Der 30jährige Krieg
Krieg der Kriege
Der Krieg 1618 bis 1648 - im Jahr 2018 vor 400 Jahren zu Ende - Stoff nur für Historiker?
Nein, engste Bezüge zu heute, wenn man den Krieg modelltheoretisch betrachet, was heißt, den Krieg typologisch zu beschreiben und in Faktoren, Bedingungen, Motive zu zerlegen, etwa mit Blick auf aktuelle Konflikte in Afrika und im Orient.
Man kann das auf zwei Ebenen tun. Zum einen auf der unmittelbaren Ebene der Erscheinung:
Die Parteien in Syrien oder auch im Jemen führen vorwiegend Belagerungskriege - mit hoher Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung. Gleichzeitig dauern die Kriege so lange, weil von außen permanent neues Geld und neue Kämpfer einströmen, Beispiel IS oder die Hisbollah, die Assad zur Seite steht, die Russen, die Iraner oder die Amerikaner.
Vor 400 Jahren waren es die Schweden, Dänen, Spanier und Franzosen.
Zum anderen aber begann der heutige Syrienkrieg auch als Verfassungskrieg, vom Westen leichtfertig und so unwissend als "Arabischer Frühling" bezeichnet. Hieraus entwickelte sich rasch ein religiöser Konflikt, der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten, den die Diktaturen zuvor unterdrückt hatten.
Und es ist auch ein Krieg um die Verschiebung von Grenzen in diesem Raum, die die Europäer nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend willkürlich zogen.
Und es geht darum, wer dort das Sagen hat, also um die Hegemonie in der Region: der Iran, Saudi-Arabien oder gar die Türkei? Damals wie heute handelt es sich also um einen Verfassungs-, Religions- und Hegemonialkrieg, der gleichzeitig den Kampf um die Verlagerung von Staatsgrenzen einschließt. Wenn man zu einem stabilen Frieden kommen will, muss man diese vier Ebenen auseinanderlegen, einzeln verhandeln, Kompromisse finden.
Die historische Vorlage begann 1618 mit einem Aufstand der adligen Stände in Böhmen. Beim berühmten Prager Fenstersturz ging es zunächst um die freie Religionsausübung in Böhmen. Doch sehr bald drehten sich die Spannungen auch um die Frage, wer überhaupt das Sagen haben würde, der König von Böhmen oder die böhmischen Reichsstände. Diese Auseinandersetzung wiederum hatte strategische Bedeutung für Spanien, das in einem jahrzehntelangen Krieg mit den abgefallenen Niederlanden stand und dafür die Durchmarschstraße von den Westalpen bis nach Flandern brauchte, an der das pfälzische Territorium lag.
Pfälzischer Kurfürst war Friedrich V., den die Stände im Widerstand gegen die Habsburger zum böhmischen König wählten - und der als "Winterkönig" später tragisch scheiterte. Das protestantische Schweden und das katholische Frankreich hatten auch aus machtpolitischen Gründen vitales Interesse an diesem Konflikt. Frankreich schlug sich später sogar auf die Seite der Protestanten.
Sachsen unter Kurfürst Johann Georg I. lag mitten im Konfiktgebiet. Der Kurfürst verhielt sich im Konfessionskonflikt jahrelang neutral und im Verfassungskonflikt prokaiserlich, obwohl Sachsen die Vormacht des Protestantismus lutherischer Prägung war. Aber Johann Georg gab sich kaisertreu - so bei der Niederwerfung von Böhmen, Mähren, Schlesien und der beiden Lausitzen. 1631 aber schlägt sich der Kurfürst auf die schwedische Seite. Bis dahin hatte er eine opportunistische Politik betrieben, mit der er Sachsen ganz klug aus dem Verwüstungskrieg auf deutschem Boden heraushalten konnte. Nach 1631 war das nicht mehr der Fall, weil mit den Durchzügen der kaiserlichen Truppen unter Wallenstein Sachsen Kriegsgebiet wurde, was die großen Schlachten bei Breitenfeld, Lützen und anderswo zeigten.
Sachsen war mit seinen weiten Ebenen und Flüssen, auf denen das Material für die Truppe auf Kähnen heranzuschaffen war, idealer Treffpunkt für den Abgleich der militärischen Kräfte. Johann Georg musste sich wohl oder übel auf eine Seite schlagen, um nicht ganz unter die Räder zu geraten Am Ende kam Sachsen rnit einem blauen Auge davon. Die Soldadeska verwüstete es fürchterlich, aber es war auch einer der Gewinner des Friedens: Sachsen erhält beide Lausitzen und verteidigte die
Führungsrolle im Protestantismus.
Der stetige Wechsel der Kriegstypen - vom Konfessions- über den Veifassungs- bis hin zum Hegemonialkrieg hatte Folgen für die Soldaten. Anfangs waren keine stehenden Heere vorhanden, man kämpfte mit schnell angeworbenen Armeen. Condottieri, also Söldnerführer, organisierten militärische Arbeitskraft und stellen sie in dieser Form den Nachfragenden - einer Stadt oder einem Territorialherren zur Verfügung. Diesen Condottieri, heute nennen wir sie Warlords, bestimmen das Kriegsgeschehen. Nach der Ära der großen Schlachten, also von 1631 bis 1634, entwickelt sich ein Krieg, in dem nicht mehr Militär gegen Militär kämpft. Stattdessen drangsalieren die Söldner vielerorts die Zivilbevölkerung.
Wer für wen und in welchem Heer kämpfte, hatte neben konfessionellen Loyalitäten auch etwas damit zu tun, wo man das meiste Geld verdienen konnte. Der Krieg ernährte den Krieg.
