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geboren 1944 in Wertach, tödlich verunglückt 2001 in Poringland/Norfolk/England.
Er wächst in Wertach auf, wo sein Großvater mütterlicherseits, zentrale Bezugsperson seiner Kindheit, 40 Jahre lang Dorfgendarm ist. 1947 kehrt der Vater aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück, 1952 zieht die Familie ins nahegelegene Sonsthofen, Mitte der fünfziger Jahre tritt der Vater in die Bundeswehr ein, ab 1954 besucht Sebald das Realgymnasium "Maria Stern" in Immenstadt, dann die Oberrealschule in Oberstdorf, wo er 1963 das Abitur macht. 1956 stirbt der geliebte Großvater.
Wegen eines Herzfehlers vom Wehrdienst befreit, studiert Sebald Germanistik in Freiburg/Br. und wechselt 1965 an die Universität Fribourg/CH, 1966 licence ès lettres und Emigration nach England.
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Als ich am Christi Himmelfahrtstag (Nach der Naur S. 76f.) |
| Im Dezember 1952 sind wir aus dem Dorf W. in die 19 Kilometer entfernte Kleinstadt S. übersiedelt. Die Fahrt, während der ich angestrengt aus dem Führerhaus des weinroten Möbelwagens des Bus- und Speditionsunternehmens Alpenvogel hinausschaute auf die endlosen Reihen der Alleebäume, die, von dichtem Reif überzogen, vor uns aus dem lichtlosen Morgennebel auftauchten, diese Fahrt ist mir, obgleich sie allerhöchstens eine Stunde gedauert haben wird, vorgekommen wie eine Reise um die halbe Welt. Als wir zuletzt über die Achbrücke hineinrollten nach S., das damals noch gar keine richtige Stadt, sondern bloß ein besserer Marktflecken mit vielleicht neuntausend Einwohnern gewesen ist, war ich erfüllt von dem überdeutlichen Gefühl, daß hier für uns ein neues, großstädtisch bewegtes Leben beginnen würde, dessen untrügliche Anzeichen ich zu erkennen glaubte in den blau emaillierten Straßenschildern, der riesigen Uhr vor dem alten Bahnhofsgebäude und der für meine Begriffe überaus imposanten Fassade des Wittelsbacher Hofs. (Die Ausgewanderten S. 45f.) |
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Jedenfalls entsinne ich mich genau, daß mir bei meinem ersten Besuch in Brüssel im Dezember 1964 mehr Bucklige und Irre über den Weg gelaufen sind als sonst in einem ganzen Jahr.
(Die Ringe des Saturn S. 149ff) |
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(Logis in einem Landhaus) |
| Bis in mein zweiundzwanzigstes Lebensjahr war ich nie weiter als fünf oder sechs Zugstunden von zu Hause weg gewesen, und deshalb hatte ich, als ich mich aus verschiedenen Erwägungen heraus im Herbst 1966 entschloß, nach England überzusiedeln, kaum eine zulängliche Vorstellung davon, wie es dort aussehen und wie ich, ganz nur auf mich gestellt, in der Fremde zurechtkommen würde. (Die Ausgewanderten S. 219ff.) |
| In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bin ich, teilweise zu Studienzwecken, teilweise aus anderen, mir selber nicht recht erfindlichen Gründen, von England aus wiederholt nach Belgien gefahren, manchmal bloß für ein, zwei Tage, manchmal für mehrere Wochen. Auf einer dieser belgischen Exkursionen, die mich immer, wie es mir schien, sehr weit in die Fremde führten, kam ich auch, an einem strahlenden Frühsommertag, in die mir bis dahin nur dem Namen nach bekannte Stadt Antwerpen. (Austerlitz S. 5) Damals jedenfalls, in jener lautlosen Mittagsstunde im Frühsommer 1967, die ich, ohne einem anderen Besucher zu begegnen, im Inneren der Festung Breendonk verbrachte, wagte ich kaum weiterzugehen an dem Punkt, wo am Ende eines zweiten langen Tunnels