Krieg ist der Vater aller Dinge - so auch auf der Insel im Atlantik, die Ascension (von port. Ascensão de Jesus, Christi Himmelfahrt)
heißt und einmal ein Schiff war - auf solche Ideen kommen wohl nur Briten:
Als ab 1815 Napoleon Bonaparte auf der 700 sm südöstlich gelegenen Insel St. Helena in Verbannung lebt,
besetzt die Royal Navy Ascension, um Befreiungsversuche durch Franzosen zu erschweren, und
baut die Insel zur Festung aus. Damit Ascension dem Kommando der Marine und nicht einer Kolonieverwaltung
untersteht, erklärt die Navy sie zur „stone sloop of war of the smaller classes“ und stationiert auf "HMS Ascension"
65 Soldaten als Crew. Nach dem Tod Napoleons dient sie bis heute als Stützpunkt für das Marinestützpunkt.
1982 ist die Insel den Briten Basis für die Rückeroberung der Falklandinseln. Vom Flugplatz Wideawake aus starten die
Victor-Tankflugzeuge und die Avro-Vulcan-Bomber.
Indigene Bewohner gibts nicht, dafür viel Militär und Spione (etwa 800) auf der Insel, die einen Durchmesser von gut 13km hat und
früher ein Vulkan war. Sie ist das - unerreichte - Traumziel der Einhandseglerin Rike im Film "Styx".
Auch sonst hatte die Insel seltsame Besucher.
1701 sinkt
"HMS Roebuck"
unter William Dampier vor der Insel. Die Besatzung harrt sechs Wochen lang aus, ehe ein Ostindiensegler die Schiffbrüchigen
aufnimmt.
1725 setzen die Holländer den wegen Sodomie (Sex mit Männern) verurteilten Seefahrer Leendert Hasenbosch
auf der Insel aus. Nach seinem Tagebuch verhungert er (tinkt sein eigenes Wasser und das Blut von Seeschildkröten) nach etwa sechs Monaten.
Freitag, 11. Mai 1725 Morgens ging ich erneut ins Land hinein und fand ein paar Wurzeln, deren Haut ähnelte in etwa der
von Kartoffeln, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie essbar sind. Freudig ging ich auf Suche
nach größeren Entdeckungen, aber fand nichts weiter. Ich setzte mich sehr niedergeschlagen, fast tot vor Durst,
und ging danach zurück zum Zelt. Auf der anderen Seite der Insel gibt es einen sandigen Strand in Höhe des größten Felsens.
Abends kochte ich etwas Reis, zum ersten Mal; ich stand irgendwie neben mir.
Im November 1816 besichtigt Christian Ignatius Latrobe, ein Inspekteur der Herrnhuter Brüdergemeine,
die Insel auf der Suche nach Siedlungsplätzen für seine Mission.
Zunächst von der Schönheit beeindruckt, muss er jedoch feststellen, dass die kleine Ziegenherde der britischen Militärbasis
und unzählige Ratten die Inselvegetation schon nach wenigen Jahren fast kahl gefressen haben und die Selbstversorgung der
wenigen Bewohner nicht mehr gewährleistet ist. Die Früchte seien meist ungenießbar oder giftig.
1836 landet Charles Darwin auf Ascension. Er ist so begeistert, dass er eine Garten Eden erschaffen will.
Die Royal Navy schifft Pflanzen und Bäume aus England (Kew Gardens) ein und pflanzt sie auf der Insel an.
Schon Ende 1870 hat sich auf dem höchsten Gipfel der Insel Green Mountain eine reiche Flora an Eukalyptus,
Pinien, Bambus und Bananenstauden entwickelt. Innerhalb kürzester Zeit ist ein voll funktionierendes Ökosystem
entstanden, das Forscher als erstes und erfolgreiches Terraforming-Experiment bezeichnen: ein sich selbst erhaltendes und
selbstreproduzierendes Ökosystem.
Im Ersten Weltkriegs werden große Funkanlagen gebaut, im Zweiten dient Ascension zur Überwachung der Handelsrouten
im Südatlantik (U-Boot-Abwehr) und als Horchposten der Alliierten, die Funksprüche abfangen und entschlüsseln.
1941 nimmt die US-Army Air Forces Südatlantik-Luftbrücke in Betrieb, die von Florida über Army-Airports Liberia
Westafrika, Marokko und Algerien anfliegt. Flugzeuge kürzerer Reichweite hatten nur die Möglichkeit,
auf Ascension zum Auftanken zu nutzen. Mehr als 25.000 Bomber gleangten so nach Nordafrika und Europa.
Im Kalten Krieg starten die Amerikaner Interkontinentalraketen in Florida, Ziel Ascension,
kurz vor dem Einschlag leitet sie die örtliche Bodenstation ins Meer um.
ESA und NASA bauen Bodenstationen. Seit 1963 starten Höhenforschungsraketen Typ Arcas.
Das US-Spionagesystem NSA
überwacht von der Insel aus die Telekommunikation in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Kolumbien und Venezuela.
Die gesammelten Daten wertet das Geheimdienstzentrum in Fort Meade ausgewertet.
