zur niedrigen Heide und zum kahlen Fels bildet, den Wind und Wellen am exponierten Nordende formten.
Die tiefen Täler der von Annet und Samson bevölkern Robben.
Und die Scillys sind der einzige britische Ort, wo die kleine Gartenspitzmaus (Crocidura suaveolens) vorkommt.

Vogelfreunde schätzen die Inseln, die besondere Vögel aus allen Teilen der Welt anziehen. Im Oktober kommen einige der seltensten Vögel Europas auf den Archipel, um zu rasten und ihren Hunger zu stillen, bevor sie ihre Reisen zu entfernten Ländern fortsetzen.

Der Tidenhub auf den Scilly-Inseln ist beachtlich, das Maximum beträgt 6m.
Zwischen den Inseln ist das Meer meist flach, was in der Springzeit die Furten trocken fallen lässt. Dann kann man zu umliegenden Inseln waten.

Auf den Scillys herrscht das mildeste Klima Englands. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 12 ° C und obwohl sie auf dem gleichen Breitengrad wie Winnipeg/Kanada liegen, sind Schnee und Frost extrem selten. Die niedrigste jemals gemessene Temperatur betrug -7 ° C und die höchste 28 ° C, der maximale Schneefall fand 1987 mit 23 cm statt.

Alle unbewohnten Inseln, Inselchen und Felsen und einen Großteil des unbewohnten Landes verwaltet der Scilly-Wildlife-Trust, der diese Länder vom Herzogtum Cornwall pachtet.

Die begrenzte Zahl an Unterkünften ist ein umstrittenes Thema auf den Inseln. Wenige Immobilien sind in Privatbesitz, die meisten vermietet das Herzogtum Cornwall.

Die Nachfrage nach Wohnraum übersteigt das Angebot; ein Problem, das die Beschränkungen wegen des Umweltschutzes der einzigartigen Inseln verschärft. Dies treibt die Preise für die wenigen privaten verfügbaren Immobilien und die Mietpreise drastisch in die Höhe, was ein erhebliches Probleme für die Einheimsichen bedeutet, zumal die Einkommen Cornwalls nur 70% des nationalen Durchschnitts betragen, während die Immobilienpreise fast 5.000 £ höher sind als der nationale Durchschnitt.

Viele Gebäude werden sind für den Fremdenverkehr genutzt, was das Angebot für die Einehimischen reduziert. Zweitwohnungen machen einen erheblichen Anteil des Wohnungsbestands aus, so dass viele Gebäude für den Großteil des Jahres leer stehen.

Hangman Island - Cromwell's Castle


Hangman Island
(mit Galgen)

Bryher






















Silly Islands



Bishop Rock

Am 10.03.1945 läuft "U 681", ein deutsches Kriegsschiff auf Tauchfahrt bei Bishop Rock auf Grund, Druckkörper und Schrauben werden behädigt. Aus dem innenliegenden Brennstoffbunker läuft mit Seewasser gemischtes Dieselöl aus, das Boot droht schnell vollzulaufe. Es gelingt, das Boot freizubekommen und das Auftauchmanöver einzuleiten.
Da "U 681" tauchunklar ist, versucht der Kommandant, die irische Küste zu erreichen, um eventuell die Besatzung internieren zu lassen. Der Versuch misslingt, da einen Tag später die Consolidated B-24 Liberator der US-Navy westlich von Bishops-Rock "U 681" sichtet und acht Wasserbomben abwirft, deren Explosionen dem U-Boot weitere Lecks zufügen. Das Boot droht zu sinken, der Kommandant befiehlt "Alle Mann von Bord". Die Crew öffnet die Ventile der Tauchtanks und schlägt Sprengladungen an. Sie explodieren, als das Boot bereits unter der Wasseroberfläche verschwunden ist, worauf der Öl- und Wasserschwall das Ende von "U 681" anzeigt.
Ein britisches Escort-Schiff rettet die überlebenden Besatzungsmitglieder - 38 von 49.