ein nicht viel mehr als mannshoher und, wie ich mich zu erinnern glaube, abschüssiger Gang hinabführt in eine der Kasematten. (S. 36) Wenn auch Austerlitz an jenem Junimorgen des Jahres 1967, an dem ich schließlich nach Breendonk hinausgefahren bin, auf dem Antwerpener Handschuhmarkt nicht mehr sich eingefunden hat, so überkreuzten sich unsere Wege doch auf eine mir bis heute unbegreifliche Weise fast auf einer jeden meiner damaligen, ganz und gar planlosen belgischen Exkursionen. Bereits wenige Tage nachdem wir uns in der Salle des pas perdus des Zentralbahnhofs kennengelernt hatten, bin ich ihm zum zweitenmal begegnet in einem Industriequartier am Südwestrand der Stadt Lüttich, das ich, zu Fuß von St. Georges-sur-Meuse und Flemalle herkommend, gegen Abend erreichte. (S. 40) |
| An die drei Jahre war ich in Manchester gewesen, als ich die Stadt nach Beendigung meiner Forschungsarbeiten im Sommer 1969 wieder verließ, um, einem seit längerem gehegten Plan entsprechend, in der Schweiz in den Schuldienst einzutreten. Obgleich die meinem Gedächtnis zu diesem Zeitpunkt beinahe entschwundene Schönheit und Vielfalt der Schweizer Landschaften mich bei meiner Rückkehr aus dem rußigen, dem Ruin entgegentreibenden Manchester tief bewegte, obgleich mir der Anblick der fernen Schneeberge, der Hochwälder, des Herbstlichts, der gefrorenen Wasserläufe und Felder und der blühenden Obstbäume in den Wiesen weit mehr ans Herz ging, als ich das hätte vorausahnen können, hat es mich in der Schweiz aus verschiedenen, teils mit der schweizerischen Lebensauffassung, teils mit meinem Lehrerdasein zusammenhängenden Gründen nicht lange gelitten. Kaum ein Jahr war vergangen, als ich mich entschloß, nach England zurückzukehren und in der damals als ziemlich abgelegen geltenden Grafschaft Norfolk eine mir in vieler Hinsicht zusagende Stellung anzunehmen. (Die Ausgewanderten S. 263) Ende September 1970, kurz vor Antritt meiner Stellung in der ostenglischen Stadt Norwich, fuhr ich mit Clara auf Wohnungssuche nach Hingham hinaus. (S. 7) |
| Bei der Durchsicht dieser Aufzeichnungen entsinne ich mich jetzt wieder, daß ich im Februar 1971, während eines kurzen Aufenthalts in der Schweiz, unter anderem auch in Luzern gewesen und dort, nach einem Besuch im Gletschermuseum, auf dem Rückweg zum Bahnhof längere Zeit auf der Secbrücke stehengeblieben bin, weil ich beim Anblick der Kuppel des Bahnhofsgebäudes und des schneeweiß hinter ihr in den klaren Winterhimmel aufragenden Pilatusmassivs an die viereinhalb Jahre zuvor in der Antwerpener Centraal Station von Austerlitz gemachten Bemerkungen habe denken müssen. (Austerlitz S. 14) Mitte Mai 1971 sind wir aus Priors Gate ausgezogen, weil Clara eines Nachmittags kurzerhand ein Haus gekauft hatte. (Die Ausgewanderten S. 29) |
| Um 1975 hat die von der Südküste ausgehende holländische Ulmenkrankheit Norfolk erreicht, und kaum waren zwei, drei Sommer vergangen, gab es in unserem Umkreis bald keine lebende Ulme mehr. (Die Ringe des Saturn S. 313) |
| Die sechs Ulmen, die den Teich in unserem Garten überschatteten, sind im Juni 1978, nachdem sie noch einmal ihr wunderbar helles Grün entfaltet hatten, innerhalb weniger Wochen verdorrt. (Die Ringe des Saturn S. 313) |
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Ich war damals, im Oktober 1980 ist es gewesen, von England aus, wo ich nun seit nahezu fünfundzwanzig Jahren in einer meist grau überwölkten Grafschaft lebe, nach Wien gefahren in der Hoffnung, durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen.
