Schriftsteller
All of my relatives are mad; I am insane as well
Gleiche Wurzeln, gleiches Schicksal




Edward Fitzgerald
Die Ringe des Saturn

Ich kam zur Welt, weiß nicht woher
Muss wie das Wasser fließen
Und sie als Wind verlassen,
weiß nicht wohin - ich wehe mit.

Dann streute ich die Saat der Weisheit aus
und pflegte sie mit eigenen Händen
doch dies ist alles, was mir blieb als Ernte:
Ich kam als Wasser und verhauch als Wind.



Omar Khayam

geboren 1048 in Nischapur/Persien, findet die Lösung kubischer Gleichungen durch ihre geometrische Darstellung, erst Jahrhunderte später setzt Descartes die Forschung daran fort ...
Malik Schah I., der Seldschukenfürst, beauftragt Khayam mit einem Observatoriumbau und Herstellung eines Sonnenkalenders (zu astrologischen Zwecken) - Omars Werk ist exakter als der 500 Jahre später entstandene Gregorianische Kalender!
Khayam schreibt sachliche, islamkritische philosophischen Texte, seine Vierzeiler (Rubaiyat) zeigen ihn als Aufklärer und Skeptiker, er stirbt 1131 in Chorasam.



Edward Fitzgerald

geboren 1809 Bredfield Hall in Woodbridge/Suffolk als Edward Marborough Purcell, trägt den metronymischen Namen, weil sein Vater John Purcell 1818 den Namen einer der wohlhabendsten Familien Englands, eben der FitzGeralds annimmt, aus der seine Frau und Kusine Mary Frances, die Mutter Edwards stammt.
O-Ton Edwards zu seiner Verwandtschaft:
All of my relatives are mad; I am insane as well, but am at least aware of the fact...

Die Familie verbringt einige Jahre in Frankreich, kehrt 1818 nach England zurück, wo Edward ab 1826 das Trinity College in Cambridge besucht. 1880 zieht FitzGerald erneut nach Frankreich (Paris), kehrt später aber wieder in seine Heimat zurück, widmet sich ganz Garten, Musik und Literatur, bringt Übersetzungen Calderóns heraus. Ein Bekannter, Linguist, schenkt ihm Kopien von Vierzeilern des Omar Khayam.

1859 veröffentlicht FitzGerald sein erstes anonymes Pamphlet unter dem Namen The Rubáiyát of Omar Khayyam, das zunächst niemand wahrnimmt, ab 1860 werden viktorianische Dichter darauf aufmerksam. FitzGeralds Übersetzungen zeichnen sich durch das Bestreben aus, sogenannte "readable" Versionen zu erstellen - oft signifikant vom Original entfernt.
Die Rubaiyats werden fester Bestandteil der englischsprachigen Kultur, FitzGerald ist der erste, der Khayyams Vierzeiler der westlichen Welt vorstellt, Omar wird in Europa und Amerika zum berühmtesten aller östlichen Dichter. Fitzgeralds Rubáiyát of Omar Khayyam ist nach der Bibel das im angelsächsischen Sprachraum meist verbreitete Buch ...

Dort nämlich, in Boulge, ist vor beinahe zweihundert Jahren der Schriftsteller Edward Fitz-Gerald, von dem im folgenden die Rede sein soll, aufgewachsen und, im Sommer 1883, auch begraben worden.
... ging ich zuerst von der A12 quer über die Felder nach Bredfield hinüber, wo FitzGerald am 31. März 1809 auf die Welt gekommen ist in dem sogenannten