Die U 681 ist nicht das einzige Schiff, das auf die Felsen um Bishop Rock auf Grund lief.
70 Jahre davor teilte die "Schiller" ihr Schicksal.

Die Schiller war ein Passagierdampfer der Deutschen Transatlantischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft mit einer Besatzung von 120 Mann.
Am 27. April 1875 verlässt das Schiff New York, Ziel Hamburg. Sie will wie üblich Plymouth und Cherbourg anlaufen, an Bord sind 101 Mann Besatzung, 254 Passagiere und wertvolle Ladung (Maschinen, eine größere Menge Goldmünzen).
Am 7. Mai 1875 hält die Schiller - schon drei Tage in dichtem Nebel unterwegs - Kurs auf die Scillys. Um 22h läuft das Schiff wegen eines Navigationsfehlers - man unterlässt es, zu loten! - 7 Kabellängen ostsüdöstlich von Bishop Rock bei den Retarrier Ledges auf Grund.
Die Crew hatte Bishop Rock nicht gesichtet.

In der Panik nach dem Auflaufen können sich 27 Männer und eine Frau in den zwei kleineren Rettungsbooten im Heckbereich, retten. Die Schiffsführung entscheidet, die sechs großen Rettungsboote während der Nacht und bei der Lage des Schiffes nicht einzusetzen.
Auf der Stb-Seite macht der 3. Offizier ein Rettungsboot klar, das - vollbesetzt - ein fallender Schornstein erschlägt. Die Crew versucht, durch Dampfabblasen und regelmäßige Bordkanonenschüsse Aufmerksamkeit auf das gestrandete Schiff zu erregen. Dies wird, wenn man es überhaupt registriert, fehlgedeutet, da viele Schiffe bei Sichtung des Leuchtfeuers Bishop Rock Freudenschüsse abgaben.
Frauen und Kinder bringt die Crew ins große Deckshaus. Schwere Brecher zerstören erst das Dach und spülen dann die Schutz Suchenden zum Entsetzen ihrer Angehörigen davon.
Im Morgengrauen sichten heimkehrende Fischer das Wrack, Rettungsboote kommen zur Unfallstelle. Sie können nur zehn Männer retten.

Insgesamt überleben 37 Menschen, von 92 weiblichen Passagieren nur eine, keines der 52 Kinder. Mit 335 Toten handelt es sich um einen der schwersten Unfälle im Ärmelkanal, in den folgenden Tagen treiben über 100 Leichen auf den Inseln an, die man gemeinsam bestattet.

Augenzeugenbericht des Franz Otto Schellenberg aus Ebersbach bei Glauchau

Am 21. Dezember 1992 verlässt der letzte Leuchtfeuerwärter den Turm auf Bishop Rock.
Bishop Rock ist eine Klippe, auf der der gleichnamige 49 m hohe Leuchtturm mit einer Reichweite von 20 sm steht. Bishop Rock ist die kleinste bebaute Insel der Welt.
1847 Bau eines ersten Turms, den noch vor Fertigstellung 1850 ein Sturm 1850 bis auf einige stählerne Fundamentträger wieder wegpült. 1858 kann das neu errichete Leuchtfeuer seinen Betrieb aufnehmen. Es muss immer wieder mit Beton verstärkt werden. 1973 Umstellung von Leuchtpetroleum auf elektrische Energie, 1976 Bau eines Hubschrauberlandeplatz auf der Spitze - Bishop Rock ist der letzte bemannte Leuchtturm in South West England.


