W.G.Sebald





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Franken - was den Betreiber des Forums, Franke, freut - Franken als Korrespondenzzentrum Sebalds ...

Das Triptychon-Elementargedicht "Nach der Natur" (auf dem rechten Flügel der Autor unter den tickenden Geigern im Kraftwerk von Sizewell) stellt Franken als Zeugungs- und Entstehungsort seiner Autorenschaft dar. G. W. Steller - Thema des Mittelteils - hat Sebalds Initialen, in dessen Heimat wird Sebalds Mutter schwanger: Sie bleibt an jenem Abend in Windsheim, wird gerettet, Sebalds Grünewald - er nimmt den linken Flügel ein (als fränkischer Kreuzritter auf dem Lindenhardter Altar) - reitet im April 1525 nach Windsheim, um in der Werkstatt Jakob Secklers ein kleines Gesprenge aus Weinlaub und verschiedenen Vögeln abzuholen, eben in jenem fränkischen Ort, wo Georg Wilhelm Steller 1709 - nach Hindernissen - das Licht der Welt erblickt.

Die Bekanntschaft mit dem fränkischen Arzt und Naturwissenschaftler, von 1733 bis 1743 Teilnehmer der "Großen Nordischen Expedition" in den unendlichen Weiten Russlands, ist Beginn Sebalds literarischer Laufbahn.

Im Interview vom 3.9.2001, kurz vor seinem Unfalltod, gibt er uns Einblicke:

I had never had any ambitions of becoming or being a writer. What I felt toward the middle point o f my life was that I was being hemmed in increasingly by the demands of my job at the university, by the demands of various other things that one has in one's life, and that I need some way out. And that coincided with my just happening to be going down to London and reading a book by someone, a rather obscure German writer called Konrad Bayer, who was one of the young surrealists, as it were - postwar surrealists who'd been kept down by the famous Gruppe 47 - and who subsequently took his own life. He'd only written a number of very slender little things, among them was a book called 'The Head o f Vitus Bering', and that had in it a footnote referring to an eighteenth-century German botanist and zoologist called Georg Wilhelm Steller, who happens to have the same initials that I have, and who happened to have been born in a place that my mother visited when she was pregnant, in 1943, when she was going from Bamberg, which is in the north of Bavaria, down to the Alps, where her parents were, because the bombers were coming in increasingly. She couldn't go through Nürnberg, which is the normal route, because Nürnberg had just been attacked that night and was in flames. So she had to go around it. And she stayed in Windsheim, as that place is called, where a friend of hers had a house.

The New Yorker, 3.9.2001.








Als ich am Christi Himmelfahrtstag
des Vierundvierzigerjahrs auf die Welt kam































W. G. Sebald war zeitlebens ein Germanist. Germanistik im herkömmlichen Sinne jedoch betrieb er keineswegs, obgleich er rund 30 Jahre lang literaturkritische Schriften verfasste. Fast durchwegs rückt darin emphatische Wertung an die Stelle von objektiver Analyse; ihm sympathische Autoren erfahren höchst positive Würdigungen, während er - zumal in seinen akademischen Qualifikationsarbeiten - gegen andere Schriftsteller geradezu Gerichtsverfahren führt, die, nicht zuletzt auf Grund der Unterschlagung von entlastendem Beweismaterial, zwangsläufig zu einem teils moralischen, teils ästhetischen Schuldspruch führen.

In der Bibliografie seiner literaturkritischen Schriften allerdings fehlen die Namen bildungsbürgerlicher Klassiker, also usual suspects wie Goethe oder Thomas Mann, genauso wie die linke Leitfigur Brecht. »Mein Medium ist die Prosa, nicht der Roman«, lautet eine vielzitierte poetologische Selbstbeschreibung Sebalds. Auf die erste Satzhälfte reduziert, gilt dies auch für seine Literaturkritik: Lyrik und Drama spielten kaum eine Rolle in seinem kritischen Werk, denn Sebald interessierte sich weitgehend für Erzählprosa. Jenes Genre also, zu dem er dann selber einige herausragende Beiträge liefern sollte. So schreibt Uwe Schütte in "Interventionen" von 2015.

Winfried Georg Sebald

geboren 1944 in Wertach, tödlich verunglückt 2001 in Poringland/Norfolk/England.

W. G., desssen Vater aus dem Bayerischen Wald stammt, kommt am 18. Mai zur Welt. Sebalds Vater lernt als Soldat Rosi Egelhofer, die Mutter, in Wertach kennen. Sebald hat eine ältere Schwester Gertrud, und eine jüngere Beate.

Er wächst in Wertach auf, wo sein Großvater mütterlicherseits, zentrale Bezugsperson seiner Kindheit, 40 Jahre lang Dorfgendarm ist. 1947 kehrt der Vater aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück, 1952 zieht die Familie ins nahegelegene Sonsthofen, Mitte der fünfziger Jahre tritt der Vater in die Bundeswehr ein, ab 1954 besucht Sebald das Realgymnasium "Maria Stern" in Immenstadt, dann die Oberrealschule in Oberstdorf, wo er 1963 das Abitur macht. 1956 stirbt der geliebte Großvater.