Weißen Haus

von dem heute nur mehr die Orangerie existiert. Der Haupttrakt des um die Mitte des 18. Jahrhunderts errichteten Gebäudes, das genug Platz bot für eine zahlreiche Familie und eine nicht minderzahlreiche Dienstbotenschaft, wurde im Mai 1944 bis auf den Boden zerstört von einem wahrscheinlich für London bestimmten Raketengeschoß, das, wie so viele der von den Engländern als doodle bugs bezeichneten deutschen Vergeltungswaffen, plötzlich aus seiner Flugbahn stürzte und in dem abgelegenen Bredfield einen sozusagen gänzlich nutzlosen Schaden anrichtete. Auch von dem benachbarten Herrenhaus Boulge Hall, das die FitzGeralds 1825 bezogen, ist nichts mehr erhalten. Nachdem es 1926 ausgebrannt war, erhoben sich lange noch die verrußten Fassaden inmitten des Parks. Erst in der Nachkriegszeit hat man die Ruine, wahrscheinlich zur Gewinnung von Baumaterial, vollends eingerissen. Der Park selber ist heute verwahrlost, das Gras seit Jahren vermattet. Die großen Eichen sterben Ast für Ast ab, die hier und da notdürftig mit Ziegelbruch ausgebesserten Fahrwege sind voller Schlaglöcher, in denen schwarz das Wasser steht. Gleichermaßen verwahrlost ist das Wäldchen, das die von den FitzGeralds nicht gerade behutsam renovierte kleine Kirche von Boulge umgibt. Verfaulendes Holz, rostiges Eisen und sonstiger Unrat liegen überall herum. Die Gräber sind halb in die Erde gesunken, überschattet von den immer weiter vordringenden Ahornen. Kein Wunder, denkt man unwillkürlich, daß FitzGerald, der Beisetzungen ebenso wie jede andere Form von Feierlichkeit verabscheute, an diesem dunklen Ort nicht begraben werden wollte und eigens verfügte, man solle seine Asche ausstreuen über den glänzenden Spiegel des Meers. Daß er dennoch hierher, in eine Grabschaft neben dem



häßlichen Mausoleum

seiner Familie zu liegen kam, ist eine jener bösen Ironien, gegen die man selbst mit seinem letzten Willen nichts vermag. Der Klan der FitzGeralds war anglo-normannischen Ursprungs und über sechshundert Jahre in Irland ansässig gewesen, ehe die Eltern Edward FitzGeralds beschlossen, sich in der Grafschaft Suffolk niederzulassen. Das über Generationen hinweg durch kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Feudalherren, durch die rücksichtslose Unterwerfung der einheimischen Bevölkerung und eine kaum weniger rücksichtslose Heiratspolitik geschaffene Familienvermögen galt, selbst vor dem Hintergrund einer Zeit, in der der Reichtum der obersten Gesellschaftsschicht jedes herkömmliche Maß zu sprengen begann, für legendär und bestand, abgesehen von den Besitzungen in England, in erster Linie aus den schier unübersehbaren irischen Ländereien, aus der gesamten, auf diesen Ländereien sich befindenden beweglichen und unbeweglichen Habe sowie aus einer sicher nach Tausenden zählenden, zumindest in der Praxis noch so gut wie leibeigenen Bauernschaft.



Mary Frances FitzGerald,

die Mutter Edward FitzGeralds, war als die alleinige Erbin dieses Vermögens ohne Zweifel eine der finanzkräftigsten Frauen des Königreichs, und ihr Vetter, John Purcell, den sie eingedenk des Familienwahlspruchs stesso sangue, stessa sorte geehelicht hatte, gab, in Anerkennung der überragenden Stellung seiner Gemahlin, den eigenen Namen für den der FitzGeralds auf. Umgekehrt versteht es sich, daß Mary Frances FitzGerald sich durch die Eheschließung mit John Purcell in ihren Vermögensrechten in keiner Weise hatte einschränken lassen. Überlieferte Porträtdarstellungen zeigen sie als eine Dame von mächtigem Format, mit starken, abfallenden Schultern und einer geradezu furchteinflößenden Büste, die in ihrem ganzen Erscheinen für viele Zeitgenossen eine verblüffende Ähnlichkeit aufwies mit dem Herzog von Wellington. Wie nicht anders denkbar, verblaßte der angeheiratete Vetter neben ihr bald schon zu einer bedeutungslosen, wenn nicht gar verächtlichen Gestalt, zumal all seine Versuche, sich als Bergwerksunternehmer und durch diverse andere spekulative Vorhaben in der mit unerhörter Geschwindigkeit aufstrebenden Industrie eine unabhängige Position zu sichern, von einem Fehlschlag zum nächsten und schließlich dahin führten, daß er sein eigenes, nicht geringes Vermögen ebenso wie die Gelder, die seine Gattin ihm zukommen ließ, restlos durchbrachte und, nach einem Bankerottverfahren vor einem Londoner Gericht, nichts mehr für sich in Anspruch nehmen konnte als den Ruf eines aussichtslosen, von seiner Frau gnadenhalber ausgehaltenen Falliten. Diesen Umständen entsprechend blieb er auch die meiste Zeit auf dem Familiensitz in Suffolk, mit der



