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Emil Nolde:
Eine
deutsche
Legende








Der Führer ist gross & edel
in seinen Bestrebungen,
und ein genialer Tatmensch.







Adam und Eva sinnieren im "Verlorenen Paradies" 1921 darüber, wies weitergeht.

Ihr Schöpfer weiß es auch nicht.

Emil Nolde will Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin reüssieren. Der expressionistische Neuerer kommt mit dem einflussreichen deutschen Kunsthändler Paul Cassirer in Kontakt, Jude. Nolde fühlt sich nicht anerkannt, er wittert Boykott. In Briefen lässt er seiner Verbitterung und seinen Verschwörungstheorien freien Lauf: Den Namen des Kunsthändlers schreibt er meist falsch: "Cassierer" und sagt damit: Der Mann gehört zum "raffenden" Judentum, das sich angeblich auf Kosten und zum Nachteil der germanischen Deutschen bereichert.

Nolde, 1867 geboren, Bauernsohn, soll schon als Kind mit Holunder- und Rote-Bete-Farben Scheunentore bemalt haben. Zum Schnitzer ausgebildet, arbeitet er an wechselnden Orten in Deutschland und der Schweiz. Stets auf der Suche nach seiner Malerbestimmung. Als ihn die Münchner Akademie der Künste 1898 nicht aufnimmt, fühlt er sich ausgeschlossen.
Er sieht sich selbst als den heroischen Künstler, den man ob seiner genialen Größe verkennt. Er giert nach Anerkennung und tut doch so, als sei er in seiner Kunsteinsamkeit nicht auf sie angewiesen. Er verklärt das Leben auf dem flachen Land seiner Herkunft, pendelt zwischen seinem festungsartigen Haus Sebüll an der Grenze zu Dänemark und der Hauptstadt Berlin mit ihren Aufschneidern und Konjunkturrittern.
Zögernd folgt er Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff, tritt der Künstlervereinigung Brücke bei, die er bald wieder verlässt. Als die Berliner Secession 1910 die Aufnahme eines seiner Gemälde in eine Ausstellung ablehnt, sieht er in deren Präsidenten Max Liebermann den Drahtzieher. Er spricht das in einem Pamphlet öffentlich aus und wird – gegen die Stimme von Liebermann – aus der Secession ausgeschlossen. Nun ist alles klar. Es sind Menschen wie der aus einer reichen Industriellenfamilie stammende deutsche Jude Liebermann, die das Deutsche bekämpfen:
"Wir deutschen Künstler durften nichts gelten. Im deutschen Volk regte sich niemand, dies erkennend. Mir schon früh kochte das Blut in Erregung, bis dann meine Auflehnung und die schweren Kämpfe folgten."
Und noch deutlicher sein Brief von 1911: "Die Führer der Sezessionen Liebermann, Corinth, Pechstein, Segal sind Juden, die Kunsthändler alle sind Juden, die führenden Kunstschriftsteller und Kritiker sind es auch, die ganze Presse steht ihnen zur Verfügung und auch die Kunstverleger sind Juden. Die Malerjuden sind geschickt, oft intelligent immer aber rührig u. geschwätzig. Allerdings nur in Berlin ist es ganz so, aber die Bewegung streckt ihre schlängelnden langen Arme schon übers ganze Land hinaus, ganz wie die Schwammwucherung hier unter dem rotgestrichenen Boden in unserer kleinen trauten Stube."
1933 wird der Mann, der verspricht, Deutschland von dieser Schwammwucherung zu befreien, Reichskanzler - und Ehepaar Nolde ist begeistert. Beide schreiben enthusiastische Briefe: Endlich würde alles gut, Nolde Staatskünstler werden. Als sie im Münchner Löwenbräukeller an einem Festessen teilnehmen und Hitler reden hören, schreibt Nolde: "Wir sahen u. hörten den Führer zum erstenmal, im Hoffen u. Wünschen für unser geliebtes Deutschland alle einig. Der Führer ist groß u. edel in seinen Bestrebungen und ein genialer Tatmensch."
1933 entwirft der Maler einen "Entjudungsplan", den er Adolf Hitler vorlegen will und denunziert seinen "Brücke"-Kollegen Max Pechstein. Nolde schlägt eine territoriale Lösung vor, um Deutschland von den Juden zu befreien. Hauptsache, raus aus dem Land. Und in den späten Zwanzigerjahren beginnt der Maler mit seinen Behauptungen, ebendiese Juden seien ihm, dem ewig verkannten, urdeutschen Genie, dem Kunstmärtyrer, die Hauptgegner gewesen: die gesamte, angeblich jüdisch dominierte Kunstszene.
Die "Reifen Sonnenblumen" (siehe unten) hängen bis 1937 im Nolde-Saal der Berliner Nationalgalerie. Einem ihrer Mitarbeiter geling es, das Bild in die Münchner Privatwohnung des NSDAP-Auslands-Pressechefs Ernst Hanfstaengl zu schleusen, wo Hitler sie bei einem Besuch sieht. Der Führer sagt nichts dazu, was Nolde als gutes Omen nimmt.



