2. Golfkrieg
Folgenschwerster
und
zerstörerischster Krieg der modernen Geschichte





Wie man die Welt betrügt

1980, im zweiten Jahr seiner Präsidentschaft, beginnt Saddam Hussein einen Krieg gegen den Iran – den ersten Golfkrieg. Als kurdische Kämpfer mit iranischer Untersützung im Norden des Landes aktiv werden, lässt Saddam 1988 über Halabdscha Giftgas abwerfen. 5.000 Zivilisten kommen um. Waffenstillstand. Hunderttausende Iraker und Iraner sind in den acht Kriegsjahren gestorben. Irak ist ruiniert.



Einziges Mittel, um das Niveau der fetten 1970er Jahre im Irak wieder zu erreichen, sind Öleinnahmen. Kuwait widersetzt sich dem, weil steigende Produktion den Ölpreis drücken könnte. Im August 1990 überfällt Saddam Hussein Kuwait – aus Sicht der USA, Großbritanniens, Saudi Arabiens und anderer Staaten Bedrohung der eigenen Wirtschaftsinteressen.
Die UN erklärt die Annexion Kuwaits für völkerrechtswidrig und beschließt harte Sanktionen gegen den Irak. Im besetzten Territorium geht die Armee Saddams äußerst brutal vor, plündert und verschleppt zahlreiche Kuwaitis, die spurlos verschwinden. Einige hundert westliche Ausländer lässt Saddam als Geiseln nehmen.



Der ins Ausland geflohene kuwaitische Emir will die Weltöffentlichkeit für sich gewinnen. Die US-Werbefirma Hill and Knowlton startet eine sensationelle Medienkampagne: Irakische Soldaten hätten Brutkästen aus kuwaitischen Krankenhäusern gestohlen und über 300 Frühgeborene sterben lassen. Die Weltöffentlichkeit ist schockiert. Unter dem Eindruck wendet sich die Stimmung in den USA und im UN-Sicherheitsrat für eine militärische Intervention am Golf. Die UNO fordert den Irak unter Androhung militärischer Gewalt ultimativ auf, bis zum 15. Januar 1991 Kuwait zu räumen. Ein Jahr später, nach Ende des Golfkriegs, entlarven Journalisten die Geschichte der getöteten Brutkastenbabys als Lüge. Die fünfzehnjährige Nijirah al-Sabah, die als angebliche Krankenschwester unter Tränen vor dem US-Kongress von den Säuglingsmorden berichtete, war die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA. Ein angeblicher Chirurg, der als Zeuge vor den Vereinten Nationen auftrat, war in Wahrheit Zahnarzt und gestand später ein, gelogen zu haben.



Krieg

Die US-Truppen stellen 3/4 der 660.000 Soldaten auf dem Kriegsschauplatz. Einige wenige Bündniskräfte willigen nur zögernd ein, einige andere meinen, der Krieg sei eine innerarabische Angelegenheit, wieder andere befürchten eine Erhöhung des amerikanischen Einflusses in Kuwait. Deutschland (steuert 17 Milliarden DM bei) und Japan stellen keine Soldaten, leisten aber erhebliche finanzielle Beiträge und liefern militärisches Material.
- 85.000 bis 150.000 irakischen Kriegstote
- 40.000 Menschen aus Kuwait verschleppt
- 100.000 Luftangriffe
- US-Truppen in Panzern vergraben mit aufmontierten Schaufeln Tausende von irakischen Soldaten bei lebendigem Leib im Sand



15.000 bis 30.000 Kurden und Schiiten sterben auf der Flucht vor dem Krieg.
US-Senat kommt zum Ergebnis, dass der Irak im Golfkrieg 1991 einen "Cocktail" aus biologischen und chemischen Waffen eingesetzt habe. Dadurch sei das "Golf-Syndrom", ein rätselhaftes Leiden, an dem nach dem Krieg Tausende von Militärangehörigen erkrankt sind, zu erklären. Der Export von Bakterienkulturen aus den USA in den achtziger Jahren habe die Produktion derartiger Waffen ermöglicht.

Bewertung

- Schwerster Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges
- Ungewöhnlich asymmetrische Verteilung der Kriegsopfer (ca. 250 gefallene Alliierten-Soldaten, ca. 150.000 Iraker)
- Massivste Umweltschäden durch den Einsatz von Giftgasmunition und die Vernichtung von irakischen Giftgasfabriken
- Umfassende Verminung
- Umfassende Kriegseinwirkungen auf kuwaitischem Boden
- 727 brennende Ölquellen
- Hoher Grad an mittelbaren Umweltschäden durch Geschosse mit abgereichertem Uran
- Großflächige Verseuchung des nördlichen Teils des Persischen Golfs
- Gefährdung der Trinkwasserversorgung durch Entsalzungsanlagen in Kuwait und Saudi-Arabien wegen der Meeresverseuchung
- Kriegsberichterstattung unter vollkommener Zensur durch US-Militärs







All diese schönen Orden bekommt Stormin’ Norman, der Oberkommandierende der Alliierten, dafür.

