Das Auge hat sich an die Dunkelheit gewöhnt. Der Körper bewegt sich im Rhythmus des Schiffes. Man beginnt eins zu werden mit dem Meer, das uns seinen Willen aufzwingt. Und es wird dabei kräftig unterstützt vom Wind. Wenn die beiden nicht wollen, dann kann kein Mensch dagegen an. Wobei es, und das könnte mit ein Grund sein, warum man sich so etwas immer wieder antut, durchaus Möglichkeiten gibt, Meer und Wind ein bisschen auszutricksen. Man nennt das Segeln.

Tekirova Liman

admiral unterwegs zur Flotte.
2006 ankern wir im antiken Südhafen am Fuße des Taurusgebirges und statten dem alten Phaselis - wie einst Alexander der Große und Kaiser Hadrian - unseren Besuch ab.

Odysseus, Urvater aller Fahrtensegler, war ein wilder, aber auch besonnener Skipper, der vor nichts zurückschreckte. Über die Gefühle seines Helden beim Segeln hat Homer sich nicht ausgelassen - allenfalls an versteckter Stelle.

Das alter ego Björn Larssons, eines anderen Fahrtenseglers, hat auf die Frage nach dem Sinn des Segelns geantwortet:
Wozu es gut sein soll?...
Das ist eine komplizierte Frage... Vielleicht könnte man sagen, Segeln hilft, die eigene Vergänglichkeit zu ertragen ...
Für mich ist das Leben wie das Kielwasser eines Schiffes.
Einen Augenblick, nachdem wir vorübergefahren sind, erinnert nichts mehr daran, dass wir jemals waren ...




Die Profi-Fahrensmänner transportieren was - hat Sinn.
Wenn man allerdings an Riesenkreuzer, Bananendampfer, Atom-Müll-Transporter oder marode Tanker denkt, dann gerät man wieder ins Grübeln: Warum werden Tonnen unreifer Bananen über Ozeane gesailt und tun sich nicht alle an ihren einheimischen Früchten gütlich?
Wenn wir ehrlich sind: wir fahren um unser selbst willen.
Weil wir uns stark genug fühlen, trotz oder wegen unserer angegrauten oder weißen Haare und Bärte solche Abenteuer zu bestehen.
Oder, was für die Jüngeren wohl eher zutrifft, zu erfahren, ob so etwas unter diesen vielfältigen Bedingungen Spaß macht, um es wieder und wieder zu wiederholen.
Wollen wir alle etwas 'er-fahren'?



Wenn wir, LF, Autopilot, GPS, Radar und Kartenplotter seis gedankt, immer wissen, wohin es geht auf dem Meer, wohin es mit uns geht, wissen wir nicht.
Wollen wir uns erfahren? Und der gute alte Kant, hatte der Erfahrung? Er kam nie über Königsberg hinaus... Seine Philosophie: Geträumte Törns?

Halten wir uns und unseren Planeten heil, damit wir noch lange die anderen Planeten in sternklaren Nächten am Firmament glitzern sehen, wenn der rauschende Bug im Meeresleuchten dahinzischt: eigentlich muß Amadée das gekannt haben, um seine phänomenale Musik der Menschheit zu schenken!





Seit 1977 unterwegs.
Die weitesten Törns führten zu den Antillen, Bahamas und Virgin Islands, an den Küsten des Lichts sind wir dem Kielwasser Odysseus' gefolgt. Venedig, Skradin und die Kornaten, Rügen, Elba, Sizilien, Kanaren, Ost- und Westfriesische Inseln, Balearen, Korsika, Tinker's Hole, Sardinien, schwedische Schären, Tremitis, Pontinische Inseln, Kap Anamur, IJssel- und Markermeer, Stromboli im Gewitter, Channel, Themse, Towerbridge, Prinses Margriet Kanaal, Sixhaven Amsterdam, Bretagne, Cornwall, Smuggler's Cottage, Schottland, Orkneys, Hebriden, Kaledonian und Crinan Canal, Nord- und Ostsee, Corry Vreckan, Dorus Mor, Karibik, Scillies ...
In Flottille, one-way, Ausbildung, Crashtörn oder gemütlich. Mit vielen erfahrenen Skippern gleichwertig und verlässlich an unserer Seite, 33.436sm auf 100 Törns versegelt
Wir segelten Homers Odyssee und Ulfs Törn im "Keltischen Ring" nach, wir trieben uns im mare nostrum der Bajuvaren, der Adria herum, wir lehrten Segeltheorie und -praxis bis zu den höchsten Weihen:
Per aspera ad astra oder "von der terrestrischen bis zur Sextanten-Navigation" und nahmen Segelprüfungen ab.







Und besonders liebten wir die Crash-Törns ...

