Wer Männer verstehen will, muss Bob Dylan hören. Denn Bob Dylan ist, was Männer sein wollen. Unberechenbar, eigen, unabhängig. Forever young. Sie wollen alberne Hüte aufsetzen, wie er, und Hemden mit scheußlichen Kragen tragen. Sie wollen seinen Puffgänger-Bart haben, weil sie den schön finden, klassisch eben. Sie wollen Holz hacken, sie wollen einfach jetzt mal nicht reden müssen.



Sie wollen in romantischen Momenten "Love Sick" hören.
Und nicht "Angel" von Robbie Williams. Sie verachten Cat Stevens irgendwie, obwohl sie ihm nichts vorwerfen können. Aber der ist eben nun mal ein Mädchenmusiker, auch als Muslim.
Männern ist es egal, was nach ihrem Tod passiert. Aber es soll bitte "Knockin' on Heaven's Door" bei der Beerdigung gespielt werden. Und "When the Deal Goes down" und "With God On Our Side" vielleicht, am liebsten unplugged.



Nein, sie würden niemals im Restaurant dem rumänischen Rosenverkäufer Geld für eine Marshall-Nile-Rose geben. Aber wenn sich ein dürrer Mr. Tambourine Man mit Klampfe und Mundharmonika in der Fußgängerzone an "It ain't me, babe" vergreift, dann werden sie weich. Es ist manchmal schwer für eine Frau, Männer zu verstehen. Noch schwerer aber ist es, das Männerphänomen Bob Dylan zu begreifen.
Für viele ist er ein Gott.
Bob Dylan fühlt, wie Männer fühlen wollen. Für die ist Dylan der größte "Sänger" aller Zeiten. Und "Sänger" schreiben wir auch nur deshalb, weil uns der Begriff "Pop-Star" im Zusammenhang mit Robert Allen Zimmerman alias Dylan aus Duluth, Minnesota umgehend die Fatwa seiner Jünger einbrächte. Bob Dylan ist schon 1941 geboren, aber es ist ihm egal. Er sieht vollkommen bescheuert aus mit seinen verkrusselten Haaren, aber es ist ihm egal. Dylan ist für viele ein Gott, oder mindestens ein Heiliger. Er ist Kult. Bono von U2 und Wolfgang Niedecken von BAP wollten immer sein wie er - und auch das ist Bob Dylan egal.
Tournee. Auf dass die Gläubigen zu ihm pilgern, die Gefallenen, die Gebrochenen: Die, die eigentlich längst schon den Highway No.1 auf einer alten Harley hatten fahren wollen, es aber bis heute nur mit dem Family-Van auf die A1 geschafft haben. Sie tapern nun in hässliche Hallen und Säle. Es ist ihnen egal, wo der Meister die Lippen verzieht, um Töne, die in ihm wohnen, herauszuquälen. Um durch die Stimmbänder komplizierte Texte zu pressen, die sich jedem Schulenglisch entziehen. Jede Strophe ein neues Gedicht, schwärmen die Pilger. Und jedes Gedicht einen Literaturnobelpreis wert, sagen die, die ihm jedes Jahr aufs neuen diese Ehrung gönnen.

Unvergesslich, als der große Rebell Dylan sich anschließend vor den Zuschauern und danach mit einem tiefen Diener vor dem Nachfolger Petri verbeugte. Ein Treffen der Giganten!

Zionist, Katholik und Dessous-Werber. Motorrad-Fahrer, Weichei und Rebell, Liebhaber und Vater, Genie und Idiot. Bob Dylan war und ist immer alles zugleich. Er ist das männliche Prinzip in seiner ganzen Gen-Bandbreite. Einer, bei dem der liebe Gott dachte: Jetzt rühre ich einmal alles zusammen und gucke, was herauskommt. Vielleicht ist Dylan ja auch ein Zyniker, einer, der sich zeitlebens lustig machte über die Deppen, die versucht haben aus den kryptischen Antworten schlau zu werden, die er Journalisten auf kryptische Fragen gab. Ein Kotzbrocken, der Lust daran verspürte, jene, die ihm zujubelten, immer wieder zu enttäuschen. Er nahm vierzig oder fünfzig Alben auf, manche sollen nach Aussagen der Experten grottenschlecht gewesen sein, schlechter als manche seiner Konzerte. Verkauft wurden sie trotzdem. Er sprach gelegentlich so ami-manieriert, so leidend, so angeekelt von der Welt, dass man sich persönlich bei ihm für alles entschuldigen wollte.

