Immer ist diese Geschichte von der Verbrennung |
Jeremy Millar: A FIREWORK for W.G.Sebald. In memory - and celebration - of the extraordinary life and work of W. G. Sebald, a firework was lit by the side of the A 146 in Framingham Pigot, the place in which he was killed in a car crash on 14 December 2001.
Von keinem Motiv war Sebald wohl besessener als von dem des Brennens, des Rauchs und des Aschestaubs. In den noch nicht vollends durchgearbeiteten und verdichteten Korsikafragmenten heißt es ohne Umschweife und offen zu Tage liegend: Bezeichnender als jede andere Eigenschaft ist für unsere Art die Pyromanie. Nur vermittels des Feuers konnten wir vorgehen gegen die Wildnis. Und also hocken wir nach wie vor am Eingang unserer Höhlen und schauen auf das Feuer am Horizont. Das Feuer ist unsere einzige Hilfe, wenn uns etwas über den Kopf wächst. Überall stehen unsere Incineratoren und wir verbrennen alles vom schweren Metall bis zu den Abfällen. Haben wir nicht ganze Völker verbrannt, unsere Städte abbrennen sehen in meilenhohen Feuertürmen, und haben wir nicht alles wieder aufgebaut, besser und schöner als zuvor, und keine Schaden genommen an unserer Seele? -
Nachdem er sich schon in seinem Heimatdorf W. in die Betrachtung einer Postkarte vertieft hatte, die den rauchenden Kegel des Vesuv zeigte, verfolgen Brände und Feuersbrünste Sebald fast an allen seinen Reisezielen. Manchester ist die Stadt der brennenden Schlote. Heute sind sie nahezu ausnahmslos niedergelegt und außer Betrieb. Damals aber rauchten sie zu Tausenden, einer neben dem andern, bei Tag sowohl als in der Nacht. Es waren diese viereckigen und runden Schlote und diese ungezählten Kamine, aus denen ein gelbgrauer Rauch drang, der sich dem Ankömmling tiefer einprägte als alles, was er bis dahin gesehen hatte. Der Name des Malers Aurach klingt wie ein leicht verunglücktes Anagramm auf den Rauch des alten Manchester.
In London träumt Sebald fasziniert den Bericht vom Brand Londons in Pepys’ Tagebuch nach: Ich sah es wachsen mehr und mehr. Es war nicht hell, es war ein grausig blutig böses Lohen, vom Wind getrieben durch die ganze Stadt. Zu Hunderten die toten Tauben auf dem Pflaster, das Federkleid versengt. Die Kirchen, Häuser, Holz und Mauersteine, alles brennt zugleich. Ist dies die letzte Stunde? Und andern Tags ein stiller Ascheregen - westwärts, bis über Windsorpark hinaus.
In Venedig dann fuhren wir gegen Mitternacht den Drachenschweif des Großen Kanals hinauf und hinaus auf das offene Wasser von wo aus man auf die jenseits meilenweit sich erstreckende Lichterfront der Raffinerien von Mestre hinübersieht. Vor uns lag der verglimmende Glanz unserer Welt, an dem wir, wie an einer Himmelstadt, uns nicht sattschauen konnten. Das Wunder des aus dem Kohlenstoff entstandenen Lebens geht in Flammen auf. Wortlos deutete mein Führer hinüber zu dem Inceneritor Communale. Ein totenstilles Betongehäuse unter einer weißen Rauchfahne. Brucia continuamente.
Den Beifall des Dichters finden allenfalls Brände der bescheidensten Art wie derjenige der Mutter Gottfried Kellers, die jahraus, jahrein, einen Tag wie den anderen, ein Feuerchen unterhielt, welches gleichsam von nichts brannte. Anders verhält es sich schon wieder mit dem Feuer, das der Onkel Evelyn unterhält, obwohl es gerade so ausschaut wie dasjenige im Haus der Kellers: Nur wenn mehrere Tage hintereinander die Temperatur auf dem Thermometer am Fensterrahmen zur Mittagszeit unter fünfzig Grad Fahrenheit sank, durfte die Haushälterin im Kamin ein winziges Feuerchen anschüren, das von fast gar nichts brannte. Es ist nicht einmal so sehr der Geiz als solcher, der Mißfallen erregt, sondern der Umstand, daß er allwöchentlich das von ihm nicht ausgegebene Geld an die Kongomission überweisen ließ zur Errettung der dort im Unglauben schmachtenden schwarzen Seelen, unangebracht und zu spät, wo doch die belgische und europäische Hauptstadt Brüssel, mit ihren immer bombastischer werdenden Gebäuden, erscheint wie über einer Hekatombe von schwarzen Leibern aus dem Kongo sich erhebendes Grabmal, Leiber, um deren Seele niemand besorgt gewesen war. Feuer anderer Art - gedacht ist an das Feuer des Schreibens - bringen Rauchwölkchen anderer Art hervor: Ich sah den altgewordenen Roué, umgeben von den goldgeprägten Rängen der mehr als vierzigtausend Bänden umfassenden Bibliothek ganz für sich allein über einen Schreibsekretär gebeugt an einem trostlosen Novembernachmittag. Die Puderperücke hatte er beiseite gelegt und sein eigenes schütteres Haar schwebte, als Zeichen gewissermaßen der Auflösung seiner Körperlichkeit, wie ein kleines Wölkchen über seinem Haupt. Die linke Schulter ein wenig hochgezogen, schrieb er ununterbrochen fort. Als habe der Dichter in einen Spiegel geschaut. Während die Schreibfeder noch wie rasend über das Papier schießt, löst sich bereits die, nach überkommener Auffassung, unsterbliche Seele als ein kleines Wölkchen über seinem Haupt. Wir würden dem verstorbenen Dichter fraglos Händel mit Pauken und Trompeten wünschen, samt hundert Salutschüssen als Startsignal für das Feuerwerk, ein schütteres weißes Rauchfähnchen in der Krüppelvegetation zwischen den zwei Fahrbändern der A 146 in Framingham Pigot, ein Feuerwerk das von fast gar nichts brennt, ist aber sicher das, was Sebald eher als angemessene Zelebration seines außerordentlichen Lebens und Schaffens verstanden hätte. Wenn der Dichter sich, wie wir glauben, gern in dem kleinen Rauchwölkchen erkannt hätte, welche Größenordnung oder besser Winzigkeitsordnung sollen wir dann einem kleinen Sebaldstück zuweisen? Die des kurzen Aufglühens einer Zigarette vielleicht. Die Liebe zum kleinen Feuer hat Sebald auch auf die Zigarette übertragen und ihren dichterischen Lobpreis Ernst Herbeck überlassen. Dem gerät sie allerdings unversehens zu einem flammenden Inferno im Miniaturformat: Die Zigarette ist ein Monopol und muß geraucht werden. Auf Dasssie in Flammen aufgeht. 2021: Der Süden Europas brennt ... |