Sri Lanka











Präsident Maithripala Sirisena und Sarath Fonseka


Sri Lanka:
das frühere Ceylon


Bis 1972 heißt die Insel im Indischen Ozean Ceylon.
Sie hat 1/5 der Größe Deutschlands und 20 Mill. Einwohner, bis nach Indien sind es gut 50 km, von Rameswaram aus ist die Küste Sri Lankas über die Palkstraße zu sehen.





Wie eine winzige Träne liegt Sri Lanka nur 006° N über dem Äquator inmitten des Indischen Ozeans. Die Vielfalt seiner Tierwelt kann es mit jedem Kontinent aufnehmen. Die komplexen klimatischen und geografischen Bedingungen sind von besonderem Ausmaß. Zwei Monsune ziehen jedes Jahr über die Insel und überfluten die von Stürmen umtosten Küstenebenen wochenlang mit sintflutartigem Regen. Die restliche Zeit des Jahres müssen die Tiere mehrere Dürremonate überstehen. Hunderte Elefanten sammeln sich durstig am Ufer eines Sees. Leoparden lauern auf Hirsche an den Wasserlöchern. Sumpfkrokodile nutzen die Trockenzeit zur Paarung in kleinen Wasserbecken. Bienenfresser graben Tunnel in den staubigen Erdboden, und die Makakenaffen kämpfen um Status und Hierarchie inmitten des ältesten buddhistischen Denkmals der Insel.
Beeindruckende Tiere, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt, leben in diesem Regenwald über den Wolken. Die kleinen Langurenäffchen haben sich ein besonders dickes Fell gegen das extreme Wetter wachsen lassen. Kleine Zwergechsen schützen ihren Nachwuchs sorgsam vor der Kälte. Allein in einem Rhododendron-Busch leben drei verschiedene Arten. Es sind auch diese kalten, nassen Berge, die Sri Lanka zu einer der artenreichsten Inseln der Welt machen.
Seit alters bis heute ist sie strategischer Knotenpunkt für die Seefahrt zwischen West- und Südostasien.
Die Insel ist reich an Bodenschätzen und Edelsteinen: Eisenerz, Zinnerz, Mangan, Molybdän, Nickel, Cobalt, Arsen, Wolfram, Tellur und etwas Gold, Rubine, Saphire, Topase und Spinelle.
Drei Landschaften bestimmten das Bild der Insel: zentrales Hochland mit Teeanbaugebieten und bis zu 2.500m hohen Bergen, künstlich bewässerte fruchtbare Tieflandebenen und Küstenbereiche mit Fischerei und wunderbaren Sand-/Palmenstränden.





















Und die Menschen?
Hauptstadt de jure ist Sri Jayawardenepura, de facto Colombo, Amtssprachen sind Sinhala und Tamil. Präsident ist


Maithripala Sirisena

Multireligiös und multiethnisch, Buddhismus, Hinduismus, Christentum und Islam sind bedeutende Religionen. 75% der Bewohner sind Singhalesen, die größte Minderheit sind Tamilen (15% - etwa 1 Mill. im Exil, 60.000 in Deutschland - bei ihnen ist zwischen den während der Kolonialzeit aus Indien im zentralen Sri Lanka angesiedelten und den einheimischen Tamilen in den nordöstlichen Küstengebieten zu unterscheiden) sowie viele andere, darunter die Veddas, die Ureinwohner, mit einigen 100 Menschen.
2004 zerstört ein Tsunami große Teile der Ost- und Südküste und der Westküste südlich von Colombo, 45.000 Menschen kommen um.



Bis 2009 tobt auf der Insel einer der längsten und blutigsten Bürgerkriege der Erde, tamilische Rebellen kämpfen gegen die von den buddhistischen Singhalesen dominierte Zentralregeiung. Mehr als 100.000 Menschen sterben in dem über 30 Jahre dauernden Konflikt. Die Militäroperation im Mai 2009, die die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam, meist von Exil-Tamilen finanziert und bewaffnet) vernichtet und wo in wenigen Wochen etwa 40.000 Menschen ums Leben kommen, wird insternational als Kriegsverbrechen angesehen. Die Regierung Rajapaksa ihrerseits wirft der LTTE unter ihrem Führer


Velupillai Prabhakaran

empörende Menschenrechtsverletzungen vor, wie die Zwangsrekrutierung von Kindern für Selbstmordattentate.



Bis 1948 haben die Kolonialmächte das Land in Besitz, meist nur die Küstenebenen. 1518 Portugal, 1658 die Niederländer (Oranier), 1796 die Briten, die den letzten König nach Indien verschleppen, Aufstände niederschlagen, Kaffee in Plantagen anbauen, ab 1860 Tee. Die um 1915 aufkommenden nationalen Bewegungen zerfallen im Streit zwischen Singhalesen und Tamilen, 1947 wird Ceylon unabhängig und 1972 Republik namens Sri Lanka.
2005 wird Mahinda Rajapaksa mit 50,3% gewählt (geschätzte Wahlbeteiligung in den tamilischen Gebieten 1%), er wird 2010 in vorgezogenen Neuwahlen mit 57,9% für weitere 6 Jahre gewählt. Im Februar 2010 verhaftet die Regierung den Oppositionsführer und Gegenkandidaten


Sarath Fonseka,

der 40% der Stimmen erhält, wegen eines angeblich geplanten Putsches.
Im Januar verliert überraschend Präsident Rajapaksa die Wahl, die - entgegen allen Vorhersagen - der bisherige Gesundheitsminister Maithripala Sirisena, 63, mit 51,3% der Stimmen gewinnt. Er galt jahrelang als enger Mitarbeiter Rajapaksas. Im November kündigt er unerwartet seinem Chef die Freundschaft, um bei den Wahlen gegen ihn anzutreten.
Sirisena fordert internationale Untersuchungen der mutmaßlichen Kriegsverbrechen der Armee während des Krieges gegen die Tamilen, will das Parlament stärken und die Macht dezentralisieren.



