Er schrieb, Sisyphos sei, als er tot war, mit Hilfe eines rechtlichen Schlichs dem Totenreich entronnen. Noch bevor Zeus Thanatos befreite, bat Sisyphos, der wusste, die erste Amtshandlung des Todes würde darin bestehen, ihn holen zu kommen, seine Frau, das angestammte Bestattungsritual nicht zu vollziehen. Als darum Sisyphos in der Unterwelt eintraf, machte Hades ihm Vorhaltungen, und wie zu erwarten, erhoben die Mächte des Schattenreichs ihr Geschrei zum Himmels- oder Unterweltgewölbe, rauften sich die Haare und waren beleidigt. Sisyphos erklärte jedoch, die Schuld läge nicht bei ihm, sondern bei seiner Frau, und bat um eine, sagen wir, richterliche Erlaubnis, zur Erdoberfläche zurückkehren und sich rächen zu dürfen. Hades überlegte: Sisyphos’ Vorschlag klang vernünftig, und so wurde er gegen Kaution für eine Frist von drei oder vier Tagen auf freien Fuß gesetzt, genug, um gerechte Rache zu nehmen und, wenn auch ein wenig spät, die gebotenen Bestattungsrituale in die Wege zu leiten. Selbstverständlich ließ sich Sisyphos nicht lange bitten, kehrte auf die Erde zurück und lebte glücklich bis ins hohe Alter, schließlich war er nicht umsonst der listigste Mensch des Globus; erst als sein Körper ihm den Dienst versagte, kehrte er ins Totenreich zurück. Manche meinen, die Strafe mit dem Felsen habe nur den Zweck verfolgt, Sisyphos zu beschäftigen und seinen Verstand daran zu hindern, neue Schliche zu ersinnen. Aber eines Tages, wenn niemand damit rechnet, wird Sisyphos etwas einfallen, und dann steigt er wieder zur Erde hinauf ... |
I’m reading Roberto Bolaño’s 2666 and it scares me shitless every day. I can’t read it at night. A week ago I had a vicious flu (thanks to a co-worker) that may yet turn out to be bronchitis, and spent two nights in a near-hallucinatory dreamlike state: at one point, I dreamed my own death, but for the most part, I simply heard voices: one or two at first, but then a rumbling cacophony, words and pieces of words, voices that had no business being in my head, that I’d never heard before. |
Als Franz Kafka, 41, 1924 in Kierling an Tuberkulose stirbt, hat der Versicherungsangestellte und Sozialist nur einen Band mit ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht.
Kurz vor dem Tode W. G. Sebalds führt ein Kollege ein Gespräch mit dem großen Schriftsteller deutscher Sprache, der in seiner Jugend ausgewandert ist nach England, weil er in Deutschland nicht mehr leben wollte.
Als 2002 in Barcelona der 50jährige Chilene Roberto Bolaño, Atheist, Trotzkist, Anarchist, über seinem gut 1.000 Seiten langen Roman "2666" stirbt, soll er auf eine Lebertransplantation gewartet haben - andere Quellen sprechen von einer Überdosis Rauschgift.
Am 9. November 2004 kommt in Stockholm Stieg Larsson, ebenfalls 50, Journalist, Schriftsteller und trotzkistischer Kommunist, international berühmt durch die "Millennium-Trilogie", nach der Mittagspause in sein Büro zurück. Der Enthüllungsjournalist und Rechtsextremismusexperte arbeitet täglich bis zur völligen körperlichen und geistigen Erschöpfung für das Antifa-Magazin "Expo", 1995 von ihm gegründet - als Reaktion auf tödliche Neonazi-Übergriffe in seiner (angeblich) politisch moderaten Heimat Schweden.
1991 setzt Ulf, das Alter Ego des großen schwedischen Autors Björn Larsson, in einer Vollmondnacht beim Leuchtfeuer Dub Artach Segel, Kurs West. Während eines Segeltörns von Dänemark zu den Hebriden wird er in kriminelle Handlungen im Kampf der Kelten für Freiheit und Unabhängigkeit verwickelt, ist auf der Flucht vor dem Ring und anderen fanatischen Organisationen in Europa. 2001 erscheint "Kap Zorn" - nach "Der Keltische Ring" von 1992, Pflichtlektüre für alle Schottland-Segler ...
