ZEEMAN: Sie sammeln Fotos?
SEBALD: Das tue ich. Schon seit Jahren. Alles, was mir über den Weg läuft, lege ich in eine Schachtel, aber ich habe auch eine kleine billige Kamera. Es sind diese unwahrscheinlichen Dinge, auf die man stößt, und wenn man sie nicht festhalten kann, wird einem niemand glauben, also ist es ziemlich nützlich, dieses Werkzeug zu haben.
ZEEMAN: Ein letzter Punkt zu der Geschichte von Ringe des Saturn: dieses Durchstreifen der Landschaft, das gleichzeitig ein Durchstreifen der Landschaft und ihrer Geschichte ist, es ist, als ob es diese konzentrische Bewegung der Saturnringe hat. Das ist natürlich die Idee, aber es ist auch, als ob es eine Spiralbewegung wäre.
SEBALD: Ja, abwärts.
ZEEMAN: Abwärts und zu einer Art Zentrum.
SEBALD: Ja, das ist richtig. Es gibt irgendwo einen spiralförmigen Strudel, und ich glaube, in den meisten meiner Texte wird zumindest schemenhaft deutlich, dass das dunkle Zentrum dahinter die deutsche Vergangenheit zwischen 1925 und 1950 ist, aus der ich komme. Ich wurde 1944 in einem idyllischen, vom Krieg unberührten Ort geboren, aber wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, kann ich nicht davon abstrahieren, dass ich weiß, was vor allem in diesem letzten Kriegsjahr geschah - die Bombardierung meines Heimatlandes, die Deportation von Menschen aus Rhodos oder Sizilien oder Gott weiß wohin, an die schrecklichsten Orte, die man sich vorstellen kann. Die Allgegenwärtigkeit dieses Ereignisses und die Tatsache, dass es nicht nur an einem oder zwei Orten geschah, sondern fast in ganz Europa, sowie die katastrophalen Ausmaße sind etwas, das ich, obwohl ich Deutschland mit einundzwanzig Jahren verlassen habe, immer noch in meinem Rucksack habe, und ich kann es einfach nicht weglegen. Und ich habe den Eindruck, dass sich der Strudel der Geschichte auf diesen Punkt zubewegt hat und dass wir das irgendwie anerkennen müssen.
ZEEMAN: Aber dann die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden, den Geschichten eine Kontinuität zu geben, ist das eine Würdigung des verpassten Teils? Oder ist das eine sehr düstere Vision unserer kollektiven Geschichte.
Amsterdam 23. Juni 1998
Ausschnitt eines Interviews
(Gesamttext in W.G. Sebald: History, Memory, Trauma.
Edited by Scott Denham and Mark McCulloh)