Wegen eines Herzfehlers vom Wehrdienst befreit, studiert Sebald Germanistik in Freiburg/Br. und wechselt 1965 an die Universität Fribourg/CH, 1966 licence ès lettres und Emigration nach England.
1966 bis 1968 ist er Lektor für deutsche Literatur an der Universität Manchester, dazwischen ein Jahr Privatschullehrer für Deutsch und Englisch am Internat "Institut auf dem Rosenberg" in St. Gallen/CH.
1967 heiratet er Ute - sie bekommen die Tochter Anne, 1969 schreibt er seine Magisterarbeit über Sternheim, ab 1970 lehrt er an der University of East Anglia in Norwich. 1973 promoviert er über Döblin, 1975 bis 1976 beginnt er eine Ausbildung zum Deutschlehrer am Goetheinstitut München, "emigriert" erneut nach England. 1986 Habilitation ("Die Beschreibung des Unglücks") an der Universität Hamburg, ab 1988 Odinarius für Europäische Literatur an der University of East Anglia in Norwich, wo er 1989 das "British Centre for Literary Translation" gründet, dessen Direktor er wird.
Er wohnt mit Frau und Tochter im viktorianisches Pfarrhaus 'Old Vicarage' in Poringland, trotzt der struppigen Wildnis eine weitläufige Gartenanlage ab, ein musterhaft schöner ostenglischer Blumengarten entsteht.
Seit Ende der 80er Jahre erscheint sein literarisches Werk, anfangs in Deutschland - im Gegensatz zu Frankreich, England und Amerika (dort wird er als Nobelpreiskandidat gehandelt) - kaum wahrgenommen. Ab Mitte der 90er Jahre ist Sebald (der nur auf Deutsch schreibt) auch im deutschsprachigen Raum bekannt, in Großbritannien setzt er sich für die Germanistik und Vermittlung deutschsprachiger Literatur im englischsprachigen Raum ein, unternimmt Reisen vor allem im Süden Europas.
Am 14. Dezember 2001 gerät Sebalds Peugeot 306 in einer langgestreckten Linkskurve der A 146 Richtung Norwich auf die Gegenfahrbahn und kollidiert mit einem Tankwagen. Er soll - so das Obduktionsergebnis - am Steuer einen Herzinfarkt erlitten haben; seine Tochter Anna sitzt mit im Auto und wird schwer verletzt.







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1944








Als ich am Christi Himmelfahrtstag
des Vierundvierzigerjahrs auf die Welt kam,
zog gerade die Flurumgangsprozession
unter den Klängen der Feuerwehrkapelle
an unserem Haus vorbei in die blühenden
Maifelder hinaus. Die Mutter nahm dies
zunächst für ein gutes Zeichen, nicht ahnend,
daß der kalte Planet Saturn die Konstellation
der Stunde regierte und daß über den Bergen
schon das Unwetter stand, das bald darauf
die Bittgänger zersprengte und einen
der vier Baldachinträger erschlug.
Abgesehen von dem vielleicht verheerenden
Eindruck, den dieses in der Dorfgeschichte
unerhörte Ereignis zu Beginn meines Lebens
auf mich gemacht haben mag, und abgesehen
von dem tosenden Feuer, das eines Nachts,
kurz vor meiner Einschulung ist es gewesen,
ein unweit gelegenes Sägewerk verschlang
und die ganze Talschaft erhellte, bin ich,
dem anderwärts furchtbaren Zeitlauf zum Trotz,
am Nordrand der Alpen, wie mir heut scheint,
aufgewachsen ohne einen Begriff der Zerstörung.
Aber daß ich vielfach auf der Straße gestürzt
und mit einbandagierten Händen oft im Fenster
bei den Fuchsienstauden gesessen bin,
auf das Nachlassen der Schmerzen gewartet
und stundenlang nichts als hinausgeschaut habe,
brachte mich früh auf die Vorstellung
von einer lautlosen Katastrophe, die sich
ohne ein Aufhebens vor dem Betrachter vollzieht.
Über das, was ich mir damals ersonnen,
als ich in den Krautgarten hinabsah,
in dem die Klosterfrauen mit ihren weißen
gestärkten Hauben so langsam sich
zwischen den Beeten bewegten,
als seien sie vor einem Augenblick
noch Raupen gewesen, über das
bin ich immer noch nicht hinaus.

(Nach der Naur S. 76f.)



1952

Im Dezember 1952 sind wir aus dem Dorf W. in die 19 Kilometer entfernte Kleinstadt S. übersiedelt. Die Fahrt, während der ich angestrengt aus dem Führerhaus des weinroten Möbelwagens des Bus- und Speditionsunternehmens Alpenvogel hinausschaute auf die endlosen Reihen der Alleebäume, die, von dichtem Reif überzogen, vor uns aus dem lichtlosen Morgennebel auftauchten, diese Fahrt ist mir, obgleich sie allerhöchstens eine Stunde gedauert haben wird, vorgekommen wie eine Reise um die halbe Welt. Als wir zuletzt über die Achbrücke hineinrollten nach S., das damals noch gar keine richtige Stadt, sondern bloß ein besserer Marktflecken mit vielleicht neuntausend Einwohnern gewesen ist, war ich erfüllt von dem überdeutlichen Gefühl, daß hier für uns ein neues, großstädtisch bewegtes Leben beginnen würde, dessen untrügliche Anzeichen ich zu erkennen glaubte in den blau emaillierten Straßenschildern, der riesigen Uhr vor dem alten Bahnhofsgebäude und der für meine Begriffe überaus imposanten Fassade des Wittelsbacher Hofs.

(Die Ausgewanderten S. 45f.)



1964

Jedenfalls entsinne ich mich genau, daß mir bei meinem ersten Besuch in Brüssel im Dezember 1964 mehr Bucklige und Irre über den Weg gelaufen sind als sonst in einem ganzen Jahr.
...
Warum ich damals nach Waterloo hinausgefahren bin, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, wie ich von der Bushaltestelle aus an einem kahlen Acker entlang und vorbei an einer Ansammlung budenartiger und doch zugleich hoch aufragender Häuser auf den ausschließlich aus Souvenirläden und billigen Restaurationen bestehenden Ort zugegangen bin. Von irgendwelchen Besuchern zeigte sich an diesem bleigrauen Vorweihnachtstag begreiflicherweise keine Spur.