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Dicks Maschinenpistole und Marys Revolver hatte ich ins Meer geworfen, weil ich sie nie mehr benutzen wollte. Unser Heil lag einzig in der Flucht. Schon das, was ich wußte, reichte aus, uns ein Leben lang zu gefährden. Solange sich Mary an Bord befand, konnte alles geschehen, falls der Ring oder irgendeine andere der fanatischen Organisationen, denen Dick und O’Connell angehörten, uns aufspürten. Mary kehrte allmählich ins Leben zurück. Sie und Torben haben die Rustica schon seit langem verlassen, und sie sind jetzt weit fort. Mary und ich sind einander niemals nähergekommen, trotz einiger linkischer Versuche. Torben und ich sind nach wie vor Freunde, etwas aber hat sich verändert. Nach und nach habe ich eingesehen, daß seine Liebe zu ihr schon lange, bevor er ihr begegnete, existierte, so wie die Sehnsucht nach etwas Grenzenlosem, Absolutem. Torbens Widerwille gegen Symbole und Theorien hing vielleicht mit dieser Sehnsucht zusammen. Der Glaube an Kraft und Ernst der Worte, an Fiktion und Wirklichkeit als zwei Seiten der gleichen Realität, das Wissen um das Wesen des Lebens und seinen Sinn, all das, was die Druiden gelehrt und wofür sie gelebt hatten, war bei Torben schon immer vorhanden gewesen. Ihm und Mary darf nichts zustoßen. Darum habe ich diesen Bericht geschrieben. Ich habe ihn nicht geschrieben, um den Kampf der Kelten, ein freies Volk zu werden, aufzudecken und zu behindern. Im Gegenteil. Ich wünschte mir, daß die keltischen Völker keltisch sein dürften und dann vielleicht auch unabhängig. Jedes Volk, das frei sein will, muß das Recht haben, es zu sein. MacDuff hat mich verstehen gelehrt, daß es ein Völkerrecht gibt, das mit der Identität des Menschen zusammenhängt, ein von politischen Systemen unabhängiges Recht, das im geheiligten Namen des Nationalismus stets unterdrückt wurde. Wenn man einem Menschen den Namen nimmt, sagen die Kelten, ist es, als töte man ihn. Ebendies hat England in Wales, in Schottland und Irland getan und Frankreich in der Bretagne. Nein, ich habe diesen Bericht nicht geschrieben, um den Kelten das Recht auf ihren Namen streitig zu machen. Ich habe ihn geschrieben, damit Mary, Torben und ich den Rest unseres Lebens nicht in Furcht verbringen müssen. Denn je mehr Menschen die Dinge kennen, die nach der Meinung gewisser Leute geheim bleiben sollten, desto geringer ist das Risiko für uns. Ich weiß sehr wohl, daß es Schriftsteller gibt, die zum Tode verurteilt oder inhaftiert wurden, weil sie schrieben, was sie für die Wahrheit hielten. Aber ich kann nicht glauben, daß der Keltische Ring uns aus purer Rachgier bis ans Ende der Welt verfolgen wird. Die Wahrheit ist von den Kelten immer verehrt worden, und ihre weisen Männer haben das Wort stets über die Gewalt gestellt. Ich hoffe und glaube, daß sie in der Lage sein werden, ihre Freiheit zu erringen, ohne ein Geheimnis aus ihrem Kampf zu machen und ohne Blut zu vergießen, ohne Menschenleben zum Teil einer Gleichung zu machen. Ich will noch sagen, daß ich diesen Bericht so wahrheitsgetreu und vollständig abgefaßt habe, wie mir dies möglich war, und ich versichere, daß ich nicht mehr weiß, als was auf diesen Blättern steht. Mich, Torben oder Mary aus dem Weg zu räumen würde also keinen Sinn mehr machen. Die Punkte, die in dem Text unklar geblieben sind, bleiben nach wie vor auch mir unklar. Ich muß mich bei meinen Lesern dafür entschuldigen, daß ich auf diese Weise die Bedrohung, die auf mir liegt, an sie weitergegeben habe. Aber einen anderen Weg habe ich nicht gefunden. Björn Larsson: Der Keltische Ring |
Bald gelangten sie zu einer in den Fels gehauenen Krypta. Ein eisernes Türgitter mit einem verwitterten Wappen versperrte den Zugang. Der SS-Offizier, der sich wie der Herr des Anwesens aufführte, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Dann zündete er eine Laterne an, und alle betraten nacheinander die Krypta, außer
Reiter, dem einer der Offiziere ein Zeichen machte, er solle an der Tür Wache halten.
Er schreckte aus dem Schlaf und wäre fast in die Krypta hinuntergerannt,
um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass alles wirklich
nur geträumt war.