Tamilen und Sinhalesen

Der Dauerkonfikt zwischen Singhalesen und Tamilen beginnt in der Kolonialzeit, wo die Fremdherrscher Tamilen als mehrheitlich schriftkundige Bevölkerungsgruppe bevorzugt zu Verwaltungsaufgaben heranziehen, die Singhalesen identifizieren die Tamilen mit der Kolonialmacht. Nach der Unabhängigkeit wollen nationalistische Singhalesen diesen Machtvorsprung aufheben. Tamil soll ebenso wie Englisch aus den Amtsstuben und dem öffentlichen Leben verbannt werden, Sinhala soll alleinige Sprache sein, für die Mehrheit der Tamilen weder praktikabel noch akzeptabel. Bewaffnete Proteste, Bildung politischer Bewegungen, Separations- und Anschlussbestrebungen an Indien entstehen.
Kurz vor der Unabhängigkeit 1948 verlangen die Tamilen erfolglos verfassungsmäßigen (gleichberechtigten) Minderheitenschutz, die Macht geht nach Abzug der Briten auf die UNP (United National Party), eine Koalition aus singhalesischen, tamilischen und muslimischen Parteien über.

Nach dem Wahlsieg von SLFP (Sri Lanka Freedom Party) 1956 beginnt eine pro-singhalesischen Politik, die die überproportionale Vertretung der Tamilen in allen Führungsbereichen, von der singhalesischen Mehrheit als soziale Ungerechtigkeit angesehen, reduzieren und an die demographische Situation anpassen will. Singhalesische Sprache, Buddhismus, regionale Zugehörigkeit für Universitätszulassungen werden bervorzugt, die Tamilen sehen ihre Zukunft bedroht.
Bevölkerungsexplosion, Jugendarbeitslosigkeit, Bevölkerungsspaltung führen 1970 zum Zusammenschluss tamilischer Parteien zur TULF (Tamil United Liberation Front) mit der Forderung eines eigenen Tamilenstaats, 1971 zum marxistische Aufstand eines Teils der singhalesischen Jugend ("Janatha Vimukthi Peramuna"), die tamilische Jugend tendiert zum bewaffneten Aufstand, unterstützt durch marxistische Ideologie.
Der Dauerkonflikt der beiden Ethnien eskaliert 1983. Milizen der radikalen LTTE, die den unabhängigen Tamilenstaat fordern, erobern 1986 die hauptsächlichen Siedlungsgebiete der Tamilen. Die Entsendung indischer Friedenstruppen weitet die Kämpfe aus, sie ziehen sich nach zwei erfolglosen Jahren zurück. Als Regierungstruppen 1995 die Jaffna-Halbinsel zurückerobern, eskaliert der Konflikt wieder. Waffenstillstand, Friedensverhandlungen, die scheitern, folgen. Das brutale Vorgehen der LTTE verspielt ausländische Sympathien, EU und USA sehen sie als terroristische Vereinigung an.
2006 verschärft sich der Bürgerkrieg massiv, Massenflucht von 150.000 Menschen, Waffenstillstand, Großoffensive, 250.000 Zivilisten im Kampfgebiet eingeschlossen, im Mai 2009 nimmt das Militär auch den letzten von der LTTE kontrollierten Küstenstreifen ein. Die Armee behauptet, den Rebellenführer Velupillai Prabhakaran und die gesamte Führungselite der LTTE am 18. Mai 2009 erschossen zu haben.




Gibt es etwas hinter dem Kampf in Sri Lanka?
Lokale, regionale oder internationale Auseinandersetzung?
Wirklich beendet?
Im Mai 2009 zeigt das Fernsehen Sri Lankas die Leiche des Anführers der tamilischen Tiger. Der Generalstabchef Sarath Fonseka kommentiert: "Vor einigen Stunden wurde die Leiche des Terroristenanführers Filoblay gefunden, der das Land ruiniert hat." Der Präsident: "Unser Ziel war die Befreiung der tamilischen Bevölkerung aus den Händen der Rebellen. Nun ist es unser aller Aufgabe, in Gleichheit in diesem freien Land zu leben."
Sri Lanka liegt an einer der wichtigsten Wasserstraßen zwischen West- und Ostasien. Seit 2005 steht das riesige Kanalprojekt durch die Straße von Palk fest. Dort wird Erdöl aus dem Nahen Osten und Afrika nach China verschifft. Nach den Anschlägen vom 11. September verstärken die USA ihre Beziehungen zu Sri Lanka, auch China will dem Inselstaat Waffen und militärisches Gerät liefern.
Eine fremde Kontrolle der Meerenge von Palk würde den Wasserweg Indiens zu seinen östlichen Provinzen gefährden, die Schifffahrt wäre gezwungen, Sri Lanka zu umfahren, die indischen Ambitionen als Regionalmacht und die Ausdehnung des indischen Einflusses nach Osten wäre eingedämmt.
Durch die Niederlage der tamilischen Befreiungstiger ist der indische und britische Einfluss im Norden der Insel weitgehend zurückgedrängt, die USA wollen Militärbasen auf der Insel gründen und ihre Marinepräsenz im Indischen Ozean verstärken, um den chinesischen Bedrohungen entgegenzuwirken.



Personen:

Präsident Maithripala Sirisena

Pallewatte Gamaralalage Maithripala Yapa Sirisena, 1951 geboren, siebter Präsident von Sri Lanka.
Singhalese, Buddhist, verheiratet, zwei Töchter, ein Sohn. Sohn eines Weltkriegsveteranen, der mit fünf Hektar Reisland in der Nähe von Parakrama Samudra ausgezeichnet wird.
Collegebesuch in Polonnaruwa, 3 Jahre landwirtschaftliche Ausbildung, Mitglied der Jugendorganisation der Sri Lanka Freedom Party. 1980 Diplom in Politikwissenschaft am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Russland.
Als Teenager steht Sirisena dem Kommunismus nah, 1967 tritt er in die Jugendliga der Sri Lanka Freedom Party ein. 1971 im Gefähngis wegen Teilnahme am Janatha Vimukthi Peramuna Aufstand.
1989 ins Parlament gewählt, ab 1997 Minister, 2001 Generalsekretär der SLFP. 2008 entkommt er nur knapp dem Tod, als Selbstmordattentäter der Liberation Tigers of Tamil Eelams in Colombo einen Anschlag verüben, bei dem eine Person ums Leben kommt und sieben verletzt werden.
Im Wahlkampf ist seine Hauptthese, die Präsidentenfamilie kontrolliere alles in Sri Lanka, das Land bewege sich auf eine Diktatur zu, es grassiere Korruption, Vetternwirtschaft und ein Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit. Die starke Anlehnung an China sei zu revidieren, gemeinsame Projekte müssten auf Korruption überprüft werden.


