És com la poesia: un bon poema |
Alles nur geklaut?
In seinem Aufsatz: Lehren vom Ähnlichen rückt Sigurd Martin Sebalds Prosa insgesamt in ein gutes Licht, fühlt sich aber als Wissenschaftler und noch mehr als Bürger eines wohlanständigen, ganz den Idealen der Aufklärung, der Habermasschen Diskurslehre und der Rawlsschen allseitigen Fairness verpflichteten Staatswesens, dies wiederum eingebettet in eine permanent anwachsende Staatenunion mit haargenau den gleichen Idealen – fühlt sich also als ein solcher Bürger auch zur Kritik veranlaßt.
Einen Aufsatz zuvor im gleichen Band (Verschiebebahnhöfe der Erinnerung, 2007) hatte Klaus Jedziorkowski demgegenüber ohne Einschränkungen, sozusagen als Vertreter der ästhetischen Fraktion und schon dadurch im offenen Widerspruch zu Martin, klargestellt, daß durch das Sebaldsche Erzählen nichts entwendet wurde und dieser Frau ihre Biographie ungeschmälert erhalten geblieben ist.
angelehnt, der Turbanträger mit dem Pappdeckelkarton, der Austerlitz sozusagen in den Ladies Waiting Room des Londoner Liverpoolbahnhofs hineinkehrt, ist, so haben wir gelernt, ein kafkaesker Helfer, der Aufbruch vom Prager Bahnhof später im Buch erblüht ganz aus einer knappen Skizze in Kafkas Tagebuch (Eintrag vom 1 XI 11), Wittgenstein geistert vielfältig durch das Buch etwa mit längeren sprachtheoretischen Passagen. Susi Bechhöfers Biographie sind dagegen nur einige karge Handlungs- und Strukturmotive entnommen. Weniger prominent als Chatwin und Kafka darf sie dafür dann aber auch selbst, wenn schon ohne namentliche Nennung, im Buch auftreten, das ist gerecht, damit muß sie zufrieden sein.
Eine andere Merkwürdigkeit ist der, bei extremer Modulationsfähigkeit, immer gleichmäßige Tonfall, gekennzeichnet durch eine elaborierte und kultivierte Syntax und, wie Matthias Zucchi in wirklich erleuchtender, die Schuppen aus den Augen reibender Weise ausführt: den Verzicht auf das gesamte nach 1933 in die deutsche Sprache eingedrungene Wortmaterial. Die gepflegte Fassade verdeckt vielen den Spaßvogel Sebald.
Dabei wird mehrfach nur durch Beiläufigkeit des Vortrags und ungerührte Mimik das Passieren der Grenze zum groben Ulk vermieden, oder wie sonst soll man es nennen, wenn in SG ein dort abgedrucktes Foto dahingehend kommentiert wird, die Bevölkerung von Desenzano habe sich mehr oder weniger vollständig zum Empfang des Vicesekretärs der Prager Arbeiterunfall-versicherungsanstalt Dr. Franz Kafka auf dem Marktplatz versammelt.
Auch Kafka, der engste literarische Freund, soll sich ja weithin als Komiker eingeschätzt und beim Vorlesen der eigenen Produkte oft aus vollem Halse gelacht haben. Ein kongenialer Kumpan Sebalds in Scherz, Zorn und Boshaftigkeit aber ist Thomas Bernhard. Sebalds Anlehnungen an Bernhard sind weniger aufgefallen und spärlicher kommentiert worden als die an Kafka oder Nabokow. Es fällt aber z.B. schwer, die einleitenden Passagen von Il ritorno in patria anders zu lesen denn als Hommage an den gänzlich ungezähmten Österreicher. Die Bewegung des plötzlichen Aufbruchs mit einem bestimmten Zielort und zwischengestalteten Nebenziel (hier: von Bruneck zurück nach England über Wertach) oder, allgemeiner noch, das „geographische Mischen“ ist ein ganz und gar Bernhardsche Kunstgriff. Man führe sich nur den Einleitungssatz des Romans von der Auslöschung vor Augen, der die Orte und Plätze wild bis zum zumindest vorübergehenden Orientierungs-verlust des Lesers mischt. Im gegenwärtigen Zusammenhang kommt es aber nur auf das Merkmal der rücksichtslosen, superlativistischen und einer sachlichen Betrachtung nicht standhaltenden Behauptungen an: das immer grauenvollste Wetter in Innsbruck, die Tiroler Trunksucht, die weltweit ihresgleichen nicht hat. Bei Bernhard waren schon lange vor seinem Tod alle Versuche als aussichtslos eingestellt worden, ihm zu irgendetwas und zumal zu Österreich eine ausgewogene und einsichtige Äußerung oder gar Haltung abzuringen.