(Die Ringe des Saturn S. 149ff)




1965


Ende September 1965, nachdem ich ... in die französische Schweiz gegangen war, machte ich ... einen Ausflug in das Seeland, wo ich von Ins aus auf den sogenannten Schattenrain hinaufgestiegen bin
... dann, als ich oberhalb der Ortschaft Lüscherz wieder auf die Felder hinaustrat, den Bieler See unter mir liegen sah

(Logis in einem Landhaus)





1966

Bis in mein zweiundzwanzigstes Lebensjahr war ich nie weiter als fünf oder sechs Zugstunden von zu Hause weg gewesen, und deshalb hatte ich, als ich mich aus verschiedenen Erwägungen heraus im Herbst 1966 entschloß, nach England überzusiedeln, kaum eine zulängliche Vorstellung davon, wie es dort aussehen und wie ich, ganz nur auf mich gestellt, in der Fremde zurechtkommen würde.

(Die Ausgewanderten S. 219ff.)



1967







In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bin ich, teilweise zu Studienzwecken, teilweise aus anderen, mir selber nicht recht erfindlichen Gründen, von England aus wiederholt nach Belgien gefahren, manchmal bloß für ein, zwei Tage, manchmal für mehrere Wochen. Auf einer dieser belgischen Exkursionen, die mich immer, wie es mir schien, sehr weit in die Fremde führten, kam ich auch, an einem strahlenden Frühsommertag, in die mir bis dahin nur dem Namen nach bekannte Stadt Antwerpen.

(Austerlitz S. 5)

Damals jedenfalls, in jener lautlosen Mittagsstunde im Frühsommer 1967, die ich, ohne einem anderen Besucher zu begegnen, im Inneren der Festung Breendonk verbrachte, wagte ich kaum weiterzugehen an dem Punkt, wo am Ende eines zweiten langen Tunnels ein nicht viel mehr als mannshoher und, wie ich mich zu erinnern glaube, abschüssiger Gang hinabführt in eine der Kasematten.

(S. 36)

Wenn auch Austerlitz an jenem Junimorgen des Jahres 1967, an dem ich schließlich nach Breendonk hinausgefahren bin, auf dem Antwerpener Handschuhmarkt nicht mehr sich eingefunden hat, so überkreuzten sich unsere Wege doch auf eine mir bis heute unbegreifliche Weise fast auf einer jeden meiner damaligen, ganz und gar planlosen belgischen Exkursionen. Bereits wenige Tage nachdem wir uns in der Salle des pas perdus des Zentralbahnhofs kennengelernt hatten, bin ich ihm zum zweitenmal begegnet in einem Industriequartier am Südwestrand der Stadt Lüttich, das ich, zu Fuß von St. Georges-sur-Meuse und Flemalle herkommend, gegen Abend erreichte.

(S. 40)



1969









An die drei Jahre war ich in Manchester gewesen, als ich die Stadt nach Beendigung meiner Forschungsarbeiten im Sommer 1969 wieder verließ, um, einem seit längerem gehegten Plan entsprechend, in der Schweiz in den Schuldienst einzutreten. Obgleich die meinem Gedächtnis zu diesem Zeitpunkt beinahe entschwundene Schönheit und Vielfalt der Schweizer Landschaften mich bei meiner Rückkehr aus dem rußigen, dem Ruin entgegentreibenden Manchester tief bewegte, obgleich mir der Anblick der fernen Schneeberge, der Hochwälder, des Herbstlichts, der gefrorenen Wasserläufe und Felder und der blühenden Obstbäume in den Wiesen weit mehr ans Herz ging, als ich das hätte vorausahnen können, hat es mich in der Schweiz aus verschiedenen, teils mit der schweizerischen Lebensauffassung, teils mit meinem Lehrerdasein zusammenhängenden Gründen nicht lange gelitten. Kaum ein Jahr war vergangen, als ich mich entschloß, nach England zurückzukehren und in der damals als ziemlich abgelegen geltenden Grafschaft Norfolk eine mir in vieler Hinsicht zusagende Stellung anzunehmen.

(Die Ausgewanderten S. 263)

Ende September 1970, kurz vor Antritt meiner Stellung in der ostenglischen Stadt Norwich, fuhr ich mit Clara auf Wohnungssuche nach Hingham hinaus.

(S. 7)



1971



Bei der Durchsicht dieser Aufzeichnungen entsinne ich mich jetzt wieder, daß ich im Februar 1971, während eines kurzen Aufenthalts in der Schweiz, unter anderem auch in Luzern gewesen und dort, nach einem Besuch im Gletschermuseum, auf dem Rückweg zum Bahnhof längere Zeit auf der Secbrücke stehengeblieben bin, weil ich beim Anblick der Kuppel des Bahnhofsgebäudes und des schneeweiß hinter ihr in den klaren Winterhimmel aufragenden Pilatusmassivs an die viereinhalb Jahre zuvor in der Antwerpener Centraal Station von Austerlitz gemachten Bemerkungen habe denken müssen.

(Austerlitz S. 14)

Mitte Mai 1971 sind wir aus Priors Gate ausgezogen, weil Clara eines Nachmittags kurzerhand ein Haus gekauft hatte.

(Die Ausgewanderten S. 29)



1975

Um 1975 hat die von der Südküste ausgehende holländische Ulmenkrankheit Norfolk erreicht, und kaum waren zwei, drei Sommer vergangen, gab es in unserem Umkreis bald keine lebende Ulme mehr.

