Jacob Rees-Mogg



Ein lebendes Fossil. Erzreaktionär, reich, überkandidelt: Jacob Rees-Mogg, früher politische Randfigur, heute als Nachfolger der Premierministerin gehandelt.
Jacob Rees-Mogg gerät nie aus der Fassung. Wenn es brenzlig wird, unterbricht der 48 Jahre alte Konservative lediglich kurz seine Rede und rückt seine randlose Brille zurecht. Dann setzt er seine wohlformulierten Worte fort, ruhig und leise. Er weiß, dass es reicht, was er sagt, und dass es nicht darauf ankommt, wie laut er es sagt. Er ist der gefährlichste Widersacher der britischen Premierministerin Theresa May – auch wenn er vorgibt, sie zu stützen. Er wird nicht ausfallend wie Boris Johnson, schlägt nicht auf die populistische Pauke wie Nigel Farage und er macht sich nicht lustig wie David Davis.

Rees-Mogg hat eine spitzere Waffe: Mit juristischen, verfassungsrechtlichen und parlamentarischen Winkelzügen verhindert er jeden Ansatz, der Großbritannien einem "weichen" Brexit näherbringen könnte. Vor allem kämpft er gegen Theresa Mays Plan, Großbritannien im Warenverkehr an den Binnenmarkt und die Zollunion zu binden. Seiner Meinung nach ist das "ein schlechter Plan". Er will, dass das Vereinigte Königreich die Zollunion und den Binnenmarkt verlässt, im Zweifel ohne Abkommen. Hauptsache, das Volk bekommt seinen Brexit. Diese Woche hat er sich wieder durchgesetzt. Vier Änderungsanträge hatte Rees-Mogg am Montag mit einer Gruppe von Hardlinern im Parlament eingebracht, um das von May geplante Zollabkommen mit der EU zu kippen und die von der EU mit Großbritannien vereinbarte Notlösung bei einem "no deal" zu Fall zu bringen. May hätte eine Abstimmungsniederlage riskiert, wäre sie im letzten Moment nicht auf die Änderungsanträge eingegangen. Die Proeuropäer in ihrer Partei waren empört – aber May rettete sich, bei einigen Abstimmungen mit nur drei Stimmen Mehrheit.

Wer ist dieser Mann, der in der Konservativen Partei den Kampf um einen harten Brexit anführt, und von dem die proeuropäische Abgeordnete Anna Soubry twitterte: "Offensichtlich wird Großbritannien jetzt von Rees-Mogg geführt"?
Der ehemalige Eton-Schüler und Oxford-Graduierte ist ein kluger Taktiker. Innerhalb der Tory-Partei führt er eine auf einen harten Brexit eingeschworene Gruppe, die European Research Group. Sie ist finanziell gut ausgestattet und besser koordiniert als die Remainer, die Brexit-Gegner. Rees-Mogg wird auch nachgesagt, er wolle Premierminister werden. Trotz der Kritik von Brexit-Hardlinern wie EU-Sympathisanten an Theresa May wäre es aber schwierig, sie jetzt zu stürzen. Das weiß er.
Um ein Misstrauensvotum zu erzwingen, bräuchten die Hardliner der Tory-Partei zwar nur 48 Stimmen. Die haben sie aufgebracht. Um aber eine Abstimmung gegen einen harten Brexit zu gewinnen, müssten sie mehr als 130 Parlamentarier hinter sich wissen – und das haben sie nicht. Die Abstimmung ist gescheitert, sie haben kein Druckmittel mehr, May mit einem Misstrauensvotum zu drohen. Nach britischem Recht darf May nun ein Jahr lang nicht mehr herausgefordert werden.

"The Guardians" Kommentar:
Allein schon die Anberaumung einer solchen Misstrauensabstimmung zeugt von Arroganz und Heuchelei. Die Arroganz besteht in der Annahme, dass über Großbritanniens Schicksal bei einer internen Debatte der Konservativen Partei entschieden werden sollte und dass in einer derart kritischen Situation ein Premierminister von rund 100 000 Mitgliedern der Partei aus einem Kandidatenpaar ausgewählt wird, das von den Tory-Abgeordneten bestimmt wird - ohne auf den Rest des Landes zu achten. Die Heuchelei besteht darin, mit einer parteipolitischen Agenda eine solche Sache im Namen der Demokratie zu versuchen und sich dabei auf „den Willen des Volkes“ zu berufen.