Tatsächlich wäre die gewünschte Leistung eine Verzichtsleistung gewesen, die er gar nicht erbringen konnte, denn erst die ständigen Schimpfkaskaden ergeben als wüste Pinselstriche die durchgehend dunkle Hintergrundschraffur seiner Werke, von denen sich dann nur schwer sichtbar aber doch sehr deutlich anderes abhebt. Jedenfalls hat ihn das eigene Wüten nicht daran gehindert, seine Bücher je länger desto mehr als Komödien einzuschätzen. Das Wüten war vielmehr die erste und sicherste Grundlage für diese Klassifikation. Bernhard vor laufender Kamera: Ich weiß nicht, was die Leut’ wollen, soll ich mich denn hinsetzen und schreiben: Salzburg ist schön? Das weiß doch eh jeder.
wie hingeschissen.
Die ästhetischen Absichten, die ihn leiten, läßt Sebald vielfältig erkennen, am direktesten vielleicht bei der Charakterisierung der Prosa des Thomas Browne: Nicht weniger als eine Quadratur des Kreises ist angestrebt, Sätze, die umso leichter und schwebender werden, desto mehr Bedeutung sie tragen müssen, ein semantischer Reigen, ein graziler Fußspitzentanz schwermütiger Sinnfelder. Wenn Schönheit in der Anmut und Würde tiefliegender semantischer Bewegungen gesucht und gefunden wird, kann sie nicht nur skin deep sein, und für die inhaltsorientierte Fraktion besteht soweit noch kein Grund zur Beunruhigung. Man kann die ästhetische Ausrichtung dann natürlich auch ganz anders beschreiben, etwa aus den Sinnfeldern heraus, verbreitet ist die Analyse als Erinnerungskunst, die Parallelisierung mit Proust etc. Der großen Mehrheit ist der Gedanke der Entscheidung für ein Primat des Ästhetischen gleichwohl unzugänglich und auch schon in der Theorie zuwider. Einer der Gründe ist sicher die ungleich einfachere Herstellung moralischer Papierprodukte im Verhältnis zu ästhetischen sowie auch ihre um einiges einfachere Rezeption. Wie schwer hinnehmbar ein ästhetisches Primat ist, zeigt sich insbesondere, wenn ein Prosawerk sich so weit auf das Thema des Holocausts einläßt, wie das Austerlitzbuch das tut. In diesem Fall muß Ordnung und Gleichschritt aller Anständigen herrschen. Es hat dann ein Buch ÜBER den Holocaust zu sein, Nebenthemen sind nur in unmittelbaren Hilfsfunktionen zugelassen, und in einer Art ritueller Starre sind die inzwischen gut eingespielten Verlautbarungen abzuhaspeln. Iris Radisch etwa kann nicht verstehen, daß neben dem GROßEN THEMA in dem Buch noch Platz für Hirschhornknöpfe sein kann. Im Buch über Wittgensteins Neffe unterbricht Bernhard eine längere Suada plötzlich mit dem entwaffnend schlichten Eingeständnis: Ich bin einfach kein guter Mensch – um dann gleich wieder gewaltig fortzufahren.
Auf dem Gebiet sportlicher Neigungen hatte, nach dem was bekannt ist, für ihn das Billardspiel
Vorrang mit seiner Nähe zum Ganovenmilieu. Geraucht hat Sebald bis an sein Lebensende, und Besorgnis hinsichtlich seiner im Nebenstrom des Zigarettenrauchs tödlichen Gefahren ausgesetzten Mitmenschen ist nicht bekannt und wird jedenfalls in seinen Texten nicht thematisiert. Die schöne Erwägung, Bestreben allen Erzählens sei es, eine ver-rückte Welt beim Neuerzählen durch eine nur minimale Änderung womöglich zurecht zu rücken, zielt ganz allein auf den Innenraum der Erzählung. Die Idee, die Welt ließe sich real durch den ausschließlichen Austausch als korrekt erachteter Sätze ins Lot bringen, hat er kaum teilen können. Durch den bereits wiederholt erwähnten Verzicht auf neueres Wortmaterial konnte er an diesen neuartigen Versuchen auch gar nicht teilnehmen, Zigeuner müssen bei Sebald Zigeuner bleiben und Neger werden, horribile dictu, weiterhin Neger genannt, freilich ohne daß diesen ethnischen Gruppen dadurch narrative Nachteile entstehen würden, ganz im Gegenteil: Die Freundschaft, die sich während eines der extrem verlangsamten Überholvorgänge auf amerikanischen Autobahnen zur Negerfamilie im Nachbarauto einstellt (in AW Ambros Adelwarth), ist seltsamer und schöner noch als die bekannte aus Casablanca.
Oberschelp
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