Krim-Brücke
Längste Europas - Annexionsschlusspunkt
Tanz auf dem Vulkan
Historische Mission?






Ein 19 Kilometer langes silbernes Band spannt sich über die Meerenge von Kertsch, massive Stahlträger bohren sich bis zu fünfzig Meter tief in den Meeresgrund. Die Krim-Brücke ist die Antwort des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Krim-Frage: Sie zementiert den neuen, international nicht anerkannten russischen Status quo der Halbinsel. Getragen wird die Mega-Konstruktion aber nicht nur von Stahl und Beton. Erst die diskursive Stütze - das verworrene Konglomerat aus politischen Versprechen und Hoffnungen der Menschen - verleiht der Brücke ihren ikonischen Glanz.

"Historisches" Werk

Dabei dürfte es sie, genauso wie die Grenze im Westen der Halbinsel, gar nicht geben: Die Krim-Annexion und das Referendum 2014 im Schatten der Maidan-Proteste gelten als völkerrechtswidrig. Der Fährhafen von Kertsch war einzige Möglichkeit, auf direktem Wege von Russland auf die Krim überzusetzen. Unter Fährbetrieb wird nun ein Schlussstrich gezogen.
Das Hafengelände wirkt wie ausgestorben, doch Anna, die junge Pressesekretärin, führt noch einmal über das Betriebsgelände. "Im Sommer haben wir noch 18.000 Passagiere am Tag befördert", sagt sie. "Jetzt ist die Brücke die Hauptverbindung."
Unweit vom Strand lädt ein Rentnerpaar in sein Haus am Asowschen Meer. Hühner begrüßen die Besucher, Weinreben umranken die Mauern. Nina und Aljoscha sind Putin-Anhänger, sich mit ihnen über die Krim-Frage zu unterhalten, ist müßig - jeden Abend schauen sie das propagandagetränkte Staatsfernsehen. "Mit dem Brückenbau wird Putin in die Geschichtsbücher eingehen", sagt Nina, während Aljoscha den Gästen hausgemachten Wein einschenkt. Auf dem Etikett zu lesen: "Krim Nasch" - russisch für "Unsere Krim".

Geht man dieser Novembertage an den Stränden von Kertsch spazieren, kann man Fischerboote beobachten und dutzende Frachtschiffe. Außerdem im Sichtfeld: schwarze Militärschiffe, die sich wie Fremdkörper in die Idylle schieben. Der ruhige Meerblick trügt, denn auf dem Wasser spielt sich Geopolitik ab - live. Schon seit Juli kontrolliert der russische Grenzschutz verstärkt ukrainische Frachter, ihre Besatzungen warten oft lange, um die Brückenbögen passieren zu dürfen.
Auch die Ukraine nahm im März ein Fischerboot mit zehnköpfiger Besatzung fest. Hier, auf umstrittenen Gewässern, die laut eines 2003 verabschiedeten Gesetzes von der ukrainischen und russischen Marine gleichermaßen genutzt werden dürfen, kommt es immer wieder zu beidseitigen Provokationen.

Am 25. November dann der jüngste Vorfall nahe der Krim-Brücke, der die Wogen gefährlich hochgehen lässt: Der russische Grenzschutz verweigert drei ukrainischen Marineschiffen die Durchfahrt und soll Waffengewalt eingesetzt haben. Einige ukrainische Seemänner sollen verletzt worden sein. Reaktion aus Kiew: Präsident Petro Poroschenko führt Kriegsrecht ein.

Russischen Inlandsgeheimdienst: die ukrainischen Militärschiffe hätten sich unrechtmäßig auf russischen Gewässern aufgehalten. Bei dem Vorfall handele es sich um Provokation - die Ukraine habe die Souveränität des russischen Territoriums sowie internationale Gesetze verletzt. Ukraine und Stimmen der internationalen Gemeinschaft machen Russland den gleichen Vorwurf.

"Sila!"