(Die Ringe des Saturn S. 313)



1978

Die sechs Ulmen, die den Teich in unserem Garten überschatteten, sind im Juni 1978, nachdem sie noch einmal ihr wunderbar helles Grün entfaltet hatten, innerhalb weniger Wochen verdorrt.

(Die Ringe des Saturn S. 313)



1980















Ich war damals, im Oktober 1980 ist es gewesen, von England aus, wo ich nun seit nahezu fünfundzwanzig Jahren in einer meist grau überwölkten Grafschaft lebe, nach Wien gefahren in der Hoffnung, durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen.
...
Jeden Morgen früh machte ich mich auf und legte in der Leopoldstadt, in der inneren Stadt und in der Josefstadt anscheinend end- und ziellose Wege zurück, von denen keiner, wie sich zu meinem Erstaunen bei einem späteren Blick auf den Plan zeigte, über einen genau umrissenen, sichel- bis halbmondförmigen Bereich hinausführte, dessen äußerste Spitzen in der Venediger Au hinter dem Praterstern beziehungsweise bei den großen Spitälern des Alsergrunds lagen.

(Schwindel.Gefühle S. 41)

... faßte ich den Entschluß, mit dem Abendzug nach Venedig zu fahren, vorher den Tag aber noch mit Ernst Herbeck in Klosterneuburg zu verbringen

(S. 46f)

Als ich nach einer scharfen Rasur beim Bahnhofsbarbier auf den Vorplatz der Ferrovia Santa Lucia hinaustrat, hing die Feuchtigkeit des Herbstmorgens noch dicht zwischen den Häusern und über dem Großen Kanal.

(S. 62)

Ich selber bin an jenem Abend des 31. Oktober in der Bar an der Riva, in die ich nach dem Nachtessen noch einmal zurückgekehrt war, mit einem Venezianer namens Malachio ins Gespräch gekommen, der in Cambridge Astrophysik studiert hatte und der alles, wie sich bald herausstellte, aus der größten Entfernung sah, nicht nur die Sterne.

(S. 73)

Mit gelegentlichen Aufzeichnungen, vor allem aber mit meinem teils immer weitere, teils immer engere Kreise ziehenden Nachdenken beschäftigt und bisweilen auch umfangen von einer vollkommenen Leere, habe ich an diesem ersten November des Jahres 1980 mein Zimmer nicht ein einziges Mal verlassen; ...

(S. 78)

Die zweite Nacht in Venedig verging, und es vergingen der Allerseelentag und eine dritte Nacht, aus der ich am Montagmorgen erst in einem eigenartigen Zustand der Gewichtslosigkeit wieder zu mir kam.

(S. 79)

Der Zeiger der Uhr rückte vor gegen halb elf. Ich trank meinen Cappuccino vollends aus, begab mich, indem ich hie und da über die Schulter blickte, auf den Bahnsteig hinaus und bestieg, wie ich es vorgehabt hatte, den Mailänder Zug, um nach Verona hinüberzufahren.

(S. 83)

Der Kellner bringt mir die Rechnung. Ich falte sie auseinander. Die Buchstaben und Ziffern verschwimmen mir vor den Augen. Fünfter November 1980. Via Roma. Pizzeria Verona. Di Cadavero Carlo e Patierno Vittorio. Patierno und Cadavero.

(S. 94)

... fahre ins Hotel zurück, packe in aller Eile meine Sachen und flüchte mit dem Nachtzug nach Innsbruck.

(S. 95)



1981

Dennoch bin ich schließlich nach Newark geflogen, und zwar am zweiten Januar 1981.

(Die Ausgewanderten S. 103)



1984

Erst im Frühjahr 1984 bin ich schließlich in Ithaca gewesen, ...

(Die Ausgewanderten S. 153)



1987


























Im Sommer 1987, sieben Jahre nach dieser Flucht aus Verona, habe ich, einem seit langem sich rührenden Bedürfnis endlich nachgebend, die Reise von Wien über Venedig nach Verona noch einmal gemacht, um meine schemenhaften Erinnerungen an die damalige gefahrvolle Zeit genauer überprüfen und vielleicht einiges davon aufschreiben zu können.

(Schwindel.Gefühle S. 97)

In Santa Lucia stieg ich als einer der letzten aus und ging, die blaue leinene Reisetasche wie stets über der Schulter, den Bahnsteig langsam hinab in die Halle, wo ein wahres Heer von Touristen in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten und auf dem blanken Steinboden lagerte, dicht nebeneinander hingestreckt wie sonst ein fremdes Volk auf dem Weg durch die Wüste.

(S. 98)

Ich weiß nicht, ob es dieser Anblick gewesen ist, der mich den Entschluß fassen ließ, nicht in Venedig zu bleiben, sondern unverzüglich nach Padua weiterzufahren ...

(S. 100f)

... ging ich durch den tosenden Verkehr wieder zu dem unweit der Kapelle gelegenen Bahnhof zurück, um den nächstbesten Zug nach Verona zu nehmen, ...
...
war ich außerstande, auszusteigen. Unfähig, mich zu rühren, blieb ich, zu meiner eigenen, nicht geringen Verwunderung, sitzen auf meinem Platz, und als der Zug Verona verlassen hatte und der Schaffner wieder den Gang entlang kam, bat ich ihn, mir ein Zusatzbillett auszustellen nach Desenzano, ...

(S. 100f)

Um viertel nach eins kam fahrplanmäßig der blaue Bus, mit dem ich nach Riva fahren wollte.

(S. 105)

... daß ich schließlich, als der Bus in Limone sul Garda hielt, meine Tasche aus dem Gepäcknetz heruntergeholt habe und ausgestiegen bin.

(S. 108)

Der 2. August war ein friedlicher Tag.