Doch Nolde hat sich getäuscht. Hitler: "Nolde, das Schwein. Was er macht, sind doch immer Misthaufen." In der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 ist Nolde mit 48 Werken vertreten.



1941 wird gegen ihn ein Berufsverbot verhängt.
Paradox: Ehepaar Nolde feiert die Erfolge der Deutschen Wehrmacht, hisst die Hakenkreuzfahne auf dem Dach von Seebüll und schreibt Freunden immer wieder, welche Freude es für sie sei, im Radio Hitlers Redetiraden live verfolgen zu können. Bis in die letzten Tage des Krieges bleibt Nolde ein überzeugter Anhänger der Nazis. 1934 ist er in die NSDAP eingetreten.
Nolde 1943 an seine Frau Ada (Pastorentochter aus Dänemark): Eine Handvoll Juden hinter den Regierungen schürt und finanziert diesen weltumspannenden grausamen Krieg.



Und dann?
Dann hängen seine Bilder im Büro der Bundeskanzler Schmidt, Kohl und Merkel. Er schien vielen als einer, der sich von der NS-Ideologie zwar anfechten ließ, ihr bald aber entsetzt den Rücken kehrte und deswegen vom Regime verfolgt wurde. In seinen autobiografischen Büchern hätte man aber schon 1945 mühelos nachlesen können, wie völkisch und antisemitisch Nolde sein Leben lang war. Doch offensichtlich wollte das niemand wissen.




Die Gemälde Blumengarten (Thersens Haus 1915) und Brecher (1936) aus dem Kanzlerbüro

