Funde




Klosterburg Kastl




Die kleine Leiche liegt im Paradies.
Natürlich nicht im von der christlichen Kirche halluzunierten Himmel - wohin sich alle Gläubigen nach dem Tode wünschen, sondern seit 2014 in der "Paradies" genannten Vorhalle der Klosterkirche in einem Spezialgefäß hinter Hochsicherheitsglas. Es ist die Mumie von Prinzessin Anna, Tochter Kaiser Ludwigs des Bayern, die bei einem Besuch im oberpfälzischen Kastl 1319 stirbt. Ludwig überlässt die Tote den dortigen Mönchen, die sie mumifizieren.


Ludwig der Bayer (1282 oder 1286 bis 1347) aus dem Haus Wittelsbach ist ab 1314 römisch-deutscher König und ab 1328 Kaiser im Heiligen Römischen Reich. 1314 werden mit Ludwig und dem Habsburger Friedrich zwei Könige gewählt und gekrönt. Der Thronstreit dauert mehrere Jahre, er wird 1325 beigelegt. Ludwigs Eingreifen in Norditalien entfacht einen Konflikt mit dem Papsttum, der bis zu seinem Tod 1347, fast seine gesamte Herrschaftszeit, andauert. Während des Konfliktes mit der Kurie entwickelt sich die Reichsverfassung in eine säkulare Richtung. Im Jahre 1328 findet eine „papstfreie“ Kaiserkrönung statt, indem Ludwig die Krone vom römischen Volk empfängt. Ludwig ist der erste Wittelsbacher als römisch-deutscher Kaiser. Im 14. Jahrhundert belegen ihn zeitgeschichtliche Quellen in gezielter Herabsetzung mit dem Beinamen „der Bayer“ (Bavarus). Seit den 1330er Jahren verfolgt Ludwig eine intensivere Hausmachtpolitik und erwirbt mit Niederbayern und Tirol große Gebiete. Der Herrschaftsausbau gefährdet aber die Konsensherrschaft mit den Fürsten als wesentliches Herrschaftsmuster des 14. Jahrhunderts. Die Spannungen im Gleichgewicht zwischen Fürsten und Kaiser führen 1346 zur Wahl Karls IV. als Gegenkönig. Ludwig stirbt 1347 im Kirchenbann.



400 Jahre liegt Anna in einem Steinsarkophag, dann bettet man sie in einen Wandschrein aus Holz um.
US-Wissenschaftler untersuchen die Mumie und stellen fest, dass außer dem Gehirn Herz, Magen, Darm und Lunge vorhanden sind und Prinzessin Anna an einer schweren Erkältung gestorben ist. Die Fachleute sind begeistert von den Mumifizierungskünsten der Mönche. Das Münchner Archäologische Institut tocknet und bebandelt die Mumie unter Mithilfe des Instituts für Mumien und den Iceman in Bozen - sie haben Ötzi konserviert.



Die Klosterburg hat eine wechselvolle Geschichte.

Um 1100 wird in der wohl zu karolingischer Zeit errichteten Burg ein Benediktinerkloster gegründet. Mönche der rasch aufblühenden Abtei Kastl besiedeln bald Kloster Reichenbach am Regen und wahrscheinlich auch Plankstetten und Auhausen .

1182/95 ist die Kirche vollendet, ein romanisches, dreischiffiges Kirchengebäude mit einem Wappenfries der lokalen Rittergeschlechter, die dem Kloster Güter spendeten - "Who is Who" des Oberpfälzer Adels.












Ritter Seyfried Schweppermann, berühmter Feldherr des Kaisers, liegt hier seit 1337 begraben und sein barockes Ehrenmal ziert der berühmte Ausspruch Ludwigs nach der Schlacht bei Mühldorf, als zum Essen nur ein Korb Eier zu finden ist: "Jedem eyn ey, dem braven Schweppermann zwey." Seyfrieds Söhne Hartung und Heinrich saßen auf ihrer nahen Burg in Pfaffenhofen.