Gardihewa Sarath Chandralal Fonseka

kurz Sarath Fonseka, geboren 1950, wird 1970 Soldat. 2005 bis 2009, in der Endphase des Bürgerkriegs, kämpft er als Oberbefehlshaber gegen die Liberation Tigers of Tamil Eelam, führt die Armee zum vollständigen Sieg, mit dem er sich große Popularität in weiten Teilen der singhalesischen Bevölkerung, aber auch bei vielen Tamilen erwirbt, die den endlosen Kriegszustand und die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung auch durch die Tamil Tigers leid sind. Nach anfangs guter Zusammenarbeit mit Mahinda Rajapaksa tritt Fonseka 2009 von seinem Militärposten zurück, um sich auf die Kandidatur gegen Rajapaksa für die Präsidentschaftswahl vorzubereiten.
Er erreicht nur 40%, wirft Rajapaksa Wahlbetrug vor und wird unmittelbar danach durch die Regierung verhaftet, 2010 wegen Korruption zu 30 Monaten Haft, und 2011 zu drei Jahre Gefängnis "wegen Verbreitung von Gerüchten (gegen den Bruder des Präsidenten Gotabhaya Rajapakse) und Erregung öffentlicher Unordnung" verurteilt. Fonseka hat in einem Interview behauptet, Gotabhaya Rajapakse habe im Mai 2009 die Exekution von sich ergebenden Tamilen-Rebellen befohlen.
Die USA bezeichnen Fonseka als politischen Gefangenen, fordern wiederholt seine Freilassung. 2012 lässt Rajapaksa ihn frei. Fonseka gründet die Demokratische Partei.
Auch wenn er und seine Mitstreiter getötet würden - die Demokratische Partei müsse voranschreiten, um den notwendigen politischen Wandel in Sri Lanka einzuleiten.

Im Dezember 2014 verspricht Sirisena - zusammen mit zahlreichen politischen Oppositionsgruppen und -politikern, darunter Sarath Fonseka, das srilankische Präsidialsystem in ein parlamentarisches System umzubauen, bei dem der Regierungschef direkt dem Parlament verantwortlich ist, baldige Neuwahlen zum Parlament und Bildung einer Allparteien-Koalitionsregierung. Der Verfassungszusatz, der die Amtszeitbeschränkung des Präsidenten aufhebt, solle wieder rückgängig gemacht werden.



Was wissen wir vom Krieg?
Schlaglichter


Ein Tiger ergibt sich nicht. Alle LTTE-Kämpfer tragen eine Zyankalikapsel um den Hals. Bevor sie dem Feind in die Hände fallen, haben sie das Gift einzunehmen. Deswegen macht die Armee keine Gefangenen.
Die Kampfkraft der Tigers resultiert aus ihrer Entschlossenheit, einen Tamilenstaat auszurufen. Für ein unabhängiges Tamil Eelam im Norden und Osten der Insel würden die Kämpfer den Tod in Kauf nehmen. Selbstmordattentate kosten Politikern das Leben. Der prominenteste ist Indiens Premier Rajiv Gandhi 1991 als Rache für die indische Intervention.
Die LTTE kämpft nicht nur gegen die singhalesische Regierung. sie schaltet auch konkurrierende, tamilische Organisationen blutig aus.



taz im April 2009:
Verstörende Szenen aus dem Ende der blutigsten Bürgerkriege Asiens: Zigtausende geschwächte, kranke und verletzte tamilische Zivilisten schleppen sich aus dem Gebiet der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) im Nordosten Sri Lankas. Sie gehen mit erhobenen Händen auf die Regierungssoldaten zu, die sie auffordern, sich auf den Boden zu setzen. Viele schwimmen durch Flüsse oder waten durch Sümpfe, um ihr Leben zu retten. Das Geschrei von Kindern ist auch auf zensierten Aufnahmen des sri-lankischen Staatsfernsehens allgegenwärtig. Mehr als 90.000 Zivilisten sollen seit Montag aus dem LTTE-Gebiet geflohen sein, heißt es dazu aus Colombo. Erst jetzt zeigt sich das volle Ausmaß der Tragödie, die sich hier seit Monaten abgespielt hat.
Unterdessen dringt Sri Lankas Armee von mehreren Seiten noch tiefer ins Rebellengebiet vor, um die Anführer der Tamil Tigers festzunehmen oder zu töten. Dabei halten sich in dem winzigen Areal noch schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen auf, die nun völlig zwischen die Fronten geraten sind. Am Mittwoch gingen den Soldaten zwei hochrangige LTTE-Kader ins Netz: "Daya Master", der LTTE-Propagandachef und "George", der Übersetzer der Organisation, hätten sich den Soldaten gestellt und seien festgenommen worden, erklärte das Verteidigungsministerium in Colombo. Das militärische Ende der Tamil Tigers scheint damit tatsächlich zum Greifen nahe.



