Leute
Jäger Schlag
(Schwindel.Gefühle S. 269ff. )



... der Jäger Hans Schlag, von dem es hieß, daß er von auswärts, und zwar aus Koßgarten am Neckar stamme und mehrere Jahre im Schwarzwald ein weitläufiges Revier versehen habe, ehe er, man wußte nicht genau, aufgrund welcher Umstände, aus dem Schwarzwald in die Gegend von W. gekommen und bis zu seiner Übernahme durch die bayerische Forstverwaltung gut ein Jahr stellungslos gewesen war. Der Jäger Schlag war ein stattlicher Mann mit dunklem, lockigem Haupt- und Barthaar und ungewöhnlich tiefliegenden, überschatteten Augen. Stundenlang, oft bis tief in die Nacht hinein, saß er bei seinem Glas, ohne mit jemandem ein Wort zu wechseln. Zu seinen Füßen schlief der Waldmann, festgebunden an den an der Stuhllehne hängenden Rucksack. Immer wenn ich in die Wirtschaft hinuntergekommen bin, um für den Vater eine Schachtel Zuban zu holen, saß der Jäger Schlag so an seinem Tisch. Meist war sein Blick gesenkt auf die auffallend kostbare goldene Taschenuhr, die er vor sich liegen hatte, als dürfe er irgend einen wichtigen Termin nicht versäumen, aber zwischenhinein schaute er auch durch seine halbgeschlossenen Augen zur Romana hinüber, die hinter dem hohen Schanktisch in einem fort die Schnaps- und Biergläser füllte. An einem mir überdeutlich in Erinnerung gebliebenen Abend freilich, es war Anfang Dezember und hatte gerade zum erstenmal bis ins Tal herunter geschneit, saß der Jäger, wie ich nach dem Nachtmahl in die Gaststube hinabkam, nicht an seinem Platz, und auch die Romana war rätselhafterweise nirgends zu sehen.
Am folgenden Morgen, in der Küche brannte noch das Licht, erzählte der Großvater, der gerade vom Wegmachen hereingekommen war, aus dem Jungholz sei die Nachricht gebracht worden, daß man den Jäger Schlag eine gute Stunde außerhalb seines Reviers, auf der Tiroler Seite, auf dem Grund eines Tobels liegen gefunden habe. Offensichtlich sei er, sagte der Großvater, indem er, wie es seine tägliche Gewohnheit war, den für ihn auf dem Herdschiffchen eigens warm gehaltenen, von ihm aber verabscheuten Milchkaffee nach und nach, wenn die Mutter gerade nicht hersah, in den Ausguß schüttete, offensichtlich sei er beim Überqueren des Tobels von der sogar im Sommer gefahrvollen, im Winter so gut wie ungangbaren Riese zu Tode gestürzt. Er hielte es, so meinte der Großvater, für ausgeschlossen, daß der Schlag, der doch auf das genaueste mit den Grenzen seines Reviers vertraut gewesen sein müsse, versehentlich auf die andere Seite hinübergeraten sei. Hinwiederum wüßte auch niemand zu sagen, was der Jäger, wenn er gewissermaßen vorsätzlich fehlgegangen sei, ausgerechnet in dieser Jahreszeit und bei diesem Wetter im Österreichischen drüben zu suchen gehabt habe. Wie man es wende, schloß der Großvater, es bleibe eine undurchsichtige, nicht recht geheure Geschichte.