Elektrisches Wunder
(Die Ausgewanderten S. 219ff.)
Schütte nähert sich in seinem Essay "Nachruhm" diesem Wunderwerk an:
In Die Ausgewanderten schildert Sebald ein merkwürdiges und zutiefst englisches Kuriosum, eine 'teas-maid' (korrekterweise müsste man teasmade schreiben). Dem frisch in Manchester angekommenen Erzähler wird eine derartige Gerätschaft im Hotel Arosa von der merkwürdig-liebenswerten Geschäftsführerin Gracie Irlam überreicht. ...
Sebald hat ein solches Gerät tatsächlich besessen, das allerdings erst nach seiner Zeit in Manchester für wenig Geld im Trödel gekauft wurde (und auch in Benutzung war). Die nostalgische Maschine verkörpert stellvertretend Sebalds Aufmerksamkeit für Gerümpel und Plunder, will sagen den "zwecklosen, aus der Zirkulation geratenen Kram" (RS 48), der vom Fortschrittsprozess als überholt ausgegliedert wird. In seiner Literatur hat Sebald angestrebt, diese vergessenen Dinge der Geschichte zum Sprechen zu bringen, indem die gleichsam toten Gegenständen durch die literarische Imagination belebt werden. Nicht zuletzt, weil dies einen literarischen Gegenentwurf zur offiziellen, sich am Monumentalen orientierenden Geschichtsschreibung darstellt.
Was sich folglich darin ausdrückt, ist eine Ethik, die das Unscheinbare, Kleine und Ephemere zu bewahren versucht vor dem Vergessen und Verschwinden. Als "Andacht zum Unbedeutenden" hat Benjamin eine solche Haltung bezeichnet. Das Eingedenken und die Versenkung in die ausgegrenzten, für überholt erklärten Gegenstände vergangener Epochen kommt so einer Rettung solcher nomadischen Objekte wie alten Fotografien oder Kuriositäten wie teas-maid gleich.
Das aber gillt auch vice versa: In der Erzählung fungiert dieser anheimelnde Gegenstand wie ein emotionaler Anker während der schweren Stunde in der trostlosen Stadt Manchester und der sich nach und nach als Stundenhotel herausstellenden Beherbergungsstätte. Das Wundergerät besitzt zudem eine metaphysische Dimension, denn die teas-maid wird "von Gracie als an electric miracle" bezeichnet.
Bereits beim Betreten des Hotels bemerkte der Erzähler ein Foto von Mrs Irlam, das sie als Mitglied der Heilsarmee, also der Salvation Army ausweist, während ihr Vorname auf Deutsch die Gnade (in einem religiösen Sinne) bedeutet.
Heil, Gnade und Rettung sind so in ihr vereint. Die obskur-bizarre Maschine übernimmt daher für den Erzähler gleichsam in Stellvertretung der fürsorglichen Mrs Irlam, geradezu die Funktion eines Schutzengels.
Uwe Schütte: Annäherungen S. 265ff siehe
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