War Grund für die Aufnahme der Friedensgespräche Erschöpfung? Absolut war die Erschöpfung nicht, prinzipiell hätten alle Seiten weiterkämpfen können. Aber ihre finanziellen Ressourcen waren verbraucht. Und im Abgleich der Chancen, die Kriegsziele noch zu erreichen und der dafür aufzuwendenden Mittel, kam schließlich auch die kaiserlich-katholische Seite zum Ergebnis, dass sich das, was im Friedensschluss womöglich herauskommen wird, bei Fortführung des Krieges nicht mehr verbessem würde.
Der Papst in Rom war mit dem Freiden nicht einverstanden. Auch viele reformierte Intellektuelle meinten, dass es besser gewesen wäre weiterzukämpfen. Am Ende setzte sich so etwas wie Staatsräson gegen konfessionelle Wertevorstellungen durch, es siegte die politische Vernünftigkeit. Ungewöhnlich für diese Zeit.
2016 hat Frank-Walter Steinmeier, damals Außenminister, beim Historikertag gesagt, der Nahe Osten brauche eine Westfälische Ordnung. Ob ihm bewusst war, dass die Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück, die zum Westfälischen Frieden von 1648 führten, mehr als vier Jahre dauerten?
Auf jeden Fall wird Syrien ein mühseliger Prozess. Man muss erst einmal die Kriegsgründe auseinanderlegen und gesondert voneinander verhandeln, wie das die Parteien damals auch gemacht haben: In Osnabrück klärten sie die konfessionellen Fragen, in Münster die machtpolitischen.
Voraussetzung für die Gespräche: Alle Seiten müssen zum Kompromiss fähig sein.
Ob die Berücksichtigung demokratischer Werte und humanitärer Fragen den Krieg verkürzt, ist zweifelhaft. Die Assad-Anhänger in Syrien würden argumentieren, wenn sie permanent Hilfe in belagerte Städte hineinlassen, halten die Belagerten umso länger durch - und das verlängert den Krieg. Bei allem furchtbaren Leid, das dort geschieht: Auf einer Metaebene betrachtet, ist schwer zu sagen, was aus humanitärer Sicht besser ist: Den Krieg möglichst schnell ausbrennen zu lassen oder ihn immer wieder zu unterbrechen und neu anzufachen, indem Zivilisten und Soldaten versorgt werden. Kompliziert macht alles, da es weniger um Werte als um Interessen in der Region geht.
Auch im Dreißigjährigen Krieg ist es nicht einfach zu erklären, warum der Schwedenkönig Gustav Adolf eingriff. Ging es ihm um die Hegemonie im Ostseeraum, oder um den schwedischen Kupferpreis oder doch um die Rettung des Protestantismus in Deutschland?
Auch wenn heute eine völlig andere Zeit ist, kann man vielleicht hoffen oder realistisch darauf einstellen, dass der Nahe Osten am Ende eine neue politische Ordnung bekommt - wie Europa 1648. Es werden zudem sehr lange und sehr komplizierte Friedensgespräche, in denen die Frage zu klären ist, wie sich die jetzt verfeindeten Konfessionen so ordnen, dass sie wieder zusammenleben können. Muss man sie räumlich trennen oder gibt es so etwas wie eine unfreundliche
Koexistenz an identischen Orten?
Der Wegfall des Irak hat die Verhältnisse im Vorderen Orient dramatisch verändert. Es gibt jetzt viele Mächte, die das zu ihren Gunsten ausnutzen wollen. Die Europäer, die USA und Russland müssen sich klar darüber werden, wo ihre Einflussbereiche sind und wie das zu regeln ist.
Zum 30jährigen Krieg konstatiert die britische Historikerin C.V. Wegdewood in ihrem Standardwerk von 1965, es sei ein nutzloser Krieg gewesen.
Aber der Westfälische Frieden hat die die politische Ordnung dieser Zeit komplett umgestellt - von einer stark hierarchischen, kaiserlichen Ordnung auf eine eher egalitäre, in der fünf Mächte das Sagen hatten. Der Krieg hat also die politischen Strukturen verändert. Und seitdem gibt es nur zwei Aggregatzustände des Politischen: Krieg oder Frieden.
Etwas Drittes gibt es nicht. Die Zeiten, in denen alle möglichen Feldzüge ohne Kriegserklärung stattfanden, waren vorbei. Die Westfälische Ordnung war eine andere, weil geordnete Welt. Kriege wurden juristisch organisiert im Akt der Kriegserklärung und den Krieg beendete man qua Waffenstillstand und Friedensschluss. Das war in Münster und Osnabrück noch anders: Da ging der Krieg während der Verhandlungen weiter.
Der Begriff "Dreißigjähriger Krieg" setzt sich übrigens erst so richtig mit Friedrich Schillers 1792 veröffentlichter gleichnamiger Geschichte des Dreißigjährigen Krieges durch. Von da an ist der Begriff verbindlich. Ja, und er wird zum Trauma für die Zeitgenossen des Krieges:
Deutschland verlor damals durch kriegerische Handlungen, aber auch durch Seuchen, Hunger und marodierende Söldner ein Drittel seiner Bevölkerung. Das war in relativen Zahlen mehr als in beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zusammen. Die Menschen verstanden sich aber damals nicht als Deutsche, sondern als Sachsen, Böhmen, Bayern oder Pfälzer. Darstellungen wie die Schillers und des Historikers Gustav Freytag befeuerten das deutsche Nationalbewusstsein im 19. Jahrhundert. Man war in der Tat zurückgeworfen in der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung. Nach den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert aber ist der 30jährige Krieg weitgehend aus der Erinnerung der Deutschen verschwunden.
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