Doch noch dauern die Kämpfe an. Trotz des Aufrufs des UN-Sicherheitsrates zur Aufgabe haben die tamilischen Rebellen am Donnerstag weiter gegen die Regierungstruppen gekämpft. Sri Lankas Regierung hindert unabhängige Journalisten daran, sich vor Ort ein Bild von der massiven Militäroffensive zu machen, die im Propagandajargon "humanitäre Operation" heißt. Beobachter vor Ort beschreiben jedoch dramatische Szenen: Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen hätten seit Beginn der Massenflucht am Montag hunderte verletzter Zivilisten in der Stadt Vavuniya in der Nähe des Kampfgebiets behandelt, heißt es in einer Erklärung der Organisation. Die meisten Verletzungen stammten von Schrapnells und Landminen. "Immer noch treffen Busse mit Verletzten ein und laden Tote ab, die auf der Fahrt gestorben sind", sagt die Ärztin Karen Stewart in dem Bericht. Allein am Montag seien Dutzende toter Zivilisten vor dem Krankenhaus abgeladen worden. Nun müssten sich bereits mehr als 1.200 Menschen 400 Krankenhausbetten teilen.
Die Massenflucht der Zivilisten begann am Montag, nachdem Regierungstruppen am Montag einen beinahe vier Meter hohen Erdwall durchbrachen, hinter dem sich die LTTE verschanzt hatte. Auf den lebensgefährlichen Exodus der Zivilisten quer durch die Hauptkampfzone und über Minenfelder hat Sri Lankas Regierung seit Monaten hingearbeitet. Bereits vor einem halben Jahr hat Colombo Hilfsorganisationen dazu gezwungen, das Rebellengebiet zu verlassen. Es könne fortan nicht mehr für die "Sicherheit" der Mitarbeiter solcher Organisationen garantiert werden, hieß es damals aus Sri Lankas Hauptstadt. Seitdem wurden Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten immer häufiger daran gehindert, zu den tamilischen Flüchtlingen zu gelangen, die mehrmals vor den anrückenden Regierungstruppen geflohen sind.
Bereits vor einigen Wochen schrumpfte das Gebiet der LTTE auf nur wenige Quadratkilometer zusammen. Seitdem berichten Flüchtlinge, die von der Regierung ausgewiesene "Schutzzone" für Zivilisten werde permanent mit schwerer Artillerie beschossen, etliche Menschen würden getötet. Zugleich hätten LTTE-Kämpfer mehrfach Menschen erschossen, die fliehen wollten. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass seit Jahresbeginn mindestens 4.500 Zivilisten bei Kämpfen getötet worden und weitere 12.000 verletzt worden sind. "Es gab etliche Todesopfer bei dem Beschuss", sagte UN-Sprecher Weiss. "Wir können nicht klar sagen, von welcher Seite der Beschuss ausgeht, weil wir keinen Zugang zu der Region haben. Die Zahl der Toten geht aber sicher in die Tausende."
Verteidigungsminister Gotabhaya Rajapakse, der Bruder des Präsidenten, machte im Vorfeld des nahenden Sieges internationale Bemühungen um ein geregeltes Ende des Bürgerkrieges zunichte. Mehrfach erklärte er, mit den Rebellen werde nicht verhandelt; selbst wenn sie sich ergäben, würden ihre Anführer hart bestraft. Damit, darin sind sich viele Beobachter einig, hat er den Krieg unnötigerweise verlängert.



Damit endet der Bürgerkrieg in diesen Tagen so, wie er seit seinem Beginn vor 25 Jahren von beiden Seiten geführt wurde: äußerst brutal und ohne Rücksicht auf Menschenleben. Die LTTE um Rebellenchef Velupillai Prabhakaran, eine der brutalsten Rebellengruppen der Welt, hat sich Anfang der 80er-Jahre zunächst durch politische Morde an die Spitze der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung gestellt und ab 1984 bis zu einem Fünftel Sri Lankas erobert. Dabei griffen die Tamil Tigers auf eine Mischung aus Guerillataktiken und Terror zurück: Sie griffen die schwerfälligen Kampfverbände der Regierungsarmee in mobilen kleinen Einheiten an. Deren Soldaten versetzten sie durch Massaker an singhalesischen Zivilisten und an gefangenen Kämpfern in Angst.
1987 handelte Rebellenchef Prabhakaran mit bis dahin unbekannter Grausamkeit in dem Konflikt: Damals steuerte Vallipuram Vasanthan, ein 21-jähriger LTTE-Kader, einen mit Sprengstoff beladenen Lkw in ein Armeelager auf der Jaffna-Halbinsel im äußersten Norden des Landes und tötete Dutzende Soldaten. LTTE-Guerillakämpfer überrannten daraufhin die Stellungen der schockierten Regierungssoldaten und metzelten die meisten von ihnen nieder.
Dadurch konnte die LTTE lange große Gebiete im Norden und Osten der Insel halten. Doch schon bald mündete Sri Lankas Bürgerkrieg in ein zermürbendes Patt: Keine der beiden Seiten war stark genug, den Gegner in die Knie zu zwingen. Bis Ende 2007 starben bei immer wieder aufflammenden Kämpfen etwa 70.000 Menschen. Die Wende brachte das Jahr 2004. Damals sagte sich Vinayagamoorthi Muralitharan alias "Oberst Karuna", der LTTE-Chef im Osten des Landes, von Rebellenchef Prabhakaran los und übergab sein Gebiet der Regierung. Im Mai 2006 griffen Mitglieder der LTTE-"Sea Tigers" ein Boot der Beobachtermission für Sri Lanka (SLMM) an. Die EU setzte die LTTE daraufhin auf die Liste terroristischer Organisationen. EU-Staaten froren die Konten vermeintlicher Unterstützer ein und nahmen einige von ihnen fest. Damit versiegte ein beträchtlicher Teil der Gelder für Waffenkäufe. Doch Prabhakaran gab nicht nach. Er hoffte, in einem kommenden Krieg die Regierung zur Anerkennung seines autokratischen Ministaats "Tamil Eelam" zwingen zu können.
Seinen Counterpart fand er in Mahinda Rajapakse. Der Politiker ging 2005 mit der Ankündigung, er werde den Konflikt militärisch lösen, in den Wahlkampf um das Amt des Präsidenten. Dass er die Abstimmung mit hauchdünner Mehrheit gewann, verdankt er vermutlich seinem größten Gegner: LTTE-Chef Prabhakaran. Diplomaten in Colombo gehen davon aus, dass Rajapakse dem Rebellenchef einen Millionen-Dollar-Betrag gezahlt hat, damit er die Tamilen in seinen Gebieten nicht abstimmen lässt. Der LTTE-Chef soll von dem Geld Waffen gekauft und seine Kämpfer auf die Entscheidungsschlacht vorbereitet haben. Das Wettrüsten begann.



Rajapakse ließ 80.000 Mann für Sri Lankas Armee rekrutierten, die heute 230.000 Kämpfer umfasst. In China und Pakistan kaufte er große Mengen Waffen ein. Die Armee ging in Stellung. Anfang 2008 kündigte er den ohnehin brüchigen Waffenstillstand auf, die Großoffensive begann. Seitdem hat die Armee nahezu das gesamte, damals 12.000 Quadratkilometer große Gebiet von den Rebellen zurückerobert. Sri Lankas Bevölkerung wird seitdem in einer bis dahin ungeahnten Propagandaoffensive in Kampfstimmung gehalten. Doch die Regierung lässt die Menschen im Dunklen über den Preis, den sie für den Krieg bezahlen: Sri Lankas Presse wagt es nach Überfällen und gezielten Morden an kritischen Journalisten heute kaum noch, zu fragen, wie viele Menschenleben die Neuauflage des Krieges gekostet hat. Die drängendste Frage ist mittlerweile, was mit den Tausenden tamilischer Zivilisten geschieht, die den Kriegskurs der beiden Anführer Rajapakse und Prabhakaran überlebt haben. Sri Lankas Regierung will sie vorerst nicht ohne Weiteres in ihre Städte und Dörfer zurückkehren lassen. Zu groß sind die Befürchtungen, die LTTE könnte inmitten der zerstörten Dörfer und Städte und aus den Traumata der Überlebenden wiederauferstehen.