Die Biografie-Klitterung beginnt. Nolde entfernt aus seinen Büchern das Schlimmste, fordert belastende Brief zurück, erfindet neue Details – etwa Gestapo-Besuche, die es nie gab. Kunsthistoriker und Museumsmacher stürzen sich auf Nolde, bauen die Legende vom einsam-widerständigen Emil Nolde aus. Mancher von ihnen wohl auch, um seinem eigenen Leben vor 1945 eine neue Deutung zu geben.
1967, an Noldes 100. Geburtstag gelingt Walter Jens das für den Nolde-Mythos wichtige dialektische Kunststück, Nolde zum heimlichen Mitbegründer des besseren Deutschland zu machen. Und zwar ohne seine NS-Begeisterung, seine antithetisch-rohe Ideologie herunterzuspielen. Es sei, so Jens, der Maler Nolde, der den Ideologen Nolde dementiert. "War nicht mit jeder Zeichnung und mit jedem Aquarell übermalt worden, was im ‚Eigenen Leben‘ und in den ‚Jahren der Kämpfe‘ als chamberlainscher Dogmatismus erscheint?"
Mit dem Schlüsselwort übermalen versteigt sich Jens zu der haltlosen These: "Ein deutscher Maler, der Jahrhunderte nach der Dürerzeit eine zweite germanische Renaissance einleiten wollte, wurde zum Todfeind der Nationalsozialisten."
Und es geht weiter:
Ein Jahr nach Jens’ Thesen erscheint 1968 Siegfried Lenz’ Roman Deutschstunde, sofort Bestseller und TV-Millionenerfolg. Eine der Hauptfiguren, der verfemte, mit Malverbot belegte Künstler Max Ludwig Nansen, ist offensichtlich Nolde nachempfunden. Die Sympathien des Lesers fliegen ihm zu. Denn der greise Nansen harrt stolz in seiner ländlichen Isolation aus und wagt es in seinem nordischen Widerstandsgeist, in einer kleinen, verborgenen Kammer weiter zu malen: "unsichtbare Bilder".
Emil Nolde wird ein weiteres Mal zum Heros erklärt. Helmut Schmidt schreibt dem Autor, er habe das Buch mit tiefer inniger Zustimmung gelesen. Und fügt hinzu: Noldes Einreihung "in die NS-Ausstellung sogenannter entarteter Kunst löste bei mir als damals Siebzehnjährigem den Bruch mit dem Nationalsozialismus aus".
Als Bundeskanzler staffiert er sein Büro mit Nolde-Bildern aus und lässt an der Tür das Schild mit der Aufschrift 'Nolde-Zimmer' anbringen.
Wie konnte das alles sein? Dass der Künstler nach dem Krieg die Drehung schafft und plötzlich dasteht wie ein Opfer, ein Widerständler, der trotz des "Malverbots" unbeirrt und im Geheimen weitergearbeitet und sich nie angepasst hatte?

Der Ausstellung "Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus" in der Neuen Galerie im Hamburger Bahnhof in Berlin, gestartet April 2019, ist zu verdanken, der Nolde-Legende nachhaltig ein Ende bereitet zu haben.

Dort ist neben vielen - entlarvenden - Fundstücken auch ein Silberleuchter samt Glückwunschkarte von 1937, als Nolde 70 wird, zu sehen, auf die Verehrer schrieben, seine Kunst diene dem Vaterland zum hohen Ruhme.
Die Ausstellung ist ein Abschied vom reinen Feiern der Kunst der klassischen Nolde-Ausstellungen, in denen Besucher einfach nur schwelgen konnten in der Pracht der Farben. Es ist der Abschied von einer Künstlerlegende, der Abschied vom "Malverbot" und den "Ungemalten Bildern". Es ist der Anfang, Nolde neu zu sehen.
Jahrzehntelang hing das Schweigen über dem abgeschiedenen Seebüll in Schleswig-Holstein, über den Weiden, dem Künstlerhaus, dem leuchtenden Garten, dessen Blumen Nolde so oft gemalt hatte. Es war das bleierne Schweigen der Nachkriegszeit. Wissenschaftler von außen bekamen keinen Einlass.

2014 schreibt die NZZ:
Ja, Nolde war antisemitisch, Nationalsozialist, Parteimitglied. Aber die meisten der deutschen Volksgenossen haben sich ähnlich verhalten. Man stösst bei Nolde auf deutsches – und nicht nur deutsches – Urgestein. Auch Heideggers vieldiskutierter Antisemitismus gehört in diesen Zusammenhang. Lässt man dieses Urgestein beiseite, wird aus dem Fall Nolde eine private ideologische Verblendung.
Andererseits muss man auch das Vorurteil ausräumen, die künstlerische Avantgarde Europas sei mehrheitlich politisch progressiv gewesen. Franz Marc entwickelte sich ab 1912 vom Fürsprecher einer deutschen Kunst zum kriegsbegeisterten Chauvinisten, der Europa durch den Krieg vom kranken Blut reinigen wollte, Paul Klee zog sich in eine realitätsferne Metaphysik zurück, und die Futuristen waren in ihrer Mehrheit misogyne Verherrlicher des Krieges.

Quellen: Thomas Schmid in WELT, Renate Meinhof in Süddeutsche u.a







Sünderin


Reife Sonnenblumen




Altes Bauernpaar


Gaut der Rote


Herrin und Fremdling


Kriegsschiff und brennender Dampfer