Noch herrscht an den Ufern des Asowschen Meeres Ruhe. Dort liegen die Hafenstädte Berdjansk, Mariupol, das russische Rostow am Don - und das Fischerdorf Jurkinje bei Kertsch. Sieben Fischer der dörflichen Brigade sind am Strand mit dem Ausbessern ihrer Netze beschäftigt. "Die großen Fischerboote der Ukraine haben das Asowsche Meer leergefischt", meint einer von ihnen, Wassili. Auch Kertsch hatte früher eine starke Fischindustrie - davon sei nicht viel geblieben. "Der Fischerhafen von Kertsch verfügt zwar noch über Schiffe für den industriellen Fischfang, aber die großen Linien wurden verkauft."

Die russische Fischeraufsicht kontrolliert nun das Gewerbe: Jeder Fischfang muss angemeldet werden. Und was sagt Wassili zur neuen Brücke? "Sila!", ruft er - das russische Wort für Kraft und Stärke - und reißt eine Faust in die Luft. Er strahlt. Abnehmen kann man ihm die Siegesgeste aber nicht. Ein zweites "Sila" auf die Frage, ob sich sein Leben nach der Krim-Annexion verändert habe. Wassili näht gerade an einem Netz. Teuer war es, gekauft in Krasnodar, auf der anderen Seite. "Bald fahren wir dem Brot hinterher", sagt er lachend, den Sarkasmus in seiner Stimme versucht er gar nicht erst zu verstecken.

Quelle: Wiener Zeitung 27.11.2018




Zitat Putin zum Bau der Brücke: " Historische Mission"



Am 15. Mai 2018 verurteilt die EU den Bau und die teilweise Öffnung der Brücke. Russland baue die Brücke ohne Einwilligung der Ukraine, dessen Souveränität und territoriale Integrität es erneut verletze. Der Bau bezwecke die weitere Integration der illegal annektierten Krim in Russland und die Abspaltung der Halbinsel von der Ukraine. Die Brücke begrenze zudem die Durchfahrt von Schiffen über die Kertsch-Straße zu ukrainischen Häfen im Asowschen Meer.

In der Kritik stehen auch: Qualität der übereilten Bauausführung und Ausbeutung der Arbeiter beim Bau.

Und die Niederlande?
Seit Anfang Mai 2018 wird gegen insgesamt sieben dortige Unternehmen wegen Umgehung von EU-Sanktionen ermittelt. Sie sollen Maschinen, Geräteteile und spezielle Rammen für den Bau der Brücke geliefert und Wartungsarbeiten an den bestehenden Anlagen vorgenommen haben. Europäischen Unternehmen ist es wegen der EU-Sanktionen verboten, Waren und Dienstleistungen auf die Krim zu liefern.

Bei Einweihung der Brücke am 15. Mai 2018 sind Kreml und Oligarchen unter sich:
Wladimir Putin fährt am Steuer eines orangefarbenen KAMAZ-Lkw voran, ihm folgen eine Reihe weiterer Lkw. Der Lkw-Hersteller ist ein staatliches Unternehmen in Besitz Sergei Tschemesows, Putins Freund aus gemeinsamen KGB-Zeiten in Dresden. Rotenberg, der die Brücke baute und Putin begleitet, und Tschemesow stehen auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und Kanadas.

Längste Brücke Europas - 2018 eröffnet, überquert die Straße von Kertsch und verbindet Russland mit der von ihm annektierten Krim.

Wie immer: Krieg Vater aller Dinge

Nach dem Vormarsch der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg bis auf die Krim beginnt die Organisation Todt mit dem Bau einer Brücke, um den von Januar bis Oktober 1943 bestehenden Kuban-Brückenkopf (Kuban: Fluss) auf der Ostseite der Straße von Kertsch versorgen zu können.

Die Brücke lag einige Kilometer weiter nordöstlich der heutigen Verbindung. Nach Rückzug der deutschen Truppen auf die Krim sprengen die Deutschen die unvollendete Brücke im Oktober 1943. Die sowjetischen Bautruppen erstellen innerhalb weniger Monate unter Verwendung der verbliebenen Reste und des zurückgelassenen Baumaterials eine Eisenbahnbrücke.
Am 11. Februar 1945 rollt der letzte Zug mit Josef Stalin als Passagier über die Brücke, der von Jalta zurückkommt, wo er sich mit den Westalliierten über die Nachkriegsordnung in Europa geeinigt hat. Ende Februar 1945 beschädigt Treibeis die Brücke so stark, dass sie abgerissen wird.