Es gab Tage auf dem Atlantik, an denen sich der Horizont nach allen Seiten ins Unendliche erstreckte. Tage, an denen Himmel und Meer dieselbe tiefblaue Farbe hatten, an denen eine scharfe Sonne aufgebrachte Wassermassen beleuchtete und kreideweiße Brecher zu Schaumstreifen auseinandergeblasen wurden. Tage, an denen das Schiff sich in den gewaltigen Wellenbergen wälzte, während ein felsenharter Wind Wasserdampf aufrührte, der am Bug kurzlebige Regenbogen aufblitzen ließ. So mancher hätte für solche Tage sein Leben gegeben, bildlich gesprochen zumindest. Die meisten hätten allerdings alles gegeben, um sie gerade nicht erleben zu müssen, und das vermutlich aus Furcht vor dem Tod.
Oder vor dem Leben.





Leuchtfeuer

I
dieses feuer beweist nichts,
es leuchtet, bedeutet:
dort ist ein feuer,
kennung: alle dreißig sekunden
drei blitze weiß, funkfeuer:
automisch, kennung SR.
nebelhorn, elektronisch gesteuert:
alle neunzig sekunden ein stoß.

II
fünfzig meter hoch über dem meer
das insektenauge,
so groß wie ein mensch:
fresnel-linsen und prismen,
vier millionen hefnerkerzen,
zwanzig seemeilen sicht,
auch bei dunst.

III
dieser turm aus eisen ist rot,
und weiß, und rot.
diese schäre ist leer.
nur für feuermeister und lotsen
drei häuser, drei schuppen aus holz
weiß, und rot, und weiß. post
einmal im monat, im luv ein
geborstner wacholder,
verkrüppelte stachelbeerstauden.

IV
weiter bedeutet es nichts.
weiter verheißt es nichts.
keine lösungen, keine erlösung,
das feuer dort leuchtet,
ist nichts als ein feuer,
bedeutet: dort ist ein feuer,
dort ist der ort wo das feuer ist,
dort wo das feuer ist ist der ort.

Hans Magnus Enzensberger




Bücke über den Öresund fotografiert von Steffen M!

Sollte es uns an Sportsgeist, Elan und Abenteuerlust mangeln? Mitnichten.
Unsere Crews sind geeignet, die Schiffe auch. Fahrtenseglern steckt der Mut im Blut für die großen Reisen.

Querung des Nullmeridians auf der Themse, Metropolitan-Police-Kontrolle, Themsebiegung gerundet, Tower-Bridge vor dem Bug, an Steuerbord Schleuse St. Kats ...

Stundenlange Kreuz gegen den Strom im Makronisos-Kanal.

Der Kampf um Höhe auf Nordkurs von Troja zurück ums Kap Baba Burnu bei Sturm und See gegenan. Das Schiff stampft sich fest. Gischt sprüht übers Deck und Cockpit. Die Crew ist todmüde und erschöpft. Irgendwann fällt sie total erledigt in die Kojen.

Nächtlicher Landfall Pharmakonisi im Blindflug. Wir werden aufgebracht von schwer bewaffneter griechischer Marine.

Die Falle Tristoma-Bucht. Nächtliche Rettung durch Kameraden.

Sturmfahrt von Mykonos nach Syros - auf einem Kiel. 10 kn Schnitt.

Oder bei 9 Bft vor dem Wind, nur mit Sturmfock, von Folegandros bis Santorin.

Nachts über die Adria Kurs Venedig - Eiseskälte - 40kn Wind - Genauschot bricht - Reffroller rauscht aus - wir müssen zurück

Beim nächtlichen Verholen (9 Bft auf Legerwall) legt Fischernetz Schraube und Motor lahm - Schwede bringt in letzter Minute Hilfe - Auslaufverbot wegen Sturmes für Hilfsschiffe - unter Segeln in Kea Anker auf und in Lavrion ab - nach Schwerwettersegeln durch Makronisos-Kanal



Nachts vor dem Stromboli - wilde Seegewitter ziehen durch - armdicke Blitze - die Luft zischt von den Entladungen - dann direkt vor uns ein tagheller Schattenriss, der Doppelblitz geht beidseits des Vulkans nieder





Unsere Flotte quert nachts den Golf von Antalya - am Nachmittag laufen wir das antike Phaselis an, ankern im Päckchen und Manfred macht das Fässchen auf, Uwe rezitiert im Amphitheater die Bürgschaft.

Landfall Great-Britain: Ansteuerung Ramsgate bei Nacht, Tonnenstrich, Fahrwasser, ablaufendes Wasser, Gezeitenstrom - 30° Vorhalt, Fähre achtern - kommt auf, Einfahrt räumen, Tonne und Sandbank gerundet - liegen sicher am Steg ...