Rees-Mogg intrigiert lieber im Hintergrund, wo er keine Verantwortung für die Brexit-Verhandlung, ihren Ausgang und die wirtschaftlichen Konsequenzen übernehmen muss. Der Upperclass Snob, wie ihn viele Briten bezeichnen, wäre ohnehin nicht mehrheitsfähig. Zwar zeigt das Phänomen Trump, dass eine vom Establishment düpierte Arbeiterklasse auch einen populistischen Politiker wählen kann, der seinen Reichtum und seine privaten Einfluss zur Schau stellt. Aber Rees-Mogg ist nicht populistisch. Er kultiviert sein Image des reichen Engländers, den man sich kaum bei einem Bier im Pub mit arbeitslosen Sozialhilfeempfängern in den Straßen der nordenglischen Industriestädte vorstellen kann. Schon als Teenager ließ er sich mit der Financial Times fotografieren und forderte auf Hauptversammlungen höhere Dividenden für seine Aktien. Heute lässt er den Großteil seines Vermögens von 100 Millionen Pfund in der Londoner City verwalten und streitet in der Presse darüber, ob er mit dem Bentley oder mit dem Mercedes auf Wahltour gefahren ist.

Nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov unter konservativen Wählerinnen und Wählern überzeugt Rees-Mogg vor allem mit seiner Kompetenz, nicht aber mit seiner Beliebtheit. Die wenigsten glauben, dass er eine Wahl gewinnen könnte, obwohl der Hardliner 2010 in North East Somerset genug Stimmen vereinen konnte, um Abgeordneter zu werden. Aber North East Somerset ist eine Bilderbuchlandschaft im Südwesten Englands. Dort setzen sich reiche Familien aus London ab. Die Ehefrauen leben mit Kindern, Pferden und Labradors auf dem Land und die Ehemänner verdienen in London Geld. Es ist eine selbstgefällige Gesellschaft, die nichts von der EU hören will. Rees-Mogg lebt genau dieses Leben auf seinem


Herrensitz Gournay Court

in West Harptree, mit seiner Frau und seinen sechs Kindern. Der letzte Sohn wurde vor einem Jahr geboren, sie tauften ihn Sixtus Dominic Boniface Christopher Rees-Mogg. Die Kinder werden von einer Nanny erzogen – derselben Nanny, die schon Rees-Mogg das rechte Benehmen beibrachte.
Jacob Rees-Mogg führt fort, was sein Vater William Rees-Mogg begann und ähnelt ihm mehr, als ihm wohl bewusst ist. William Rees-Mogg war ähnlich wie sein Sohn Jacob kein Raufbold in der Schule. Er war eher schmächtig, wenig sportlich, dafür betont exzentrisch. Eine Leseratte, aber kein Macher. William studierte wie sein Sohn später Geschichte in Oxford. Er und Margaret Thatcher waren Mitglied der Oxford University Conservative Association, Jacob Rees-Mogg gar deren Präsident. Das Debattieren lernten beide in der Oxford Union, deren Präsident William war. Eine politische Karriere gelang William nicht, hingegen eine Laufbahn als Redakteur bei der Financial Times, Sunday Times und als Chefredakteur bei der Times. Er soll in seinem dunklen Zweireiher distanziert zu seinen Angestellten gewesen sein und sich nach außen als engagierten Familienvater gezeigt haben, der Punkt 6.30 Uhr das Büro verließ und seine Freizeit auf seinem Herrensitz in Somerset verbrachte. Mit dem Alter wandte er sich seinem katholischen Glauben zu. In einem Nachruf heißt es, er sei "päpstlicher als der Papst" gewesen.

Auch Jacob Rees-Mogg trägt stets einen dunklen Zweireiher, lebt ein strenges Familienleben, folgt seinem katholischen Glauben und bleibt Prinzipien treu. Jacob Rees-Mogg ist gegen jede Form der Abtreibung, auch nach Vergewaltigung, und er ist gegen die Ehe gleicher Geschlechter. Dagegen lobt er Foodbanks, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen, als willkommenes Zeichen der Nächstenliebe.