Die Folksängerin Joan Baez, mit der Dylan als sehr junger Bob einst eine Liebesbeziehung hatte, hat seine Masche, dieses schwere, vokale Georgel, in einem Dokumentarfilm von Martin Scorsese wunderbar parodiert. "How does it feel, To be on your own, With no direction home, Like a complete unknown, Like a Rolling stone?" Schmerzgesicht, Stimme quetschen, Wörter in die Länge ziehen. Neulich hat der Schauspieler Sylvester Stallone in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" verraten: "Bob Dylan boxt. Er hat zwischen Santa Monica und Venice ein eigenes Gym - und da boxt er. Ich schwör's!" Das ist doch unfassbar!



Er ist der letzte lebende Held jedes ernst zu nehmenden Mannes. Wer Dylan nicht mag, nicht hört, nicht wenigstens eines seiner eigentlich unsingbaren Stücke nachsingen kann, soll doch wieder zu Mama ziehen, ins alte Kinderzimmer; sollte noch einmal ganz von vorne anfangen. Irgendwo bei der ersten Klassenfahrt, bei "The answer my friend is blowing in the wind" auf der letzten Bank des Reisebusses, der einen in die Jugendherbergen der Eifel, des Sauerlandes oder an die Plöner Seenplatte brachte. Sollte am Lagerfeuer der ersten Freundin "Lay Lady Lay" vorsingen, und in besetzten Häusern "The Times They Are A-Changin'" knödeln. Nur mal so zum Anfang.

Bei der ersten Trennung sollten Dylan-Anfänger dann nach Hause gehen und "Don't think twice, it's all right" auf dem iPod anklicken. Das tröstet über jede verlorene Freundin hinweg. Oder "Shelter from the Storm".



Schön klebriges Songwriter-Karamell: "Plötzlich drehte ich mich um und sie stand da. Mit silbernen Armbändern an den Handgelenken und Blumen in den Haaren. Sie kam so würdevoll auf mich zu, sie nahm mir die Dornenkrone ab, sie sagte: Komm rein, ich beschütze dich vor dem Sturm".
Und später, wenn ihr dann endlich Chefs und richtige Herren geworden seid, ihr Männer aus Pöseldorf, Münster und Köln, dann springt bei der Weihnachtsfeier Eurer kleinen Firma auf die Bühne, schnappt Euch das Mikrophon und ruft in den Saal: "Bitte, bitte, werdet niemals alt, Leute!"

Bob Dylan ist eine Mundharmonika spielende Legende, eine Ikone, der ewige Star. Er ist der letzte große Männer-Mythos. Er bleibt forever young. Wir werden ihn nie, nie ganz begreifen. Aber wir glauben an ihn - ob wir wollen oder nicht.

Ulrike Posche

Und der Gott mal auch noch?







Once upon a time you dressed so fine
Threw the bums a dime in your prime,
didn't you?
People call say
'beware doll, you're bound to fall'
You thought they were all kidding you

You used to laugh about everybody that was hanging out
Now you don't talk so loud
Now you don't seem so proud
About having to be scrounging your next meal

How does it feel,
how does it feel?
To be without a home
Like a complete unknown,
like a rolling stone

Ahh you've gone to the finest schools, alright Miss Lonely
But you know you only used to get juiced in it
Nobody's ever taught you how to live out on the street
And now you're gonna have to get used to it

You say you never compromise
With the mystery tramp,
but now you realize he's not selling any alibis
As you stare into the vacuum of his eyes
And say do you want to make a deal?

How does it feel,
how does it feel?
To be without a home
Like a complete unknown,
like a rolling stone

Ah you never turned around to see the frowns
On the jugglers and the clowns
When they all did tricks for you
You never understood that it ain't no good
You shouldn't let other people get your kicks for you

You used to ride on a chrome horse with your diplomat
Who carried on his shoulder a Siamese cat
Ain't it hard when you discovered that
He really wasn't where it's at
After he took from you everything he could steal

How does it feel,
How does it feel?
To have on your own,
With no direction home
Like a complete unknown,
Like a rolling stone

Ahh princess on a steeple and all the pretty people
They're all drinking, thinking that they've got it made
Exchanging all precious gifts, but you better
Take your diamond ring, you better pawn it babe

You used to be so amused
At Napoleon in rags and the language that he used
Go to him he calls you, you can't refuse
When you ain't got nothing, you got nothing to lose
You're invisible now,
You've got no secrets to conceal

How does it feel,
How does it feel?
To have on your own,
With no direction home
Like a complete unknown,
Like a rolling stone

*1) Dime = US 10-Cent-Stück *2) Chrome Horse = Harley Davidson (Motorrad)


Früher mal warst du so elegant gekleidet,
Hast in deiner großen Zeit den Bettlern einen Dime (*1) zugeworfen
War's nicht so?
Die Leute sagten:
"Vorsicht, Puppe, du bist auf dem Weg nach unten!"
Doch du hast dir gedacht, dass sie dich nur necken

Du hast über jeden gelacht, der so herumlungerte
Nun bist du nicht mehr so vorlaut.
Nun scheinst du nicht mehr zu stolz zu sein,
Dir dein nächstes Essen zusammenschnorren zu müssen.

