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Sebalds Stil, der sich durch ausladende Sätze auszeichnet, die für in der Syntax prozessierende und sich organisierende Widersprüche Raum geben - in dieser Hinsicht an den von ihm studierten Adorno und den von ihm verehrten Thomas Bernhard erinnernd -, ist die Gegenthese zum mit Tiefsinn kokettierenden, die eigene sprachliche Armut in endlosen Ketten von Hauptsätzen zur Schau stellenden Gros der Gegenwartsliteratur. Die Poetik Sebalds ist von der Spannung zwischen dem Stil, der an die Grenzen der Prosa geht, und dem Stoff, der mit der Vernichtung der europäischen Juden an die Grenzen des Erzählbaren geht, geprägt.
(1990). So sind es die Abgründe der Geschichte, in die sich Sebald mit seiner Form dialektischen Schreibens begibt und über die er sagte: Alles liegt in ihnen durcheinander, und wenn man in sie hinabschaut, so graust und schwindelt es einen.
der Geschichte von Jaques Austerlitz, dem der Ich-Erzähler auf dessen Reise durch Europa begegnet, von Antwerpen über Terezín (Theresienstadt) nach Paris und London, auf der Suche nach seiner Vergangenheit, die die mörderische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist und auf einem jüdischen Friedhof in London endet.
beschäftigt sich die Figur Eduard ausführlich mit der massenhaften Tötung von Schlangen durch ein giftiges Gas. Die Unsicherheit des Erzählens, die als Schwindel auf den Leser übergreift, hat ihren Grund in der Unbeständigkeit der menschlichen Zivilisation, die, weil auf Gewalt begründet, sich nicht auf Dauer aus sich selbst erhalten kann, sondern immer wieder die Barbarei aus sich hervorbringt. Sebalds Schreiben ist geprägt von Paul Celan, Walter Benjamin, Peter Weiss und Jean Améry, Autoren, die er sehr schätzte und über die lesenswerte Essays von Sebald in den beiden Bänden
vorliegen.
Sebald konstatiert, dass die Kenntnis der Statistiken, seien sie entnommen den Strategic Bombing Surveys der Alliierten oder den Erhebungen des Bundesamts für Statistik - 400.000 Flüge, über eine Million Tonnen Bomben - schwerlich eine Vorstellung von den Wirkungen einer solchen Maschinerie des modernen Krieges vermitteln könne. Auch die direkt Betroffenen haben, trotz teils überwältigender sensorischer Eindrücke, die eben kein Garant für Erfahrung, sondern wohl eher für die Phrase, die leere Abstraktion, sind, eine Erfahrung im Bewusstsein nicht gemacht. Die Existenz ganzer Ruinenstädte schien den Deutschen, die zuvor halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatten, keinesfalls rätselhaft, nicht einmal bemerkenswert. Den Deutschen, angetreten, die Welt zu säubern und reinigen, dämmerte mit Kriegsende zwar, dass sie selbst das »Rattenvolk«, eine Masse verlauster präzivilisatorischer Sammler, waren, wie Sebald schreibt, dass sie selbst verdreckt, immer hungrig sowie materiell und moralisch verelendet waren. In einem Nebensatz merkt Sebald an, dass das starke Bedürfnis nach Parfüm im wiederaufgebauten Deutschland mit diesem Schock in Verbindung gestanden habe. Doch die sich anbahnende Erkenntnis wurde durch heroisch camoufliertes blindes Weitermachen neutralisiert.
Die Kombination von solcher Erfahrungslosigkeit mit dem Heroismus stellt den Wiederaufbau in eine Kontinuität mit dem Nationalsozialismus. Sebald schreibt: Nicht als grauenvolles Ende einer kollektiven Aberration erscheint also diese totale Zerstörung, sondern, sozusagen, als die erste Stufe des erfolgreichen Wiederaufbaus.
Knüpft das faschistische Potential an ihre, sei’s auch noch so begrenzten, Interessen an, dann bleibt das wirksamste Gegenmittel der durch seine Wahrheit einleuchtende Verweis auf ihre Interessen, und zwar auf die unmittelbaren. Man macht sich schon des spintisierenden Psychologismus schuldig, wenn man bei derlei Bemühungen sich darüber hinwegsetzt, dass der Krieg und das Leiden, das er über die deutsche Bevölkerung brachte, zwar nicht hinreichte, jenes Potential zu tilgen, aber ihm gegenüber doch ins Gewicht fällt. Erinnert man die Menschen ans Allereinfachste: dass offene oder verkappte faschistische Erneuerungen Krieg, Leiden und Mangel unter einem Zwangssystem; kurz, dass sie auf Katastrophenpolitik hinauslaufen, so wird sie das tiefer beeindrucken als der Verweis auf Ideale oder selbst der auf das Leid der anderen, mit dem man ja, wie schon La Rochefocauld wusste, immer verhältnismäßig leicht fertig wird. So vergessen aber sind Stalingrad und die Bombennächte trotz aller Verdrängung nicht, dass man den Zusammenhang zwischen einer Wiederbelebung der Politik, die es dahin brachte, und der Aussicht auf einen dritten Punischen Krieg nicht allen verständlich machen könnte.«
Die Bombennächte und ihre Wirkungen sind zwar verdrängt, jedoch nicht vollständig und dauerhaft, und die vorgebliche Aufarbeitung knüpft an die Latenz des Verdrängten an.
