mich umzuseh'n
statt aufzuseh'n zu lichten Höh'n;
wo über uns sitzen Gesässe aus Stein,
Ärsche mit Heiligenschein.
Lust an Demokratie
Alle Alt-68er kennen ihn:
Ihn und seine Kombattanten Wader, Degenhardt, Mey vom legendären Chansonfestival auf Burg Waldeck.
1966 war das. Dann kommen die Siebziger, Radikalenerlass, Berufsverbot und Unvereinbarkeitsbeschluss (Grundlage des Niedergangs der SPD und
schon immer das Uneinigkeits-Dilemma der Linken). Walter Mossmann, der zu dieser Zeit eine Jugendsendung beim SWR moderiert,
gerät in Konflikt mit dem Sender, Mossmanns unverstellte "Lust an der Demokratie" passt nicht ins Programm.
Er beginnt wieder Lieder zu schreiben, solche mit direkten politischen Gebrauchsanweisungen. Als die Atomindustrie im badischen Wyhl ein Kraftwerk
bauen will, wird Mossmann zum Sänger der Anti-Atom-Bewegung. Im Wendland, im Elsass und in Baden, seiner Heimat, deren radikaldemokratische
Geschichte er in seinen Liedern immer wieder abruft.
Mossmann ließ sich nichts vormachen, nicht von Freunden, nicht von Feinden.
BALLADE VOM TOTEN MATROSEN
WALTER GRÖGER
Der war jung, grad siebzehn Jahre,
und zog freiwillig in den Krieg,
im Ohr die Nazi-Fanfare,
vor Augen der glänzende Sieg,
aus Schlesien und Schlossergeselle
und bald schon heimwehkrank,
denn der Krieg kam nicht von der Stelle,
und die blutige Zeit wurde lang.
Drei Jahre weit weg von Schlesien,
drei Jahr in Kaserne und Schlacht –
da hat der ans Abhaun nach Schlesien,
ja an Flucht hat er gedacht.
Als der Krieg dann im fünften Winter
nach den Übriggebliebenen griff,
schickte irgendein Menschenschinder
den Matrosen nach Oslo aufs Schiff.
Doch der fand dort ein heimliches Zimmer,
eine Freundin und einen Plan,
ja, da gabs noch so'n Hoffnungsschimmer,
der von Schweden herüberkam.
Das ging so ganze drei Wochen,
dann wurde er denunziert;
er hatte das Schlimmste verbrochen,
war vom Töten desertiert.
Der Richter nahm ihm acht Jahre
und der Freundin aus Oslo zwei.
So war denn die Zeit mit der Knarre
für den Hitlersoldaten vorbei.
Doch der Admiral wollte Blut sehn
und sagte: "Zuchthaus ist schlecht!
Warum soll's dem Matrosen so gut gehn?
Davon wird unser Krieg geschwächt!"
Er fand auch gleich zwei Komplizen:
ein' Richter und ein' Staatsanwalt –
was hatten die gutes Gewissen!
und Gesetze! und Gewalt!
Der Krieg lag schon in' letzten Zügen
und in Trümmern die halbe Welt,
trotzdem wurde die Sache betrieben
und das Todesurteil gefällt.
Den heimwehkranken Matrosen
traf zehnmal die Kugel aus Blei,
in sauber gebügelten Hosen
stand Herr Filbinger aufrecht dabei.
Wonach sich der Junge gesehnt hat,
sein Schlesien sah er ja nicht –
das letzte, was er gesehn hat,
das war Filbingers Gesicht.
So wurde da einer abgeknallt,
der zu menschlich war für den Krieg.
Und Hitlers gehorsamer Staatsanwalt
überlebte die Zeit, und stieg,
und stieg auf der Leiter der Politik,
wo er hinwollte, nämlich zur Macht –
den hat allenfalls mal ein Hundeblick
um den Schlaf des Gerechten gebracht.
Es ist einer ja kein Verbrecher,
auch wenn er Verbrechen begeht...
Der Terrorist stellt sich besser,
der im Dienst des Staates steht.
Eine seiner berühmten Balladen.