Auch ihn, kommandierenden Flottenadmiral Sir Cloudesley Shovell, geboren 1650, ereilt das Schicksal am 22. Oktober 1707 auf den Klippen der Scillys, und mit ihm die vier Schiffe Romney, Eagle, Firebrand und


das Flaggschiff Association

aus seiner Flotte von 21 Schiffen: 1.450 Tote, die größte Katastrophe der britischen Navy (Scilly naval disaster of 1707).
Falsche Längengradberechnung ist Ursache des tragischen Unglücks. Die Navigatoren der Flotte wähnen sich weitab von den Klippen im Ärmelkanal. Es könnten aber auch fehlerhafte Karten, Seehandbücher und Kompanten gewesen sein.
Um des Admirals Tod ranken sich wilde Storys.
An der Hand seiner Leiche fehlt der große Smaragdring. War er noch am Leben, als man ihn fand? Hat eine Scilly-Strandpiratin Shovell ermordet?
Nach der Legende lässt er am Tag zuvor einen Matrosen hängen, der ihn auf seinen Navigationsirrtum hingewiesen hatte. Die britische Flotte hat unter Sir Cloudesley Shovells Frührung Toulon im Spanischen Erbfolgekrieg (britishe, österreichische und holländische Truppen kämpfen unter dem Oberkommando Prinz Eugens von Savoyen gegen das spanisch-französiche Bündnis) Toulon belagert und befindet sich auf der Rückfahrt von Gibraltar nach Portsmouth. Alle vier Schiffe laufen in extrem schlechten Wetter beim




Outer Gilstone Rock

auf, schlagen leck und versinken innerhalb weniger Minuten mit der gesamten Besatzung - nur ganz wenige Seekeute können sich retten.
Taucher haben außer Romney die Wracks gefunden:

Diesen französischen 18-Pfünder aus Bronze bergen Taucher vom Wrack der Association, Beute aus Toulon, zu besichtigen im Valhalla Museum im Tresco Abbey Garden.

Liste aller bei den Scillys gesunkenen Schiffe







Sergeant Colin Taylor seine vier Kollegen

Sergeant Colin Taylor ist ein Star, zumindest auf Facebook. Über 53 000 Menschen haben auf den Like-Button seiner Seite geklickt. Seine Beiträge werden nicht selten mehrere hundert Male geteilt und leidenschaftlich kommentiert. Darüber wundert sich Taylor selbst, ist er doch Wachtmeister in einem überschaubaren Revier, in dem etwa 2200 Menschen leben. Seinen Dienst versieht er auf den Scillies. Das klingt wie «silly», was manch einen zur Annahme verleiten möge, es handle sich um fiktive Inseln und bei der «Isles of Scilly Police» um eine Truppe von Witzbolden. Andere, die von der Existenz der Scillies wüssten, sagt Taylor, verorteten die Inselgruppe irgendwo vor Schottland oder Italien. Seine Follower seien deshalb die einzigen Leute der Welt, die es fertigbrächten, sich online zu verirren – «Well done!».

Paradiesisch – oder zumindest aus der Zeit gefallen – mutet auch der Lebensrhythmus der Scillonians an. Beim Vorbeigehen grüsst man sich freundlich, und der Dorfladen dient als Informationszentrum. Asphaltierte Strassen gibt es nur auf der St. Mary's. Eine solche Welt muss doch eigentlich auch vom Verbrechen übersehen worden sein.
«Keineswegs», kontert Sergeant Taylor. Auf den Scillies lebten Menschen wie überall – mit denselben Gefühlen, Ängsten und Problemen. Einen Mord verzeichneten die Annalen der Inseln allerdings zuletzt 1976. Drogenhandel in grösserem Stil sei inexistent – «ich wüsste sofort, wer wem was verkauft», sagt der Wachtmeister. Ab und an wird etwas geklaut. Dann werweisst die ganze Facebook-Community mit, wer hinter der Tat stecken könnte.
Die grösste Sorge bereitet Colin Taylor und seinen vier Kollegen die Trinkfreude der Insulaner. In der Regel begegnen sie ihr aber eher mit elterlicher Fürsorge als mit polizeilicher Strenge. «Putting the town to bed» – die Stadt ins Bett bringen, umschreibt Colin Taylor seine Aufgabe, wenn die fünf Pubs von St. Mary's schliessen.

