Dichters Stimme (Die Ausgewanderten S. 219ff.)
Bis in mein zweiundzwanzigstes Lebensjahr war ich nie weiter als fünf oder sechs Zugstunden von zu Hause weg gewesen, und deshalb hatte ich, als ich mich aus verschiedenen Erwägungen heraus im Herbst 1966 entschloß, nach England überzusiedeln, kaum eine zulängliche Vorstellung davon, wie es dort aussehen und wie ich, ganz nur auf mich gestellt, in der Fremde zurechtkommen würde. Meiner Unerfahrenheit vielleicht war es zu verdanken, daß ich ohne größere Besorgnis den etwa zweistündigen Nachtflug von Kloten nach Manchester überstand. Es befanden sich nur wenige Passagiere an Bord, die, in ihre Mäntel gehüllt, weit voneinander entfernt in dem halbdunklen und, wie ich mich zu erinnern glaube, ziemlich kalten Gehäuse saßen. Überkommt mich heute, wo man zumeist mit einer Vielzahl von Menschen auf das entsetzlichste zusammengezwängt und von der beständigen Betulichkeit des Personals aus der Fassung gebracht wird, nicht selten eine kaum mehr einzudämmende Flugangst, so erfüllte mich damals das gleichmäßige Durchqueren des nächtlichen Luftraums mit einem, wie ich inzwischen weiß, falschen Gefühl der Zuversicht. Voller Verwunderung schaute ich, nachdem wir das in der Finsternis versunkene Frankreich und den Ärmelkanal überquert hatten, hinunter auf das von den südlichsten Bezirken Londons bis weit ins englische Mittelland hinein sich erstreckende Lichternetz, dessen orangefarbener Sodiumglanz mir ein erstes Anzeichen dafür war, daß ich von nun an in einer anderen Welt leben würde.
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