(Schwindel.Gefühle S. 41) ... faßte ich den Entschluß, mit dem Abendzug nach Venedig zu fahren, vorher den Tag aber noch mit Ernst Herbeck in Klosterneuburg zu verbringen (S. 46f) Als ich nach einer scharfen Rasur beim Bahnhofsbarbier auf den Vorplatz der Ferrovia Santa Lucia hinaustrat, hing die Feuchtigkeit des Herbstmorgens noch dicht zwischen den Häusern und über dem Großen Kanal. (S. 62) Ich selber bin an jenem Abend des 31. Oktober in der Bar an der Riva, in die ich nach dem Nachtessen noch einmal zurückgekehrt war, mit einem Venezianer namens Malachio ins Gespräch gekommen, der in Cambridge Astrophysik studiert hatte und der alles, wie sich bald herausstellte, aus der größten Entfernung sah, nicht nur die Sterne. (S. 73) Mit gelegentlichen Aufzeichnungen, vor allem aber mit meinem teils immer weitere, teils immer engere Kreise ziehenden Nachdenken beschäftigt und bisweilen auch umfangen von einer vollkommenen Leere, habe ich an diesem ersten November des Jahres 1980 mein Zimmer nicht ein einziges Mal verlassen; ... (S. 78) Die zweite Nacht in Venedig verging, und es vergingen der Allerseelentag und eine dritte Nacht, aus der ich am Montagmorgen erst in einem eigenartigen Zustand der Gewichtslosigkeit wieder zu mir kam. (S. 79) Der Zeiger der Uhr rückte vor gegen halb elf. Ich trank meinen Cappuccino vollends aus, begab mich, indem ich hie und da über die Schulter blickte, auf den Bahnsteig hinaus und bestieg, wie ich es vorgehabt hatte, den Mailänder Zug, um nach Verona hinüberzufahren. (S. 83) Der Kellner bringt mir die Rechnung. Ich falte sie auseinander. Die Buchstaben und Ziffern verschwimmen mir vor den Augen. Fünfter November 1980. Via Roma. Pizzeria Verona. Di Cadavero Carlo e Patierno Vittorio. Patierno und Cadavero. (S. 94) ... fahre ins Hotel zurück, packe in aller Eile meine Sachen und flüchte mit dem Nachtzug nach Innsbruck. (S. 95) |
| Dennoch bin ich schließlich nach Newark geflogen, und zwar am zweiten Januar 1981. (Die Ausgewanderten S. 103) |
| Erst im Frühjahr 1984 bin ich schließlich in Ithaca gewesen, ... (Die Ausgewanderten S. 153) |
| Im Sommer 1987, sieben Jahre nach dieser Flucht aus Verona, habe ich, einem seit langem sich rührenden Bedürfnis endlich nachgebend, die Reise von Wien über Venedig nach Verona noch einmal gemacht, um meine schemenhaften Erinnerungen an die damalige gefahrvolle Zeit genauer überprüfen und vielleicht einiges davon aufschreiben zu können. (Schwindel.Gefühle S. 97) In Santa Lucia stieg ich als einer der letzten aus und ging, die blaue leinene Reisetasche wie stets über der Schulter, den Bahnsteig langsam hinab in die Halle, wo ein wahres Heer von Touristen in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten und auf dem blanken Steinboden lagerte, dicht nebeneinander hingestreckt wie sonst ein fremdes Volk auf dem Weg durch die Wüste. (S. 98) Ich weiß nicht, ob es dieser Anblick gewesen ist, der mich den Entschluß fassen ließ, nicht in Venedig zu bleiben, sondern unverzüglich nach Padua weiterzufahren ... (S. 100f)
... ging ich durch den tosenden Verkehr wieder zu dem unweit der Kapelle gelegenen Bahnhof zurück, um den nächstbesten Zug nach Verona zu nehmen, ...
(S. 100f) Um viertel nach eins kam fahrplanmäßig der blaue Bus, mit dem ich nach Riva fahren wollte. (S. 105) ... daß ich schließlich, als der Bus in Limone sul Garda hielt, meine Tasche aus dem Gepäcknetz heruntergeholt habe und ausgestiegen bin. (S. 108) Der 2. August war ein friedlicher Tag. (S. 112) Ich wanderte, die Tasche über der Schulter, als der letzte der Reisenden den Bahnsteig hinab und kaufte mir einen Stadtplan. Wie viele Stadtpläne habe ich nicht schon gekauft? Immerzu versuche ich, wenigstens vom Raum mir eine zuverlässige Vorstellung zu verschaffen. Mit dem Mailänder Stadtplan hatte ich jedenfalls, so schien es mir, die richtige Wahl getroffen, ... (S. 126f) In den Abendstunden war ich wieder auf dem Weg nach Verona. (S. 137)
(Die Ringe des Saturn S. 315) Im November 1987, nachdem ich die ausgehenden Sommermonate mit meinen verschiedenen Arbeiten beschäftigt in Verona, die Oktoberwochen aber, weil ich den Winter nicht mehr erwarten konnte, in einem weit oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation gelegenen Hotel verbracht hatte, faßte ich eines Nachmittags, als der Großvenediger auf eine besonders geheimnisvolle Weise aus einer grauen Schneewolke auftauchte, den Entschluß, nach England zurückzukehren, zuvor aber noch auf eine gewisse Zeit nach W. zu fahren, wo ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen war. (Schwindel.Gefühle S. 195)
Nahezu einen Monat lang, bis Anfang Dezember, hatte ich mich in W. aufgehalten, und mehr oder weniger die ganze Zeit über war ich der einzige Gast im Engelwirt gewesen.