»Die Frage ist nur, wohin«, sagte er. »Die Antwort ist«, antwortete
er sich selbst, »dorthin, wohin meine Verdienste mich fuhren.«
Roberto Bolaño: 2666 |
Rätselhaft, unvollendet, riesig. Bolaños Erben beschließen gegen seinen letzten Willen, die fünf Einzelteile als Gesamtwerk zu editieren. Es beginnt mit dem "Teil der Kritiker", der Geschichte von vier Philologen, die sich intensiv mit dem Werk des zwar verschollenen, aber wichtigsten deutschen Nachkriegsautoren Benno von Archimboldi auseinandersetzen. Die Suche nach Archimboldi kulminiert in einer Reise nach Mexiko, Archimboldi soll dort gesehen worden sein. Der zweite Teil widmet sich dem fünfzigjährigen chilenischen Professor Amalfitano, im ersten Teil Begleiter und Touristenführer der drei Archimboldianer in Santa Teresa, eine gescheiterte Existenz, von seiner Frau verlassen und allein gelassen mit Tochter Rosa. Der Teil ist die sprachliche Brücke zu Dantes Inferno, in das Bolaños Erzählung in den Folgekapiteln verlagert wird. Den dritten Teil beherrscht Oscar Fate, Journalist, der aus Santa Teresa über einen Boxkampf berichtet, aber sich mehr für die Frauenmorde interessiert. Er lernt Rosa aus dem zweiten Teil kennen. Der Abgrund Mexikos öffnet hier erstmals seinen Schlund – der Leser tappt in die Falle.
Im "Teil der Verbrechen" beschreibt Bolaño auf 350 Seiten in kriminologischer Akribie mehr als 100 Morde an Frauen in Santa Teresa und setzt den unzähligen getöteten Frauen ein letztes Denkmal, reißt den Leser in einen Strudel der Grausamkeit und Gewalt, der Menschenverachtung und Unmoral. Wahrer Hintergrund sind die Ereignisse bei der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez, wo 1992 in der angrenzenden Wüste Sonora eine bis heute unaufgeklärte Mordserie beginnt, wo Hunderte Frauen dort auf grausame Weise vergewaltigt und massakriert werden. In Mexiko Kriminologe zu sein, das ist, als wäre man ein kleiner Junge in einem Schlafsaal mit lauter Päderasten.
Der letzte "Teil von Archimboldi" widmet sich zunächst Hans Reiter alias Archimboldi, als Wehrmachtssoldat während des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa im Einsatz, Zeuge und Täter unzähliger Verbrechen der Wehrmacht. Was er nicht selbst erlebt oder vollzieht, liest er in den autobiografischen Dokumenten eines gewissen Ansky, der in der russischen Armee seinen Dienst geleistet hat: In den gegenwärtigen Grausamkeiten der mexikanischen Wirklichkeit wird die Abscheulichkeit der europäischen Geschichte gespiegelt.
Bolaños schier endlose Aneinanderreihungen von Teil- und Halbsätzen führen immer tiefer hinab in die verschiedenen Ebenen des Romans, sie entlassen den Leser nicht mehr, sondern verstricken sie ihn in das Geschehen, lassen ihn physisch am Erzählten teilhaben. Roberto Bolaño ist nicht nur ein Erzähler ersten Ranges, sondern schreibender Menschenfänger, der seinen Lesern nahezu unbemerkt mit den allerschönsten Mitteln der Literatur sanft Handschellen anlegt und sie zum Teil seines Romans macht.
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Es wiederholte sich alljährlich. Der Empfänger der Blume feierte seinen zweiundachtzigsten Geburtstag. Sowie die Blume bei ihm angekommen war, öffnete er das Paket und entfernte das Geschenkpapier. Danach griff er zum Telefonhörer und wählte die Nummer eines ehemaligen Kriminalkommissars, der sich nach seiner Pensionierung am Siljan-See niedergelassen hatte. Die beiden Männer waren nicht nur gleich alt, sie waren sogar am selben Tag geboren, was in diesem Zusammenhang nicht einer gewissen Ironie entbehrte. Der Kommissar wusste, dass der Anruf um elf Uhr morgens nach der Postzustellung eingehen würde, und trank Kaffee, während er wartete. Dieses Jahr klingelte das Telefon bereits um halb elf. Er nahm den Hörer ab und sagte hallo, ohne sich mit Namen zu melden. "Sie ist angekommen."
"Was für eine ist es dieses Jahr?"