Wachtel- und Schnepfenjagd

und ähnlichen Dingen beschäftigt, während Mary Frances in ihrer Londoner Residenz Hof hielt. Gelegentlich kam sie in einer von vier Rappen gezogenen, kanariengelben Kutsche, mit einem eigenen Gepäckwagen und einer ganzen Schar von Lakaien und Zofen im Gefolge nach Bredfield gefahren, um nach den Kindern zu sehen und durch eine kurze Anwesenheit im Hause ihren Machtanspruch auch in diesem für sie sehr entfernten Bereich aufrechtzuerhalten. Immer, wenn sie an- oder abreiste, standen Edward und seine Geschwister wie versteinert hinter den Fenstern der Kinderstuben im obersten Stock oder hielten sich versteckt in dem Gebüsch bei der Einfahrt, zu eingeschüchtert von ihrer Herrlichkeit, als daß sie es gewagt hätten, ihr entgegenzulaufen oder zum Abschied zu winken. Im Alter von bereits über sechzig Jahren erinnert FitzGerald sich, wie seine Mutter bei ihren Besuchen in Bredfield manchmal in die Kinderstube hinaufkam und wie sie dort, eingehüllt in ihre raschelnden Kleider und in eine große Parfümwolke, wie eine fremde Riesin eine gewisse Zeit hin und her ging, dies und jenes bemerkte und bald schon die steile Treppe hinab wieder verschwand, leaving us children not much comforted. Da sich auch der Vater immer mehr in seiner eigenen Welt verlor, war die Aufsicht über die Kinder ganz der Gouvernante und dem Hauslehrer überlassen, die ihre Zimmer gleichfalls im obersten Stock hatten und naturgemäß dazu neigten, die unterdrückte Wut über die ihnen von ihren Brotgebern nicht selten entgegengebrachte Mißachtung an ihren Zöglingen auszulassen. Die Angst vor solcherlei Strafmaßnahmen und vor den mit diesen Strafmaßnahmen verbundenen Demütigungen, die ewigen Rechen- und Schreibarbeiten,von denen das allwöchentliche Aufsetzen einesBerichts an die Frau Mama wohl die widerwärtigstewar, und das wenig erfreuliche gemeinsame Einnehmender Mahlzeiten mit dem Tutor und dem Fräuleinbestimmten somit den Tagesablauf der Kinder und, außer diesem Regime, eine maßlose Langeweile, denn da ihnen fast jeder Kontakt mit Gleichaltrigen mangelte, wußten sie mit ihrer freien Zeit nichts anzufangen, als stundenlang geistesabwesend auf dem blau eingelassenen Bretterboden ihrer Stube zu liegen oder aus den Fenstern hinauszuschauen in den Park, in dem so gut wie niemals eine lebende Seele sich zeigte. Höchstens, daß einer der Gärtner eine Schubkarre über den Rasenplatz schob oder der Vater mit dem Wildhüter von der Jagd zurückkam. Nur an seltenen, glasklaren Tagen sah man manchmal, wie FitzGerald später erinnert, über Bredfield hinaus, erspähte schemenhaft über den Kronen der Bäume die weißen Segel der vor der zehn Meilen entfernten Küste kreuzenden Schiffe und träumte undeutlich von einer Befreiung aus dem Kinderverlies. So groß ist später, als er vom Studium in Cambridge zurückkehrte, FitzGeralds Horror vor dem mit schweren Teppichen ausgelegten und mit vergoldeten Möbelstücken, Kunstwerken und Reisetrophäen vollgeräumten Haus seiner Familie gewesen, daß er sich weigerte, es je wieder zu betreten, und daß er, statt dort standesgemäß Wohnung zu nehmen, ein winziges