Süddeutsche im Mai 2010: Die letzte Schlacht
Kinder klammern sich an ihre Mütter, Männer schultern ihre letzten Habseligkeiten, Verwundete schleppen sich auf Krücken vorwärts: Zehntausende Menschen im Norden Sri Lankas sind auf der Flucht. Zahlreiche Zivilisten starben in den vergangenen Wochen im Kampfgebiet, wo sich die srilankische Armee und tamilische Rebellen die vermutlich letzte und entscheidende Schlacht eines brutalen Bürgerkriegs liefern.
Zehntausende Kinder, Frauen und Alte sind offenbar noch immer in der Gefechtszone eingeschlossen. Sollte die Armee ihre Offensive auf dem schwer umkämpften, 15 Quadratkilometer großen Küstenstreifen fortsetzen, dürfte die Zahl der Opfer weiter deutlich steigen. Von beiden Seiten sollen flüchtende Zivilisten zuletzt beschossen worden sein, Hunderten fehlt es an medizinischer Versorgung, Wasser und Nahrung: Nicht nur Hilfsorganisationen, auch der UN-Sicherheitsrat ist zutiefst besorgt. In einer Erklärung fordert er die Rebellen in der Nacht auf, die Waffen niederzulegen - und Zivilpersonen nicht länger als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Von der Regierung verlangte das Gremium, Helfern den Zugang in das Bürgerkriegsgebiet zu erlauben, sich an das Völkerrecht zu halten und Zivilisten zu schützen. Mahnende Worte - mit vermutlich wenig Wirkung. Denn nach einer Beruhigung der Lage sieht es derzeit aber nicht aus, im Gegenteil: Vieles deutet darauf hin, dass die srilankische Armee den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) endgültig den Todesstoß versetzen will - ohne Rücksicht auf Verluste.



"Es ist eine Art Endkampf, eine Frage von Wochen, vielleicht auch nur Tagen, bis der letzte militärische Widerstand der Rebellen gebrochen ist", sagt Christian Wagner, Südasienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Noch vor wenigen Jahren hätte kaum jemand eine Niederlage der Tigers in absehbarer Zeit für möglich gehalten - schließlich galten die Befreiungstiger als eine der bestausgerüsteten Rebellenarmeen der Welt: mit eigener kleiner Luftwaffe, Marine, und zeitweise bis zu 15.000 Kämpfern, von denen viele zu Selbstmordattentaten bereit waren.
Finanziell ging es den Tamil Tigers ebenfalls lange gut - dank lukrativer legaler Geschäfte, aber auch durch Waffen- und Drogenhandel sowie erzwungene und freiwillige Spenden der weltweiten tamilischen Diaspora. Auf diese Weise unterhielten und sicherten sie ihren De-facto-Staat, der vor einigen Jahren noch Teile der Ostküste und der Nordkuppe der Insel umfasste. Übrig geblieben ist nun jener schmale Küstenstreifen, den sie derzeit verteidigen. Wie ist dieser Abstieg der einst als unschlagbar geltenden Rebellen zu erklären?
Als "wichtigste Ursache" sieht Südasienexperte Wagner an, dass sich der Rebellenführer der Befreiungstiger in der Ostprovinz, Karuna genannt, 2004 mit seiner Gruppe von der Organisation abspaltete. Anschließend arbeitete dieser vermutlich mit der Regierung zusammen und versorgte sie wohl mit wertvollen Insider-Informationen. Damit seien die Tigers militärisch, politisch und ideologisch geschwächt worden: Sie verloren de facto die gesamte Ostprovinz und konnten ihren Anspruch als alleinige Vertreter der tamilischen Interessen in ihrem Siedlungsraum nicht mehr aufrechterhalten. Doch dürfte auch die verstärkte Kooperation der srilankischen Regierung mit Indien den Niedergang der Rebellengruppe befördert haben: Neu-Delhi unterstützte Colombo dabei, die Tiger vom Nachschub abzuschneiden, der vor allem über den Seeweg abgewickelt wurde. Experten vermuten, dass zudem der Tsunami 2004 Marine-Einheiten der LTTE zerstört und die Nachschubversorgung der Rebellen zusätzlich beeinträchtigt hat.



Aber auch die Aufrüstung der srilankischen Streitkräfte sowie gezielte Operationen gegen mittlere Führungskader der Rebellen halfen dem Regierungslager zu einem Übergewicht - mit dem es letztendlich gelang, die Rebellengruppe als militärische Organisation zu zerschlagen. Doch selbst wenn die Befreiungstiger besiegt sind, ist noch längst kein Frieden gewonnen. Experten gehen davon aus, dass sich einzelne Kämpfer in den Dschungel zurückziehen und von dort aus Anschläge planen. Die Zeit der Tamil Tigers dürfte aber dennoch vorbei sein, glaubt Wagner. Denn auch ihre politische Bedeutung ist geschwunden, während neue tamilische Parteien entstanden sind. "Wir werden auf tamilischer Seite eine Neuformierung der politischen Kräfteverhältnisse sehen." Der Konflikt werde von einem militärischen wieder in einen politischen übergehen - gelöst ist er damit aber noch lange nicht.
Eine Chance auf Frieden wird es nur geben, wenn die Regierung den Tamilen im Norden und Osten der Insel eine Art Teilautonomie zubilligt. "Es wäre ein starkes Signal und ein Zeichen politischer Reife, wenn die Führung in Colombo nach dem militärischen Sieg zu Kompromissen fähig wäre", sagt Wagner. Auch könnte sie sich so die Gunst ausländischer Staaten sichern - und damit möglicherweise das dringend benötigte Geld für den Wiederaufbau des geschundenen Landes. Setzt die Regierung allerdings auch nach dem erwarteten Triumph auf Härte, ist mit einer neuen Eskalation der Gewalt zu rechnen - und vielen weiteren Toten.



