Guantanamo

Schandfleck des Westens

Eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der USA (das Barack Obama schließen wollte, und Trump erweitern will!) beginnt mit einem Heldenstück: An einem heißen Junitag im Sommer 1898 fallen 647 U.S. Marines auf Befehl des damaligen US-Präsidenten William McKinley auf Kuba ein. Nicht, um die lnsel einzunehmen, sondern, um sie zu befreien - von den übermächtigen Spaniern und deren 7.000 Mann starken Armee. Was klingt wie ein Himmelfahrtskommando, geht als eine der erfolgreichsten Schlachten in die Geschichte des US-Militärs ein. Gerade einmal vier Tage benötigen die Spezialkräfte der Marines, um die iberischen lnvasoren in die Flucht zu schlagen.

Vier Monate später gehört Kuba wieder den Kubanern - bis auf eine kleine Bucht im Süden der Insel: Guantanamo Bay.

Was diese 120 Quadratkilometer betrifft, lautet der Befehl des späteren Präsidenten Theodore Roosevelt an die Marines: Stellung halten - um jeden Preis. Er gilt bis heute. Dabei konnte sich Roosevelt wohl nicht einmal in seinen wildesten Albträumen vorstellen, welches Monster er da erschaffen hat.
Splendid little war - ein prima kleiner Krieg - so beschreibt der spätere US-Außenminister John Hay den Spanisch-Amerikanischen Krieg in einem Brief an seinen Präsidenten. Tatsächlich gibt es in der Geschichte der USA keinen anderen militärischen Konflikt, der mit so wenig Einsatz und so wenig Verlusten so viel Machtzugewinn brachte. ln insgesamt nur vier Monaten beendet Amerika mit dem Krieg im Sommer 1898 nicht nur die Kolonialherrschaft der Spanier in Kuba, sondern auch in Puerto Rico, Guam und den Philippinen.
Das hat gleich zwei dramatische Auswirkungen für die Weltordnung:
1. Spanien verliert seine letzten bedeutenden Kolonien.
2. Die USA können erstmals ihre lnteressengebiete über das Festland hinaus gegen koloniale Bestrebungen des zaristischen Russlands und europäischer Mächte in Fernost ausweiten.

Guantanamo Bay - Ausgangspunkt des Spanisch-Amerikanischen Krieges - ist damit der Geburtsort einer neuen amerikanischen Invasionsstrategie, an der sich die Weltmacht auch 100 Jahre später noch orientiert.
Roosevelt ist einer der Ersten, die dieses Potenzial von Militärstützpunkten außerhalb des Festlands erkennen. Sein Befehl an die Marines, eine militärische Sperrzone zu errichten und Guantanamo um jeden Preis zu halten, gilt bis heute und wird von Historikern als Zeitenwende in der US-Außenpolitik verstanden.
Kubas pro-amerikanische Regierung freut sich indes über die Befreiung von den spanischen Besetzern und akzeptiert die kleine US-Enklave im Süden der lnsel. Und so einigen sich die Regierungen der Karibikinsel und der USA einige Jahre nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1903 auf einen Pachtvertrag für das 120 Quadratkilometer große Areal von Guantanamo Bay.

Kuba erlangt durch den Sieg der Amerikaner zwar erstmals seine Unabhängigkeit- bezahlt dafür aber einen hohen Preis. Denn die Amerikaner üben von nun an nicht nur wirtschaftlichen und politischen Druck auf die kubanische Regierung aus - sie bestehen auch darauf, in Guantanamo einen Militärstützpunkt zu errichten. Seitdem leben und arbeiten hier nicht nur Tausende Marines und ihre Familien, auch kubanische Arbeitskräfte gehen jahrzehntelang ein und aus. Als der Revolutionsführer Fidel Castro an die Macht gelangt, löst er den Pachtvertrag mit den Amerikanern auf und fordert den Staatsfeind auf, das Landfzu verlassen. Die USA weigern sich jedoch, den Stützpunkt aufzugeben - und so bleibt die Guantanameßay Naval Base die bis heute einzige US-Militärbasis auf kommunistischem Boden.