(S. 112)

Ich wanderte, die Tasche über der Schulter, als der letzte der Reisenden den Bahnsteig hinab und kaufte mir einen Stadtplan. Wie viele Stadtpläne habe ich nicht schon gekauft? Immerzu versuche ich, wenigstens vom Raum mir eine zuverlässige Vorstellung zu verschaffen. Mit dem Mailänder Stadtplan hatte ich jedenfalls, so schien es mir, die richtige Wahl getroffen, ...

(S. 126f)

In den Abendstunden war ich wieder auf dem Weg nach Verona.

(S. 137)



Schließlich, im Herbst 1987, fuhr ein Sturm über das Land hinweg, wie ihn hier niemand erlebt hatte je zuvor und dem nach amtlichen Schätzungen über vierzehn Millionen ausgewachsene Bäume zum Opfer gefallen sind, vom niedrigen Holz gar nicht zu reden. Es war in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober. Ohne Vorwarnung kam der Sturm aus der Biscaya die französische Westküste herauf, überquerte den Ärmelkanal und ging über die südöstlichen Teile der Insel in die Nordsee hinaus.

(Die Ringe des Saturn S. 315)

Im November 1987, nachdem ich die ausgehenden Sommermonate mit meinen verschiedenen Arbeiten beschäftigt in Verona, die Oktoberwochen aber, weil ich den Winter nicht mehr erwarten konnte, in einem weit oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation gelegenen Hotel verbracht hatte, faßte ich eines Nachmittags, als der Großvenediger auf eine besonders geheimnisvolle Weise aus einer grauen Schneewolke auftauchte, den Entschluß, nach England zurückzukehren, zuvor aber noch auf eine gewisse Zeit nach W. zu fahren, wo ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen war.

(Schwindel.Gefühle S. 195)

Nahezu einen Monat lang, bis Anfang Dezember, hatte ich mich in W. aufgehalten, und mehr oder weniger die ganze Zeit über war ich der einzige Gast im Engelwirt gewesen.

... entschloß ich mich, abzureisen,

... tags darauf also saß ich, W. schon unendlich weit hinter mir, im Expreß nach Hoek van Holland und fuhr durch das mir von jeher unbegreifliche, bis in den letzten Winkel aufgeräumte und begradigte deutsche Land.

(S. 286f)

Am nächsten Mittag, zurück in London, war mein erster Weg der in die Nationalgalerie gewesen.

Den Rückweg von der Nationalgalerie zum Bahnhof Liverpool Street machte ich zu Fuß.

(S. 293f)

Langsam bewegte sich der Zug aus dem Bahnhof Liverool Street hinaus, ...

(S. 295ff)



1991














So unbegreiflich mir diese Dinge von jeher gewesen sind, so unmöglich war es mir auch an jenem Abend auf dem Gunhill von Southwold, wirklich zu glauben, daß ich vor genau einem Jahr vom holländischen Strand aus nach England hinübergeschaut hatte. Ich war damals, nach einer bösen, in Baden in der Schweiz verbrachten Nacht über Basel und Amsterdam nach Den Haag gefahren und hatte mich dort in einem der zweifelhaften Hotels am Stationsweg einquartiert.
...
Den Haag, das zu jener Zeit um die vierzigtausend Einwohner zählte, nennt Diderot das schönste Dorf auf der Erde und den Weg von der Stadt an den Strand von Scheveningen hinaus eine Promenade, die nirgendwo sonst ihresgleichen habe. Es war nicht leicht, diese Ansichten nachzuvollziehen, als ich selber die Parkstraat entlang in Richtung Scheveningen wanderte.
...
Gegen Abend, in Amsterdam, saß ich in dem stillen, mit alten Möbeln, Bildern und Spiegeln ausgestatteten Salon eines mir von früher her bekannten Privathotels am Vondelpark und machte verschiedene Aufzeichnungen über die Stationen meiner nun beinahe abgeschlossenen Reise, über die in Bad Kissingen mit allerhand Nachforschungen verbrachten Tage, über den Panikanfall in Baden, die Bootsfahrt auf dem Zürcher See, die Glückssträhne in der Lindauer Spielbank, den Besuch in der Alten Pinakothek und den am Grab meines Namenspatrons in Nürnberg, von dem die Legende berichtet, daß er ein Königssohn gewesen sei aus Dacien oder Dänemark, der sich in Paris vermählt habe mit einer französischen Prinzessin.
...
Das Flughafengebäude von Schiphol am nächsten Morgen war erfüllt von einer so wunderbar gedämpften Stimmung, daß man glauben konnte, man befinde sich schon ein Stück jenseits der irdischen Welt.
...
Das kleine Propellerflugzeug, das zwischen Amsterdam und Norwich verkehrt, stieg zuerst der Sonne entgegen, ehe es in westlicher Richtung abdrehte.

(Die Ringe des Saturn S. 99ff)



Als ich Mitte September 1991, in einer Zeit entsetzlicher Dürre, von England aus nach Deauville gefahren bin, war die Saison längst zu Ende gegangen, und selbst das Festival du Cinema Americain, mit dem man dort die einträglicheren Sommermonate ein wenig zu verlängern versucht, war schon vorbei.

(Die Ausgewanderten S. 171)

... daß ich, Ende Juni 1991, nach Kissingen und Steinach gefahren bin. Über Amsterdam, Köln und Frankfurt reisend, erreichte ich mein Ziel nach einigem Umsteigen und längeren Aufenthalten in den Bahnhofswirtschaften von Aschaffenburg und Gemünden.

(S. 327.)