Gegen das Fahren in angetrunkenem Zustand führt Taylor jedoch einen kompromisslosen Kampf. So berichtete er im August letzten Jahres auf Facebook von sage und schreibe acht fehlbaren Automobilisten, die er aus dem Verkehr hatte ziehen müssen – in den zurückliegenden 14 Monaten. Damit die Nachricht aber nicht ganz so harsch klang, ergänzte Colin Taylor sie mit der Erklärung, wie man Angetrunkene am besten überführt: Man solle sie bitten, laut und klar das Wort «inebriated» – berauscht – auszusprechen.
Und damit sind wir beim Erfolgsgeheimnis der Seite. Hier schreibt keine anonyme Nummer, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der seine Beiträge mit «Sgt Colin Taylor» zeichnet, in Antworten auf Kommentare gar einfach nur mit «Colin» firmiert. Doch vor allem schickt Colin Taylor nicht einfach eine Durchsage der Leitstelle ins Web. Seine Posts sind eine Alchemie aus Alltagsbeobachtungen und polizeilichen Ermahnungen, gewürzt mit einer gehörigen Portion Sprachwitz und Selbstironie. Wie folgendes Beispiel zeigt, mit dem Taylor die zwei renovierten Zellen in der Polizeiwache anpreist, die einzigen auf den Scillies: Einzelzimmer mit integrierter Toilette und Kameras, weil man den Gästen die ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen wolle. Auf Anfrage serviere der «Concierge» gerne einen Becher mit einer teeähnlichen Flüssigkeit und zur Unterhaltung ein Buch über Gesetze – ohne Bilder. Manche Leute, schreibt Taylor, wollten natürlich als Erste die Räume ausprobieren, weshalb man betrunkene Autofahrer, Personen, die ihre Lebenspartner oder Kinder bedrohten, Diebe und andere Missetäter bevorzugt behandle.

Auf den Scillies ist die Polizei, ganz unironisch betrachtet, noch immer Freund und Helfer. Das Vertrauen, welches die Bewohner in ihre Uniformierten setzen – man patrouilliert, den typischen Bobby-Helm auf dem Kopf, wie Archetypen des englischen Polizisten –, führt Colin Taylor aber just auf seine Facebook-Aktivitäten zurück. Und dieses Vertrauen könne im Ernstfall Gold wert sein. «Passiert etwas Schwerwiegendes auf dem Festland, kann innerhalb kurzer Zeit Verstärkung herangefahren werden. Wir müssen unter Umständen längere Zeit mit den Ressourcen auskommen, die wir hier haben», sagt Taylor. Diese begrenzten, insularen Ressourcen lassen sich in der Bevölkerung ebenfalls über Facebook mobilisieren, wie zuletzt im September, als die Suche nach einem Vermissten alle auf Trab hielt.

Die menschliche Seite der Polizisten und ihrer Arbeit zu zeigen, sei sein wichtigstes Anliegen, betont Taylor. Mit der Explosion der Fangemeinde ist diese Mission gleichsam global geworden. Er poste deshalb stellvertretend für alle Beamten, die ihre Sache gut machten. Und wenn man die Menschen berühre, gingen sie auch anders auf einen selbst zu – weniger aggressiv zum Beispiel.

Zu den Fähigkeiten eines Scilly-Isles-Polizisten gehört – frei nach Sergeant Colin Taylor – unter anderem Folgendes:

Seiner Ehefrau eine Parkbuße so taktvoll auszustellen, dass man anschliessend sein Dinner nicht im Hundenapf wiederfindet.

Um 2 Uhr morgens aus dem Tiefschlaf zum Dienst auszurücken, die Uniform hastig übers Pyjama gestreift und den Schlaf aus den Augen reibend, um einen Streit zwischen zwei betrunkenen Küchenchefs zu schlichten, der Stunden vorher über die Vorzüge von Steinsalz gegenüber Meersalz entbrannt ist.

