Kunst




Pisanello
San Giorgio con capello di paglia

(Hl. Georg mit Strohhut)
(Schwindel.Gefühle. S. 292f)



Am nächsten Mittag, zurück in London, war
mein erster Weg der in die Nationalgalerie ge-
wesen. Das Pisanello-Bild, das ich sehen wollte,
befand sich nicht an seinem gewohnten Platz,
sondern war wegen Umbauarbeiten in einem
schlecht beleuchteten Raum des Untergeschos-
ses aufgehängt worden, in den nur wenige der
täglich mit einem Ausdruck völliger Verständ-
nislosigkeit die Säle der Galerie durchwandern-
den Besucher hinunterkamen.




Das kleine,
vielleicht 30 mal 50 Zentimeter messende Bild,
das man bedauerlicherweise in einen viel zu
schweren Goldrahmen aus dem letzten Jahr-
hundert eingezwängt hat, ist in der oberen
Hälfte fast ganz ausgefüllt von einer aus
dem Himmelsblau hervorstrahlenden golde-
nen Scheibe, die als Hintergrund dient für
eine Darstellung der Jungfrau mit dem Er-
löserkind.
Darunter zieht sich von einem
Bildrand zum andern ein Saum dunkelgrüner
Baumwipfel. Zur Linken steht der Patron der
Herden, Hirten und Aussätzigen, der hl. Anto-
nius. Er trägt ein tiefrotes Kapuzenkleid und
einen weiten erdbraunen Umhang. In der
Hand hält er eine Schelle. Ein zahmer, zum
Zeichen der Ergebenheit ganz an den Boden
geduckter Eber liegt ihm zu Füßen. Mit stren-
gem Blick sieht der Eremit auf die glorreiche
Erscheinung des Ritters,
der ihm gerade gegen-
übergetreten ist und von dem etwas herzbewe-
gend Weltliches ausgeht. Der Drache, ein gerin-
geltes, geflügeltes Tier, hat sein Leben bereits
ausgehaucht (?). Die aus weißem Metall geschmie-
dete, kunstreiche Rüstung versammelt auf sich
allen Abendschein. Nicht der geringste Schat-
ten der Schuldhaftigkeit fällt auf das jugend-
liche Gesicht Georgs. Schutzlos sind Nacken
und Hals dem Betrachter preisgegeben.
Das
ganz Besondere aber an diesem Bild ist der
außergewöhnlich schön gearbeitete, weitkrem-
pige und mit einer großen Feder geschmückte
Strohhut, den der Ritter auf dem Kopf hat. Ich
wüßte gern, wie Pisanello auf den Gedanken
gekommen ist, den heiligen Georg ausgerechnet
mit einer solchen, angesichts der Umstände
eigentlich unpassenden, ja geradezu extrava-
ganten Kopfbedeckung auszustaffieren.
San
Giorgio con cappella di paglia — sehr verwunder-
lich, wie vielleicht auch die beiden guten Pferde
sich denken, die dem Ritter über die Schulter
blicken.










Madonnenvision des Hl. Antonius und des Hl. Georgs
um 1445, Tempera auf Holz, 47 × 29 cm
National Gallery London
sowie
Pferdekopfstudien