In späteren Jahren sagt Mossmann seinen Mitstreitern, das abschreckende Beispiel von Filbingers Biografie "sollte uns anhalten über eigene
Irrtümer nachzudenken".
Mossmann war ein Radikaler im besten, im aufgeklärten Sinn. Er hat Chansons von stacheliger Poesie geschrieben und Balladen,
in denen man bestaunen kann, wie schön und relevant politische Lieder, wie sinnlich und aufregend politisches Denken sein können.
Ballade vom zufälligen
Tod in Duisburg
Im Jahre dreiundsiebzig kam
Ein Mann umsonst zu Mannesmann
Der war entlassen so über Nacht
Der hat im Streik zu laut gedacht
Und sich um seinen Job gebracht!
Im Juni vierundsiebzig dann
Klagte er gegen Mannesmann
In Duisburg vor dem Arbeitsgericht!
Ach, das Gericht war taub und blind
Recht gegen Reichtum gibt es nicht!
In dem Gerichtsaal war es heiß
Mancher Mann schrie laut, wie ich weiß
Und ein Gesang kam aus dem Geschrei -
Die Internationale tönt
Hässlich im Ohr der Polizei!
Die schlugen zu mit kaltem Blut
Ich weiß, die schlagen gern und gut
Grade aufs Kommunistenpack -
Schlagen mit Lust auf deinen Kopf
Schlagen auf Maul und Bauch und Sack!
Günter Routhier* war auch dabei
In der Gewalt der Polizei
Er war ihr Opfer, ich sag' es laut
Grad weil der Richter jeden jagt
Der sich das laut zu sagen traut!
Günter Routhier, ein Arbeiter
Frührentner, wie so mancher, der
Sein Leben im Betrieb ruiniert -
"Der ist ein Bluter!" schrien die Leut'
Das hat die Polizei gehört!
Den Günther Routhier schmissen sie
Die Treppe runter wie ein Vieh
Schleiften ihn ins Präsidium
Schleppten ihn dort kopfunten hoch
Brachten ihn um! Ja, brachten ihn um!
Zwei Wochen später war er tot
Und in der Stadt gab's ein Verbot
Verboten wurde ein einziges Wort -
Seht nur, die Mörder machten Jagd
Bloß auf ein Wort und das heißt 'Mord'!
Wenn du das Wort geschrieben hast
Fliegst du gleich in den nächsten Knast
Mensch, diese Mafia ist ja so frei!
Die Gangster heißen hierzuland'
Staatsanwalt oder Polizei!
Fünftausend kamen zum Leichenzug
Fünftausend waren schon genug
Dass auch der Staat zur Leiche kam
Und als das Blut in Duisburg floss
Floss auch ein Sekt bei Mannesmann!
Jetzt liegt ein Schweigen auf der Stadt
Jeder, der dort das Sagen hat
Redet kein Wort und bleibet dabei:
Nein, die Gestapo gibt es nicht
Aber es gibt die Polzei!
Ein Professor aus Münster stand
Mit einem Flugblatt in der Hand
Stand dort in Duisburg, aber nicht lang -
Kurz ist der Weg vor ein Gericht
In dieser Stadt von Mannesmann!
Der Richter sagt: "Mir ist egal
Ob Totschlag oder Unglücksfall
Auf jeden Fall Beleidigung!
In dem Gesetzbuch steht ganz klar:
'Die Polizei bringt keinen um'!"
Der Professor sagt dem Gericht:
"Aufklärung ist doch meine Pflicht!
Ein Mörder lebt - ein Opfer ist tot!"
Wenn der noch lang' so die Wahrheit sucht
Findet er sein Berufsverbot!
Doch wer da kämpft, weiß, dass er lebt
Wer nicht an der Karriere klebt
Der wird für die Freiheit auch nicht zu schwer -
Kämpfen tut not, 's ist höchste Zeit
Zähl mal, die Toten werden mehr!
Der Benno Ohnesorg war hin
Am zweiten Juni in Berlin
Denk an die Schüsse auf Georg von Rauch!
Denk an den nackten Schotten, dem
Schossen sie ungestraft in' Bauch!
Herr Staatsanwalt lass sein, ich bitt'
Lass unversehrt mein armes Lied
Wenn es auch nicht die Staatsmeinung meint!