Damit war das Thema erschöpft, und ein paar Minuten saßen die beiden schweigend am jeweiligen Ende der Leitung. Der pensionierte Kommissar lehnte sich am Küchentisch zurück und zog an seiner Pfeife. Er wusste jedoch, dass von ihm keine erlösende oder bestechend intelligente Frage mehr erwartet wurde, die ein neues Licht auf diese Angelegenheit hätte werfen können. Diese Zeiten waren seit vielen Jahren vorbei, und das Gespräch der beiden alternden Männer hatte beinahe schon den Charakter eines Rituals - eines Rituals um ein Mysterium, dessen Lösung keinen anderen Menschen auf der ganzen Welt interessierte.
Für den Kommissar steckte der Fall mit den gepressten Blumen in seinem Berufsleben wie ein kleiner Stachel, den er einfach nie hatte entfernen können - ein frustrierender Fall, dessen Lösung immer noch ausstand, obwohl er ihm, verglichen mit anderen Fällen, doch am meisten Zeit gewidmet hatte.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, blieb der zweiundachtzigjährige Jubilar eine Weile ganz still sitzen und betrachtete die schöne, aber bedeutungslose Blume, von der er noch nicht einmal den Namen kannte. Dann hob er den Blick zur Wand über seinem Schreibtisch. Dort hingen dreiundvierzig gepresste Blumen hinter Glas in ihren Rahmen; vier Reihen mit jeweils zehn Blumen und eine noch nicht abgeschlossene Reihe mit fünf. In der obersten Reihe fehlte eine. Platz Nummer zehn war ebenfalls leer. Desert Snow würde die Nummer vierundvierzig werden. Zum ersten Mal geschah aber etwas, was das Muster der früheren Jahre durchbrach. Ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung begann er zu weinen. Er wunderte sich selbst über diesen jähen Gefühlsausbruch nach fast vierzig Jahren. Stieg Larsson: Die Verblendung |
Aber nicht lange, denn Klara kam eilends herein. Sichtlich böse rief sie:
Und wirklich umfaßte sie ihn und trug ihn, der, zuerst verblüfft, sich schwer zu machen vergaß, mit ihrem vom Sport gestählten Körper fast bis zum Fenster. Aber dort besann er sich, machte sich mit einer Wendung der Hüften los und umfaßte sie.
»Jetzt rühr dich, wenn du kannst.«
Franz Kafka: Amerika |
Mein erster Weg am Tag nach meiner Ankunft in Piana führte mich aus dem Ort hinaus auf der in haarsträubenden Kurven, Kehren und Serpentinen bald schon steil abfallenden Straße, die über beinahe lotrechte, von grünem Buschwald dicht überwachsene Felsabbrüche hinabgeht bis auf den Grund einer mehrere hundert Meter tiefen, in die Bucht von Ficajola sich öffnenden Schlucht. Dort drunten, wo bis in die Nachkriegszeit eine vielleicht zwölf Köpfe zählende Gemeinde von Fischern in wüst zusammengemauerten, mit Wellblech gedeckten, heute teilweise mit Brettern vernagelten Behausungen lebte, habe ich den halben Nachmittag verbracht und bin lang, ohne mich zu rühren, bei dem kleinen Bach gelegen, dessen quecksilbriges Wasser selbst jetzt, am Ende des Sommers, ohne Unterlaß und mit jenem sprichwörtlichen, aus irgendeiner Vorzeit mir vertrauten Gemurmel über die letzten Granitstufen der Talsohle herablief, um lautlos auf dem Strand seinen Geist aufzugeben und zu versickern. Ich habe den Uferschwalben zugeschaut, die in erstaunlich großer Zahl hoch droben um die feuerfarbenen Klippen kreisten, von der lichten Seite hineinsegelten in den Schatten und aus dem Schatten hervorschossen ins Licht, und einmal an diesem für mich von einem Gefühl der Befreiung erfüllten, in eine jede Richtung grenzenlos mir erscheinenden Nachmittag, bin ich auch hinausgeschwommen auf das Meer, mit einer ungeheuren Leichtigkeit, sehr weit hinaus, ja so weit, daß ich dachte, ich könnte mich nun einfach forttreiben lassen, bis in den Abend hinein und bis in die Nacht. Sowie ich aber dann, jenem seltsamen Instinkt gehorchend, der einen ans Leben bindet, doch umdrehte und wieder zuhielt auf das aus der Entfernung einem fremden Kontinent gleichende Land, da machte das Schwimmen mir Zug um Zug größere Mühe, und zwar nicht, als