Neue Zürcher Zeitung vom März 2013:
Vor knapp vier Jahren hat die sri-lankische Armee den Bürgerkrieg gegen die tamilischen Rebellen in einer letzten blutigen Grossoffensive gewonnen. Während der Endschlacht im Mai 2009 wurde nicht nur der berüchtigte Rebellenführer Velupillai Prabhakaran getötet, sondern die gesamte militärische und politische Führungsriege der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ausgelöscht. Die gefürchtete Rebellengruppe, die den singhalesischen Süden während Jahren mit Terror überzogen und den tamilischen Norden mit eiserner Faust regiert hatte, war am Ende.
Experten sind der einhelligen Meinung, dass zumindest mittelfristig ein Wiederauferstehen der LTTE auszuschliessen ist. Der Moment wäre somit perfekt, um Forderungen der Tamilen nach politischer Gleichberechtigung umzusetzen und das Land zu versöhnen. Sowohl die Rebellen als auch die Armee haben in der Endphase schwere Kriegsverbrechen begangen: die LTTE, indem sie Zivilisten zwangsrekrutierten, als menschliche Schutzschilde missbrauchten und mit Gewalt daran hinderten, das umkämpfte Gebiet zu verlassen. Die Sicherheitskräfte, indem sie die sogenannte No-Fire-Zone, in die Hunderttausende von Zivilisten geflüchtet waren, mit schwerer Artillerie beschossen und die Uno, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und andere Organisationen daran hinderten, humanitäre Hilfe zu leisten.
Die Aussenwelt sah tatenlos zu. Die USA, die EU, Indien und andere wichtige internationale Akteure hielten sich zurück, weil sie hofften, dass die singhalesische Regierung zu politischen Zugeständnissen bereit sein würde, sobald die gefürchteten LTTE militärisch besiegt wären. Präsident Mahinda Rajapakse hatte wiederholt versprochen, nach Kriegsende die ethnische Versöhnung in Angriff zu nehmen. Mittlerweile ist klar, dass dies ein leeres Versprechen war. Die Zivilbevölkerung im kriegszerstörten Norden wird weiterhin wirtschaftlich vernachlässigt und politisch gegängelt. Die singhalesischen Hardliner um Rajapakse weigern sich bis heute nicht nur, begangene Kriegsverbrechen aufzuarbeiten. Sie lehnen auch eine von Experten seit Jahren angeratene Dezentralisierung der Macht rundum ab. Die Rajapakses (Mahinda kontrolliert mit seinen drei Brüdern Gotabaya, Chamal und Basil heute alle wichtigen politischen Posten im Land) haben die ethnischen Gräben in den letzten vier Jahren weiter vertieft und die demokratischen Strukturen systematisch untergraben.



Während des Krieges hatte das Regime Menschenrechtsverletzungen damit gerechtfertigt, dass man gegen eine perfide Terrorgruppe kämpfe und dabei nicht zimperlich sein könne. Noch heute wird freilich jeder, der die Regierung zu kritisieren wagt, als Sympathisant der LTTE gebrandmarkt und verfolgt. Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden bedroht, entführt und ermordet. Zuletzt wurde Mitte Februar ein Journalist des «Sunday Leader», der über Korruption in Regierungskreisen geschrieben hatte, von maskierten Männern angeschossen und schwer verletzt. Überfälle auf Journalisten seien weit verbreitet, und weil nie jemand dafür zur Verantwortung gezogen werde, herrsche ein Klima der Rechtlosigkeit, so warnen Vertreter des sri-lankischen Free Media Movement. Auf dem Index von Reporter ohne Grenzen, der die Medienfreiheit in 179 Staaten misst, liegt Sri Lanka 2013 auf Rang 162. Nur noch in autoritären Staaten wie Nordkorea, Syrien, Iran oder Jemen sind die Zustände schlimmer.
Der aufsehenerregendste Fall war die Ermordung des charismatischen Chefredakteurs des «Sunday Leader», Lasantha Wickrematunge, 2009.



Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt, doch vieles deutet darauf hin, dass einflussreiche politische Figuren dahintersteckten. Die englischsprachige Sonntagszeitung war in den letzten Jahren eine von wenigen kritischen Medien. Doch Inseratboykotte und Gerichtsverfahren, die Gotabaya Rajapakse (der starke Mann im Verteidigungsministerium) eingeleitet hatte, trieben die Zeitung schliesslich in den Bankrott.
Im September kaufte ein den Rajapakses nahestehender Geschäftsmann die Zeitung. Die Chefredaktorin, Frederica Jansz, wurde entlassen, weil sie sich weigerte, eine Klausel zu unterschreiben, dass nichts Negatives über die «first family» mehr geschrieben werde. Unter ihrem Nachfolger publizierte die Zeitung Entschuldigungen für mehrere Artikel, unter anderen auch für einen, in dem Jansz Gotabaya Rajapakse Machtmissbrauch vorgeworfen hatte. Der für seine pathologischen Wutanfälle bekannte Gotabaya hatte wegen dieses Artikels in einem Telefongespräch mit Jansz Journalisten als «Schweine, die Kot fressen» und «verdammte Verräter» bezeichnet und ihr mit dem Tod gedroht. Nach ihrer Absetzung flüchtete Jansz mit ihrer Familie ins Ausland.
Schockierend ist auch ein im Februar von Human Rights Watch veröffentlichter Bericht über sexuelle Gewalt gegen Häftlinge. 75 von der Menschenrechtsorganisation nach ihrer Flucht ins Ausland befragte Männer, Frauen und Minderjährige berichteten, dass sie als mutmassliche LTTE-Sympathisanten in der Haft systematisch vergewaltigt und gefoltert worden seien. Die Aussagen beziehen sich auf Ereignisse von 2006 bis 2012. Das heisst, selbst nach Kriegsende wurde die grausame Praxis, die in dem Bericht in kaum zu ertragenden Details beschrieben wird, fortgesetzt.
Doch damit nicht genug. Im Februar tauchte in internationalen Medien auch eine Serie von Fotos von