Immerhin hab' ich recht und schlecht
Das, was zu sagen wär, gereimt!
Sind wir schon so zusammengestaucht
Dass einer Sklavensprache braucht
Der von Verbrechen spricht der Polizei?
Mensch, wo die Sklavensprache herrscht
Herrscht doch schon längst die Sklaverei!
Schaut man auf Walter Mossmanns Biographie, so liest sie sich in Teilen wie ein Kampf, den ein moderner Michael Kohlhaas mit sich und der Welt ausfocht.
Stets blieb er unbequem und schuf damit, nicht zuletzt sich selbst, Schwierigkeiten. Im SDS, dessen Mitglied er 1968 wurde, legte er sich prompt
mit etablierten Führungsfiguren an. Mit den DDR-Behörden geriet er aneinander, als er öffentlich für Dissidenten und vor allem für seinen
Freund und Kollegen Wolf Biermann eintrat. Es folgte ein Einreiseverbot in die DDR – nicht allzu schlimm für ihn.
Mossmann sieht früh, dass im real existierenden Sozialismus allerhand real war, nur der Sozialismus nicht.
Sein Verhältnis zur Internationale: „Bei mir war das eine Aggression gegen jede Art von formiertem Massengesang.
Mächtige Märsche und Chöre. Ich fand das entwürdigend und widerwärtig. Viel interessanter in der SDS-Zeit war an kollektiver Aktion
das Erfinden und Rufen von Sprechchören. Das hat viel mehr Spaß gemacht, und das Bedürfnis, sich kollektiv akustisch zu äußern,
ging mit Sprechchören viel besser."
Ab 1970 lässt Walter Mossmann die Gitarre zunächst ruhen. Er ist auf der Suche.
Er will den „Verblendungszusammenhang“ angreifen, Menschen die Augen öffnen. Aber wie? Aufklärung müsste man schaffen, unterdrückte Informationen
senden, gesellschaftliche Widersprüche thematisieren. Schon Hans Magnus Enzensberger forderte um 1968 „Eine Stunde Sendezeit für die APO“,
um Meinungsmanipulation anzuklagen und gegen die Monopolisierung des Medienmarktes zu agitieren.
Über die Schwierigkeiten eines kritischen Journalismus im bürgerlichen Medienbetrieb reflektiert Mossmann einige Jahre später in seinem Lied
"Für meine radikalen Freunde". 1973 eskalierten die Häuserkämpfe im Frankfurter Westend-Viertel. Studierende, Lehrlinge, Migranten,
Jugendliche besetzten leerstehende Häuser, die Spekulanten verfallen lassen, um später höhere Grundstückspreise verlangen und bessere
Deals abschließen zu können – während es in Frankfurt nicht genügend Wohnraum gibt. Polizei und Magistrat reagieren mit brutalen Räumungen
und Repressionen, schwere Straßenkämpfe folgen.
1973 beschließt die baden-württembergische Landesregierung, auf den ursprünglich geplanten
Atomreaktorbau bei Breisach in Südbaden zu verzichten und stattdessen ein Atomkraftwerk im nicht weit entfernten Wyhl am Kaiserstuhl zu
errichten.
1973 produziert Mossmann, als freier Mitarbeiter und gemeinsam mit einer Kollegin, ein einstündiges Feature für das Radio SWF.
Titel: „Bürger werden initiativ“. Es ging um Wyhl, um den Widerstand von Bürgerinitiativen und Zusammenschlüssen gegen das
geplante Kernkraftwerk. Auch den Widerstand gegen die Atomkraftpläne der französischen Regierung, auf der anderen Seite der Grenze, thematisieren
sie. 1973 nimmt er die Gitarre wieder in die Hand und schreibt neue Lieder, Lieder für den politischen Kampf, Lieder mit Gebrauchswert,
Flugblattlieder.
