Langsam bewegte sich der Zug aus dem Bahnhof Liverpool Street hinaus,
vorbei an den rußigen Ziegelmauern, die mir wegen der in sie eingelassenen Nischen immer wie Teile eines weitläufigen und hier an die Oberfläche tretenden Katakombensystems vorgekommen sind. Aus den Fugen und Rissen des im letzten Jahrhundert fertiggestellten Mauerwerks sind im Verlauf der Zeit zahlreiche Schmetterlingssträucher gewachsen, die ja bekanntlich mit den ärmlichsten Bedingungen vorliebnehmen. Als ich im Sommer auf dem Weg nach Italien zuletzt an diesen schwarzen Wänden vorbeigefahren war, standen die spärlichen Gewächse gerade ein bißchen in Blüte. Und beinah hätte ich meinen Augen nicht trauen wollen, wie ich, während der Zug vor dem Signal wartete, von einer Staude zur anderen, bald oben, bald unten, bald links, immer in Bewegung, einen Zitronenfalter sich herumtreiben sah. Aber das war schon wieder Monate her, und die Erinnerung daran entsprang, wie ich mir nun sagte, möglicherweise nur meinem Wunschdenken. Hingegen war nicht zu zweifeln an der Wirklichkeit meiner armen Mitreisenden, die am frühen Morgen alle frisch geputzt und gestriegelt aufgebrochen waren, jetzt aber gleich einer geschlagenen Armee in ihren Sitzen hingen und, ehe sie ihren Zeitungen sich zuwandten, mit blind bewegungslosen Augen auf die Vorhöfe der Metropole hinausstarrten. Wo die Häuserwüste weiter sich auftat, erhoben sich in der Entfernung drei ganz und gar eingerüstete, von wabernden grünen Blachen umgebene Wohntürme, und noch viel weiter draußen, vor dem lichterlohen Himmelsstreifen am westlichen Horizont, wallte aus der die gesamte Stadt überziehenden blauschwarzen Wolkendecke wie eine ungeheure Trauerfahne ein Regenschauer herab. Als der Zug die Gleise wechselte, konnte ich einen Blick zurück tun auf die alles bei weitem überragenden, in ihrem obersten Bereich von dem aus Westen flach einfallenden Licht vergoldeten Wunderbauten der City. Die Vorstädte trieben vorbei - Arden und Maryland -, und bald gewannen wir das offene Land. Der westliche Horizont begann zu erlöschen. Schon senkten die Abendschatten sich über die Hecken und Felder. Ich blätterte ein wenig in der Dünndruckausgabe - Everyman's Library 1913 - des Tagebuchs von Samuel Pepys, die ich am Nachmittag erstanden hatte. Willkürlich las ich hier ein Stückchen und da in dem über eineinhalbtausend Seiten sich ausbreitenden Zehnjahresbericht, bis der Schlaf mich ankam und ich dieselben paar Zeilen wieder und wieder entziffern mußte, ohne sie doch verstehen zu können. Dann träumte mir, daß ich durch eine bergige Gegend gegangen bin. Lang zog sich die mit feinem weißem Schotter bedeckte Straße in endlosen Kehren durch die Wälder hinan und hinauf und führte zuletzt auf der Höhe des Passes durch einen tiefen Einschnitt auf die andere Seite des Gebirges hinüber, das, wie ich im Traum wußte, die Alpen gewesen sind. Alles, was ich von dort oben aus sah, war einerlei kalkfarben, ein helles, gleißendes Grau, in dem Myriaden von Quarzsplittern schimmerten. Dieses machte mir seltsamerweise den Eindruck, als zerstrahle der Stein. Von meinem Aussichtspunkt aus führte die Straße bergab, und in der Ferne erhob sich ein zweites, zumindest ebenso hohes Gebirge, das ich, wie ich ahnte, nicht mehr würde überwinden können. Zu meiner Linken ging es in eine wahrhaft schwindelerregende Tiefe hinab. Ich trat bis an den Rand der Straße, und es war mir bewußt, daß ich überhaupt noch nie in eine solche Tiefe hinabgeschaut hatte. Nirgends war ein Baum zu sehen, kein Strauch, kein Krüppelholz, kein Büschelchen Gras, sondern es war alles nur Stein. Die Schatten der Wolken liefen über die jähen Abhänge und durch die Schluchten. Nichts rührte sich sonst. Es herrschte die äußerste Stille, denn auch die letzten Spuren des Pflanzenlebens, das letzte raschelnde Blatt oder Rindenfetzchen waren längst verweht, und bloß das Gestein lag bewegungslos auf dem Grund. Als ein fast vergangenes Echo kehrten sodann in diese atemlose Leere die Worte zurück -
|
| Day Return I
Vorsichtig die Geleise sortierend
bewegt sich der Frühzug
|
|
Fragmente aus dem Bericht über das große Feuer von London. Ich sah es wachsen mehr und mehr. Es war nicht hell, es war ein grausig blutig böses Lohen, vom Wind getrieben durch die ganze Stadt. Zu Hunderten die toten Tauben auf dem Pflaster, das Federkleid versengt. Ein Haufen Plünderer in Lincoln's Inn. Die Kirchen, Häuser, Holz und Mauersteine, alles brennt zugleich. Am Gottesacker die immergrünen Bäume fangen Feuer. Ein rasend kurzer Fackelbrand, ein Krachen, Funkenstieben und Erlöschen. Des Bischofs Braybrookes Grab ist aufgetan. Ist dies die letzte Stunde? Ein dumpfer, ungeheurer Schlag. Wie Wellen in der Luft. Das Pulverhaus fliegt auf. Wir fliehen auf das Wasser. Um uns der Widerschein, und vor dem tiefen Himmelsdunkel in einem Bogen hügelan die ausgezackte Feuerwand bald eine Meile breit. Und ändern Tags ein stiller Aschenregen - westwärts, bis über Windsor Park hinaus. Ende
|
|
Die untergehende Stadt im Rücken
lese ich abends auf dem Heimweg |