1992

Im August 1992, als die Hundstage ihrem Ende zugingen, machte ich mich auf eine Fußreise durch die ostenglische Grafschaft Suffolk in der Hoffnung, der nach dem Abschluß einer größeren Arbeit in mir sich ausbreitenden Leere entkommen zu können.

(Die Ringe des Saturn S. 11)



1993





Jahre nach diesen wenigen zuletzt mit Catherine Ashbury gewechselten Worten habe ich sie noch einmal gesehen oder zu sehen geglaubt, in Berlin im März 1993. Ich war mit der U-Bahn zum Schlesischen Tor gefahren ...

(Die Ringe des Saturn S. 262)





Vielleicht war es darum auf den Tag genau ein Jahr nach dem Beginn meiner Reise, daß ich, in einem Zustand nahezu gänzlicher Unbeweglichkeit, eingeliefert wurde in das Spital der Provinzhauptstadt Norwich, wo ich dann, in Gedanken zumindest, begonnen habe mit der Niederschrift der nachstehenden Seiten.
...
Ich begann meinen Körper zu spüren, den tauben Fuß, die schmerzende Stelle in meinem Rücken, registrierte das Tellergeklapper, mit dem draußen auf dem Gang der Krankenhaustag anhob, und sah, als das erste Frühlicht die Höhe erhellte, wie, anscheinend aus eigener Kraft, ein Kondensstreifen quer durch das von meinem Fenster umrahmte Stück Himmel zog. Ich habe diese weiße Spur damals für ein gutes Zeichen gehalten, fürchte aber jetzt in der Rückschau, daß sie der Anfang gewesen ist eines Risses, der seither durch mein Leben geht.

(S. 11ff)



1994















Heute, wo ich meine Notizen anfange ins reine zu schreiben, mehr als ein Jahr nach der Entlassung aus dem Spital, kommt mir zwangsläufig der Gedanke, daß damals, als ich vom achten Stockwerk aus hinabschaute auf die in der Dämmerung versinkende Stadt, in seinem schmalen Haus in der Portersfield Road Michael Parkinson noch am Leben gewesen ist, ...

(Die Ringe des Saturn S. 11f)

An einem Herbstsonntag 94

auf dem unbemannten
Bahnhof von Wolfenbüttel
warte ich auf den Trieb
wagen von Göttingen nach
Braunschweig. Schäfchen
wolken stehen am Himmel
ab & zu trudelt ein Blatt
von den Bäumen ein Senior
in brauner Bundhose fährt
auf einem Damenrad quer
über die Geleise. Ich höre

die Glocken läuten erinnere
mich an den Naumburger
Dom das Ulmer & das Freiburger
Münster die Frauenkirche
in München an längst
vergangene Sylvesternächte
& andere Katastrophen.
Die Herzog-August-Videothek
ein einheitsfenstriges erbs
wurstfarbenes Haus ist
geschlossen aber der Kiosk

zwischen dem Döner-Kebab
& dem Wellaform Haarsalon
hat offen für Leute die mal
schnell die Bild-Zeitung
holen oder ein Porno-Heft.
Auf dem Vorplatz bei
einem mit rosa Rosen
überwachsenen Jägerzaun
eine kleine Versammlung
von wetterfesten Trinkern
mit Bärten & Baseball

mützen wie Goldgräber
aus dem australischen
outback schauen sie aus.
Die Chantréflasche macht
die Runde & von einem
Wahlplakat an der
Litfaßsäule blickt
besorgt der Vater der
deutschen Nation in
sein wiederver
einigtes Land.

(Über das Land und das Wasser S. 72f)

an einem Sonntag-
nachmittag
im Monat
November fuhr ich
von Freiburg südwärts
über die Vorberge
des Schwarzwalds.

Bis zur burgundischen
Pforte hinab niedrige
unbewegliche Wolken,
im Schatten darunter
dunkel das Land,
das Gestrichel der

Weinstöcke hügelan.
Badenweiler scheint
nach einer schweren
Sommerepidemie
ausgestorben. Stille
Blutstürze, glaub ich,

in jedem Haus und jetzt
nirgends mehr eine
lebende Seele, sogar
der Parkplatz bei
den Anlagen leer.
Einzig im Arboretum

unter den Riesensequoien
begegne ich einer einsamen
nach Patschouli duftenden
Dame, die ein weißes
Pommeranerhündchen
auf ihren Armen trägt.

Beim Anbruch des
Abends senkt sich
im Westen die Sonne
zwischen die Wolken
und den Himmelsrand
des Vogesengebirges


und das beinahe schon
erloschene Licht flutet
über die Rheinebene,
die nun schimmert und zittert
wie das salzige Ufer eines
ausgetrockneten Meers.

(S. 72f)



1995



Heute, da ich meine Aufzeichnungen zum Abschluß bringe, schreibt man den 13. April 1995.
...
Ja, und zuletzt, wie wir am Morgen früh noch nicht wußten, ist Gründonnerstag, der 13. April 1995 auch der Tag, an dem Claras Vater, kurz nach seiner Einlieferung in das Coburger Spital, aus dem Leben geholt wurde. Indem ich jetzt, wo ich dies niederschreibe, noch einmal unsere beinahe nur aus Kalamitäten bestehende Geschichte überdenke, ...

(Die Ringe des Saturn S. 348ff)

Und in diesem Jahr bin ich zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren in einen Urlaub gefahren, zwei Wochen nach Korsika.

(Auf ungeheuer dünnem Eis S. 120)



1996























































... schließlich, im Frühsommer 1996, in Begleitung eines ausnehmend freundlichen, hoch am steileren Ufer des Sees ansässigen Gastgebers, der seiner Gewohnheit entsprechend eine Art Kapitänsmütze trug, indische Bidis rauchte und verhältnismäßig wenig redete, von der Stadt Biel aus tatsächlich übersetzte auf die im Verlauf der letzten Eiszeit vom Rhonegletscher zur Form eines Walfischrückens (wie es allgemein heißt) geschliffene Ile de Saint-Pierre.