Der Aufbau der BRD zu einer Großmacht der Atomkraftwerke läuft auf vollen Touren, aber der Widerstand dagegen in unserer Region ist
(bis jetzt) noch einmalig. Die Bevölkerung ist hellwach! Der Widerstand ist getragen von Rheinfischern, Winzerfamilien, Landwirten,
kleinen Geschäftsleuten und Hausfrauen mit CDU-Parteibuch, die sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder und die Auswirkungen auf ihr Geschäft,
den Tourismus, aber auch die Umwelt machen.
Von denen etwas lernen? Vom tendenziell rechtskonservativen Bürgertum?
Erschrocken wendet sich die deutsche Linke ab. Als es den Wyhlern aber gelingt, den Widerstand gegen das Kernkraftwerk wirksam zu organisieren
und auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen, 1975, den vorgesehenen Bauplatz mit 30.000 Menschen zu besetzen, staunte die radikale Linke nicht schlecht.
Einfache Bauern überrennen Polizeiketten und Absperrungen, Winzer prügeln sich mit Einsatzhundertschaften, und Handwerker aus der Region errichten
gemeinsam mit Schülern die Volkshochschule Wyhler Wald und andere Gebäude aus Holz und vorgefundenem Baumaterial auf dem Gelände.
Dort finden mehr als 60 Vorträge, Konzerte, Feste und andere Kulturveranstaltungen statt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Filbinger,
der wenig später über seine Vergangenheit als Nazi-Richter stolpern und seine politische Karriere beenden muss, sagt:
„Wenn das Beispiel Wyhl Schule macht, ist eine sinnvolle Entwicklung dieses Landes in eine gute Zukunft nicht mehr möglich.
Wenn es Schule macht, dann wäre dieses Land unregierbar geworden.“
Rudi Dutschke eckte 1976 an. In einer Freiburger Buchhandlung diskutierte man. Ein Mitglied der Freiburger KKW-NEIN-Gruppe wollte Dutschkes
Meinung über die Auseinandersetzungen in Wyhl hören.
Der wusste nicht viel damit anzufangen, flüchtete sich in Allgemeinplätze. Bald schrie man sich an. Der Anti-Atomkraft-Aktivist warf
Dutschke vor, nur „Markenartikel ohne Gebrauchswert“ zu sein. Dutschke reagierte verstimmt, fuhr schlechter Stimmung zurück nach Aarhus.
Gretchen Dutschke in der Biographie ihres Mannes: „Es kam ein schöner, sanfter
Frühling in diesem Jahr, und in Wyhl ging es weiter mit dem Aufstand. Dann wurde es Sommer, ein warmer, sonniger Sommer, und der Aufstand
ließ nicht nach. Mossmann war stark eingespannt. Er dachte nicht an Rudi oder an ihr letztes, so wenig erfreuliches Treffen.
Eines Tages klingelte dann bei Mossmann das Telefon. Er nahm ab. ‚Hier ist Rudi‘ sagte eine heisere Stimme. ‚Wer?‘ fragte Mossmann.
‚Rudi Dutschke, ich bin am Bahnhof, und ich wollte jetzt mal was erfahren von eurer Bewegung hier, und ich habe Zeit. Kann ich bei euch wohnen?‘
Mossmann stockte einen Augenblick der Atem, dann sagte er: ‚Ja, ja, das ist gut. Komm nur. Ich hole dich ab.‘
Mossmann lebte in einer Wohngemeinschaft; es gab eine Kammer, in der sie Rudi unterbrachten.
Vormittags hatte Mossmann zu tun und er gab Rudi einen Haufen Literatur: Flugblätter, Artikel. Rudi las alles konzentriert. Nachmittags
unternahm Mossmann mit Rudi Ausflüge. Zum Kaiserstuhl und all den Orten, wo die Menschen gegen das geplante Atomkraftwerk protestierten.
Mossmann stellte Rudi nie namentlich vor. Das klappte gut. Rudi wollte nicht erkannt werden. Er wusste, wie das auf die Leute wirken würde.
Mossmann hatte ein paar Jahre bei ihnen gearbeitet, und die Menschen kannten ihn und hatten Vertrauen. Sie redeten mit Rudi so,
wie sie mit Mossmann redeten, unverstellt und direkt. Rudi hatte seine Art, mit den Leuten zu reden. Er fragte immer nach den sozialökonomischen
Daten: Wie das mit der Arbeit sei, wie die sozialen Verhältnisse seien, wo die wirtschaftlichen Probleme lägen.
