W.G.Sebald

Winfried Georg S.





Schier unlöslich durcheinandergehende, ungeheuerlich verwinkelte Wege und Umwege der Gedanken und Fantasie würden wir, schreibt Comenius, erkennen, wenn es uns gegeben wäre, in einem Menschenherz zu lesen.
W und G, die aus dem "Allgäuer Innerfern" vertriebenen Dioskuren, wollen Licht ins Dunkel bringen, irren durch das Labyrinth der Welt.
Weiter und weiter.
Als sie am Heimatland verzweifeln, das W als Apostel der Deutschen ein gutes Jahrtausend zuvor bekehrt, gehen sie auf Umwegen zurück.
Ins Angelsächsische, landen in Manchester, fliehen weiter nach Norfolk.
Viel ist W gegangen.
Über Felder gewandert, die Ordnung des Hirns bereist, die stellenweise schön, meist aber grausam ist. Findet ein zum eigenen Lebenslauf passendes Todesdatum auf dem Friedhof von Piana. Fürchtet auf diesen Fahrten, den Verstand zu verlieren.
Und wo er auch hinkommt, immer ist er schon da, G, Georgius Miles.

Lindenhardter Altar

In fränkischen Kirchen, auf Pisanellos farbigen Fresken, am Friedhof zu Wertach, im Vornamen Stellers.
Rückgewandte Träume der Heimatlosen, wie weit denn müssen wir zurück, um den Anfang zu finden?
Vereinen sich beide glücklich zu Max, der lehrt, den britischen Pfarrhausgarten bestellt. Und Max, wenn auch WG als Autoren zeichnen, dichtet sein Werk in der Sprache des Großvaters und der Frau, die ihren Buben gebar in der Mansarde des Seefelder Hauses.

Gruenewald und Sebald

Il ritorno di Girgio al patria.
Nach einer besonders unguten Zeit fährt Max 1980 nach Wien, trifft Ernst Herbeck, der auch krank an der Seele, in ihm den vaterlandslosen Ulysses erkennt, der nach 20 Jahren dort, wo er hingehört, landet. Rot, schreibt Herbeck, Rot ist die Wirklichkeit und der Herbst. Rot sind manche Blaue Blätter.
Es heißt,
schreibt WG, dass Napoleon farbenblind war & Blut für ihn so grün wie Gras.
Und England,
schreibt Ernst an Max, ist bekanntlich eine Insel für sich. Wenn man nach England reisen will, braucht man einen ganzen Tag.
Viel,
denkt er auf der Fahrt von Liverpool Street Station nach Norwich, braucht es nicht zum Verrücktwerden.
Castor, Bruder der schönen Helena und Sohn Zeus’ ist sterblich. Sein unsterblicher Zwillingsbruder Pollux erbittet von Zeus, mit seinem Bruder zusammen sein zu dürfen. Abwechselnd verbringen sie einen Tag in der Unterwelt und einen Tag im Olymp.
For years now versucht W vergeblich, G zu entkommen.
Über das Land und das Wasser.



Und dennoch hat er, wie die Tante ihrem Neffen Paul, später Max' Lehrer, voraussagt, er werde einmal bei der Eisenbahn enden, in seinen Büchern oft und oft den Tod im Verkehr beschworen:
An zwei Orten erfassen beinahe Kraftfahrzeuge Ernst Herbeck und ihn beim Überqueren der Fahrbahn, in Verona dasselbe Ereignis; und nach der Landung in Newark kommt er um Haaresbreite ab von der Straße, als der über einem dort aufgeworfenen wahren Riesengebirge aus Müll wie ein Untier aus grauer Vorzeit schwerfällig sich in die Luft erhebende Jumbo ihn ablenkt.
Auf der Heimfahrt zurück nach Eger von Marienbad, wo er mit ihr schaut ins dämmernde Jenseits:
Phantasien von einem tödlichen Unfall
Geradezu gespenstisch:
Der 1944 Geborene und mit 57 Verunglückte schreibt im Oktober 1973 einem Freund:
Bei uns ist ja schon der halbe Faden abgewickelt. Kein Wunder daß er durcheinander kommt.



Kurz nach Veröffentlichung seines Buchs Saddled with Darwin fährt Toby Green zu Max, den er zutiefst bewundert, liest im Zug von Liverpool Street Station nach Norwich Sebalds neues Buch noch einmal, watching the autumnal wind blow the dead leaves off the trees of the plains of East Anglia. Green war gespannt, to meet someone who had been so successful, and yet wrote such beautiful and profound books.
Max offenbart ihm seine Pläne, Projekte, sein Leiden am Universitätsalltag, das Gehörte gräbt sich tief in Greens Gedächtnis. Als er vom Unfalltod Sebalds erfährt, ist sein erster Gedanke: I had no doubt that it was these very inner conflicts, between the peace needed to write and the requirements made of the writer, which had killed him.



Max zitiert Chateuabriand, was der über seine Bäume schreibt - und meint sich:
die er gepflanzt hat und von denen er jeden einzelnen umsorgt mit eigener Hand. Jetzt sind sie noch so klein, dass ich ihnen Schatten spende, wenn ich zwischen sie und die Sonne trete. Aber später einmal, wenn sie aufgewachsen sein werden, werden sie mir den Schatten zurückgeben und meine alten Tage behüten, wie ich sie behütet habe zu ihrer Jugendzeit. Wie Kinder kenne ich sie alle bei ihren Namen und wünsche mir nur, dass ich einmal sterben darf unter ihnen.

Sebald 1983 im Paark Ditchingham Hall

Saturn versagt ihm die Erfüllung dieses Wunsches: Göttin Lua schickt einen LKW nach Poringland.