arbeitete ich gegen die Strömung, die mich bisher getragen hatte; nein, ich glaubte vielmehr, es ginge, wenn man das bei einer Wasserfläche so sagen kann, stetig weiter bergauf. Der Prospekt, den ich vor Augen hatte, schien aus seinem Rahmen gekippt, neigte sich mir, in sich selber schwankend und wabernd, mit dem oberen Rand um einige Grade entgegen und rückte am unteren Rand im gleichen Maß von mir fort. Dabei war es mir manchmal, als handle es sich bei dem, was so bedrohlich vor mir aufragte, nicht um einen Ausschnitt aus der wirklichen Welt, sondern um ein nach außen gekehrtes, von schwarzblauen Flecken unterlaufenes Abbild einer unüberwindlich gewordenen inneren Schwäche. |
Schwerer noch als das Erreichen des Ufers war später der Aufstieg über die Serpentinenstraße und die kaum begangenen Pfade, die hier und da in direkter Linie eine Schleife mit der nächsten verbinden. Gut eineinhalb Stunden brauchte ich, bis ich wieder droben auf der Höhe von Piana war und gleich einem, der die Kunst der Levitation beherrscht, sozusagen schwerelos dahingehen konnte zwischen den äußersten Häusern und Gärten und entlang der Mauer, hinter der das Stück Land liegt, auf welchem die Bewohner des Orts ihre Toten begraben. werden, sei es zum Trost oder zur Trauer. |
W. G. Sebald: Campo Santo |
Sebalds eigentliches Genie, die rätselhafte Leichtigkeit, mit der er die Übergänge von der Wirklichkeit ins Phantastische, Metaphysische, Mirakulöse erzählerisch bewerkstelligt und organisiert, tritt im aufgegebenen Korsika-Projekt noch einmal zutage.
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Zitat aus der ZEIT: Bei dieser Raumfahrt durch die Verlassenheiten gibt es Leitmotive: Gewalt, Sexualität, Wahnsinn und Künstlertum. Bolaño erzählt vom Funken der Bösartigkeit, der im Menschen lauert: »Ich sage es ihnen im Vertrauen: Von allen Lebewesen ist, grosso modo, der Mensch der Ratte am ähnlichsten.« Und er erzählt von der Sexualität als der universellen Form, sich ein Stück Welt anzueignen. Bolaño hat in vielen seiner Bücher den erfolglosen Schriftsteller als anthropologischen Archetypus geradezu erfunden, der eine Spur im öden Universum hinterlassen will, aber in Wahrheit nur ein Epigone ist, der ob seiner Mittelmäßigkeit verzweifelt. Die Welt ist Wille, Wahn und Vorstellung. »Ein kräftiger Wind aus Westen rannte gegen die Flanken der Berge im Osten an, fegte auf seinem Weg durch Santa Teresa Staub, Zeitungsseiten und herumliegende Kartons vor sich her und brachte Bewegung in die Wäsche, die Rosa im Hintergarten aufgehängt hatte, als würde er, der so junge, so energische und kurzlebige Wind, Amalfitanos Hemden und Hosen anprobieren und in die Unterwäsche seiner Tochter schlüpfen und einige Seiten im Geometrischen Vermächtnis lesen, als wollte er sehen, ob dort nicht etwas stünde, das ihm von Nutzen sein, das ihm die Landschaft der Straßen und Häuser, durch die er galoppierte, erklären oder ihm Aufschluss über sich selbst als Wind geben konnte.« Das ist der hermeneutisch innigste Moment dieses Romans: Der Wüstenwind, der die Wäsche fremder Menschen liest. Eigentlich dachten wir, die Avantgarde sei tot und ihre Innovationsanstrengungen an ein Ende gekommen, weil alle Neuerungsmöglichkeiten ausgereizt seien. Das war ein naiver und sträflicher Irrtum. Mit Roberto Bolaños Roman 2666 ist etwas wirklich Neues in die Welt gekommen: ein Meilenstein der literarischen Evolution. |
Ein letzter Satz, eine letzte Frage: Roberto Bolaño: 2666 |
Potjomkin, Militär und Geliebter Katharinas II., lässt Dörfer aus bemalten Kulissen errichten, um das wahre Gesicht der Gegend zu verbergen: Bolaño schreibt "2666", Lothar Struck die Kritik, Stichworte:
Schlusswort: Laminaria digitata Laminaria hyperborea Saccoriza polyschides Chorda filum Leathesia difformis Ascophyllum nodosum (männlich/weiblich) Laminaria Saccharina (heute: Saccharina latissima) Padina Pavonia (richtig: Pavonica) Sargassum vulgare Porphyra umbilicalis |