(Logie in einem Landhaus S. 45)



Mein erster Weg am Tag nach meiner Ankunft in Piana führte mich aus dem Ort hinaus auf der in haarsträubenden Kurven, Kehren und Serpentinen bald schon steil abfallenden Straße, die über beinahe lotrechte, von grünem Buschwald dicht überwachsene Felsabbrüche hinabgeht bis auf den Grund einer mehrere hundert Meter tiefen, in die Bucht von Ficajola sich öffnenden Schlucht.

(Campo Santo S. 19)

Im September vergangenen Jahres, während eines zweiwöchigen Ferienaufenthalts auf der Insel Korsika, bin ich einmal mit einem blauen Linienbus die Westküste hinab nach Ajaccio gefahren, um mich in dieser Stadt, von der ich nichts wußte, außer daß der Kaiser Napoleon in ihr auf die Welt gekommen ist, ein wenig umzusehen.

(S. 7)

Im September 1996, auf einer Wanderung durch die Insel Korsika, bin ich einmal zur ersten Tagesrast auf einem Grasplatz am Saum des Hochwalds von Aitone gesessen.

(S. 223)

... so daß es zu einer Wiederaufnahme unserer vordem gleichermaßen engen wie distanzierten Beziehung tatsächlich erst zwei Jahrzehnte später, im Dezember 1996, durch eine eigenartige Verkettung von Umständen gekommen ist.

(Austerlitz S. 50)

... bin ich kurz vor Weihnachten nach London gefahren

(S. 52)

Eine halbe Stunde später saß ich in der Salon Bar des Great Eastern Hotel in der Liverpool Street und wartete auf den nächsten Zug nach Haus. Ich hatte mir eine dunkle Ecke ausgesucht, denn es war mir inzwischen tatsächlich zweierlei geworden in meiner gelben Haut. Schon bei der Herfahrt im Taxi hatte ich gedacht, es ginge in weiten Schleifen durch einen Lunapark, so drehten sich in der Windschutzscheibe die Lichter der Stadt, und auch jetzt kreisten die schummrigen Ballonleuchter, die Spiegelflächen hinter der Bar und die bunten Batterien der Spirituosenflaschen mir vor den Augen, als säße ich auf einem Karussell. Den Kopf gegen die Wand gelehnt und ab und zu langsam durchatmend, wenn die Übelkeit in mir aufstieg, hatte ich einige Zeit schon die Arbeiter aus den Goldminen der City beobachtet, die sich zu dieser frühen Abendstunde hier, an ihrem gewohnten Trinkplatz, einfanden, alle einander ähnlich, in ihren nachtblauen Anzügen, gestreiften Hemdbrüsten und grellfarbenen Krawatten, und indem ich versuchte, die rätselhaften Gewohnheiten dieser in keinem Bestiarium beschriebenen Tierart zu begreifen, ihr enges Beieinanderstehen, ihr halb geselliges, halb aggressives Gehabe, das Freigeben der Gurgel beim Leeren der Gläser, das immer aufgeregter werdende Stimmengewirr, das plötzliche Davonstürzen des einen oder anderen, da bemerkte ich auf einmal, am Rand der schon schwankenden Horde, einen vereinzelten Menschen, der niemand anders sein konnte als der seit bald zwanzig Jahren, wie mir in diesem Augenblick zum Bewußtsein kam, von mir vermißte Austerlitz.

(S. 56 ff.)

... sind wir durch den Park von Greenwich hinaufgestiegen zu dem königlichen Observatorium, in dem sich an jenem kalten Vorweihnachtstag außer uns kaum ein Besucher befand.

(S. 144)



1996/97

In Bamberg

liege ich schlaflos
in einem steinernen
Haus. Längst sind
die Spätheimkehrer
aus den Gassen
verschwunden und
es ist still, nur
die Regnitz rauscht
über das Wehr.

Strudel ziehen mich
unter das Wasser
mit den Steinen
roll ich am Grund
des Flußbetts dahin
ein schnappender Fisch
komme ich wieder
nach oben, die Augen
weit offen vor Angst.

In den Traumfluchten
gehen Gespenster um
das bucklige Männlein
zum Beispiel steht bei
dem Schleusenhäuschen
am Ludwigskanal. Es
trägt eine Brille
mit unheimlich
dicken Gläsern und

hat eine blaue
Baseballmütze
mit der Aufschrift
MARTINIQUE
verkehrt herum
auf dem Kopf.
Die Kaiserin
Kunigunde
wartet schon

ewig am Fuße
des Katzenberges
und auf der Brücke
zum alten Rathaus
von dem ein Öldruck
immer in unserem
Wohnzimmer hing
läuft mir der Hund
Berganza zum


dritten Mal über
den Weg. Ein Stück
flußaufwärts
droben im Hain
spazieren der Schorsch
und die Rosa an einem
Augustnachmittag
des dreiundvierziger
Jahrs im leichten

Staubmantel bzw.
die Trachtenjoppe
über die Schulter
gehängt. Beide
scheinen mir
glücklich, sorglos
zumindest und viel
jünger jedenfalls wie
ich es jetzt bin.

Also denkt sich
Kara Ben Nemsi
der Sohn des Deutschen,
fließet die Zeit
ein rubinrotes
von Ziffer zu Ziffer
springendes Zeichen
verrinnt sie
geräuschlos

vom Dunkel
der Nacht
in das Grauen
des Morgens
genau wie
vordem der
Sand durch
das Stunden
Glas lief.