‚Das hat er sehr gut gelernt‘, berichtete Mossmann. ‚Es war die Automatik, die erst mal funktionierte und sehr gut auch. Dann aber kam,
das war eindeutig Neuland, diese Beschäftigung mit dem Problem der Atomindustrie und mit allem, wofür das sozusagen die Speerspitze war.‘
Rudi blieb zwei Wochen in Freiburg. Das war der Anfang einer Wandlung, die Rudi nicht vom Sozialismus wegführte, ihm aber neue Einsichten verschaffte:
Am Beispiel der Atomindustrie entwickelte er neue Gedankengänge, die die traditionellen linken Vorstellungen von dem, was wichtig ist
in der Gesellschaft, korrigierten und ergänzten.
Beim Frühstück sitzen drei Kapitalisten
Und ein Ministerpräsident
Ein Atomspezialist und ein hoher Polizist
Und ein Typ vom DGB, der pennt!
Ein Herr der Industrie nimmt zuerst das Wort:
"Der Profit wird uns hier zu klein!
Wir brauchen ein zweites Ruhrgebiet
Und das bauen wir am Oberrhein!"
"Dazu plan' ich euch", sagt der Spezialist
"Ein Atomkraftwerk - na klar!
Dass das schädlich ist und wahrscheinlich Mist
Vergess' ich überm Honorar!"
Der Chef der Polizei erklärt:
"Ich kann nicht das Volk beschützen vor dem Dreck
Doch den Dreck kann ich schützen
vor dem Volk, wenn's rebelliert -
Gebt mir Waffen und ich schaff es weg!"
"Damit auch alles seine Ordnung hat"
Sagt der Ministerpräsident
"Geb' ich euch im Namen des Volkes den Segen
Dafür halt' ich mir ein Parlament!"
Dann singen alle sechs im Chor:
"Wir schaffen Arbeitsplätze, wie schön!"
Davon wacht der DGB wieder auf und sagt:
"Dann kann ich ja beruhigt wieder geh'n!"
"Leider stinkt's zum Himmel", sagt der Spezialist
"An unserm Plan ist einiges faul!
Wir brauchen einen Kerl, der ihn parfümiert
Mit einem schönen großen Lügenmaul!"
"Keine Bange", sagt der Ministerpräsident
"Wofür ist die freie Presse da?
Wenn der Rhein zum Abort wird, schreibt sie:
»Fortschritt, Fortschritt, ja, hurra!«"
Dieser Fortschritt schreitet über Leichen fort
Profitgier bewegt sein Hirn
Sein Maul frißt deine Arbeitskraft
Seine Scheiße sollst du konsumier'n!
"Es braucht jeder Mensch", sagt das Badenwerk
"Den Strom für'n Swimming-Pool
Für'n elektrischen Tisch, für's elektrische Bett
Und für den elektrischen Stuhl!"
So soll das Volk benebelt werd'n
Noch bevor ein Kühlturm steht -
Das Volk, so hoffen die hohen Herrn
Spürt den Schaden erst zu spät!
Doch der Bauer schaut den Acker an
Der Fischer guckt in'n Rhein
Der Winzer prüft den neuen Wein
Und alle sagen: "KKW nein!"
Sie reden nicht bloß, sie organisier'n
Gemeinsam den Widerstand -
Auf dem Land hat man für Halunken
Dies und Das schnell bei der Hand!
Und der Arbeiter, dem Herr Eberle
Die Fabrik im Dorf verspricht
Spuckt aus und sagt: "Von der Ausbeutung
Befreist grad' du mich nicht!"
Beim Frühstück sitzen drei Kapitalisten
Und ein Ministerpräsident
Ein Atomspezialist und ein hoher Polizist
Und ein Typ vom DGB, der pennt!
Die paar Herrn hätten gern
Das Volk am Zügel, stumm und als Stimmvieh -
Sie verwandeln Energie in Profit, aber wir
Verwandelt unsern Hass in Energie!
