Tage- und wochenlang zermartert man sich vergebens den Kopf,
wüßte, wenn man danach befragt würde, nicht,
ob man weiterschreibt aus Gewohnheit oder aus Geltungssucht,
oder weil man nichts anderes gelernt hat,
oder aus Verwunderung über das Leben,
aus Wahrheitsliebe, aus Verzweiflung oder Empörung,
ebensowenig wie man zu sagen vermöchte,
ob man durch das Schreiben klüger oder verrückter wird.
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Marbacher Brände
Niklas
Luhmann
schildert in einem
Interview, bei stillschweigendem
Übergehen der Obliegenheiten zur Aufrechterhaltung
der biologischen Existenz, seinen Oerlinghausener Tagesablauf,
so, wie er sich abgespielt hat, wenn nicht besondere Verpflichtungen entgegenstanden:
Aufstehen, Hund ausführen, Schreiben, der Hund ist wieder an der Reihe, Schreiben, noch mal der Hund, Schreiben, Lesen, was dann noch möglich ist, Nachtruhe, Aufstehen, der Hund läuft in die Küche. Allerdings, fügt der Meister hinzu, schreibe er nur, wenn es läuft, und breche bei Stockungen gleich ab. Der Interviewer atmet auf, nun wird sich ein Ausblick, wenn nicht gar ein Panoramablick auf den sogenannten Menschen Luhmann ergeben, denn Schreibstauungen können ja nach aller Erfahrung nicht ausbleiben. Über den Unverstand der Frage, was denn geschehe, wenn es mit dem Schreiben nicht klappe, kann Luhmann innerlich allerdings nur den Kopf schütteln: Dann, so seine Antwort, schreibe er naturgemäß an etwas anderem. Der Meister verwandelt sich vor unseren Augen in eine Theoriedestille. Wir ahnen natürlich, es ist weniger eine biographische als eine hagiographische Erzählung, hören sie aber gerne und sind es zufrieden.
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Die Veranstalter der Marbacher Austellung "Wandernde Schatten, Sebalds Unterwelt" haben es nicht an Warnhinweisen fehlen lassen, man werde dort den Dichter aber nicht den Menschen Sebald treffen. Immerhin sehen wir den jungen Dichter abgelichtet auf dem Fahrrad und auf einem Traktor sitzend, das ist schon etwas und gibt zu denken. Es verhält sich ja auch mit den Dichtern ein wenig anders als mit den Theoretikern. Bei Kafka, als dem Erzeuger künstlerischer Prosa schlechthin, kann der Eindruck entstehen, er habe sich als Mensch in eine Ölpresse zur Erzeugung des unvergleichlichen Produktes begeben, selbst findet er mit dem Hungerkünstler oder der Tötungsmaschine der Strafkolonie noch radikalerer Bilder für die Einheit gelebten Lebens und Worterzeugung. Tagebücher, Briefe, ungezählte nicht abgeschlossene Prosafragmente vor allem, es geht gar nicht so sehr um Abfüllen und Ausliefern, die wenigen fertiggestellten Erzählungen sind sozusagen nur eine zufällige Singularität des fortwährenden Preßvorgangs.
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Bernhard, auf seine Art ein Nachfolger Kafkas, hat Maßnahmen getroffen, das Fragmentarische zu vermeiden. Er stellt sich, durchtrieben, in die zweite Reihe und verfertigt Romane über Bücher, die nicht fertig werden. Eine Mehrzahl seiner Helden ist beschäftigt mit der Niederschrift einer Studie oder Geistesarbeit, die niemals abgeschlossen werden wird. Das Scheitern etwa der Schrift über das Hören im "Kalkwerk" weist alle wesentlichen Merkmale der Kafkaschen Folter- und Tötungsmaschine auf. Sich selbst hat Bernhard dann erst recht spät auf die Presse gelegt und die reine Prosa seiner erzählten Autobiographie erhalten.
Sebald hat, wenn man es so sehen will, als Wissenschaftler und Dozent für deutsche Literatur den Weg Luhmanns eingeschlagen. Er destilliert Aufsätze über Literatur, aber die Auffassung, er habe sich in eine Destille der Literaturwissenschaft verwandelt, wird niemand ernstlich vertreten wollen. Ebenso wenig scheint sein dichterisches Werk dem Leben abgepreßt. Kritiker, für die offenbar nur die Ölpressendichter zählen, haben das bemerkt, und in Sebald einen mißratenen Stubenbernhard gesehen.
Tatsächlich muß man Sebald als Meister des Doppelbrandes sehen. Aus dem Rauhbrand der Beschäftigung mit Literatur entsteht in einem zweiten Destilliervorgang der Feinbrand der Prosa, dem nur auf das Vorsichtigste biographische Essenzen beigegeben sind. Die zweistufigen Destillierapparaturen der vier Prosawerke Schwindel.Gefühle, Die Ausgewanderten, Die Ringe des Saturns und Austerlitz waren in Marbach aufgebaut. Die gelesenen Bücher, die gesehenen Bilder, die Postkarten unten, die Entwürfe darüber und die abgeschlossenen Prosawerke obenan. Zur sorgfältigen, liebevollen und kenntnisreichen Ausführung der Konstruktion kann man nur beglückwünschen. Der Ausstellungsraum war in der Tat ein lichtdurchsetztes Schattenreich, aufgrund von Spiegeleffekten kaum kleiner als das All.
Wir können uns nicht satt sehen und sind zugleich über die Maßen erleichtert, daß das Geheimnis nicht gelüftet wird, daß die Apparatur die Aromen und ätherischen Stoffe der Sebaldschen Prosa nicht erklären will und kann. Aus dem Werk wissen wir zudem, daß das Leben in einer künstlerischen Destillieranlage mit ihren überwiegend toxischen Stoffen kaum weniger gesundheitsschädlich ist als das Leben auf der Ölpresse. Besonders eindringlich ist das von Sebald nachgezeichnet am Bild Rousseaus, der, wie alle Schreibenden, auch bei Logis in einem Landhaus, Frieden nicht finden kann. Die Frage, ob man vom Schreiben eher klüger oder verrückter wird, bleibt unbeantwortet. Auch beim Brennen und umso mehr beim Doppelbrand entsteht Lebensflüssigkeit der feineren Art, Akvavitae oder Wiskibeatha, und nicht gesichert ist, ob darin tatsächlich die veritable Wahrheit sich aufhält.
Vielen wird auf die Frage nach dem ihnen liebsten Ausstellungsstück die Antwort leicht fallen: der Brief der Künstlerin Tess Jaray an Sebald, der mit dem unvergleichlich schönen Satz endet: "Please write more books". Das geht nun nicht mehr, es ist an uns, die wenigen Bücher an kleinen Ecken und Enden ständig neu zu schreiben.
Sind wir, fragen wir uns auf der mehrstündigen Heimfahrt, zufrieden mit dem, was wir gesehen und erfahren haben? Man würde sich schon wünschen, daß ein Hennetmair Sebalds noch aus seinem Schatten tritt, aber das wird wohl nicht stattfinden. In Amerika soll eine umfängliche Biographie Sebalds entstehen, psychoanalytisch ausgerichtet, heißt es. Ob uns das gefallen wird? Nabokow, der Schmetterlingsmann, gehörte zu Sebalds Hausgöttern, den aberwitzigen Haß des Russen auf die Psychoanalyse muß man in diesem Ausmaß wohl dennoch nicht teilen.
Oberschelp
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Please write more books
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