Mai 1996
Mai 1997

Über das Land und das Wasser S. 76ff



1997







Ein Vierteljahr war beinah verstrichen, bis ich wieder nach London fuhr und Austerlitz besuchte in seinem Haus in der Alderney Street.

(Austerlitz S. 169)

Es war im September desselben Jahres, daß ich von Austerlitz einen Postkartengruß mit seiner neuen Anschrift (6, rue des cinq Diamants, im dreizehnten Arrondissement) erhielt, was, wie ich wußte, einer Einladung gleichkam, ihn möglichst bald aufzusuchen.
...
Ich traf mich mit Austerlitz verabredungsgemäß am Tag der Ankunft in der Bistrobar Le Havane am Boulevard Auguste Blanqui, unweit der Metro-Station La Glaciere.

(S. 358 f.)

Als ich mich kurz vor meiner Abreise aus Paris mit Austerlitz noch einmal zum Morgenkaffee am Boulevard Auguste Blanqui traf, ...

(S. 405)

... und es kann sein, daß ich deshalb auf der Rückreise in Antwerpen ausgestiegen bin, um mir noch einmal das Nocturama anzusehen und hinauszufahren nach Breendonk.

(S. 412)



In der Nacht auf

Allerseelen neunzehn
hundertsiebenund
neunzig im Flughafen
von Schiphol zwischen
Weltreisenden aus Seoul
& Saõ Paulo, Singapur
& Seattle.

(Über das Land und das Wasser S. 100)



1999

Mir aber wollte es
nicht recht gefallen
dies herrliche Geflecht
verschlungener Minnen
welches der Dichter
bei der Heimkunft

in seiner schönsten
Schrift kopiert &
eigenhändig mit
einem Deckel aus
rotem Maroquin &
einem Seidenband

gebunden hat. Ein
Faksimile davon habe
ich heute morgen
gesehen im Museum
von Marienbad nebst
ein paar anderen Sachen

die mir viel näher
gingen & unter denen
eine Dochtschere gewesen
ist & ein Siegellacksatz,
ein Ablegeschälchen aus
Papiermache & eine Feder-
zeichnung Ulrikes auf Papp-
karton, ...

Marienbad, 14. VIII. 99

Über Das Land und das Wasser S. 79ff







2013

- 2013 -

(Schwindel.Gefühle S. 299)






Die Gipfelregionen dieses tintenfarbenen Gebirges gleißten in ihren höchsten Höhen noch eine Weile wie die Eisfelder des Kaukasus, und indem ich sie allmählich erlöschen sah, fiel mir wieder ein, daß ich vor Jahren einmal im Traum ein ebensolches fernes und fremdes Gebirge seiner ganzen Länge nach durchwandert hatte. Es muß eine Strecke von tausend Meilen und mehr gewesen sein, durch Schluchten, Tobel und Täler, über Jochstraßen, Halden und Driften, am Saum großer Wälder entlang, über Steinfelder, Schotter und Schnee. Und ich entsann mich, daß ich im Traum, angekommen am Ende meines Wegs, einen Blick zurückwarf und daß es genau sechs Uhr abends gewesen ist. Die gezackten Gipfel der Berge, aus denen ich hervorgekommen war, hoben sich mit geradezu beängstigender Schärfe ab von einem türkisblau gefärbten Himmel, an dem zwei oder drei rosa Wolken schwebten. Es war ein Bild von einer mir unergründlichen Vertrautheit, das ich wochenlang im Kopf hatte und das, wie mir schließlich bewußt wurde, bis in die letzte Einzelheit übereinstimmte mit dem Bild des Vallülamassivs, das ich ein paar Tage vor meiner Einschulung in einem Zustand größter Übermüdung vom Omnibus aus gesehen hatte, als wir am Abend nach Hause fuhren von einem Ausflug ins Montafon. Wahrscheinlich sind es verschüttete Erinnerungen, die die eigenartige Überwirklichkeit dessen erzeugen, was man im Traum sieht. Vielleicht ist es aber auch etwas anderes, etwas Nebel- und Schleierhaftes, durch das hindurch, paradoxerweise, im Traum alles viel klarer erscheint. Ein kleines Wasser wird zu einem See, ein Windhauch zu einem Sturm, eine Handvoll Staub zu einer Wüste, ein Körnchen Schwefel im Blut zu einem vulkanischen Feuer. Was ist das für ein Theater, in dem wir Dichter, Schauspieler, Maschinist, Bühnenmaler und Publikum in einem sind? Gehört zum Durchqueren der Traumfluchten mehr oder weniger Verstand, als man mit hineinbringt ins Bett?

(Die Ringe des Saturn S. 98f)






Rick Jones zur Ausstellung 'Wandernde Schatten':
Inwieweit die echte Autobiografie Einzug in die erfundene Biografie gehalten hat, bleibt Spekulation, und obwohl die Ausstellung Anhaltspunkte liefert, will sie keine konkreten Fragen zu Sebalds Leben beantworten. Die Anordnung von Texten und anderen Exponaten spiegelt die Erinnerungsschichten und die oft poetische Satz-in-Satz-Syntax in den Geschichten wider, die wie die von Sebald in Austerlitz beschriebenen Festungsringe um Antwerpen ihdre Bedeutung verhüllen. In der Zwischenzeit müssen die Forscher ihre Hälse anstrengen, um zu versuchen, Gegenstände weit hinten in den Vitrinen zu lesen. Sie müssen bis nach der Ausstellung warten, um einen Laufzettel auszufüllen und einen Mann in den Archivladen zu schicken, um Gegenstände zu sammeln, die sie privat studieren möchten.