Gerade einmal 2.000 $ pro Jahr kostet die Amerikaner der strategisch optimal gelegene Militärstützpunkt im Herzen der Karibik, wo sie Tausende US-Marines stationieren. Später wird der Betrag auf 4.085 $ im Jahr angehoben. Mitte des 20. Jahrhunderts kommt es jedoch zum Bruch. Seit der Kubanischen Revolution nimmt die kommunistische Regierung in Havanna die Schecks aus den USA nicht mehr an. Für sie ist der Pachtvertrag ungültig und die Besatzung ein Verstoß gegen internationales Recht - oder wie es Revolutionsführer
Fidel Castro nennt:
Ein Dolch, der tief im kubanischen Boden steckt.
Da jedoch weder Kuba noch die USA einen militärischen Konflikt wollen, entsteht rund um Guantanamo eine Art Patt-Situation. Erst als die Sowjetunion zusammenbricht und die Amerikaner keine wirkliche Verwendung für die Mllltërbasis mehr haben, gibt es in Washington die ersten Überlegungen, sie aufzugeben.
Seit dem 11. September 2001 ist dies jedoch keine Option mehr. Denn seitdem wollen die USA einen Ort haben, von dem es kein Entkommen gibt. Einen Ort, an dem weder amerikanisches Recht gilt noch interenationale Menschenrechte oder die Genfer Konventionen. Amerika will stattdessen einen Ort, an dem ausschließlich Milltärrecht herrscht, über dessen Auslegung nur eine Hand voll Generäle und Geheimdienste entscheiden. Und genau dieser Ort ist Guantanamo bis heute.

120 Qudratkilometer Gesetzlosigkeit

Januar 2016: Es sind nur noch wenige Schritte, die

Mohammed Bwasir von einem Leben in Freiheit trennen.

Auf dem Rollfeld vor Camp Delta wartet bereits eine Transportmaschine, die den 35-Jährigen nach Europa bringen soll. Weg von Guantanamo, weg von den fünf Quadratmeter großen lsolationszellen, weg von dem Ort, der fast die Hälfte seines Lebens verschluckt hat. Bwasir ist nun offiziell ein freier Mann. Plötzlich jedoch bleibt er stehen und blickt in die Sonne über Guantanamo. Dann dreht sich der Jemenit zu den bewaffneten Marines um und bittet diese, ihn zurück in seine Zelle zu bringen. Dort sitzt er bis zum 5. Januar 2017. An diesem Tag wird er endlich zu Verwandten nach Saudi-Arabien gebracht. Aber warum hat sich Mohammed Bwasir so lange geweigert; Guantanamo zu verlassen, als er es endlich durfte? Was hat dieser Ort mit ihm gemacht? Und wie ist er überhaupt hierhin gekommen? Auf eine Karibikinsel, 12.000 km von seiner Heimat entfernt?



Mohammed Bwasir ist noch ein Teenager, als er aus dem perspektivlosen Jemen nach Afghanistan reist, um bei seinem Bruder zu leben, der dort studiert. Er selbst findet eine Stelle in einem Waisenheim, hilft Kindern, deren Eltern ermordet wurden. Dann fallen am anderen Ende der Welt in New York die Towers. Zwei Monate später blickt er seinem Nachhauseweg plötzlich in mehrere Gewehrläufe. Bwasir wird niedergeschlagen und erwacht in der in amerikanischen Militärbasis Masar-i-Sharif. Dort beginnt die Folter.







Strom, Wasser, Kälte.
Und immer wieder die Frage: „Wo ist Osama Bin Laden?“ Der Teenager erträgt die Tortur mehr als eine Woche, dann brechen seine Peiniger ihm Schädel. Es ist der Moment, in dem er alles gesteht, was sie von ihm hören wollen. Wenige Wochen später landet er schließlich auf der Guantanamo Bay Naval Base (GTMO). Dort gibt es zwei Welten: die der 2000 US-Marines und ihrer Familien, die hier in kleinen Einfamilienhäusern leben, in einer Siedlung mit McDonald's, Tankstellen und Kinos. Fast so wie in einer amerikanischen Kleinstadt vor 40 Jahren. Und die Welt der Häftlinge von Camp Delta. Fast 800 wurden in den vergangenen 15 Jahren dorthin deportiert. Nur die wenigsten haben je erfahren, was genau ihnen geworfen wird. Viele wurden nie angeklagt. Da jedoch in Guantanamo weder die Genfer Konventionen noch UN-Menschenrechte oder US-Gesetze zählen, existiert hier ein rechtsfreier Raum - in dem die U.S. Marines und ihre Befehlshaber bestimmen, was mit den Häftlingen passiert.







2017 sind es noch 51 Insassen. Sie leben in 2,10 mal 2,44 m großen Zellen. Ihren Namen besitzen sie nicht mehr, nur noch eine Nummer sowie eine Zahnbürste, eine Gummimatratze und einen Trinkbecher. Jeden Morgen ertönt über Lautsprecher die amerikanische Nationalhymne. Zwei Stunden am Tag dürfen die Gefangenen an die frische Luft. Eine Flucht? Sinnlos, bei drei Meter hohen Mauern und dahinter 28 Kilometern Stacheldrahtzaun, Minenfeldern und haiverseuchten Gewässern. Doch so unglaublich es klingt: Es sind quasi pbaradiesische Zustände - wenn man die Bedingungen mit denen bei Mohammed Bwasirs Ankunft in den ersten Jahren vergleicht.