Neue Pläne, Annexion

2010 lassen der ukrainische Präsident Janukowytsch und der russische Präsident Medwedew die Pläne zum Brückenbau anlässlich der Olympischen Spiele 2014 in Sotschi wieder aufleben. Mit Annexion der Krim im März 2014 ändert sich die Situation schlagartig. Wegen der völkerrechtswidrigen Aktion Russlands unterbindet die Ukraine im Dezember 2014 alle über ihr Gebiet laufenden Versorgungslinien sowie Zug- und Busverbindungen zur Krim. Russland muss den Gütertransport über den See- und Luftweg abgewickeln.
Das Projekt der Brückenquerung über die Straße von Kertsch als direkte Land-Transportverbindung gewinnt für Russland höchste Priorität. Übergangsweise eröffnen die Russen (nach 25 Jahren) die Eisenbahnfähre von der Taman-Halbinsel nach Kertsch am 1. August 2014 wieder und ziehen von anderen Routen Eisenbahn- und Autofähren ab.

Nach Annexion der Krim bricht der Tourismus, Haupteinnahmequelle der Krim, ein. Preise und Lebenshaltungskosten steigen stark, Einnahmen sinken drastisch, viele Arbeitsplätze gehen verloren. Vor 2014 waren 70 % der Touristen über und aus dem ukrainischen Festland eingereist. Trotz russischer Werbunng, subventionierter Flugtickets für Beamte und Rentner zu "patriotischen Ferien" auf der Krim, sind die Besucherzahlen zurückläufig.
Die Brücke soll den Tourismus auf der Krim ankurbeln und die Preise für Lebensmittellieferungen senken und hat zudem eine symbolische Bedeutung: sie ersetzt die fehlende natürliche Landverbindung zur Krim, über welche die Ukraine verfügt.

Bau

Medwedew lässt 2014 eine Machbarkeitsstudie fertigen, stellt aus dem russischen Staatshaushalt 228 Mrd. Rubel (ca. 3 Mrd. €) bereit und andere Infrastrukturprojekte zurück (z. B. eine Brücke über die Lena nach Jakutsk).
Den Auftrag zum Bau erhält (ohne Ausschreibung!) SGM, das Arkadi Rotenberg gehört.

Das Gebiet ist ein schwieriger Ort zum Bauen, geprägt von Schlammvulkanen am Meeresboden, seismischer Aktivität und treibenden Eisschollen. Brücke und die Zufahrten führen durch eine seismisch aktive Zone von ca. 9 Punkten auf der Richterskala, ein kritischer Wert. Die E 97/A-290 umfährt den aktiven Gryazevoy und Vulkankegel Karabetova Sopka in Sichtweite.

Im Oktober 2015 sind die Bauarbeiten weit vorangeschritten. Zu den Höhepunkten des Bauprojektes gehört die Montage zweier Brückenbögen, die eine Spannweite von 227 Meter haben.

Im September 2018 rammt ein Schwimmkran die Brücke, beschädigt einen Lichtmast und verbiegt das Brückengeländer. Im Oktober 2018 stürzt ein Teil der geplanten Eisenbahnstrecke ins Wasser - die Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke ist für 2019 geplant.

Folgen

Seit Besetzung der Krim und dem Bau der Krim-Brücke schränkt Russland den ukrainischen und internationalen Schiffsverkehr im Asowschen Meer ein. Seit der Okkupation kontrolliert es beide Seiten der Straße von Kertsch. Für die ukrainische Wirtschaft sind das Asowsche Meer und vor allem die dortigen Häfen Mariupol und Berdjansk von großer Bedeutung.