Der Bau des Atomkraftwerks scheiterte, und eine ganzen Generation von Anti-Atomkraftbewegten
singt den Song Walter Mossmanns als Hymne.
Der radikale Sozialist und Humanist, der den aufrechten Gang probte, und als utopischer Nonkonformist, der sich stets an Ordnung,
Fixierung, Normierung, Standardisierung stieß, schrieb dann nicht nur Songs über den Kampf gegen die Atomindustrie, sondern auch über den Häuserkampf
in Frankfurt und die Berufsverbote
Sag mal, sag mal, Herr Lehrer – das interessiert uns jetzt:
Wie führt man heute den Klassenkampf,
trotz Klassenjustiz und -gesetz?
Wie kämpft man gegen das Berufsverbot,
das dich kastriert, weil es dich bedroht?
'Na und, mein Junge, na und?
Ich verbrenn’ mir halt nicht den Mund!
Ich schwör’ dreimal aufs Grundgesetz
und komm’ gesund auf den Hund!'
Und auch das hat er gedichtet: Lied für die Sheba, als sie mal zu lange weg war.
Jetzt hab' ich mich trotz alledem doch noch mal verliebt
Und war doch ziemlich sicher, dass es sowas nicht mehr gibt!
Die Zeit der Illusion war aus
Und ich saß fest in meinem Schneckenhaus -
Jetzt treibt es mich um, dass ich mich nochmal ins Freie wag'
Und hab' keinen Harnisch und du keinen Rosenhag!
Ich sage dir: "Ich liebe dich!" und küsse deinen Bauch
Und denk,' es wird vorübergeh'n und du verziehst ja auch
Die Augenbrauen hoch ins Haar
Und sagst: "Naja - vielleicht ein halbes Jahr!"
Trotzdem beißt mich die Sehn-Sucht, diese heilige Kinderei!
Ach ja, Große Freiheit - ich bin eben nicht so frei!
Ich seh' zuerst, dass ich nicht lüg', dein' Mund und diesen Schwung
Der Lippen, wenn sie offen steh'n im Licht der Dämmerung
Und dann, ja dann - so ganz rundum -
Was soll's, die deutsche Sprache ist zu dumm!
Ich kann's nicht beschreiben, ich heiß ja auch nicht Salomo
Doch wenn du den Mund aufmachst, werd' ich sogar mit Sächsisch froh!
Da steh' ich auf der Straße rum, die Autos machen Wind
Und du bist auf der ander'n Seite und kein Königskind!
Ich seh' nur deine Außenhaut
Und hör' dich nicht - hier is' ja ziemlich laut!
Ich geh' meiner Wege und du gehst, was weiß ich, wohin -
Da find ich es gar nicht schlecht, dass ich noch ich selber bin!
Dann ist das Zimmer eingeheizt und riecht gut nach Kaffee
Du zeigst mir alte Fotos, dass ich mehr von dir versteh'!
Was zum Beispiel auf dem Familienbild
Das Mädchen mit den Sheba-Augen fühlt
Oder Sheba mit Baby und mit diesem und jenem Mann -
Ich hab' vor der Nase, was ich nicht begreifen kann!
Ich hab' einmal geträumt, sie holen mich ab in den Knast
Und du warst auch im Bild, jedoch, als wie ein fremder Gast
Mit einem freundlichen Gesicht -
Bloß zu mir hergeschaut hast du grad' nicht!
Ich wach' auf und seh' dich, da liegst du ja schlafend und warm
Das ist auch mein Bett, bloß, du liegst in deinem eigenen Arm!
Da ist ein leichter Sommertag mit Himbeer'n und im Wald
Du duftest nach Oreganon und mir ist heiß und kalt!
Auf dem Boden, der vor Freude bebt
Und über dem die berühmte Wolke schwebt -
So zwischen den Bäumen, ist mir einen Augenblick klar
Dass du nicht nur du bist, wie ich nicht nur ich selber war!
Jetzt bist du fast vier Wochen weg - verdammt, das fällt mir schwer!
Ich denk' mir, wie du deinen Leib eintauchst ins Mittelmeer
Und freu mich an deiner Lebenslust!