(S. 286f)
Am nächsten Mittag, zurück in London, war mein erster Weg der in die Nationalgalerie gewesen.
(S. 293f) Langsam bewegte sich der Zug aus dem Bahnhof Liverool Street hinaus, ... (S. 295ff) |
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So unbegreiflich mir diese Dinge von jeher gewesen sind, so unmöglich war es mir auch an jenem Abend auf dem Gunhill von Southwold, wirklich zu glauben, daß ich vor genau einem Jahr vom holländischen Strand aus nach England hinübergeschaut hatte. Ich war damals, nach einer bösen, in Baden in der Schweiz verbrachten Nacht über Basel und Amsterdam nach Den Haag gefahren und hatte mich dort in einem der zweifelhaften Hotels am Stationsweg einquartiert.
(Die Ringe des Saturn S. 99ff)
(Die Ausgewanderten S. 171) ... daß ich, Ende Juni 1991, nach Kissingen und Steinach gefahren bin. Über Amsterdam, Köln und Frankfurt reisend, erreichte ich mein Ziel nach einigem Umsteigen und längeren Aufenthalten in den Bahnhofswirtschaften von Aschaffenburg und Gemünden. (S. 327.) |
| Im August 1992, als die Hundstage ihrem Ende zugingen, machte ich mich auf eine Fußreise durch die ostenglische Grafschaft Suffolk in der Hoffnung, der nach dem Abschluß einer größeren Arbeit in mir sich ausbreitenden Leere entkommen zu können. (Die Ringe des Saturn S. 11)
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| Jahre nach diesen wenigen zuletzt mit Catherine Ashbury gewechselten Worten habe ich sie noch einmal gesehen oder zu sehen geglaubt, in Berlin im März 1993. Ich war mit der U-Bahn zum Schlesischen Tor gefahren ... (Die Ringe des Saturn S. 262)
(S. 11ff) |
| Heute, wo ich meine Notizen anfange ins reine zu schreiben, mehr als ein Jahr nach der Entlassung aus dem Spital, kommt mir zwangsläufig der Gedanke, daß damals, als ich vom achten Stockwerk aus hinabschaute auf die in der Dämmerung versinkende Stadt, in seinem schmalen Haus in der Portersfield Road Michael Parkinson noch am Leben gewesen ist, ...
(Die Ringe des Saturn S. 11f)
An einem Herbstsonntag 94
(Über das Land und das Wasser S. 72f)
an einem Sonntag- (S. 72f) |
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Heute, da ich meine Aufzeichnungen zum Abschluß bringe, schreibt man den 13. April 1995.
(Die Ringe des Saturn S. 348ff)
Und in diesem Jahr bin ich zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren in einen Urlaub gefahren, zwei Wochen nach Korsika. (Auf ungeheuer dünnem Eis S. 120) |
| ... schließlich, im Frühsommer 1996, in Begleitung eines ausnehmend freundlichen, hoch am steileren Ufer des Sees ansässigen Gastgebers, der seiner Gewohnheit entsprechend eine Art Kapitänsmütze trug, indische Bidis rauchte und verhältnismäßig wenig redete, von der Stadt Biel aus tatsächlich übersetzte auf die im Verlauf der letzten Eiszeit vom Rhonegletscher zur Form eines Walfischrückens (wie es allgemein heißt) geschliffene Ile de Saint-Pierre. (Logie in einem Landhaus S. 45)
(Campo Santo S. 19) Im September vergangenen Jahres, während eines zweiwöchigen Ferienaufenthalts auf der Insel Korsika, bin ich einmal mit einem blauen Linienbus die Westküste hinab nach Ajaccio gefahren, um mich in dieser Stadt, von der ich nichts wußte, außer daß der Kaiser Napoleon in ihr auf die Welt gekommen ist, ein wenig umzusehen. (S. 7) Im September 1996, auf einer Wanderung durch die Insel Korsika, bin ich einmal zur ersten Tagesrast auf einem Grasplatz am Saum des Hochwalds von Aitone gesessen.