Alle drei Typen verbindet die fehlende Reflexion auf die vollendete Schäbigkeit des deutsche Volkes nach 1945. Deswegen kann es so verbissen an den Wiederaufbau, den nächsten immer noch andauernden Versuch, gehen:
In der Genese des Wirtschaftswunders sind dies die einigermaßen identifizierbaren Faktoren gewesen. Der Katalysator aber war eine rein immaterielle Dimension: der bis heute nicht zum Versiegen gekommene Strom psychischer Energie, dessen Quelle das von allen gehütete Geheimnis der in die Grundfesten unseres Staatswesens eingemauerten Leichen ist, ein Geheimnis, was die Deutschen in den Jahren nach dem Krieg fester aneinander band und heute noch aneinander bindet, als jede positive Zielsetzung, im Sinne etwa der Verwirklichung der Demokratie, es jemals vermochte. Vielleicht ist es nicht verkehrt, an diese Zusammenhänge gerade jetzt (1997) zu erinnern, da das zweimal bereits gescheiterte großeuropäische Projekt in eine neue Phase eintritt und der Einflussbereich der D-Mark - die Geschichte hat eine Art, sich zu wiederholen - ziemlich genau so weit sich ausdehnt wie im Jahr 1941 das von der Wehrmacht besetzte Gebiet.
Sebald schließt mit einer Beschreibung des britischen Bombenkriegs - allerdings nicht im Sinne einer Debatte unter Deutschen nach 1945, die sich angesichts der begangenen Verbrechen keineswegs Urteile über militärpolitische Entscheidungen der Alliierten erlauben konnten, da noch dazu die tatsächlichen Pionierleistungen im Bombenkrieg - Guernica, Warschau, Belgrad, Rotterdam - von den Deutschen vollbracht wurde: Und wenn wir an die Brandnächte von Köln und Hamburg und Dresden denken, dann sollten wir uns auch in Erinnerung rufen, dass bereits im August 1942, als die Spitzen der sechsten Armee die Wolga erreicht hatten und nicht wenige davon träumten, wie sie nach dem Krieg in den Kirschgärten am stillen Don auf einem Landgut sich niederlassen wollten, die Stadt Stalingrad, die zu jenem Zeitpunkt wie später Dresden von Flüchtlingsströmen angeschwollen war, bombardiert wurde von zwölfhundert Fliegern, und dass dort während dieses Angriffs, der Hochgefühle auslöste unter den am anderen Ufer stehenden deutschen Truppen, vierzigtausend Menschen ihr Leben ließen.
Der Ausgangspunkt für Sebald war die Diskussion in England. Diese umfasste, wie Sebald es skizziert, zwei wesentliche Punkte. Der erste, ethischer Natur, war die Frage des Umgangs mit dem Feind anhand des area bombing, über die in England, was für den Grad an Zivilisiertheit dieses Landes spricht, gestritten wurde. In diese Diskussion mischte sich mutmaßlich auch ein schlechtes Gewissen, Folge des Erschreckens über die Härte, die man hat anwenden müssen, um den Nationalsozialismus militärisch niederzuringen. Der zweite Aspekt war die Frage, ob die Methode des area bombing, die, bei in ihrer Effektivität umstrittenen militärischen Erfolgen, eine enorm hohe Anzahl an Toten verursachte und ganze Generationen junger Männer im Feuer ihrer von deutschen Flak abgeschossenen Flugzeugen verheizte, angemessen war.
Zweifellos gab es für das isolierte England 1942 keine andere Möglichkeit als den Luftkrieg, doch spätestens ab 1943 war der Verlauf des Zweiten Weltkrieg maßgeblich von der Erfolgen der Roten Armee und später der US-amerikanischen Truppen im Westen und im Süden abhängig, der Luftkrieg verlor seine herausragende militärische Bedeutung. Eine Veränderung der Strategie war jedoch schwierig. Die Kriegsproduktion war auf Flächenbombardements umgestellt worden, das einmal hergestellte Material, die Maschinen und ihre wertvolle Fracht, einfach ungenutzt auf ostenglischen Flugfeldern liegen zu lassen, dagegen sträubt sich der gesunde Wirtschaftsinstinkt.
Eher nicht. Die Deutschen standen den Bombardements mit einer stillen Faszination gegenüber, empfanden sie als eine Art metaphysische Prüfung. Empfänglich für die Botschaft des moral bombing waren eher Deutsche, die schon nicht mehr in Deutschland weilten, wie Thomas Mann, der die Bombardierung seiner Heimatstadt Lübeck kommentierte: »Ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.«
Und weil ich unter dem Gelben Stern In Deutschland geboren bin Drum nahmen wir die englischen Bomben Wie Himmelsgeschenke hin.