Kloster Kastl vermehrt seinen Besitz stetig, ist bald eines der mächtigsten und reichsten Klöster des Reiches. Die "Kastler Reform" Anfang des 15. Jahrhunderts, eine monastischen Erneuerung, strahlt auf zahlreiche Klöster Bayerns aus, 1413 erlangt Kastl Reichsstand. Bei der Aufteilung der Oberpfalz nach dem Tod von König Ruprecht gibt es Streit, Ludwig darf die Reichsvogtei über das Kloster wahrnehmen.
Dann setzt rascher Verfall des Klosters ein, nach Einführung der Reformation in der Oberpfalz wird die verarmte Benediktinerabtei 1556 aufgehoben. Im Zuge der Rekatholisierung der Oberpfalz übergibt 1636 der bayerischen Kurfürst Kloster Kastl 1636 den Jesuiten in Amberg. Nach Auflösung und Verbot dieses Ordens (1773) erhält es der Malteserorden.

1808 (nach der Säkularisation) wird die Klosterkirche zur Pfarrkirche, 1825 zieht das Landgericht von der Burg Pfaffenhofen in die ungenutzten Gebäudebis 1862 ein.
Regensburg richtet ein Schullandheim für ihre Schuljugend ein, 1935 kommt ein weiblicher Arbeitsdienst dazu. Ca. 50 Mädchen müssen ihren halbjährigen Arbeitsdienst ableisten, wo sie bei kinderreichen Familien und bäuerlichen Betrieben zum Einsatz kommen. Die geschlossene Unterkunft sorgt für nationalsozialistische Erziehung. 1942 bis 1945 bringen die Nazis 181 geraubte slowenische Kinder in der Kastler Klosterburg unter - "zur Umerziehung und Eindeutschung". Die Nazis haben ihre Väter als Geiseln erschossen, ihre Mütter starben in Auschwitz.

Bei Kriegsende werden beide Einrichtungen aufgelöst. Im neu errichteten Flüchtlingslager finden 600 bis 800 und mehr Heimatvertriebene vorübergehend Notaufnahme. Im Herbst 1956 strömen viele Ungarn nach Deutschland, die Gemeinde Kastl nimmt das ungarische Gymnasium bis zum Ende des Schuljahres 2005/2006 in seine Klosterburg auf, 1958 ziehen 200 Schüler in die Räume ein.






Im zweisprachigen Unterricht pauken die Gymnasiasten nicht nur deutsche Grammatik, sondern pflegen gleichzeitig ungarisches Kulturgut.

Und genau das macht den „Kastler Geist“ aus, der die ehemaligen Schüler – insgesamt rund 4.000 – auch heute noch miteinander verbindet, nämlich eine neue Heimat gefunden zu haben, in der man frei leben und eine neue Kultur kennen lernen kann, ohne die Herkunft verleugnen zu müssen. Trotzdem bleibt die Schule keine abgeschottete ungarische Insel, Freundschaften zu den Dorfbewohnern entstehen, die Schule gehört bald zur Identität der Gemeinde. Nicht umsonst prägt das Gymnasium auch heute noch das Selbstverständnis der Kastler: „Ungarn ist fest in unseren Herzen“, sagt Bürgermeister Braun pathetisch.
2010 laden ehemalige Schüler zur Festveranstaltung ins ungarische Parlament, Weltenbürger dreier Generationen, verbunden durch ihre Wurzeln und die Jugendjahre im ungarisch-bayerischen Gymnasium „Burg Kastl“.
Finanzielle Probleme erzwingen 2006 das Ende der Schule. Aber der Leitgedanke des Gymnasiums lebt weiter, der es über nahezu fünfzig Jahre hinweg prägt und Deutschland derzeit zu fehlen scheint: Toleranz, Integration und Austausch verschiedener Kulturen, eben nationales und europäisches Freiheitsverständnis.

Neues Leben in Kastl?
Die Klosterburg soll zu einer Unterkunft mit 60 Einzelzimmern inklusiv Nasszellen für Polizeianwärter werden, neuer Hochschulstandort, eng verzahnt mit dem Studienbetrieb in Sulzbach-Rosenberg, dem Fachbereich Polizei der Hochschule für den öffentlichen Dienst.