Einen Tag lang Aufkreuzen nach Falmouth: Stadt mit klingendem Namen,den River Fal hinauf, Festmachen vor Smugglers Cottage, weltberühmte Kneipe an verwunschenem Ort ...

Nur mit Genua, hoch am Wind rund Meganisi und weiter nach Ithaka: FüG 9kn! Ankern in der Bucht des Odysseus, erwachen vor seinem Heimathafen im Morgenlicht.

Orkneys - Festland Ziel Inverness: Wind legt auf 60 kn zu, wir stehen auf der Stelle, kehren um nach Wick - vor Stunden passiert, laufen in rauschender Fahrt vor dem Sturm ab, machen fest in der nagelneuen Marina, eine Stunde nach Mitternacht, ruhig wie in Abrahams Schoß. Kurz darauf läuft ein schottischer Einhandsegler, von den Orkneys kommend, ein. Die Wellen haben seine Lichter am Bug zerschlagen.

Festgekommen im Lauwersmeer: Niedrigwasser! Motorboot mit russischer Besatzung bricht 3. vergeblichen Schleppversuch ab, Danke!
Skipper der weiter nördlich ankernden Tjalk dreht unseren Bug mit winzigem Schlauchboot ins Fahrwasser, kommen frei, machen bei Sturm in Oostmahorn längsseits an Seenotkreuzer fest ...



Wir wollen vor den Gallis ankern - Flaute. Die gesamte Elektrik fällt aus, wir treiben in tiefem Wasser vor Klippen und Steilküste im Strom, Defekt nicht zu finden - der Bordtechniker unserer Flotte: die Rettung! Er kommt aus der Bucht Leranto - per Funk gerufen ...



Wir starten in Ardfern/Schottland, Kurs Hebriden. Nachdem wir Dorus Mor gequert haben, liegt querab der Corry Vreckan - ruhig: Gewagt und gewonnen, mit halbem Wind von Ost nach West durchsegelt und abends Ankern in Tinker's Hole ...

Wir segeln in Flotte über Poros, Hydra, Serifos, Sifnos, Folegandros nach Santorin. Die Einfahrt in die Caldera immer wieder überwätigend, frustrierend die verkommene Marina Vlychada, mit unserem EU-Geld finanziert, das in dunklen Kanälen verschwand.



Trost und Highlight: Karfreitags-Oster-Feuer in Pyrgos ...

Du drehst, nachdem du südlich der dunklen Isola San Nicola entlang gesegelt bist, nach Steuerbord in den Hafen - plötzlich am Steilhang das hell angestrahlte Kastell und Kloster: Geheimtipp Tremitis!

Wie ein Franke zum Hochseesegeln kommt?
1965 habe ich das Glück, die Ferien bei unserem schwedischen Austauschschüler Gunnar in Bohuslän zu verbringen, wohl die schönsten meines Lebens...
Auf einem 'Star' aus Holz, den meine Gastgeber segeln, Zwillingsbrüder und Enkel eines Großadmirals mit normannischem Blut in den Adern, kommt Klein-Christian erstmals ins Grübeln, wie denn ein Schiff nahezu gegen den Wind anzukreuzen vermöge?
In schneller Folge A-Schein auf dem Ammersee, BR- im ostfriesischen Tidengewässer, BK- und C- auf dem Mittelmeer; bald auch Ausbilder, Prüfer und Hochsee-Segellehrer. Selbstbau einer Waarschip-Holz-Segeljolle ...

Den Mann nenne mir, den gar vielgereisten, der, nachdem er die heilige Troja zerstört, gar viel umgetrieben wurde auf der veilchenblauen Ägäis ...

Vermessen, uns mit Odysseus vergleichen zu wollen? Oder auch nicht gerade schmeichelnd, mit diesem gerissenen Hund verglichen zu werden, jedenfalls aber ein mit allen Wassern gewaschener Sailor ...
Was soll's, an den Küsten des Lichts riefen unsere Mitsegler den admiral fränkisch-sächsischer Flottillen und Flotten auf Kanal 72 immer "ODYSSEUS". Over.

Gezeitennnavigation im Ärmelkanal: St. Malo 16 m Tidenhub bei Springzeit, Warten auf ausreichende Wasserhöhe über der Schwelle vor der Marina Port de Plaisance des Sablons ...

Vor St. Malo: 7kn FdW - 0,8kn FüG: Gegenstrom!

Die Flut kehrt die Flussrichtung des Le Jaudy bei der Anfahrt auf Tréguier um - wir erinnern uns ans Aufkreuzen zur Towerbridge in London ...