Der Bau der Krim-Brücke hat die Lage des ukrainischen Schiffsverkehrs tiefgreifend verschlechtert. Die Brückendurchfahrt ist so niedrig, dass nur Schiffe mit einer Höhe bis 33 m passieren können, was Schiffsverkehr und Zahl der Schiffe, die früher Mariupol und Berdjansk anliefen, halbiert hat. Auch der Hafen in Henitschesk büßt erhebliche Einnahmen ein. Ukrainische Häfen sind zunehmend von der Welt abgeschnitten. Mariupol verzeichnet einen Rückgang der Einnahmen von 30 %. Arbeitsplätze in den Häfen und im Fährbetrieb gingen verloren. Im Hafen Kawkas und auf den Halbinseln Tschuschka und Taman geht der Umsatz von Unternehmen bei Durchreisenden zurück. Die finanziellen Verluste aufgrund von Beschränkungen der Schifffahrt belaufen sich auf jährlich 20 bis 40 Millionen US-Dollar.
Der russischen Inlandsgeheimdienst FSB hält mmer mehr ukrainische und ausländische Schiffe mit Zielhafen Mariupol und Berdjansk fest und kontrooliiert sie, teilweise mehrmals, verhört die Schiffsbesatzungen. Darüber hinaus setzt Russland Militärschiffe und -hubschrauber sowie Kampfflugzeuge ein, um ukrainische Schiffe an der Durchfahrt zu hindern. Dies alles, obwoh ein Vertrag von 2003 existiert, der das Asowsche Meer als inneres Gewässer beider Staaten definiert. Er garantiert den Schiffen beider Länder die freie Durchfahrt.

Kritik

Nicht nur das Finanzgebaren, Verkehr, Militär und Politik stehen in der Kritik, sondern auch massivste Umweltauswirkungen.
Unklar, ob die Planer die Eisformationen im Asowschen Meer berücksichtigt haben. Die Brücke blockiert das Treibeis auf dem Weg vom Asowschen Meer über die Straße von Kertsch. Jedes Jahr wird das Asowsche Meer in der kalten Jahreszeit ganz mit Eis bedeckt, ab März drückt das Treibeis gegen die Brückenpfeiler drückt, sogar an der breitesten Stelle kann es nicht passieren.An den Kontaktstellen entstehen Presseishügel. Frachtschiffe können nicht mehr passieren, Eisbrecher müssen eingesetzt werden.
Seit dem Bau der hat sich die Konzentration von Schwebstoffen und wie die Algenblüte in den umgebenden Gewässern erhöht. Eine Untersuchung der ökologischen Risikobereiche im Schwarzen Meer nennt die Brücke als eine der Hauptverschmutzungsquellen.

Auf der Insel Tusla entstanden irreparable Umweltschäden. Vor dem Bau war Tusla wichtiges Naturgebiet für Meeres- und Zugvögel. Während der Brückenkonstruktion holzten die Bauleute Teile der Wälder auf der Insel ab und nuatzten die Insel als Parkplatz und Lager für Baumaterialien.

Infolge der Bauarbeiten veränderte sich der Wasseraustausch zwischen dem Asowschen und Schwarzen Meer wesentlich. Zuvor floss das Wasser mit geringer Geschwindigkeit gleichmäßig um die Insel Tusla. Die Ingenieure ließen einen Damm aufgeschütten, der eine künstliche Nehrung bildet. Seitdem verläuft der Hauptwasserstrom mit hoher Geschwindigkeit zwischen Tusla und dem künstlichen Damm und verstärkt die Erosion am südöstlichen Teil der Insel. Die Beeinträchtigung des Wasseraustauschs hat erhebliche Auswirkungen auf Temperatur und Eisverhältnisse in der Straße von Kertsch und im Asowschen Meer. Im Sommer ist das Wasser wärmer als vor dem Bau und im Winter kälter. Letzteres erhöht sowohl die Dauer der Eisbedeckung als auch die Dicke des Eises. Die Temperaturen und der Sauerstoffmangel wegen der Eisbedeckung verändern die Lebensbedingungen der Fische im Asowschen Meer und ihre Wanderung zum Schwarzen Meer. Die meisten Fischarten, die im Asowschen Meer leben, sterben bei einer Temperatur unter 4 °C. Insbesondere im Meerbusen von Taman ist mit vermehrtem Fischsterben zu rechnen.

Presse















Am Ende (oder Anfang?): Zwischenfall 25. November 2018