zweizimmriges Cottage am Rande des Parks

bezog, in dem er die nächsten fünfzehn Jahre, von 1837 bis 1853, eine seine späteren exzentrischen Gewohnheiten in vielem schon vorwegnehmende Junggesellenwirtschaft führte. Meistenteils beschäftigte er sich in dieser Eremitage mit seiner in die verschiedensten Sprachen ausschweifenden Lektüre, mit dem Schreiben unzähliger Briefe, mit Notizen zu einem Lexikon der Gemeinplätze, mit dem Zusammentragen von Worten und Phrasen für ein komplettes Glossarium der Sprache der Seefahrt und des Seelebens sowie mit der Zusammenstellung von scrap-books jeder nur erdenklichen Art. Mit besonderer Vorliebe vertiefte er sich in Korrespondenzen aus vergangenen Zeiten, beispielsweise in diejenige der



Madame de Sévigné,

die für ihn in einem weit höheren Maße wirklich war als selbst seine sich noch am Leben befindenden Freunde. Immer wieder las er, was sie geschrieben hatte, zitierte sie in den eigenen Briefen, erweiterte in einem fort die Anmerkungen, die er zu ihr sich machte, und entwarf Pläne zu einem Sévigné-Dictionnaire, in dem nicht nur sämtliche Korrespondenzpartner und sämtliche in der Korrespondenz erwähnten Personen und Örtlichkeiten kommentiert, sondern auch so etwas wie ein Schlüssel zur Entwicklungsgeschichte ihrer Schreibkunst beigestellt werden sollte. FitzGerald hat das Sévigné-Projekt ebensowenig wie seine anderen literarischen Projekte zu Ende gebracht, wahrscheinlich auch gar nicht zu Ende bringen wollen. Erst im Jahr 1914, am Ausgang der Epoche, hat eine seiner Großnichten das umfangreiche Material, das heute noch in ein paar Pappschachteln in der Trinity College Library verwahrt liegt, in zwei inzwischen kaum mehr auffindbaren Bänden herausgegeben. Die einzige Arbeit, die FitzGerald zu seinen Lebzeiten selber ganz abgeschlossen und veröffentlicht hat, ist seine wundervolle Übersetzung des Rubáiyát des persischen Dichters Omar Omar Khayyam, in dem er, über eine Entfernung von achthundert Jahren hinweg, seinen engsten Wahlverwandten entdeckte. FitzGerald bezeichnete die endlosen Stunden, die er an die Übertragung des zweihundertvierundzwanzig Zeilen umfassenden Gedichts gewandt hat, als ein Kolloquium mit dem Toten, von dem er versuchte, uns Nachricht zu bringen. Die von ihm zu diesem Zweck ausgesonnenen englischen Verse fingieren in ihrer scheinbar absichtslosen Schönheit eine jeden Anspruch von Autorschaft weit hinter sich zurücklassende Anonymität und verweisen, Wort für Wort, auf einen unsichtbaren Punkt, an dem das mittelalterliche Morgenland und das erlöschende Abendland einander anders als im unseligen Verlauf der Geschichte begegnen dürfen.

For in and out, above, aboutbelow, 'T is nothing but a Magic Shadow-Show, Play'd in a Box whose Candle is the Sun, Round which the Phantom Figures come and go.
1859 war das Jahr der Veröffentlichung des Rubáiyát , und es war auch das Jahr, in dem William Browne, der für FitzGerald wahrscheinlich mehr bedeutet hat als jeder andere Mensch auf der Welt, unter Schmerzen verstarb an den schweren, bei einem Jagdunfall erlittenen Verletzungen. Die Bahnen der beiden hatten sich erstmals gekreuzt auf einer Ferienwanderung in Wales, als FitzGerald dreiundzwanzig und Browne gerade sechzehn geworden war. Unmittelbar nach dem Tod Brownes ruft sich FitzGerald in einem Brief noch einmal in Erinnerung, mit welcher Rührung er ihn an dem Morgen, nachdem sie auf dem von Bristol abgehenden Dampfboot miteinander ein wenig geredet hatten, in dem Boarding House in Tenby, das ihnen beiden als Quartier diente, wiedersah - mit etwas Kreide vom Billardspielen an der Wange - wie einen weiß Gott wie lang schon Vermißten.