Balachandran Prabhakaran

auf, dem jüngeren Sohn des LTTE-Chefs. Die Bilder waren mit der gleichen Kamera im Abstand weniger Stunden geschossen worden. Sie zeigen den 12-Jährigen erst, wie er umgeben von Soldaten eingeschüchtert auf einer Bank sitzt und Schokolade isst. Auf späteren Fotos liegt er von Schüssen durchsiebt am Boden. Die Bilder scheinen ein Beweis dafür zu sein, dass der Knabe nicht, wie von der Armee behauptet, im Gefecht getötet, sondern nach Kriegsende kaltblütig hingerichtet wurde. Laut Augenzeugen wurden in den letzten Tagen zahlreiche LTTE-Mitglieder exekutiert, nachdem sie sich der Armee ergeben hatten (was einer Verletzung des Kriegsrechts entspricht).
Die Uno hat in einem Bericht Ende letzten Jahres zugegeben, dass sie 2009 in Sri Lanka schwere Fehler gemacht und die Zivilbevölkerung kläglich im Stich gelassen habe. Die Organisation müsse in sich gehen und überlegen, wie sie in künftigen Konflikten Zivilisten besser schützen könne, hiess es.
Präsident Rajapakse, der auch Oberkommandierender der Armee ist, und sein Bruder Gotabaya, der als Sekretär im Verteidigungsministerium das Sagen hat, streiten vehement ab, dass Kriegsverbrechen begangen worden seien. Unabhängige Beobachter wie Journalisten oder humanitäre Helfer wurden in der letzten Kriegsphase bewusst aus dem Norden ferngehalten. Zwar drangen konstant Greuelgeschichten aus der No-Fire-Zone an die Öffentlichkeit, doch die Regierung wies diese zurück, und die Aussenwelt ignorierte sie mit der Ausrede, dass man keine Bestätigung von unabhängigen Quellen habe.
Da sich diese Vertuschung bewährt hat, versucht Colombo weiterhin, negative Berichterstattung dadurch zu verhindern, dass es kaum ausländische Journalisten ins Land lässt. Sri Lanka hängt stark vom Tourismus ab, und die Regierung organisiert deshalb seit Kriegsende regelmässig Medienreisen, auf denen die Touristenattraktionen des Landes präsentiert werden. Korrespondenten, die über politische Themen berichten wollen, bekommen bis heute aber kaum Visa für Sri Lanka. Dem Filmemacher und Journalisten Callum Macrae ist es dennoch gelungen, drei Dokumentarfilme aus heimlich gefilmtem Material aus den letzten Kriegsmonaten zusammenzustellen.




Die Filme sind harte Kost. Darin sind Schwerverletzte und vollkommen ausgezehrte und erschöpfe Menschen zu sehen, von denen die meisten nicht überlebt haben dürften. Und verzweifeltes medizinisches Personal, das wegen Angriffen auf Spitäler und dem Hilfeboykott kaum mehr etwas für die Opfer tun konnte. Ein Teil des Materials sind von Soldaten mit Mobiltelefonen aufgenommene «Trophäen». Darauf ist unter anderem die Hinrichtung nackter, gefesselter Gefangener zu sehen.
Der dritte Film unter dem Titel «No Fire Zone: The Killing Fields of Sri Lanka» wurde am Rande der laufenden Sitzung des Uno-Menschenrechtsrates in Genf um ersten Mal gezeigt. Colombo hat ihn als Teil einer orchestrierten Lügenkampagne gegen Sri Lanka abgetan. Mitglieder einer von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon eingesetzten Expertenkommission haben in Interviews jedoch erklärt, dass das Filmmaterial glaubwürdig sei und mit Beweisen übereinstimme, die man in den letzten Jahren gesammelt habe. Viele Länder sind befremdet über die uneinsichtige Haltung der Machtclique um Präsident Rajapakse, und es wird deshalb erwartet, dass eine von den USA eingebrachte Resolution gegen Sri Lanka im Uno-Menschenrechtsrat Ende dieser Woche angenommen wird. Die Resolution fordert Colombo auf, Uno-Experten endlich ins Land zu lassen, um eine unabhängige Untersuchung der Menschenrechtslage zu ermöglichen. Neben den USA dürften auch Kanada, die EU und die Schweiz für die Resolution stimmen. Wie sich der einflussreiche Nachbar Indien verhalten wird, ist noch unklar.
Selbst wenn die Resolution angenommen wird, wird das Regime in Colombo sein Handeln kaum überdenken. Solange die Hardliner eine Mehrheit der Singhalesen hinter sich haben, kümmert sie die internationale Meinung nur begrenzt. Der Präsident ist im Süden populär und hat seine Macht in den letzten Jahren konstant ausgebaut. Seine Familie kontrolliert die Regierung, das Parlament und hat auch die Justiz im Griff, seit sie im Januar die unbequem gewordene Vorsitzende des Obersten Gerichts in einem fragwürdigen Verfahren abgesetzt und einen engen Vertrauten zum Nachfolger ernannt hat. Die Protest der Richter und Anwälte dagegen blieb ohne Resonanz in den Medien und der Bevölkerung.
Im Ausland hat das Manöver für Unruhe gesorgt. Einflussreiche Persönlichkeiten haben den Commonwealth aufgerufen, das im September in Sri Lanka geplante Gipfeltreffen seiner Regierungschefs an einen anderen Ort zu verlegen. Der Generalsekretär, der indische Diplomat Kamalesh Sharma, hat darauf zwar erklärt, an dem Entscheid über den Tagungsort werde nicht gerüttelt. Der kanadische Regierungschef Stephen Harper drohte aber bereits, das Treffen zu boykottieren. Und auch in Grossbritannien regt sich Widerstand. Der australische Völkerrechtler Geoffrey Robertson riet in einem Bericht für den englischen Anwaltsverband zum Boykott der Veranstaltung. Die unrechtmässige Absetzung der Richterin stelle einen gefährlichen Präzedenzfall dar und dürfe vom Commonwealth nicht geschluckt werden, schrieb er. Das aussenpolitische Komitee des Unterhauses rief Premierminister Cameron ebenfalls zum Boykott auf, und britische Zeitungen warnten davor, dass eine Teilnahme von Königin Elizabeth II. an dem Gipfel vom Regime in Colombo zu Propagandazwecken missbraucht werden könnte.