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Reportage vom Ende der Welt
Klaus Zaugg Bilder: Wanda Frischknecht
So sieht die Welt vielleicht in 10.000 Jahren aus. Den Stress, das Privateigentum und die Kriminalität gibt es nicht mehr.
Die meisten Tiere sind ausgestorben, und es ist still geworden. Die Menschen leben ruhig und gelassen, die
Autoschlüssel lassen sie stecken, und die Türen der Häuser schliessen sie nicht mehr ab. Es gibt noch einige Ruinen,
die von einer fernen Zivilisation mit einer hochentwickelten Technik künden.
Ganz am Rand der Insel, auf einer Klippe, steht ein zerfallenes Gebäude. Die Landkrabben sind die einzigen Bewohner.
Die Türen sind zugenagelt, die Fensterscheiben eingeschlagen oder blind. Auf einer verblichenen Tafel lesen wir,
dass hier einmal ein Kommunikations-Zentrum der NASA, der amerikanischen Raumfahrtbehörde, war.
Neil Armstrong habe am 21. Juli 1969 den Mond als erster Mensch betreten. Seine berühmten Worte «Ein kleiner Schritt
für einen Menschen, ein grosser Schritt für die Menschheit» und die dazugehörigen TV-Bilder seien,
so steht es auf der Tafel, zuerst hier auf die Erde gelangt und dann nach Houston in die Kommandozentrale weitergeleitet worden.
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Wir sind auf Ascension Island. Einem der entlegensten Orte dieses Planeten. Ziemlich genau in der Mitte des Atlantiks,
auf halbem Weg zwischen Brasilien und Afrika. Es gibt keine Fluggesellschaft, die Passagiere hierherbringt.
Keine Reisebüros, die Ferien auf Ascension Island anbieten. Die britische Royal Air Force, die Flugwaffe, hat uns
in rund neun Stunden auf diese Insel der verlorenen Zeit geflogen. Zweimal pro Woche wird die Strecke London
– Ascencion Island – Falkland Islands mit einem Airbus für die britische Armee geflogen. Wer will, kann für knapp 2000
Franken sogar in der Premiumklasse fliegen, einem Mittelding zwischen Economy- und Businessklasse.
Fast alle an Bord sind britische Soldaten auf dem Weg in den Truppendienst auf den Falkland Islands oder auf der
Rückreise in den Urlaub. Der Trip beginnt in Brize Norton, der riesigen Flugwaffenbasis anderthalb Autostunden nördlich
des Londoner Flughafens Heathrow.
Ascension Island bietet eine der letzten Möglichkeiten, der Zivilisation zu entfliehen, ohne auf die Annehmlichkeiten
eben dieser Zivilisation verzichten zu müssen. So bequem lässt sich so abgelegen wohl nirgendwo auf der Welt Ferien machen.
Das Handy funktioniert hier nicht – keine Verbindung. In Notfällen ist es möglich, von den Militärbasen der Briten und
der Amerikaner eine Verbindung zum Rest der Welt herzustellen.
Das ist einigermassen irritierend. Denn es gibt wohl keinen anderen Ort mit so vielen verschiedenartigen und grossen
Antennen wie Ascension Island – ein Kommunikationszentrum in den Weiten des Atlantiks. Aber Kommunikation
ist Herrschaftswissen, der amerikanischen und der britischen Luftwaffe vorbehalten.
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Es gibt ein Hotel und dazu noch das «Hayes House» und das «Clarence House» für Gäste in der einzigen Stadt (Georgetown)
plus zwei Bungalows. Eines am Meer (Paradise Beach) und eines oben in den Bergen (Garden Lodge). Die Unterkünfte sind
eigentlich nicht für Müssiggänger, Touristen wie wir, gedacht. Eher für Sportfischer, Segler, die hier stranden, und für
Biologen, die hierher fliegen, um die Eiablage der Meeresschildkröten zu beobachten. Weshalb Ascension Island
auch «Insel der Schildkröten» genannt wird.
Das Essen sorgt für ein paar Probleme. Denn das einzige Restaurant der Insel hat gerade geschlossen:
Der Koch ist in die Ferien verreist. Die Verpflegung in den Kantinen und Klubs der britischen und der amerikanischen Militärbasis
ist schlimm. Aber schon bald haben wir eine Lösung: Wir können im «Paradise Beach Bungalow» selber kochen.
Gegen 16 Uhr kommen die Fischer in den Hafen zurück. Sie verschenken grosszügig ihren Fang und wollen dafür nicht
mal ein Entgelt. Von einem Thunfisch bekommen wir so riesige Filetstücke, dass es für einen Monat reichen würde.
Gewürz und Reis sowie Salat und Wein gibt’s im Supermarkt.
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Am Mond vorbei zum grünen Vulkan.
Ascension Island ist eine Vulkaninsel. Sie war, bis die Briten kamen, nie bewohnt. Die Briten kamen, weil sie befürchteten,
die Franzosen könnten von hier aus versuchen, ihren Kaiser Napoleon aus der Verbannung auf der noch über tausend
Kilometer südlicher liegenden Insel St.Helena zu befreien. Ascension Island ist eine Mischung aus Mond und Paradies.