Folgen

- Dramatischer Anstieg von Lungekrebs und anderen Atemwegserkrankungen. Ursache: Giftiger Rauch, der fast sechs Monate über der Region hängt, bis die brennenden Ölfelder gelöscht sind
- Schwerste Zerstörungen der irakischen Transport- und Telekommunikationsinfrastruktur
- Rückkehr des kuwaitischen Herrschers und - trotz vorheriger gegenteiliger Versprechungen - Wiedererrichtung des undemokratischen Regimes (Platz 121 im Demokratieindex von 167 Ländern)
- Hunger und Not unter der irakischen Zivilbevölkerung, hohe Säuglings- und Kindersterb-lichkeit
- Jahrelange kostspielige Stationierung amerikanischer Truppen im Irak
- 2003 bis 2011 Bürgerkrieg, tausende Terroranschläge, Kriegshandlungen und Gewaltkrimi-nalität, lokale Gruppen gegeneinander als auch gegen die westlichen Besatzungstruppen
- 2010 Abzug des größten Teils der ausländischen Truppen
- 2014 erobert IS etwa 15% des Staatsgebietes



Der Krieg prägt bis heute das Verhältnis der islamischen Welt zum Westen: Er vertieft die Gräben zwischen den Kulturen – denn die amerikanischen Stiefel auf heiligem saudischen Boden haben den Zorn der muslimischen Massen erregt. Sie stärken die islamistischen Bewegungen und spielen insbesondere der Al-Kaida Osama Bin Ladens in die Hände.
Historiker Herfried Münkler:
"Ja, das ist ein Faktor, den die Amerikaner sicherlich unterschätzt haben, dass dieser Krieg eben nicht nur ein Krieg zur Wiederherstellung des selbstständigen Kuwait und der Wiedereinsetzung der dortigen Herrscherfamilie war, sondern zugleich ein transkultureller Krieg. Sie haben unterschätzt, dass sie dadurch eine Spur der Verletzung hinterlassen, aus der dann die zweite Welle des Dschihadismus erwachsen ist."



Es war dann das monströse Verbrechen vom 11. September 2001, das die Welt 10 Jahre nach dem zweiten Golfkrieg förmlich aus den Angeln hebt: George W. Bush, der Sohn jenes Präsidenten, der beim Waffengang gegen den Irak so sehr auf die Einhaltung des Völkerrechts geachtet hat, bricht 2003 einen weiteren Krieg gegen Saddam Hussein vom Zaun – einen Feldzug, der sich durch nichts rechtfertigen lässt, weil er auf Lügen basierte, wie sich später herausstellt. Außenminister Joschka Fischer verweigert der US-Führung die Gefolgschaft: es gebe keine Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak, ein Krieg sei der Öffentlichkeit deshalb nicht vermittelbar.
Statt einer breiten Anti-Saddam-Front – wie noch 1990 – kiommt 2003 nur eine mühsam zusammengezimmerte Koalition der Willigen zustande, die nicht die Rückendeckung des Weltsicherheitsrates hat – und folglich auch nicht legitimiert ist. Der Krieg des 43. Präsidenten der USA,
George W. Bush, gilt als Sündenfall einer arroganten Machtpolitik: Er hat das Vertrauen in die Weltmacht USA zerstört und die Weltgemeinschaft gespalten – mehr noch: Es ist dieser dritte Golfkrieg, der den Nahen Osten ins tiefste Chaos stürzte und dazu beitrug, dass dort bis heute Gewalt und Terror herrschen.

Bilanz

Alle Interventionen von außen sind gescheitert – gescheitert das Konzept von der Durchsetzung des Völkerrechts, der internationalen Zusammenarbeit und Verständigung im Zeichen einer neuen Weltordnung. Gescheitert das Konzept einer Demokratisierung unter militärischem Zwang. Gescheitert aber auch die Versuche, die autoritären Regime von innen heraus zu stürzen, um die Länder aus eigener Kraft zu reformieren. Die arabische Welt liegt in Scherben und hat den wirtschaftlichen und sozialen Anschluss an die internationale Staatengemeinschaft weitgehend verloren.

In Libyen und Syrien toben Bürgerkriege, in Ägypten herrscht wieder ein krudes Militärregime, von einem Friedensprozess im Nahen Osten kann keine Rede sein. Stattdessen schockiert das Terrorregime des IS die Weltöffentlichkeit mit immer brutaleren, noch unmenschlicheren Gewaltverbrechen. Immer mehr Menschen entschließen sich zur Flucht. Die ganze Region befindet sich in einer tiefen Krise.
Das sind die Lehren aus der jüngsten, 30-jährigen Geschichte des westlichen Engagements im Nahen Osten: Die USA ziehen sich erschöpft und frustriert von dort zurück – auch aus Syrien. Die UNO ist blockiert und nur dann handlungsfähig, wenn niemand Veto einlegt. Die Welt ist mit anderen Krisenherden beschäftigt und sucht nach Orientierung in der konfliktträchtigen multipolaren Weltordnung. Der Nahe Osten ist zu einer europäischen Herausforderung geworden – doch damit ist Europa hoffnungslos überfordert.

Wir Europäer müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen wollen und können uns nicht mehr darauf verlassen, dass uns die USA an der Hand nehmen und wir ihnen hinterher für das Scheitern die Schuld zuweisen. Wir müssen uns jetzt auf unsere eigenen Kosten blamieren.







Der vergessene Krieg gegen Iraks Zivilbevölkerung
Kriegsverbrechen Atombomben