Wie fühlt sich das an,
Wie fühlt sich das an?
Ohne Wohnung zu sein
Wie eine vollkommen Unbekannte
Wie eine entwurzelte?

OK, du warst vielleicht auf der besten Schule, Fräulein Einsam,
aber du weißt, du hast da nur Party gemacht
Niemand hat dir jemals beigebracht, wie man auf der Straße lebt
Und jetzt wirst du dich daran gewöhnen müssen

Du sagst, du würdest dich nie
Mit diesem mysteriösen Herumtreiber kompromittieren
Aber jetzt wir dir klar, er macht dir nichts vor
Wenn du in die Leere seiner Augen starrst
Und ihn fragst: "Willst du ein Geschäft machen?"

Wie fühlt sich das an,
Wie fühlt sich das an?
Ohne Wohnung zu sein
Wie eine vollkommen Unbekannte
Wie eine entwurzelte?

Du hast dich nie umgedreht, um die gerunzelten Stirnen
Über die Jongleure und Clowns zu bemerken,
Wenn sie ihre Tricks für dich vorführten.
Du hast nie verstanden, dass es nicht okay ist,
Wenn du andere Leute für dich die Fußtritte einstecken lässt.

Du fuhrst immer auf dem Chrome Horse (*2) mit deinem Diplomaten,
Der auf seiner Schulter eine Siamkatze zu tragen pflegte
Ist das nicht hart, zu merken,
Dass er doch nicht so en vogue und angesagt war,
Nachdem er dich ausgenommen hat wie eine Weihnachtsgans?

Wie fühlt sich das an,
Wie fühlt sich das an?
Ganz allein zu sein
So ganz ohne ein Zuhause
Als eine vollkommen Unbekannte
Als eine Entwurzelte?

Prinzessin auf der Erbse mit all den schönen Leuten
Die trinken und denken, dass sie es geschafft haben.
Die lauter teure Geschenke austauschen, aber du solltest
Deinen Diamantring besser nehmen und ihn verpfänden, Babe

Du hast dich immer so amüsiert
Über den Napoleon in Lumpen und wie er gesprochen hat
Geh jetzt zu ihm, er ruft dich, du kannst dich nicht weigern
Wenn du nichts mehr hast, hast du auch nichts zu verlieren
Du bist jetzt eine Unsichtbare
Du hast keine Geheimnisse mehr, die du hüten müsstest

Wie fühlt sich das an,
Wie fühlt sich das an?
Ganz allein zu sein
So ganz ohne ein Zuhause
Als eine vollkommen Unbekannte
Als eine Entwurzelte?



Der Titel bezieht sich auf das Sprichwort »A rolling stone gathers no moss« – ein rollender Stein setzt kein Moos an.
Zu dem Song - er gilt als einer der besten des 20. Jahrhunderts - haben viele kluge Leute viel Kluges geschrieben. Greil Marcus sogar ein ganzes Buch: »Die Biografie eines Songs«
Aufgenommen 1965 in London. Die Single erscheint (der Produzent wollte kürzen) ungekürzt, steigt sofort in die Charts ein und erreicht im August Platz 2. Der Spitzenrang ist durch »Help« von den Beatles blockiert. Europa: Platz 4 in Großbritannien, Platz 13 in Deutschland.

Dylan, der Literatur-Nobelpreisträger, über seinen Song:
Wenn Sie wissen wollen, was für mich der Durchbruch gewesen ist, dann würde ich ohne jedes Wenn und Aber sagen, das war Like A Rolling Stone. Es ist einfach so gekommen. Mit diesem La-Bamba-Riff hat es angefangen. Der beste Song, den ich je geschrieben habe, es kommt mir vor, als habe ein Geist dieses Lied geschrieben. Er gibt einem den Song und geht weg, weit weg. Man weiß nicht, was das bedeutet. Abgesehen davon, dass der Geist mich ausgesucht hat, um dieses Lied zu schreiben.
Es war zehn Seiten lang. Es hatte keinen Namen, war einfach etwas Rhythmisches auf Papier über meinen beständigen Hass. Eigentlich war es kein Hass, sondern es ging darum, dieser Person etwas zu sagen, was sie nicht wusste. ›Rache‹ ist vielleicht das bessere Wort. Ich hatte es nie als Song betrachtet, bis ich eines Tages am Klavier saß und das Papier regelrecht zu singen anfing: ›How does it feel‹, im Zeitlupentempo, im äußersten Zeitlupentempo ...
Nachdem ich Like A Rolling Stone geschrieben hatte, lag mir nichts mehr daran, Bücher oder Gedichte oder so was zu schreiben. Nein, nur Songs.