In den Jahren, die auf die erste Begegnung in Wales folgten, besuchten sich Browne und FitzGerald wiederholt gegenseitig in Suffolk beziehungsweise Bedfordshire, fuhren mit einem Einspänner über Land, durchstreiften die Felder, kehrten gegen Mittag in eine Gastwirtschaft ein, schauten den immer nach Osten ziehenden Wolken nach und spürten manchmal vielleicht an der Stirne die Strömung der Zeit. A little riding, driving, eating, drinking etc. (not forgetting smoke) fill up the day, notierte FitzGerald. Browne hatte meistens das Angelzeug dabei und seine Flinte und etwas zum Aquarellieren, FitzGerald irgendein Buch, in dem er aber kaum las, weil er das Auge nicht abwenden konnte von seinem Freund. Es ist nicht klar, ob er sich, damals oder überhaupt je, wirklich Rechenschaft gegeben hat über die Sehnsucht, die ihn bewegte, doch waren allein die Sorgen, die er sich fortwährend um den Gesundheitszustand Brownes machte, ein Anzeichen seiner tiefen Passion. Zweifellos verkörperte Browne für FitzGerald eine Art Idealbild, aber gerade deshalb erschien er ihm auch von Anfang an unter den Schatten der Vergänglichkeit und ließ ihn befürchten, that perhaps he will not be long to be looked at. For there are, so bemerkte FitzGerald, signs of decay about him. Daß Browne später heiratete, änderte nichts an den Gefühlen, die FitzGerald für ihn hegte, sondern bestätigte nur dessen dunkle Vorahnung, daß er ihn nicht würde festhalten können und daß der Freund bestimmt sei für einen frühen Tod. Die Liebeserklärung, die FitzGerald wahrscheinlich nie zu machen wagte, findet sich erst in dem Beileidsbrief an die Witwe, die dieses seltsame Schreiben wohl mit Verwunderung, wenn nicht gar mit einer gewissen Konsterniertheit aus der Hand gelegt haben wird. FitzGerald stand in seinem fünfzigsten Jahr, als er William Browne verlor.

Immer mehr zog er sich nun auf sich selber zurück. Hatte er sich die längste Zeit schon geweigert, an den pompösen Diners teilzunehmen, zu denen die Mutter ihn früher regelmäßig nach London zitierte, weil ihm das Ritual des gemeinsamen Tafelns als die abscheulichste von allen abscheulichen Gewohnheiten der gehobenen Gesellschaft vorkam, so verzichtete er jetzt auch auf seine gelegentlichen Besuche in den Galerien und Musikhäusern der Hauptstadt und kam nur ausnahmsweise noch über seinen engsten Umkreis hinaus. I think I shall shut myself up in the remotest nook of Suffolk and let my beard grow, schrieb er und hätte es gewiß dabei belassen, wenn ihm nicht auch diese Umgebung verleidet worden wäre durch einen neuen Schlag von Grundbesitzern, die aus ihren Landgütern herauswirtschafteten, soviel als nur irgend ging. Sie fällen sämtliche Bäume, klagte er, und reißen die Hecken heraus. Die Vögel wissen schon bald nicht mehr, wohin. Ein Wäldchen ums andere verschwindet, die Wegraine, wo im Frühjahr Schlüsselblumen und Veilchen wuchsen, sind aufgepflügt und eingeebnet, und wenn man heute von Bredfield nach Hasketon geht auf dem einst so schönen Pfad, so ist es, als durchquerte man eine Wüste. Aufgrund der Abneigung, die FitzGerald bereits in der Kindheit gegen seine eigene Klasse gefaßt hatte, waren die Jahr für Jahr rücksichtsloser werdende Ausbeutung des Landes, die mit immer fragwürdiger werdenden Mitteln verfolgte Vermehrung des Privateigentums und die immer radikalere Einschränkung der Gemeinrechte ihm in der Seele zuwider. And so, sagte er, I get to the water: where no friends are buried nor Pathways stopt up. Tatsächlich verbrachte FitzGerald nach 1860 einen Großteil seiner Zeit am Ufer des Meers beziehungsweise an Bord der auf den Namen Scandal getauften hochseetüchtigen Yacht, die er sich hatte bauen lassen. Von Woodbridge aus fuhr er den Deben hinab und die Küste hinauf bis Lowestoft, wo er unter den Heringsfischern seine Mannschaft anheuerte und nach einem Gesicht suchte, das ihn erinnerte an William Browne. Auch weiter hinaus auf den deutschen Ozean segelte FitzGerald, und so, wie er es immer abgelehnt hatte, für besondere Gelegenheiten sich zu kleiden, so trug er auch jetzt nicht eines der gerade in Mode gekommenen Yachtkostüme, sondern einen alten Überrock und auf dem Kopf einen festgebundenen Zylinder. Seine einzige Konzession an die von einem Yachtbesitzer erwartete Eleganz der Erscheinung war die lange weiße Federboa, die er, wie berichtet wird, gerne an Deck anlegte, und die, von weitem sichtbar, hinter ihm herwehte im Wind. Im Spätsommer 1863 beschloß FitzGerald, mit der Scandal nach Holland hinüberzufahren, um im Den Haager Museum das von Ferdinand Bol 1652 gemalte Bildnis des jungen Louis Trip anzuschauen. Nach der Ankunft in Rotterdam überredete ihn sein Reisebegleiter, ein gewisser George Manby aus Woodbridge, zunächst die große Hafenstadt zu besichtigen. Und also sind wir, schreibt FitzGerald, den ganzen Tag in einem offenen Wagen unterwegs gewesen, einmal in dieser Richtung und einmal in jener, bis ich überhaupt nicht mehr wußte, wo ich war, und todmüde am Abend ins Bett gesunken bin.