Vor diesem Hintergrund entwickelte er auch seine Haltung zum Brexit: Das Volk hat gewählt, also muss die Regierung ihr Versprechen halten, also die Zollunion und den EU-Binnenmarkt verlassen. Es geht ihm um das Prinzip. Deshalb ist für ihn der pragmatische Ansatz von Theresa May ein Verrat, ein "bad deal". May sei vom rechten Weg abgekommen, meint Rees-Mogg. Sie könne ihre Politik aber noch korrigieren und auf den rechten Weg zurückfinden, sagt er. Dabei droht er indirekt damit, sie ansonsten mit einem Misstrauensvotum zu stürzen. Er hört sich an wie ein Prediger im Beichtstuhl.
Rees-Moggs Prinzipientreue hat Vorteile und Nachteile. Vor allem junge konservative Wähler, die eine Führungsperson suchen, an der sie sich ausrichten können, schätzen Rees-Mogg. Er gibt ihnen über Twitter täglich konservative Leitlinien vor und er hängt sein Fähnlein nicht nach dem Wind wie der Ex-Außenminister Boris Johnson oder der Umweltminister Michael Gove. Dabei ist Rees-Mogg konservativer und extremer als er erkennen lässt. Er sympathisiert mit der Rechtsaußen-Partei Ukip und bevorzugte im amerikanischen Wahlkampf Donald Trump.

Der Nachteil von Rees-Mogg ist entsprechend seine Unfähigkeit, flexibel zu argumentieren und pragmatisch auf die Realität zu reagieren. Handelsabkommen aber sind komplexe Kompromisse. Sie erfordern Pragmatismus. Daran könnte Rees-Mogg scheitern.
Sucht man so etwas wie den britischen Über-Konservativen, stößt man schnell auf Jacob Rees-Mogg: Der Sohn schwerreicher Eltern hat das Elite-Internat Eton und die Elite-Universität Oxford besucht und später im Londoner Bankenviertel ein Vermögen gemacht. Der Abgeordnete für den Wahlkreis North East Somerset hat dazu den sogenannten upper class drawl perfektioniert, die (nicht nur für ausländische Ohren) gestelzt klingende Sprechweise der britischen Oberschicht, und seine Kinder tragen befremdliche Namen.
Damit nicht genug, bezeichnet sich Rees-Mogg als "sehr religiös", wohnt in einem millionenschweren Anwesen, fordert weniger Sozialausgaben und Steuersenkungen für Reiche, bezweifelt den vom Menschen gemachten Klimawandel, hasst die EU. Und er steht auch dann zu God Save The Queen auf, wenn er gerade in der Badewanne liegt.
2017 haben mehr als 23.000 Menschen in den vergangenen Wochen eine Petition unterzeichnet, die zum Ziel hat, Rees-Mogg zum Chef der Tories und somit zum Premierminister zu machen. Ein Ultra-Fan hat sich sogar "Moggmentum" auf die Brust tätowieren lassen.
"Moggmentum", wie das Rees-Mogg-Phänomen derzeit oft bezeichnet wird, ist eine Anlehnung an "Momentum", die Basisorganisation, die den linken Labour-Chef Jeremy Corbyn unterstützt. Der offensichtliche Gedanke dahinter: Rees-Mogg könnte die konservative Antwort auf Corbyn sein.

Auch Corbyn war bis vor Kurzem ein Außenseiter in seiner Partei. Die rechtslastige britische Presse wurde nie müde, ihn als linken Spinner abzutun, als ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Doch dann wählten ihn 2015 überraschend die Labour-Mitglieder und -Unterstützer zum Parteichef. Corbyn überstand mehrere Versuche des Labour-Establishments, ihn zu stürzen und holte bei den Wahlen im Juni 40 Prozent der Stimmen. Sollte es demnächst Neuwahlen geben, hätte Corbyn Chancen, Premierminister zu werden.
Rees-Mogg selbst spielt seinen unerwarteten Popularitätsschub herunter. Darauf angesprochen, ob er vielleicht bald formell für den Posten des Parteichefs kandidieren könnte, entgegnete er kürzlich, er stehe absolute hinter Theresa May und habe nicht vor, gegen sie anzutreten.
Insider berichten, der Politiker habe sich bereits unter befreundeten Abgeordneten umgehört, wie seine Chancen stünden, falls er doch antreten sollte.
2007 meldete sich Rees-Mogg zum ersten Mal bei Twitter und Instagram an. Sein erster Tweet musste natürlich auf Latein sein: "Tempora mutantur, et nos mutamur in illis." (Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.) Rees-Mogg sucht offensichtlich die Öffentlichkeit.
Immerhin folgen den Social-Media-Accounts nach nur fünf Wochen schon mehr als 50.000 Menschen. Dass jemand wie er britischer Premier werden könnte, erscheint einfach zu absurd. Aber: Was ist schon absurd in einer Welt, in der Großbritannien die EU verlässt und in der Donald Trump US-Präsident ist.

Quelle: Zeit online 2007 und 2008