SPIEGEL ONLINE 2012
Wenn Krieg herrscht, klicken die Kameras, und die Welt schaut hin. Doch wie leben und fühlen die Menschen danach? Drei Jahre nach dem Ende des 26-jährigen Bürgerkriegs hat der preisgekrönte Fotograf James Morgan Sri Lanka besucht - ein Land, zerrissen zwischen Leid und Aufbruch.
Ein junger Mann liegt in seinem Blut am Boden, notdürftig zugedeckt. Um ihn herum Männer und Frauen, die mit schmerzverzerrten Gesichtern den Himmel anschreien. Kinder spielen in zerrissenen Kleidern und mit leerem Blick in ausgebombten Ruinen. Syrien, Irak, Sudan? So unterschiedlich die Konflikte, so ähnlich sind die Bilder des Krieges.
"Westliche Mainstream-Medien haben unser Bild von Krieg geprägt. Das ist häufig stereotyp", sagt der britische Fotograf James Morgan. Und Kriegsfotografen bedienen diese Erwartungen immer wieder aufs Neue: Schnell dorthin, wo es am heftigsten ist, draufhalten, Blut, klick, Tod, klick, Verzweiflung, klick, Zerstörung, klick - ein Gefühl flüchtigen Glücks über das eigene Überleben. Das war's. Bis zum nächsten Mal. Der aufklärerische Wert dieser Fotos ist für Morgan die gute Seite der Berichterstattung. Andererseits erzeugt sie eine Vorstellung von Menschen im Krieg, die ungeachtet der unvorstellbaren Erfahrungen häufig einseitig ist. "Die Persönlichkeiten von Kriegsopfern sind genauso komplex wie wir alle. Die Menschen sind nicht 24 Stunden am Tag deprimiert, sie lachen auch, empfinden Lebensfreude, Optimismus, tun banale Dinge und haben alberne Momente", sagt Morgan.
Doch auf der Insel im Südosten Indiens lag noch etwas anderes in der Luft.
Es ist der seit 2009 beendete 26-jährige, brutale Bürgerkrieg, der in den Fasern Sri Lankas nachwirkt. Bis Präsident Mahinda Rajapaksa im Mai 2009 die tamilische Rebellenbewegung LTTE, die Befreiungstiger, endgültig niederschlagen ließ, starben bis zu hunderttausend Menschen, 250.000 wurden aus ihren Häusern vertrieben, die Uno sprach von Kriegsverbrechen. Heute herrscht offiziell Frieden, die Börse in der Hauptstadt Colombo wuchs 2010 schneller als jeder andere Handelsplatz in der Welt, und Touristen kommen, um in Sri Lanka die Seele baumeln zu lassen. Doch der innere Krieg hat die Gesellschaft gespalten und manchmal sogar das Vertrauen der Menschen in den Nachbarn zerstört. So lassen Vater und Mutter Navaratnam ihre beiden jugendlichen Töchter aus Angst vor Übergriffen nie allein zu Hause. Die Familie wurde auf der Flucht getrennt, die heute 16-jährige Manchula lebte drei Jahre lang in einem Camp für Binnenvertriebene, ohne Kontakt zu ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester. Was ihr dort widerfahren ist, lässt sich nur erahnen.

Die Menschenrechtsverbrechen des Bürgerkrieges sind bis heute nicht unabhängig aufgearbeitet. Präsident Maithripala Sirisena hat eine Abkehr vom Autoritarismus versprochen.



In einer Lagune an der Ostküste von Sri Lanka haben Taucher im September 2017 die Leiche eines 24 Jahre alten Mannes gefunden. Das gab die örtliche Polizei bekannt. Demnach wurde der Brite von einem Krokodil angegriffen und dabei getötet. "Die Wunden an einem Bein deuten klar darauf hin, dass das Opfer von einem Krokodil davongeschleift wurde", sagte ein Polizeisprecher.
Der junge Mann war mit einer Gruppe von Freunden im Urlaub in Sri Lanka und hielt sich mit ihnen an dem bei Surfern beliebten Strand Arugam Bay auf. Wie der britische "Guardian" berichtet, entfernte der 24-Jährige sich am Donnerstag von der Gruppe, weil er auf die Toilette musste. Dabei sei er in ein von Krokodilen bevölkertes Areal geraten.
Die Polizei geht davon aus, dass ein Krokodil den jungen Briten unter Wasser gezogen und getötet hat. Die genaue Todesursache soll nun eine Obduktion klären.
Der 24-Jährige arbeitete als Journalist für die britische Zeitung "Financial Times". In einer Stellungnahme des Blatts hieß es, man trauere um einen "talentierten, energischen und engagierten jungen Journalisten".


Es fehlt in Sri Lanka noch immer an Frieden, Versöhnung und Einkommensmöglichkeiten für die Menschen. Viele der bestehenden Probleme sind auf die überall spürbare Militarisierung zurückzuführen: Das Militär hält nicht nur die Bevölkerung unter Kontrolle, sondern auch grosse Teile des Bodens und der Wirtschaft.
Die Folgen des Krieges sind heute immer noch deutlich spürbar. So hält das Militär grosse Landstriche besetzt, wo die Menschen keinen Zugang zu Land und Meer und dadurch ihre traditionelle Einkommensmöglichkeiten als Bauern und Fischer verloren haben. Die Wiederansiedlung der unzähligen intern Vertriebenen geht nur langsam voran, und in den Lagern für die Vertriebenen sind die Lebensbedingungen prekär. Zudem rauben die wirtschaftlichen Aktivitäten des Militärs in Tourismus und Landwirtschaft der Bevölkerung wichtige Einnahmequellen.
Der Versöhnungsprozess macht Rückschritte, die Menschenrechtslage hat sich kaum verbessert. Folter ist weiterhin an der Tagesordnung wie Überwachung und Einschüchterung von Zivilgesellschaft und Lokalbevölkerung durch Sicherheitskräfte. Zusätzlich befinden sich unzählige politische Gefangene weiterhin in Haft. Schliesslich gefährden auch ethnische Spannungen den Versöhnungsprozess: Die tamilische Minderheit erlebt immer wieder Rückschläge in der Gleichbehandlung durch die Regierung, die muslimische Minderheit immer wieder gewaltsame Anschläge auf ihre Geschäfte und Moscheen.

Tourismus und Menschenrechte
In Sri Lanka boomt der Tourismus. In Westeuropa wird das Image einer friedlichen Feriendestination vermarktet. Aber die Bilanz ist ernüchternd: Hotels und Resorts versperren Fischern den Zugang zum Meer, was die wirtschaftliche Existenz ganzer Familien gefährdet. Es kommt zu Landenteignungen, und nur ein kleiner Teil der lokalen Bevölkerung findet im Tourismus ein Auskommen.