Nur leider hätt ich allzugern gewusst
Ob du einen im Bett hast, mit Schultern sehr breit und sehr braun
Und ob ich verblasst bin - ein sehr ferner Mittsommernachtstraum!
Es ärgert mich gewaltig, wenn ich in die Ferne schwärm'
Davon krieg ich ein' Saufkopf und die Leere im Gedärm
Und meine Freunde schau'n mich an
Wie einen, den man nicht mehr brauchen kann!
Also geh' ich ins Wasser und schmink mir den Liebhaber ab -
Es kann ja nichts schaden, wenn ich mich gewaschen hab'!
Ja, zum Abschluss noch - 'ne Lügenstrophe!
Hab' jede Menge Arbeit und auch Lust an Politik
So krieg' ich keine Schwindsucht und vielleicht kommst du zurück!
Mal seh'n, ob noch was rüberreicht
Ich hätt's schon gern - am liebsten hätt' ich's leicht!
So, das war die Geschichte von der Sheba und vom Entenfuß
Vielleicht geht sie weiter - mit dem Lied ist auf jeden Fall Schluss!
2015 ist der 1941 in Karlsruhe geborene Liedermacher an Krebs gestorben.
Der Tod kommt abends mal ums Eck
und fragt:
„Wann bist denn du soweit?“
Ich sauf’ mich voll,
dann geht er weg
und kürzt mir meine Zeit.
Hau doch ab, du Sack!
Ich sterb’ noch dran!
An dir verfluchtem Sensenmann.
Eben warst du noch ’ne Puppe
aus’m Märchen und mir schnuppe –
und jetzt rückst du mir so eiskalt auf’n Pelz
Der Tod kommt morgens an mein Bett,
im kalten Rauch der Christenhöll.
Wenn der nur etwas Wärme hätt’,
ich folgt’ ihm auf der Stell’
Hau doch ab, verfluchter Sensenmann,
du, solang ich noch was spüren kann
bisschen Wasser, bisschen Sonne,
bisschen Liebe, bisschen Wut,
ist mir auch das graue Leben
noch zu gut
*)Auszug aus Wikipedia:
Der Frührentner Günter Routhier hatte am 5. Juni 1974 in Duisburg an einem Arbeitsgerichtsprozess teilgenommen, bei dem es um die Entlassung
eines Mannesmann-Arbeiters ging, der der KPD/ML angehörte. Als dessen Klage auf Wiedereinstellung abgewiesen wurde, entstand im
vollbesetzten Gerichtssaal Unruhe, worauf der Zuschauerraum umgehend von Polizeibeamten geräumt wurde. Dabei wurde Günter Routhier
festgenommen und im Polizeigriff die Treppe des Gerichts hinuntergeführt, wobei er mit dem Kopf gegen die Wand und den Boden stieß. Nach
etwa zwei Wochen starb Günter Routhier in einem Krankenhaus an einer Gehirnblutung. Bei der späteren Obduktion in einer Klinik
in Essen wurde von einem Gutachter festgestellt, dass diese Gehirnblutung nicht auf Gewaltanwendung zurückzuführen sei.
Ein zweites Gutachten von dem Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts Berlin, Walter Krauland, „kam zu dem entgegengesetzten Ergebnis:
es gibt keinen Zweifel an der gewaltsamen Ursache des Todes von Günter Routhier, und als Tatzeit kommt aufgrund der erhobenen Befunde
der 5.6.74 infrage.“
Mehr als tausend Menschen, die aus Empörung über die Todesumstände wie die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten
(KPD/ML) die Polizei des Mordes beschuldigten oder den Mordvorwurf in irgendeiner Form verbreiteten, wurden strafrechtlich verfolgt.
Prominenteste Opfer der Verfolgungsmaßnahmen waren zwei Professoren, der Soziologe Christian Sigrist und der Literaturwissenschaftler Gerhard
Schneider.
Fessenheim: ältestes und leistungsschwächstes französisches Kernkraftwerk 1 km westlich der deutsch-frz. Grenze; soll 2020 vom Netz gehen.
Hungerstreik Roggenhausen: Drei Wochen hat er gedauert 1977 im elsässischen Dorf Roggenhouse gegen das AKW Fessenheim 1977