Doch die historische Spezifik vergeht und verändert sich, und Bombenstoßgebete taugen inzwischen als Polit-Performance im Rahmen deutscher Selbstbezüglichkeit. Auch ist der Bombenkrieg kein Produkt eines deutschen Opferdiskurses, sondern ein außerhalb des Diskurses angesiedelter Gegenstand. Doch vielleicht ist es der Kunst vorbehalten, auf Entscheidungen, die politisches Handeln erfordert, verzichten zu können. In dieser Art argumentiert auch Sebald, den nicht eine sogenannte Verortung im Feld der politischen Diskurse interessiert, sondern die Geschichte der Gewalt im 20. Jahrhundert. Diesen Zusammenhang fasste Bertolt Brecht 1944 in die Verse:
Den Weltzerstörern einst entgegenröhrten. Und unsere Städte sind auch nur ein Teil Von allen Städten, welche wir zerstörten. Erfahrung und Erzählung
Doch was hat die Literatur mit dem Luftkrieg zu tun? Die Notwendigkeit einer literarischen Bearbeitung der Erfahrung der Bombardements ergibt sich aus dem Versagen der Alltagssprache bei ihrem gleichzeitigen scheinbaren Weiterfunktionieren. Das anscheinend unbeschadete Weiterfunktionieren der Normalsprache in den meisten Augenzeugenberichten ruft Zweifel herauf an der Authentizität der in ihnen aufgehobenen Erfahrungen.
Das Aufkommen des Jargons - »an jenem furchtbaren Tag, an dem unsere schöne Stadt dem Erdboden gleichgemacht wurde«, »ein Raub der Flammen«, »die verhängnisvolle Nacht«, »die Hölle«, »das Inferno« oder »das furchtbare Schicksal der deutschen Städte« - sei ein Zeichen der Abwehr der Erinnerung. Sebald zieht daraus folgenden Schluss:
Da ist die herrliche Welt unserer Berge, das unbeschwert auf der Schönheit der Heimat ruhende Auge, das heilige Christfest, der Schäferhund Alf, der sich freut, wenn Frauchen von Dorle Breitschneider zum Spaziergang abgeholt wird; von unserem damaligen Leben und Empfinden wird berichtet, von einem schönen Begegnen bei Kaffee und Kuchen, die in Hof und Garten schaffende Omi findet mehrfach Erwähnung, und man hört von verschiedenen Herren, die zum Essen und gemütlichen Beisammensein gekommen sind; Karl ist in Afrika, Fritz im Osten, Bübchen springt als Nackedei im Garten herum; unsere Gedanken sind jetzt vor allem bei den Soldaten in Stalingrad; Omi schreibt aus Fallingbostel, Vati ist in Russland gefallen; man hofft, dass die die Grenze der Steppenflut standhalten wird und so weiter und so fort.
Berichte, die sich vor allem durch die Abwesenheit von bewusst gemachter Erfahrung, von Bewusstsein überhaupt auszeichnen. |
In einer Passage beschreibt Sebald einen Bombenangriff der Royal Air Force auf Hamburg. Die Erfassung der technischen Dimension anstelle schiefer Landschaftsmetaphorik ist wesentlich, denn was dem Einzelnen als irrational erscheinen mag, hat doch eine inhärente, und sei es nur technische Logik: |
Was Sebalds Interesse weckte und das Zentrum seiner Poetik ist, nannte er die Darstellung der Naturgeschichte der Zerstörung. Naturgeschichte ist ein historischer Prozess, der sich nicht unter den selbstgesetzten Zwecken der Menschheit vollzieht.
Es zeigt sich, dass Sebalds Argument, dass es keine Literatur zum Luftkrieg gebe, nicht quantitativ gemeint ist, sondern in erster Linie qualitativ in Abgrenzung gegen die staatstragende Literatur nach 1945 und die Lüge der Alltagssprache, denn es gibt, von den Tagebüchern Victor Klemperers bis zu Gedichten, Erzählungen, Berichten von Bertolt Brecht, Wolf Biermann, Stephan Hermlin, Alexander Kluge, Hans Magnus Enzensberger und anderen, auch jüngere Versuche wie Heike Schmitz’ »Unsereiner Kriegsundführerkinder«, Zeugnisse von literarischer Qualität zum Luftkrieg. Den Maßstäben der Poetik Sebalds aber, die der Entsetzensstarre des Benjaminschen Engels der Geschichte ähnelt, dem Blick eines lidlosen Auges auf die Katastrophe in Permanenz gerichtet, wurde vieles nicht gerecht. Doch wird Sebalds These vom Schweigen der Literaten zumeist geteilt, wenn auch mit abweichender Intention.
So formulierte Klaus Harpprecht 1998 in der FAZ eine Erklärung für das Ausbleiben tauglicher Literatur, die die Erfahrungen des Luftkriegs artikulieren kann, exemplarisch wie folgt:
Doch wie weiter mit der Scham?
Auch Sebald beschäftigte die Frage, wie aus Menschen Deutsche und wie möglicherweise aus Deutschen Menschen werden können. Im November 2001, kurz vor seinem Tod, erzählte er im Gespräch mit dem Spiegel, dass er an der Erkundung der éducation sentimentale des faschistischen Subjekts, des deutschen Kleinbürgertums, arbeiten wolle. |