Der Dichter war in seinem Ursprung schon immer ein Sänger, und der Sänger ein Dichter. Es gibt keinen mit Bob Dylan vergleichbaren Künstler, dem die Kunstform so ungemein gleichgültig war, weil er sich einfach nur ausdrücken wollte: ob als Hippie-Ikone, Rockmusiker, Konvertit oder Grandseigneur auf den Bühnen dieser Welt. Über den Künstler Bob Dylan weiß man viel, den Menschen Dylan wird die Welt wohl nie kennenlernen. Ein Rückblick in Bildern auf das Leben des wahrscheinlich rätselhaftesten Künstlers unserer Tage

Geboren 1941 in Duluth/Minnesota, Nachfahre deutscher, türkisch-kirgisischer und ukrainisch-jüdischer Immigranten.
Nimmt Künstlernamen Dylan an, 1961 New York, lernt erste große Liebe Suze Rotolo kennen, erste Schallplattenaufnahmen (Mundharmonikaspieler auf einem Album von Harry Belafonte).
Suze Rotolo: "Der Erfolg verwandelt meinen Freund mehr und mehr in einen Egozentriker. Diese entwickeln eine unkontrollierbare Egomanie. ... es macht Klick und plötzlich kann diese Person nichts mehr wahrnehmen außer sich selbst. Jeden Tag wird es schlimmer“

Erfolg mit sozialkritischen Songs. "Blowin’ in the Wind" trifft den Nerv der Zeit, wird zur pazifistischen Hymne einer ganzen Generation ...
Gastsänger bei Joan Baez, Liebesbeziehung,1963 mit ihr erste große US-Tournee. Am 28. August treten sie bei der Abschlusskundgebung des Civil Rights March auf, wo Martin Luther King seine berühmte Rede "I Have a Dream" hält.

Dylan verkauft als Rockstar Millionen von Schallplatten, leidet unter Erfolgsdruck.
Ende 1965 Heirat mit Fotomodell Sara Lowndes.

Motorradunfall 1966, Dylan zieht sich völlig zurück. 1969 Sohn Jakob geboren, später drei weitere Kinder: Anna, Jesse und Samuel.
Mitte der 1970er Ehekrise. 1974 spektakuläre Comebacktournee, 1978 erfolgreiche Welttournee (u. a. vor 75.000 Fans auf Reichsparteitagsgelände Nürnberg)
1979 Konversion zum wiedergeborenen Christen, Alben mit religiösen Liedern.
1986 Heirat mit Background-Sängerin Carolyn Dennis, Anfang der 1990er geschieden.

Seit 1988 „Never Ending Tour“ mehrmals um den Erdball.

2016 - als erster Musiker - Literatur-Nobelpreis.









Nachworte:
Wolfgang Niedecken: "Bob Dylan ist der Polarstern"

FAZ: Ist die Welt jetzt verrückt geworden? Der bedeutendste Solokünstler, den die Rockmusik, ja, die Unterhaltungsmusik überhaupt hervorgebracht hat, bekommt den Literaturnobelpreis. Damit ist wenigstens die eine, seit langem gestellte Frage beantwortet: Kann der Autor von Lyrik, die eher nicht fürs leise oder laute Lesen geschrieben, sondern fast immer zusammen mit der ebenfalls von diesem Autor stammenden Musik gehört wird, mit dieser Auszeichnung überhaupt bedacht werden?

Ein Leser: Zum Glück bin ich kein Schüler mehr. Mir tun die armen zukünftigen Gymnasiasten jetzt schon leid, die das pathetische Geschwurbel von Dylan übersetzen und lernen dürfen. Zu meiner Schulzeit (80er Jahre), war es Bertold Brecht, der uns zu den Ohren wieder rauskam. Auch im Musikunterricht (Dreigroschenoper). Er war eine Art fossiler PräDylan, falls es sowas überhaupt gibt, denn Dylan ist natürlich selbst ein Fossil. So hat das Nobelkomittee mal wieder für Nachschub an Langeweile gesorgt.