Der darauffolgende Tag verging in Amsterdam auf ähnlich unangenehme Weise, und erst am dritten Tag langten wir endlich, nach allerhand dummen Zwischenfällen, im Haag an, als gerade das Museum zugesperrt wurde bis zum Anfang der nächsten Woche. FitzGerald, schon arg mitgenommen von der Unrast des Reisens zu Land, faßte diese ihm unbegreifliche Maßnahme als eine eigens auf seine Person gemünzte Gemeinheit der Holländer auf, steigerte sich in einen furchtbaren Wut- und Verzweiflungsanfall hinein, in dem er abwechslungsweise die engstirnigen Holländer, seinen Begleiter George Manby und sich selber beschimpfte, und bestand darauf, unverzüglich nach Rotterdam zu fahren und Segel zu setzen nach Hause. - Die Wintermonate über lebte FitzGerald in jenen Jahren in Woodbridge, wo er bei einem Büchsenmacher am Markt ein paar Zimmer mietete. Oft sah man ihn damals gedankenverloren in der Stadt herumspazieren, in seinem irischen Cape und meistens, sogar bei schlechtem Wetter, in Pantoffeln. Hinter ihm her ging der schwarze Labrador Bletsoe, den ihm Browne noch geschenkt hatte. 1869, nach einer Auseinandersetzung mit der Frau des Büchsenmachers, die die Gewohnheiten ihres exzentrischen Untermieters als eine Zumutung empfand, bezog FitzGerald sein letztes Domizil, ein am Ortsrand gelegenes, ziemlich heruntergekommenes Bauernhaus, in dem er, wie er sagte, für den Schlußakt sich einrichtete. Seine stets äußerst bescheidenen Ansprüche waren im Lauf der Zeit noch geringer geworden. Hatte er sich seit Jahrzehnten schon rein vegetarisch ernährt, weil es ihm grauste vor dem von seinen Zeitgenossen zur Erhaltung der Lebenskraft für notwendig gehaltenen Verzehr großer Mengen von halbgarem Fleisch, so verzichtete er jetzt fast ganz auf den, wie ihm schien, absurden Aufwand des Kochens und nahm außer Brot, Butter und Tee nur mehr wenig zu sich. An guten Tagen saß er, von weißen Tauben umflattert, im Garten, sonst oft sehr lange am Fenster, von dem aus er einen Ausblick hatte auf eine von gestutzten Bäumen gesäumte Gänseweide. Und in dieser Einsamkeit blieb er, wie sich an seinen Briefen ablesen läßt, erstaunlich guter Dinge, auch wenn ihn nicht selten die von ihm so genannten blauen Teufel der Melancholie anfielen, die vor vielen Jahren schon seine schöne Schwester Andalusia zugrunde gerichtet hatten. Im Herbst des siebenundsiebziger Jahres reiste er noch einmal nach London, um einer Aufführung der Zauberflöte beizuwohnen.