(S. 223)
... so daß es zu einer Wiederaufnahme unserer vordem gleichermaßen engen wie distanzierten Beziehung tatsächlich erst zwei Jahrzehnte später, im Dezember 1996, durch eine eigenartige Verkettung von Umständen gekommen ist. (Austerlitz S. 50) ... bin ich kurz vor Weihnachten nach London gefahren (S. 52) Eine halbe Stunde später saß ich in der Salon Bar des Great Eastern Hotel in der Liverpool Street und wartete auf den nächsten Zug nach Haus. Ich hatte mir eine dunkle Ecke ausgesucht, denn es war mir inzwischen tatsächlich zweierlei geworden in meiner gelben Haut. Schon bei der Herfahrt im Taxi hatte ich gedacht, es ginge in weiten Schleifen durch einen Lunapark, so drehten sich in der Windschutzscheibe die Lichter der Stadt, und auch jetzt kreisten die schummrigen Ballonleuchter, die Spiegelflächen hinter der Bar und die bunten Batterien der Spirituosenflaschen mir vor den Augen, als säße ich auf einem Karussell. Den Kopf gegen die Wand gelehnt und ab und zu langsam durchatmend, wenn die Übelkeit in mir aufstieg, hatte ich einige Zeit schon die Arbeiter aus den Goldminen der City beobachtet, die sich zu dieser frühen Abendstunde hier, an ihrem gewohnten Trinkplatz, einfanden, alle einander ähnlich, in ihren nachtblauen Anzügen, gestreiften Hemdbrüsten und grellfarbenen Krawatten, und indem ich versuchte, die rätselhaften Gewohnheiten dieser in keinem Bestiarium beschriebenen Tierart zu begreifen, ihr enges Beieinanderstehen, ihr halb geselliges, halb aggressives Gehabe, das Freigeben der Gurgel beim Leeren der Gläser, das immer aufgeregter werdende Stimmengewirr, das plötzliche Davonstürzen des einen oder anderen, da bemerkte ich auf einmal, am Rand der schon schwankenden Horde, einen vereinzelten Menschen, der niemand anders sein konnte als der seit bald zwanzig Jahren, wie mir in diesem Augenblick zum Bewußtsein kam, von mir vermißte Austerlitz. (S. 56 ff.) ... sind wir durch den Park von Greenwich hinaufgestiegen zu dem königlichen Observatorium, in dem sich an jenem kalten Vorweihnachtstag außer uns kaum ein Besucher befand. (S. 144) |
In Bamberg liege ich schlaflos in einem steinernen Haus. Längst sind die Spätheimkehrer aus den Gassen verschwunden und es ist still, nur die Regnitz rauscht über das Wehr. Strudel ziehen mich unter das Wasser mit den Steinen roll ich am Grund des Flußbetts dahin ein schnappender Fisch komme ich wieder nach oben, die Augen weit offen vor Angst. In den Traumfluchten gehen Gespenster um das bucklige Männlein zum Beispiel steht bei dem Schleusenhäuschen am Ludwigskanal. Es trägt eine Brille mit unheimlich dicken Gläsern und hat eine blaue Baseballmütze mit der Aufschrift MARTINIQUE verkehrt herum auf dem Kopf. Die Kaiserin Kunigunde wartet schon ewig am Fuße des Katzenberges und auf der Brücke zum alten Rathaus von dem ein Öldruck immer in unserem Wohnzimmer hing läuft mir der Hund Berganza zum |
dritten Mal über den Weg. Ein Stück flußaufwärts droben im Hain spazieren der Schorsch und die Rosa an einem Augustnachmittag des dreiundvierziger Jahrs im leichten Staubmantel bzw. die Trachtenjoppe über die Schulter gehängt. Beide scheinen mir glücklich, sorglos zumindest und viel jünger jedenfalls wie ich es jetzt bin. Also denkt sich Kara Ben Nemsi der Sohn des Deutschen, fließet die Zeit ein rubinrotes von Ziffer zu Ziffer springendes Zeichen verrinnt sie geräuschlos vom Dunkel der Nacht in das Grauen des Morgens genau wie vordem der Sand durch das Stunden Glas lief.
