Bruce Chatwin 1940 - 1989 Campo Santo S. 216ff Chatwin wurde geboren in einen Clan von Bauunternehmern, Architekten, Anwälten und Knopffabrikanten, die sich in der viktorianischen Ära solide Stellungen im gehobenen Mittelstand von Birmingham gesichert hatten, zu denen aber auch, wie das unter Auspizien des Hochkapitalismus kaum anders sein konnte, einige Glücksritter, Gescheiterte und sogar Straffällige gehörten.
Charles, der 1940 zum Marinedienst nach Chatham einberufene Vater, fuhr die Kriegsjahre hindurch als Kapitän eines Zerstörers zur See und trat zu Hause nur gastweise in Erscheinung, weshalb das Kind die erste Zeit seines Lebens mit der Mutter zusammen meist bei den Großeltern, Großonkeln und Tanten verbrachte, zwanglos hin- und herwechselnd in einem weitläufigen, quasi matriarchalischen Verband, der ihm weniger einen strikten Familiensinn als das Gefühl einer gewissen Stammeszugehörigkeit vermittelt haben muß und in dem allenfalls die Brüder der Mutter oder der Großmütter als männliche Leitbilder in Frage kamen. Einer dieser Onkel, der dem blauäugigen Geschwisterkind sehr zugetan war, gab dem Biographen zu Protokoll, daß Bruce von früh an alles bemerkt und mit dem Blick eines Forschers betrachtet habe. And I thought it important, so setzte er noch hinzu, that he should become articulate.
Als Schüler am Marlborough College, einer der hervorragendsten Bildungsanstalten des Landes, wo er eine wenig ruhmreiche Karriere durchlief, zeichnete Chatwin, nach eigenem Zeugnis, nur in der Schauspielerei sich aus,
brillierte insbesondere in weiblichen Rollen etwa von Noël-Coward-Stücken. Die ihm auf den Leib geschriebene
Kunst der Verwandlung, das Bewußtsein, stets auf der Bühne zu stehen, das Gespür für die publikumswirksame Geste, fürs Bizarre und Skandalöse, für das Schreckliche und das Wunderbare waren zweifellos Voraussetzungen der schriftstellerischen Befähigung Chatwins. Kaum weniger wichtig dürfte seine Lehrzeit im Londoner Auktionshaus
Sotheby’s gewesen sein, während der er Zugang erhielt zu Jen Schatzkammern der Vergangenheit und die ihm einen Begriff gab von der Singularität der Artefakte, vom Marktwert der Kunst, von der Bedeutung handwerklichen Könnens und der Notwendigkeit genauer, zügig durchgeführter Recherche.
Da war zum Beispiel ein Stück rotbraunen Fells, das, eingewickelt in Seidenpapier, in einer Pillenschachtel aufbewahrt
wurde. Nicholas Shakespeare vermerkt, daß dieses surreale Objekt ein Hochzeitsgeschenk war, das die Großmama erhalten hatte kurz nach der Jahrhundertwende von ihrem Vetter Charles Milward, einem Pfarrerssohn, der, einmal zu oft gezüchtigt, von zuhause ausgerückt und auf den Weltmeeren herumgefahren war, bis er Schiffbruch erlitt an der Küste von Patagonien. Nebst anderen unerhörten Unternehmungen sprengte er dort, in Puerto Natales, mit einem deutschen Goldwäscher zusammen eine Höhle, um die Überreste einer prähistorischen Kreatur, des sogenannten Riesenfaultiers oder Mylodons, zutage zu fördern. Von dem schwunghaften Handel, den er in der Folge mit diversen Körperteilen des ausgestorbenen Tieres führte, war die Birminghamer Haut gewissermaßen eine Gratisdonation an die liebe Cousine.
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Wer war Bruce Chatwin?
Abenteurer und Universalist, gutaussehend, verkehrt mit dem Geldadel Europas und Amerikas, sucht in armseligen Hütten nach neuen Geschichten. Führt eine glückliche Ehe und hat zahllose Affären mit Männern, stirbt an Aids. Nicholas Shakespeare versucht sich am Phänomen Chatwin, recherchiert acht Jahre lang, bereist 22 Länder und interviewt mehr als 500 Personen.
Verfilmungen: Cobra Verde Regie Werner Herzog und Klaus Kinski in der Hauptrolle, Black Hill, Nach Patagonien, Utz.
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