Im letzten Augenblick aber entschloß er sich, deprimiert vom Novembernebel, von der Nässe und dem Dreck auf den Straßen, gegen den geplanten Besuch im Opernhaus von Covent Garden, der ihm, wie er schrieb, wohl ohnehin nur seine ihm teuren Erinnerungen an die Malibran und die Sontag verdorben hätte. I thiuk it is now best, schrieb er, to attend these Operas as given in the Theatre of one's own Recollections. Bald freilich konnte FitzGerald auch solche Erinnerungsinszenierungen nicht mehr veranstalten, weil die Musik in seinem Kopf übertönt wurde von einem unablässigen Sausen in den Ohren. Außerdem wurde sein Augenlicht zusehends schwächer. Meist mußte er jetzt blaue und grüne Brillengläser tragen und brauchte den Buben seiner Haushälterin zum Vorlesen. Eine in den siebziger Jahren aufgenommene Photographie, die einzige, die er von sich hat machen lassen, zeigt ihn mit abgewandtem Gesicht, weil seine kranken Augen, wie er an seine Nichten zur Entschuldigung schrieb, beim direkten Hineinschauen in die Apparatur allzusehr blinkten. - FitzGerald pflegte beinahe jeden Sommer auf ein paar Tage seinen Freund George Crabbe zu besuchen, der in Merton in Norfolk ein Pfarramt versah. Im Juni 1883 machte er sich das letzte Mal auf diese Reise. Merton ist von Woodbridge ungefähr sechzig Meilen entfernt, aber die Bahnfahrt über das komplizierte Streckennetz, das sich im Lauf von FitzGeralds Leben überallhin ausgebreitet hatte, nahm mit fünfmaligem Umsteigen einen ganzen Tag in Anspruch. Was die Brust FitzGeralds bewegt haben mag, wie er, in die Polster seines Waggons zurückgelehnt, die Hecken und Kornfelder draußen vorbeiziehen sah, das ist nicht überliefert, aber vielleicht war es wie dereinst, als er, in der Postkutsche von Leicester nach Cambridge unterwegs, beim Anblick der Sommerlandschaft gleich einem Engel sich fühlte, weil ihm plötzlich, ohne daß er gewußt hätte warum, Tränen des Glücks in die Augen stiegen. In Merton wurde er von Crabbe mit dem Dogcart von der Bahn abgeholt. Es war ein langer, außergewöhnlich heißer Tag gewesen, aber FitzGerald sagte etwas von kühler Luft und hielt sich in dem Wägelchen fest in sein irisches Plaid gewickelt. Bei Tisch trank er ein wenig Tee, lehnte es jedoch ab, etwas zu essen. Gegen neun Uhr bat er um ein Glas Brandy und Wasser und begab sich, um sich zur Ruhe zu legen, nach oben. In der Morgenfrühe des nächsten Tages hörte ihn Crabbe in seinem Zimme herumgehengehen, doch als er ihn später zum Frühstück holen wollte, da fand er ihn ausgestreckt auf dem Bett und nicht mehr am Leben.

... bald darauf wieder erwacht aus einem Traum, in dem ich FitzGerald, meinen Vortagsgefährten, in Hemdsärmeln und schwarzseidenem Jabot und mit dem Zylinderhut auf dem Kopf an einem blauen Blechtischchen sitzen sah in seinem Garten. Um ihn her blühten die mehr als mannshohen Malven, in einer Sandkuhle unter einem Holderbusch scharrten die Hühner, und im Schatten lag ausgestreckt der schwarze Hund Bletsoe. Ich aber saß, ohne im Traum mich selber sehen zu können, und also wie ein Gespenst, FitzGerald gegenüber und spielte mit ihm eine Partie Domino. Jenseits des Blumengartens erstreckte sich bis an den Weltrand, wo die Minarette von Khoranan aufragten, ein gleichmäßig grüner und vollkommen leerer Park. Es war jedoch nicht der Park der FitzGeralds in Boulge ...