Mai 1996 |
| Ein Vierteljahr war beinah verstrichen, bis ich wieder nach London fuhr und Austerlitz besuchte in seinem Haus in der Alderney Street. (Austerlitz S. 169)
Es war im September desselben Jahres, daß ich von Austerlitz einen Postkartengruß mit seiner neuen Anschrift (6, rue des cinq Diamants, im dreizehnten Arrondissement) erhielt, was, wie ich wußte, einer Einladung gleichkam, ihn möglichst bald aufzusuchen.
(S. 358 f.) Als ich mich kurz vor meiner Abreise aus Paris mit Austerlitz noch einmal zum Morgenkaffee am Boulevard Auguste Blanqui traf, ... (S. 405) ... und es kann sein, daß ich deshalb auf der Rückreise in Antwerpen ausgestiegen bin, um mir noch einmal das Nocturama anzusehen und hinauszufahren nach Breendonk. (S. 412)
(Über das Land und das Wasser S. 100) |
Mir aber wollte es nicht recht gefallen dies herrliche Geflecht verschlungener Minnen welches der Dichter bei der Heimkunft in seiner schönsten Schrift kopiert & eigenhändig mit einem Deckel aus rotem Maroquin & einem Seidenband gebunden hat. Ein Faksimile davon habe ich heute morgen gesehen im Museum von Marienbad nebst ein paar anderen Sachen die mir viel näher gingen & unter denen eine Dochtschere gewesen ist & ein Siegellacksatz, ein Ablegeschälchen aus Papiermache & eine Feder- zeichnung Ulrikes auf Papp- karton, ...
Marienbad, 14. VIII. 99 |
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| Die Gipfelregionen dieses tintenfarbenen Gebirges gleißten in ihren höchsten Höhen noch eine Weile wie die Eisfelder des Kaukasus, und indem ich sie allmählich erlöschen sah, fiel mir wieder ein, daß ich vor Jahren einmal im Traum ein ebensolches fernes und fremdes Gebirge seiner ganzen Länge nach durchwandert hatte. Es muß eine Strecke von tausend Meilen und mehr gewesen sein, durch Schluchten, Tobel und Täler, über Jochstraßen, Halden und Driften, am Saum großer Wälder entlang, über Steinfelder, Schotter und Schnee. Und ich entsann mich, daß ich im Traum, angekommen am Ende meines Wegs, einen Blick zurückwarf und daß es genau sechs Uhr abends gewesen ist. Die gezackten Gipfel der Berge, aus denen ich hervorgekommen war, hoben sich mit geradezu beängstigender Schärfe ab von einem türkisblau gefärbten Himmel, an dem zwei oder drei rosa Wolken schwebten. Es war ein Bild von einer mir unergründlichen Vertrautheit, das ich wochenlang im Kopf hatte und das, wie mir schließlich bewußt wurde, bis in die letzte Einzelheit übereinstimmte mit dem Bild des Vallülamassivs, das ich ein paar Tage vor meiner Einschulung in einem Zustand größter Übermüdung vom Omnibus aus gesehen hatte, als wir am Abend nach Hause fuhren von einem Ausflug ins Montafon. Wahrscheinlich sind es verschüttete Erinnerungen, die die eigenartige Überwirklichkeit dessen erzeugen, was man im Traum sieht. Vielleicht ist es aber auch etwas anderes, etwas Nebel- und Schleierhaftes, durch das hindurch, paradoxerweise, im Traum alles viel klarer erscheint. Ein kleines Wasser wird zu einem See, ein Windhauch zu einem Sturm, eine Handvoll Staub zu einer Wüste, ein Körnchen Schwefel im Blut zu einem vulkanischen Feuer. Was ist das für ein Theater, in dem wir Dichter, Schauspieler, Maschinist, Bühnenmaler und Publikum in einem sind? Gehört zum Durchqueren der Traumfluchten mehr oder weniger Verstand, als man mit hineinbringt ins Bett? (Die Ringe des Saturn S. 98f) |
Rick Jones zur Ausstellung 'Wandernde Schatten': |