Am Westend von Europa gelandet: Sillys - tropisches Klima. Auf der Insel Tresco steht vor 1.000 Jahren ein Benediktinerkloster, von dem lediglich ein paar Ruinen übrig sind und das Highlight: die Vallhalla, Galionsfiguren vieler Wracks, evokative Objekte, traurige Erinnerungen an gesunkene Schiffe und ertrunkene Seeleute von den Segel- und Dampfschiffen - Namenstafeln aus dem schrecklichen Passagierschiffsuntergang der Schiller von 1875.

Bei Ägäis Insel Ios fällt mir Karl Forster ein.
Auf dem Meer ist es, außer wenn es regnet, nie wirklich dunkel. Wir haben Neumond, also keinen Mondschein. Trotzdem sieht man die Kämme der Wellen, wie sie anrollen, manchmal kurz vor dem Schiff noch brechen ...
Backbord voraus blinkt ein Leuchtfeuer, vielleicht schon das von Sikinos, auf der anderen Seite grüßt der Schatten von Santorin mit dem Feuer auf Kap Epanomeria. Die Gedanken schweifen hinüber in den Hafen von Ios, das ein paar Meilen voraus liegt. Ios, wo wir vor einigen Jahn festgelegen hatten. Kein Diesel. Auf der ganzen verdammten Insel nicht. Und dieses aufgeblasene Arschloch von Hafenkapitän lotste uns exakt dorthin, wo der Abwasserkanal der Chora ins Hafenbecken fließt. Ios? Nie wieder.

Bücher und Geschichten übers Segeln, sie sind meist nur für Leser geschrieben, die selbst an der Pinne oder am Ruder stehen. Forster versucht, in seinem Büchlein

dem abzuhelfen. Um den Leser neugierig zu machen auf ein anderes Leben, auf ein Leben weit weg von hier, es verführt zu träumen. Von der Weite des Meeres; von der oft beklemmenden Enge auf dem Boot; von der Kunst, den Wind zu nutzen; von der Demut gegenüber den Elementen, deren Kraft so ungeheuerlich ist, dass jeder, der den Respekt davor verliert, scheitern wird, eine Reise in eine vielleicht fremde Welt.
Wir laufen ein. Es bedarf keines Kommandos mehr, jeder weiß, was er zu tun hat. Christiane steht an der Backbordheckleine, Wiggerl ist, wie immer, am Anker. Und Rolf soll, wenn es denn nötig ist, rüberjumpen auf den Kai, um die Heckleine um irgendeinen Poller zu legen.
Da tönt es von diesem einen Schiff auf Deutsch. Ja, auf Deutsch, und im nachhinein wird mir erst klar, wie sehr wir uns in diesem Moment schämten, diese Sprache zu sprechen. »Hey, ihr habt ja eine Frau dabei. Bringt sie doch mal rüber zu uns. Hahaha.«

In der Marina von Marmaris legt eine deutsche Yacht an. Ein türkischer Bootsmann spaziert vorbei und nimmt die Heckleinen an. Macht einen perfekten Knoten, einen Palstek. »Hey, türkisch Mann, schick Deine Schwester vorbei. Wir brauchen was zu ficken.« Türkisch Mann geht wortlos weg. Er hat in Deutschland sechs Jahre lang Maschinenbau studiert.
Und ich weiß, dass wir hier raus müssen am nächsten Tag. Sonst werden wir verrückt.
Am nächsten Morgen wandern die Skipper, das Fernglas in der Hand, wieder zum Ende des Hafens. Und sie zucken die Schultern, gehen zurück auf ihr Schiff und machen sonst was auf. Wir aber gehen gepflegt frühstücken und ziehen dann die Ölsachen an. Wenn wir jetzt nicht fahren, fahren wir nimmermehr. Das Schiff wird sauber aufgeräumt, alles wird verstaut, die Way-Points werden auf dem Navigationsschirm eingetippt und zusätzlich auf der Karte markiert. Alle Daten werden nochmals überpriift, der Ölstand im 70-PS-Diesel wird gecheckt. Und dann heißt es: Leinen los, Anker auf. Und die Skipper schauen uns zu, irgendwie, so denke ich, ein bisschen neidisch. Dabei hat es doch bloß 7oder 8 Beaufort. Das haben wir doch schon so oft geschafft.
Es wird - wenn das die anderen wüssten! - ein harter, aber wunderbarer Segeltag. Gutes Schiff, gute Leute. Tschüs, Amorgos. Bis zum nachsten Jahr.

Eine lesenswertes Büchlein!



Erst wenn ein Mann ein Boot fährt, ist er wirklich frei.
Sein einziges Gefängnis ist dann der Horizont.



Viel mehr braucht es nicht auf dieser Welt als
raumen Wind, Sonnenuntergang, Seegeräusche,
warme Langusten, gutes, grobes Brot und etwas Rotwein...



Kornaten im Morgenlicht - fotografiert von Christoph!







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