Während es sich für Bwasirs Eltern anfühlt, als sei ihr Sohn vom Erdboden verschluckt, kämpft der junge Moslem am anderen Ende der Welt um seinen Verstand. Stundenlang wird er von CIA-Spezialisten verhört und gefoltert - Waterboarding, Schlafentzug, laute Musikbeschallung sind an der Tagesordnung. Warum die Wachen so weit gehen? Alle lnhaftierten werden den Marines als direkte Drahtzieher der Anschläge von 9/11 verkauft. Wer wie Bwasir Anfang der 2000er Jahre in Guantanamo landet, muss unter freiem Himmel in einem Stacheldrahtkäfig mit einer Augenbinde dahinvegetieren. Manchmal sieht Bwasir, wie sich andere Häftlinge einen Strick basteln. ln Guantanamo nehmen sich ein halbes Dutzend Gefangene das Leben.

Wer dagegen wie der Jemenit in den Hungerstreik tritt, wird zwangsernährt. Zweimal täglich wird er an einem Stuhl festgeschnallt und ein meterlanger Schlauch durch die Nase in seinen Magen geführt.
Vielleicht sind es Momente wie dieser, die den Willen des jungen Mannes endgültig brechen. Die Hoffnung auf ein anderes Leben nimmt ihm spätestens Barack Obama. Nachdem der US-Präsident bei seinem Amtsantritt 2009 verkündet, GTMO zu schließen, verbessern sich zwar die Lebensbedingungen der Häftlinge und die Folter hört auf. Es finden sogar gemeinsame Koranlesestunden und DVD-Abende statt. Geschlossen wird das Lager dennoch nicht. Der 119 Jahre alte Befehl wird nicht aufgehoben. Bwasir begreift: Er hat hier nicht nur seine Seele verloren, sondern auch sein halbes Leben.
Das Internet? Kennt er nicht. Das Land, in das er zunächst geflogen werden soll? Von dem hat er noch nie gehört. Am Ground Zero in New York steht längst ein neuer Wolkenkratzer. Es gibt jetzt einen sogenannten Islamischen Staat. Und in Bwasirs Heimatland Jemen herrscht Krieg. Vermutlich ist es genau diese Hilflosigkeit, die Mohammed Bwasir vor einem Jahr wenige Schritte vor seinem Flug in die Freiheit umdrehen lässt. Die Angst vor dem Unbekannten - sie ist irgendwann größer als alles andere. Zu lange von der Welt abgeschnitten zu werden, ist auch eine Art von Tod. Ein sehr langsamer Tod. Dem hat sich Bwazir erst im letzten Moment entzogen ...







"Wir werden Guantanamo
nicht schließen. lm Gegenteil.
Wir werden es mit vielen
bösen Jungs da draußen
auffüllen."
Deutschlandfunk 2018:
Kein Ende in Sicht
Obama ist mit seinem Vorhaben gescheitert: Am Ende seiner Amtszeit saßen noch immer 41 Gefangene in den Sondergefängnissen auf dem US- Marinestützpunkt auf der Insel Kuba. Zurzeit sind es noch vierzig: Denn ein bekennender Al-Kaida-Terrorist wurde im Mai nach Saudi-Arabien überstellt, wo er eine Haftstrafe bis 2027 absitzt.
„Wir sind vorbereitet, neue Häftlinge aufzunehmen. Wir könnten 40 zusätzlich aufnehmen. Dann läge die Gesamtzahl bei 80. Das würde natürlich ein paar Wochen dauern und sie würden gruppenweise kommen. Mit zwei zusätzlichen Wachkompanien könnten wir sogar 160 zusätzlich aufnehmen – insgesamt wären das dann 200 Gefangene.“
Seit einem halben Jahr führt Konteradmiral John Ring das Kommando über die Wachmannschaften auf Guantanamo. 1.800 Soldatinnen und Soldaten passen auf 40 Gefangene auf – 45 Wächter pro Inhaftiertem! Die meisten Soldaten bleiben kaum länger als neun Monate.
Rings Mission ist klar: das Gefangenenlager für die Internierung von weiteren ‚enemy combatants‘, feindlichen Kämpfern, insbesondere vom islamischen Staat und Al Kaida vorzubereiten. Es wäre das erste Mal in mehr als zehn Jahren, dass neue Gefangene nach Gitmo, wie die Amerikaner Guantanamo umgangssprachlich nennen, überstellt würden.
„Wir planen gerade für 25 Jahre. Für die Gefangenen brauche ich wirklich das Lager Nummer acht. Für die Soldaten brauche ich demnächst neue Unterkünfte. Das soll jetzt eine Entwicklungsgesellschaft klären. Sie soll den Bedarf für eine Unterbringung der Soldaten und der Gefangenen für 25 weitere Jahre feststellen.“