Mit einem Berg, dem Green Mountain, der einmal ein Vulkan war und als solcher vielleicht wieder einmal aktiv sein
wird. Bis weit hinauf zu den Flanken sieht Ascension Island aus wie der Mond: nacktes, dunkles, kantiges, heisses Gestein
und kaum Vegetation.
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Angeblich hatte ein Brite im vorletzten Jahrhundert die Idee, oben auf dem Vulkanberg Pflanzen und Bäume aus
allen Destinationen des Empires anzupflanzen. Irgendwie hat es funktioniert. Die obere Hälfte des Vulkans ist grün,
es gibt allerlei Bäume, und auf einer wunderbaren Wanderung lässt sich der grüne Gipfel in etwa zwei Stunden umwandern.
Seltsam ist dabei die Stille.
Auf eine wundersame, nicht apokalyptische Art und Weise ist das, was Rachel L. Carson im Öko-Klassiker «Der stumme
Frühling» vorausgesagt hat, hier Wirklichkeit geworden. Nur der Wind rauscht in den Blättern der Bananen- und sonstiger
exotischer Bäume. Insekten: Mücken, Fliegen, Schmetterlinge und Käfer gibt es fast keine. Schlangen und Kröten
und Raubtiere gar keine. Bloss ab und zu eine Ratte. Und eine kastrierte Katze. Nur kastrierte Büsis dürfen hier leben.
Sie würden sich sonst viel zu stark vermehren und aus Ascension eine Insel der Katzen machen.
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Die einzigen Tiere, die auffallen, sind die riesigen, harmlosen Landkrabben, die wilden Schafe und ein paar halbwilde Esel.
Wegen dieser Esel müssen wir die Türen unseres Bungalows immer schliessen. Sie dringen sonst bis ins Schlafzimmer vor
und versuchen, die Decken und Kissen zu fressen.
Ascension Island ist wohl der einzige Ort der Erde ohne Privatbesitz. Alle Häuser gehören dem britischen Staat,
auch das Hotel, das «Hayes House» und das «Clarence House», und die beiden Bungalows. Hier darf nur leben,
wer einen Arbeitsvertrag hat. Wer ins Rentenalter kommt, muss gehen. Selbst dann, wenn er hier aufgewachsen ist
und die Insel nie verlassen hat. Auch die Kinder der hier lebenden Familien werden gezwungen, die Insel zu verlassen,
wenn sie die Grundschule beendet haben, mündig sind und keine Arbeit finden. Die Luftwaffenbasen der Amerikaner und
der Briten sind ziemlich die einzigen Arbeitgeber.
Und was bleibt dem Touristen auf einer Insel ohne Ferieninfrastruktur und Remmidemmi? Ein Auto zu mieten,
um überall hinzugelangen – öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht. Natürlich die Wanderungen oben um den Green
Mountain. Es gibt mindestens vier verschiedene Rundwege mit grandioser Sicht auf das endlose Meer mit dem ewigen
Horizont. Und natürlich das Baden im Meer. Es gibt einen Badestrand. Wir haben ihn meistens für uns allein.
Wunderbar lässt sich hier schwimmen, die Strömung ist schwach, und die Haie sind fern.
Das Wetter ist äusserst angenehm, gut 25 Grad warm ist die Luft, ein ständiger Wind fächelt Kühlung.
So ist das Wetter praktisch während des ganzen Jahres.
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Und es bleibt auch das Gefühl, dass wir hier vielleicht doch auf Atlantis gestrandet sind. Die Meeresschildkröten,
die in Brasilien leben, schwimmen übers endlose Meer bis nach Ascension Island hinüber, um hier ihre Eier im Sand zu
vergraben. Niemand weiss, warum sie diese Mühe auf sich nehmen und nicht einfach drüben in Brasilien bleiben.
Die Wissenschaft steht immer noch vor einem Rätsel.
Die Erklärung, die mir am besten gefällt: Ascension Island ist der letzte Rest des sagenhaften Atlantis. Atlantis
war ein riesiger Inselkontinent mitten im Atlantik und reichte fast bis nach Brasilien – die Schildkröten hatten es nicht weit.
Dann flog Atlantis in die Luft (oder versank in den Fluten des Meeres), und geblieben ist bloss noch eine Vulkaninsel
mitten im Ozean. Nun schwimmen die Schildkröten einfach immer weiter, bis sie auf Ascension Island treffen,
diesen letzten Rest von Atlantis.
Ascension Island gehört zu Grossbritannien. Derzeit fliegt nur die britische Luftwaffe Touristen auf die Insel.
Ab 2016 stösst ein privater Anbieter dazu. Die grösste Ausdehnung der Insel beträgt etwa 12 Kilometer in Nord-Süd-Richtung
und etwa 14 Kilometer in Ost-West-Richtung. Die Fläche beträgt zirka 91 Quadratkilometer und der höchste Punkt
(«The Peak», Green Mountain) liegt auf 859 Metern über Meer.
Quelle:
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