Die unerschütterliche Gewissheit auszustrahlen, dass man wisse, was man tue, wenn man wegen eines verlassenen Robbenbabys alarmiert wird, das gerade die Hauptstrasse hochrobbt.

Es stoisch hinzunehmen, wenn man um 18 Uhr 15 einen verlorenen Gegenstand überreicht bekommt, während man, ausser Dienst, gerade im Laden an der Kasse in der Schlange steht, beide Arme beladen mit einem Kübel schmelzender Glace und «fish fingers», die man hastig zusammengesucht hat, um den Kindern ein Abendessen zu machen, bevor diese um 18 Uhr 30 ins Judo müssen.

Im Umgang mit sozialen Netzwerken war Colin Taylor blutiger Novize, als er die Facebook-Seite der Scilly-Polizei übernahm. Ein Reglement oder eine Art Kommunikationsstrategie gab es nicht, und seine Vorgesetzten in England liessen ihn einfach machen. Taylor verliess sich auf sein Talent und die Regeln, die er sich selber setzte: «Ich schreibe nur über einen Bruchteil dessen, womit wir konfrontiert werden.» In seinen Einträgen liest man deshalb nichts über häusliche Gewalt, über sexuelle Übergriffe, nichts Intimes, nichts Privates. Dafür wird der Tod der Revierkatze vermeldet und das Publikum über die Ermittlung im Fall einer eingetretenen Toilettentür informiert.


2016 hat Colin Taylor die Isles of Scilly verlassen, um in England andere Aufgaben zu übernehmen. «Ich bin eigentlich Detektiv und möchte wieder als solcher arbeiten», erklärt Taylor, und man kann ihn aller Inselidylle zum Trotz irgendwie verstehen. Wie es mit seiner Facebook-Seite weitergeht, ist ungewiss. Hashtag lautet weiterhin «ScillySergeant».

Als Biologe hatte er auf den Seychellen, Madagaskar, den Shetlandinseln gelebt. Bis er eine Familie gründen wollte und Polizist wurde, zuletzt Detective. "Die wichtigste Fähigkeit auf Inseln ist, mit Menschen auszukommen, die man nicht mag", sagt Taylor. "Anders als auf dem Festland kann man sich nicht aus dem Weg gehen."
Es gebe auf Scillies Familien, sagt er, die sich seit Generationen, seit Hunderten von Jahren hassen, aber sich dennoch nicht ständig in den Haaren liegen. Als Besucher könnte man hier eigentlich die völlige Idylle vermuten, ein Paradies, weit weg vom Brexit-Desaster, vergessen von der Welt und von den Kriminellen. Ein Kino gibt es nicht, die Highlights der Woche sind der Pub-Besuch, die Spiele der beiden Mannschaften der winzigen Insel-Fußballliga und die Gig-Rennen, bei denen die Rudermannschaften der Inseln in teils jahrhundertealten Booten gegeneinander antreten: mittwochs die Frauen, freitags die Männer.

Wer es hier aushält zu leben, und das auch im Winter, wenn die Flut der Touristen verebbt ist, muss genügsam und mit sich im Reinen sein. "Ich mag die Freiheit hier. Einfach das Boot nehmen und fischen gehen", sagt Colin Taylor. Die sechs Jahre, die er als Polizist auf den Isles of Scilly verbracht hat - "so lange wie bisher keiner" -, waren bald vorbei. Er ging mit seiner Familie zurück, er in eine Kinderschutzabteilung der Polizei bei Exeter. "Ich freue mich darauf, aus dem Goldfischglas zu entkommen", sagt er. "Was ich mache, wohin ich gehe - alles wird registriert. Ich will wieder anonymer leben."



Und hier die Band von den Scillys


Und sind wir etwa in Atlantis gelandet?